Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

32. Kapitel

Der Johannisbeerwein

So blieb es fünf oder sechs Wochen; es war schon tief im Herbst.

Da sah Höbke Suhl eines Nachmittags den Vater Ott auf den Hof zukommen. Sie sagte sich gleich, daß er sicher gesehn hatte, daß Eggert mit einem Fuder Hafer nach der Stadt gefahren war, und daß er seinetwegen mit ihnen reden wollte; und war in dem Gedanken bedrückt, da sie erwog, wie schwer es ihm war zu sprechen, und nun gar über diese schwierige Sache!

›Ach Gott,‹ dachte sie – denn sie war inwendig ganz redselig und hielt lange Selbstgespräche –, ›das wird eine schwere Stunde für uns beide! Ich meine für ihn und für mich! Denn Mutter laß ich am besten aus dem Spiel; die hat noch mehr Not davon als ich. Was er wohl will! Wenn er seinen Arbeitsrock anhätte, wollte ich noch nichts sagen; aber er hat seinen Sonntagsrock angezogen, und will also sicher etwas ganz Wichtiges! Es hilft mir nichts, ich muß mich auf eine Stunde ja und nein, und Sätze von drei Worten gefaßt machen, bis er dann endlich zur Sache kommt! Ich weiß, was ich tu: Ich will ihn auf die Bank am Soot bugsieren, da habe ich wenigstens doch den Garten, und dann und wann einen Wagen auf der Straße zu meiner Unterhaltung!‹

Sie ging ihm bis vor die Tür entgegen und sagte freundlich: »Nun ... das ist ja schön, daß du mal kommst, Onkel Ott! Komm' mit! Wir wollen auf der Bank sitzen ... da in der Sonne.«

»Ja,« sagte er, »ich wollte mal nach euch sehn!«

»Ja ... das war recht von dir!«

Er ging ihr voran und setzte sich langsam und umständlich auf die Bank, legte den Arm auf die Lehne und da es ihm ungeschickt vorkam, auf den Tisch, und da ihm das auch nicht passend schien, in den Schoß. Als er soweit war, hielt er es für möglich, daß der Ärmel auf dem Tisch schmutzig geworden wäre, und drehte ihn um und wischte ihn ab, obwohl da nichts zu wischen war, und fing dann denselben Stellungswechsel von vorn an. Dann sagte er einige Sätze übers Wetter und fragte nach der Mutter. Dann fing er von ihren einzelnen Feldern an, und kam bei jedem Feld auf eins der seinen. Sie saß ihm gegenüber am Tisch, hatte einige Strümpfe vor sich auf den Tisch gelegt und stopfte daran. Und sagte ungefähr dieselben Sätze, die er sagte, und war zu ungeschickt und scheu, um zu sagen: ›Onkel Ott, ich merke ja, du hast etwas Schweres, ganz Schweres auf dem Herzen, das Schwerste, das du jemals gehabt hast. Fang doch davon an!‹ und hatte ein herzliches Mitleid mit ihm, und wußte in ihrer eignen Ungeschicklichkeit nicht ein und aus. Sie wußte immer ganz genau, was sie wollte, und handelte im allgemeinen ganz richtig; aber sie konnte sich nicht in Worten aussprechen; sie sprach immer nur in Andeutungen und Fetzen von Sätzen und machte im übrigen nur hübsche, kluge Augen. So saßen sie sich eine halbe Stunde steif und ungeschickt gegenüber.

Endlich ertrug sie es nicht länger, überwand sich und sagte: »Eggert ist guter Dinge, Onkel Ott!«

»So?« sagte er, und schwieg eine Zeitlang.

»Er hat die sieben Hektar zu Osten ganz allein umgepflügt. Es ist gut 'rumgekommen.«

Ach Gott, da waren sie ja wieder bei demselben Gegenstand.

