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3. Kapitel

Der Knecht

Das ganze Haus war aufs schwerste verstört. Der Vater saß am Bett des Kindes und sagte kein Wort. Die Mutter nahm sich zusammen, solange sie neben ihm stand, tröstete und redete ihrem Mann und den Kindern Mut zu; wenn sie aber in der Küche mit dem Gesicht dem Herd zugewandt stand, weinte sie, daß das Feuer in tausend Funken sprühte. Die Schar der Kleinen saß verschüchtert in der Kammer, die nur wenig erwärmt war. Reimer ging mit seinem Buch in der Hand, in dem er nicht las, auf der eiskalten Diele auf und ab und strich sich durch das Haar auf dem Rockkragen. Eggert im Stall hob die Schultern bis an die Ohren, sagte wenig und arbeitete wie ein Pferd, indem er die Arbeit des Vaters mitmachte. Der Knecht war stumm und blaß, sagte kein Wort und atmete nur schwer. Jeder mied es, den andern anzusehen; es war, als wenn er fürchtete, es könnte aus den Augen oder dem Mund des andern, wer weiß was, herausspringen, eine Hexe oder ein Irrsinn oder sonst was. Dabei waren sie nicht abergläubisch. Aber gerade dies, daß sie es nicht waren, machte sie hilfloser. Wären sie abergläubisch gewesen, oder richtiger gesagt, hätten sie einen bestimmten Glauben gehabt, so hätten sie sich gegen die Erscheinung gewehrt. Sie hätten entweder im christlichen Glauben Gott und den Heiland zur Hilfe gerufen oder im unchristlichen, der ja noch nicht ganz ausgestorben ist, irgendeine Zauberformel gebraucht, und hätten darin, wenn nicht Hilfe so doch Halt gefunden. Aber nun waren sie ganz ratlos, irrten und jagten mit ihren Gedanken ziellos umher und entrannen doch dieser Macht nicht, die doch so klein war, die nichts war, als ein nicht sehr lauter, langer, hohler Pfiff, der aber durch seine Herkunft aus wesenlosem Raum und durch seine hohe, eintönige, sinn- und seelenlose Art die Phantasie zerriß. Es wäre vielleicht besser abgelaufen, es wäre irgendwie eine Lösung der Spannung eingetreten, wenn der rechte Pfarrer oder Lehrer im Ort gewesen wären. Aber der Pastor, zwar ein ernster und tüchtiger Mann, litt zuweilen an einem Zustand der Kränklichkeit und Verdüsterung und hatte mit sich selbst genug zutun, und der Lehrer war zufällig der Menschenseelen nicht kundig und läufig. Und irgend ein anderer Mensch, klug, gütig, feurig, der ein Recht hatte oder es sich nahm, den verwirrten, schwerfälligen, ungeschickten Menschen zu helfen, war auch nicht da. Die vielen aber, denen die Not der ehrenwerten Familie leid tat, brachten es nicht über sich, ihnen dies schöne Gefühl, in dem soviel Trost und Stärkung liegt, zu bekennen; sie fühlten auch dem verzwickten, rätselvollen Fall gegenüber ihre völlige Ungeschicklichkeit. Diejenigen, die mit einem Glied der Familie zusammentrafen und ein Wort sagen mußten, umgingen entweder die Sache oder redeten dies oder das über sie, worin nichts von Ermunterung