Da nahm sie all ihren Mut zusammen und stieß hervor: »Was nun wohl weiter mit ihm wird, Onkel Ott?«

Vater Ott wischte sich mit dem Rücken der Hand den Schweiß von der Stirn; sie merkte deutlich, daß sie sich nun der Sache näherten ... »Es ist ja man gut, daß er soviel arbeiten kann. Es sind so viele Lücken da, Höbke, unter der jungen Mannschaft. Alle, die wiederkommen, müssen hart 'ran.«

»Ja, das müssen sie ... und Eggert ...«

»Ja, und Eggert auch.«

Nein, das war nicht zu ertragen! Sie war so böse, daß sie rot wurde, und dachte in einer richtigen kleinen Verzweiflung: ›Was fange ich an?‹ Und sie durchsuchte mit geschärften Augen und zusammengezogenen Brauen das Bild, das sie vor sich hatte: hier zur Seite im Grünen den Soot, den Garten mit seinen Herbstblumen, und dort das Stück Straße, das die Bäume freiließen. Das konnte ihr alles nichts helfen. Zur Mutter laufen? Ja, die würde sie mit ihren guten Augen anlächeln und würde mit ihrer freundlichen Stimme boshaft sagen: »Er ist ja zu dir gekommen! Sieh du zu, wie du mit ihm fertig wirst.« Aber plötzlich flog das kluge, schelmische Lächeln über ihr Gesicht. Sie stand auf und sagte: »Warte einen Augenblick! Ich komme gleich wieder.«

Nach einigen Minuten war sie wieder da, eine verstaubte Flasche und zwei blitzende Weingläser von mittlerer Größe in der Hand. »So,« sagte sie verlegen, »ich will dir was zugute tun.«

»Deern, Deern,« sagte er und wischte über seine Stirn, »was hast du da? Ich bin ja gar nicht gewöhnt, auch nur einen Tropfen zu trinken.«

»Ich auch nicht,« sagte sie fast zornig; »aber ... es ist von meinem Johannisbeerwein, sollst du wissen.« Und sie schenkte ein; und sie tranken beide.

Das erste Glas half noch nicht, weder ihm, noch – woran sie bei all ihrer Klugheit gar nicht gedacht hatte – ihr selbst.

Aber als sie am zweiten genippt hatte, war sie selbst so weit, wie sie ihn hatte haben wollen. »Trink nur, Onkel Ott,« sagte sie schon recht ordentlich und glatt, »du bist so ein großer und langer Mann; du kannst doch zwei Glas trinken! Sitzen wir hier nicht ganz gemütlich? Warte, ich will die Flasche etwas kalt stellen.«

Und sie stand auf und trat an den Soot, stellte die Flasche in den Eimer und ließ ihn an der Kette in die Tiefe gehn und stand mit vorgebeugtem Kopf und beobachtete, wie er sank und unten aufschlug. Dann kam sie zurück und nickte munter – das genossene Glas wirkte schon mehr – und sagte: »Und nun mußt du sagen, was du auf dem Herzen hast! Ich glaube, du willst mir etwas ganz Besondres sagen. Wahrscheinlich über Eggert. Hast du eine Sorge um ihn? Möchtest du etwas von ihm? Du möchtest natürlich gern, daß er wieder gut Freund mit dir wird. Ja, darüber denk ich auch nach, Tag und Nacht, Onkel Ott! Sag' doch bloß, wie bringen wir das zustande!«

Vater Ott wurde nun auch etwas munterer und freier. Soweit wie sie, war er aber noch nicht. »Ja,« sagte er, »du hast ganz recht. Ich wollte ... ich wollte ... dir was sagen über Eggert ... und grade über diese Sache.«

Sie legte ihre Knie aufeinander, stützte den Ellbogen auf den Tisch, sah ihn mit ihren hübschen klugen Augen an und sagte behaglich und zutraulich: »Denn man zu, Onkel Ott. Wir sind ja ein Paar alte Freunde! Denn leg man los! Mach' keine Umstände! Komm, wir trinken noch einen Schluck! Ist er nicht gut geworden? Die Mädchen, die im vorigen Sommer zu meinem Geburtstag hier waren, sagten, er wäre wie der schönste Traubenwein. Nachher behaupteten sie, ich hätte einen kleinen Schwips gehabt und ich wäre redselig gewesen wie noch nie. Aber wie kann man von anderthalb Glas Wein redselig werden?! Das ist nicht der Wein, das ist das Herz! Nun, los, Onkel Ott! Gradedurch ist der nächste Weg!«

Vater Ott nahm umständlich das Glas und setzte es umständlich wieder hin und sagte munterer und mit gelösterer Zunge: »Ja, denke dir, vorgestern, als ich mit deinem alten Peter an eurem Garten entlang ging – ich wollte nach meiner Haferstoppel sehn – sah ich Eggert ... der uns nicht sah und hörte ... unter deinen Apfelbäumen stehn. Er hatte dir ja wohl geholfen; und sah dir nun nach, wie du den ziemlich schweren Korb, den du mit beiden Händen angefaßt hattest, nach dem Hause hinauftrugst. Wir sahen ihm grade in die Augen, er aber sah uns nicht; er tat nichts, stand da und sah dir nach. Als wir nun eine Strecke weitergegangen waren, sagte der alte Peter zu mir: »Hast du es gesehn?« Ich sagte: »Was soll ich gesehn haben?« Er sagte: »Sag' nicht was! Sag' es!« Ich sagte: »Sag' du es; ich kann es nicht gut sagen.« Da sagte er: »Daß er verliebt ist!« Ich sagte: »Ja, das habe ich gesehn.«

Sie hatte ihn während seiner Rede mit gerunzelten Augenbrauen und ihre schönen Augen scharf und fast schmerzhaft auf ihn gerichtet, angesehn; denn es peinigte ihr empfindsames Gefühl aufs heftigste, daß von ihrem Innersten geredet wurde, obgleich es zwei alte Leute gewesen waren; aber zugleich hüpfte ihr das Herz vor Freude. Aber da sie nun ihren eignen Wunsch aufs schönste im trocknen hatte, war sie gleich bereit, die Stunde auszunutzen, um mit einem so großen und würdigen Mann ein kleines Spiel zu treiben und ihn zu weiterer Rede zu bringen; denn sie war ein rechtes Weib und zu allem Spiel aufgelegt, nur daß sie es sonst immer mehr inwendig treiben mußte, im Geist, weil sie zu scheu war, es vor den Menschen zu tun. Nur mit ihrem freundlichen Mütterchen schelmte sie zuweilen mit drolligen Worten und einer neckenden Bewegung der Hände und nur dann, wenn es dunkel war oder doch dämmerig. Nun aber war sie ja vom Wein guter Dinge und gelöster Zunge. Also setzte sie ein ernstes, fast bekümmertes Gesicht auf und sagte: »Ich kann mir nicht denken, Onkel Ott, daß er mich lieb hat; ich bin fast fünf Jahr älter als er und bin immer so schrecklich still und ernst.«

»Kind,« sagte Vater Ott, dem nun auch der Wein die Seele und die Zunge gelöst hatte, »das ist ja grade das Richtige! Was hat man da erlebt!«

»Erzähl'!« sagte sie eifrig und nickte ihm heftig zu.

»Ja,« sagte Vater Ott und war guter Dinge, »da war die schöne Otti Hargens, die von Westerdeich, weißt du ... jetzt hat sie ja schon graues Haar! Die sagte, sie wollte zeitlebens bei ihren Brüdern von Hof zu Hof gehn und bei den Kind- und Krankenbetten, Hochzeiten und Taufen helfen; und trieb es auch so, bis sie dreiunddreißig war; sie war ein großes und kluges Mädchen! Aber da kam der kleine, etwas knickebeinige Kaufmann Mumm, sechs oder sieben Jahre jünger und einen Fuß kleiner als sie, kaufte und handelte in der ganzen Landschaft, lachte sie an und neckte sie. Sie nahm ihn erst gar nicht ernst, sie dachte: ›Das ist ja kein Mann ... was ist der?‹ Aber das änderte sich dann sehr. Sie hat ihn geheiratet und ist nicht unglücklich geworden.«

Sie nickte ihm zu und sagte eifrig und lebhaft: »Weißt du noch mehr so verzwickte Fälle? Aber einen weiß ich auch ... ja ... einen ...«

Aber er war nun im Zug. Sein übervolles Herz, sein Geist, der tausend Tage Gedanken erwogen und Bilder gemalt, und sie nie an den Mann gebracht, quoll nun über. Er saß nach Art eines Knaben zu fern vom Tisch, die Hand ungeschickt um den Fuß des Glases. »Vergiß dein Wort nicht,« sagte er eifrig, ja begeistert. »Dann war da die Hanna von Dollen, die Tochter von dem Amtsrichter! Sie war das klügste und tüchtigste Mädchen in der ganzen Landschaft, und gar vermögend dazu. Sie kam nicht zur Ehe ... sie reiste hierhin und dahin ... und blieb immer ledig ... und wurde fünfunddreißig ... Aber dann heiratete sie! ... und wen? ... Was denkst du: wen? Einen kleinen Violinspieler, einen lebendigen, lustigen, quecksilbernen, schwarzen, kleinen Kerl, einen Kerl, sag' ich dir, der nicht eine Minute ruhig auf einem Stuhl sitzen konnte! Sie lachte über ihn, solange sie lebte – sie ist nun schon tot –; aber sie hatte ihn gern.«

Sie nickte lebhaft, tippte auf seinen Arm und sagte rasch, um endlich einmal zu Wort zu kommen, wonach es sie sehr drängte: »Ja, und nun vergiß dich selbst nicht, Onkel Ott! Bitte, vergiß dich selbst nicht! Tante Lene hat es mir mal erzählt, wie es gewesen ist. Sie war erst achtzehn und tat nichts weiter als arbeiten und lachen, und dachte nicht an Heiraten. Und als ihre Mutter zu ihr sagte: ›Du, Lenchen, weißt du, wer dir was will?‹ ›Mir?‹ sagte sie. ›Der lange Reimer Ott!‹ Da lachte sie sich unter den Tisch, und lachte so, daß sie immerfort schrie: ›Es tut so weh, es tut so weh; und ich kann es doch nicht lassen!‹ Ja, und dann war sie doch neugierig, und sprach mit dir. Und dann verlor sie ihren Bruder im Watt, und wurde wenigstens ein wenig ernst. Und im Winter darauf liebte sie dich schon so, daß sie heimlich auf Hochzeit drängte.«

»Ja, siehst du,« sagte Reimer Ott eifrig; mit glänzenden Augen: »Das ist es, wovon wir reden! Der Unterschied ... das ist das Rechte! Und das ist es nun auch mit dir und Eggert.«

»Gott, nein!« sagte sie. »Wenn mir das einer vor drei Jahren gesagt hätte, daß der wilde Rode Praß noch mal mein Mann würde ... der dumme Junge, der barfuß über meine Gräben und Felder sprang! Aber weißt du, Onkel Ott,« sie lächelte und spottete über sich selbst und wunderte sich ... »Du glaubst nicht, wie komisch es mir gegangen ist! Ganz zuerst, als ich sechzehn war, da dachte ich, ich wollte einen Offizier haben, ich hatte mal einen über den Marktplatz gehn sehn in all seinem Staat. Danach, als ich so achtzehn, neunzehn war, – da ich zu scheu war, zum Tanz zu gehn, las ich viel ... ich glaube in etwas überklugen Büchern, – da sann ich mir so aus, daß ich vielleicht mal einen Gelehrten haben wollte! Der sollte hier auf dem Hof leben und arbeiten, wie er wollte, während ich für die Felder sorgen wollte. Ich glaube, es sollte so'n Kunstgelehrter sein! Ach Gott ... ich verstand nicht viel davon ... und du verstehst gar nichts davon. Dürer ... es ist doch eigentlich alles altmodisch und langweilig; bis auf den Ritter, der mir gut gefällt. Kennst du den Ritter, Onkel Ott! ... Nein? ... Ist auch nicht nötig. Zuweilen dachte ich sogar an Pastor Bohlen! Ja, an den dachte ich auch! Ich wollte ihn pensionieren und mit all seinen Schränken und dem ganzen Zeug in den Saal setzen. Aber zuletzt kam ich beim Landmann an! Ja, dabei bin ich zuletzt angekommen und dabei bin ich nun schon einige Jahre. Ich wollte einen ordentlichen, ernsten und wahrhaften Mann haben ... hier auf meinem Hof, den ich so liebe ... und wenn er noch so schlicht wäre! Aber meine Scheuheit war mir immer im Weg. Wenn mir mal einer gefiel, so beim Konzert oder Pferderennen, so konnte ich es ihm nicht zeigen. Im Gegenteil, ich zog immer die Augen gleich kraus, weil es mir nicht recht war, daß er mir gefiel, oder weil ich fürchtete, er könnte es merken, daß er mir gefiel; und so dachte er denn: ›Was für ein unfreundliches, überernstes Mädchen,‹ und ging an mir vorüber. Und nun?! Nein! Daß der Rode Praß es einmal würde, der allereinfachste und schlimmste, daran habe ich nicht gedacht!«

»Siehst du,« sagte Vater Ott wieder, mit leuchtenden Augen, »das ist es! Der Unterschied ... das ist das Richtige! Er hat viel von der Art seiner Mutter, ist rasch, zornig, ungerecht ... Du aber hast meine Art, bist schwerfällig, unsicher, langsam; und das Reden wird dir schwer.«

»Ja,« sagt« sie, »da hast du recht« und mit einer ungeschickten Bewegung mit der platten Hand auf den Tisch, »und weißt du, ich habe mir Gedanken darüber gemacht, warum es so ist und so sein muß; ich meine: daß grade so verschiedene Menschen zueinander hingezogen werden! Stell' dir bloß vor, wenn es nicht so wäre: wenn gleich und gleich sich liebten: Der Weiche den Weichen, der Unsichre den Unsichren, der Zornige den Zornigen, der Rundköpfige den Rundköpfigen! Was würde das für Kinder geben! Die Eigenschaften der Eltern würden sich in den Kindern verdoppeln und es gäbe die unleidlichsten Erscheinungen: es gäbe Leute, die so zornig wären, daß sie alles, was sie sähen, zerschmetterten, und Leute, die so rundköpfig wären, daß sie statt eines Kopfes eine Kegelkugel hätten! Nun aber läßt die Natur diejenigen sich lieben, die verschieden untereinander sind, und erreicht damit, daß die Kinder mit ihrem Wesen und ihrer Art wieder in der Mitte der Schöpfung stehn. Und so ist es denn kein Wunder, daß ich Eggert schon so lange gern habe. Früher, solange er noch ein Junge war, als Jungen; aber nun, seitdem er wieder da ist, als einen Mann!«

So saßen sie nebeneinander auf der Bank und brauchten die beiden Gläser nur, um sie hin- und herzuschieben, um ihre Reden zu bekräftigen, und dachten nicht an Trinken, sondern nur, daß sie ihr sonst immer so verhaltenes, so übervolles Herz ausschütteten, und redeten immer weiter mit lebendigen Augen, ein leises, glückliches Rot auf den Wangen.

»Aber nein,« sagte sie, »daß du ... du ... Onkel Ott als Brautwerber kommst! Na, es war ja auch ein Unternehmen, was?!«

»Ja, Kind,« sagte Vater Ott und sah sie mit seinen tiefen, notvollen, gläubigen Kinderaugen, den rechten Weihnachtsaugen, an: »Ich denke und denke ja nur Tag und Nacht darüber nach, wie ich ihm irgend etwas Gutes tun kann, ich ... ich ... der ich mich so schrecklich an ihm vergangen habe! Und da dachte ich, ich wollte diesen Gang für ihn machen! Ja, und das ist ja nun gut abgelaufen!« Er zog sein großes, buntes Taschentuch hervor und wischte sich über die Stirn, auf der die Schweißtropfen standen.

Ihre graden Augenbrauen hatten sich kraus zusammengezogen, und sie sah vor sich hin auf den Tisch. Dann sagte sie langsam: »Weißt du, Onkel Ott, es ist nicht zu glauben, wie es hat geschehn können! Das, was du und das Kirchspiel von ihm glaubten, lag ihm tausend Meilen fern. Er trug dich und die ganze Familie und die ganze Heimat in einem guten, reinen Herzen und auf den Händen. Er war bereit, immer und überall für seine Menschen durch Feuer und Rauch zu gehn; das hat er bei Skagerrak bewiesen, als er sich bei dem Rettungsversuch die schwere Brandwunde geholt hat. Und da mußte ihm dieses rohe Benehmen auf den Hals geladen werden! Das überwindet er nicht, Onkel Ott. Auch unsre Verlobung und Ehe wird daran nichts ändern. Du kannst glauben, ich werde Tag und Nacht daran arbeiten, daß er milder denkt. Aber ich fühle deutlich, daß ich und kein Mensch da im Grunde etwas ändern kann. Und das ist mein großes Leid, das mich quält, ich kann nicht sagen wie sehr. Denn sieh, Onkel Ott ... es ist schlimm, wenn ein Mensch, und nun gar ein junger und ein feuriger, eine völlig vereiste ... eine glaubenslose Stelle in der Seele hat.« Sie sah mit zuckendem Munde vor sich nieder; Tränen traten in ihre Augen.

»Ja,« sagte Vater Ott, »das ist es!« Und nun war er plötzlich wieder der unsichre, schwerfällige, wortkarge Reimer Ott. Er versuchte, die rechte Hand in die Tasche seiner Joppe zu stecken, fand sie aber nicht in der gewohnten alten Feldjoppe und wußte nicht, was er mit der Hand beginnen sollte, und legte sie hilflos in den Schoß. »Ich habe mir den Kopf darüber zergrübelt,« sagte er mutlos mit hin- und hersuchenden Augen. »Siehst du, ich finde mich da nicht so leicht hindurch wie andre Menschen. Ich spreche immer mit mir selbst; und da war mir eine Zeitlang, als wenn ich inwendig zwei wäre und in Zank mit mir selber geriet. Das Gute und Glückliche in mir, meinte ich, müßte seinen Weg allein gehn und das Verkehrte und Unglückliche von sich fortschicken. Und wie solch schlimmes Grübeln meistens endet, das weißt du wohl. Aber Gott hat mich bewahrt und Frau und Kinder, die immer, Tag und Nacht, um mich waren. Aber die Not geht nicht weg, weil seine Not nicht vergangen ist. Aber ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll. Vielleicht gibt es ja irgend einen Weg, um sie aus der Welt zu schaffen. Gewiß ... sicher ... es gibt einen Weg, aber ich finde ihn nur nicht, weil ich zu ungeschickt bin, und Pastor Bohlen weiß auch keinen ... Ja ... ja ... Und denn will ich nun gehn, Höbke ... und denn grüß' Marie; ich meine deine Mutter ... ich sage ja immer Marie zu ihr ... ja, grüß' deine Mutter! Und denn will ich nun gehn. Ja, und ich habe ihm nun doch ein wenig geholfen, Höbke ... habe ich nicht? Du weißt nun, daß er dich lieb hat. und ich sehe, du hast ihn auch gern und willst ihn nehmen. Ja, ich habe ihm doch ein wenig geholfen. Aber freilich, die alte, große Not bleibt, das sehe ich wohl ein. Das Eis ... ja ... das muß weg. Nein, das geht nicht an. Das muß weg. Einen Zorn im Herzen tragen, einen Haß, und das zeitlebens ... das ist trostlos ...«

»Ja, das ist es, Onkel Ott.«

»Ja, dann ist das Beste am Leben nicht da, Höbke. ... Ja, ja ... ich grüble immer darüber ... Das kannst du glauben ... wie es möglich ist, ihn davon zu erlösen ... von dem Eis in der Brust ... ja ... ja. Und ... ich will es dir sagen: ich glaube doch beinah ... ich bin einem guten Gedanken auf der Spur! Ja, ich glaube es beinah. Ich will morgen vor der Kirchzeit mal zu Pastor Bohlen gehn und mit ihm darüber reden. Freilich ... leicht ist es nicht.« Er stand still und sah auf die Erde, und plötzlich standen ihm dicke Schweißtropfen auf der Stirn, und er war jäh blaß geworden und seine Hände flogen. »Aber wenn ich ihm eine Liebe erweisen und helfen kann ... Hoffentlich ist es dann nicht wieder verkehrt, Höbke!« Und er sah sie mit seinen gläubigen, hilflosen Kinderaugen an.

»Was ist es denn, Onkel Ott?« sagte sie in jähen Sorgen. »Was meinst du? Willst du es mir nicht sagen?«

»Nein, nein!« sagte er. »Sag' mir, wie ist es ... geht er morgen in die Kirche?«

»Ja, das hat er gesagt. Er will morgen in die Kirche.«

»So... so ... Nun dann will ich nun also gehn, Kind! Ja, dann will ich nun gehen! Und dann grüß' deine Mutter!«

 


 << zurück weiter >>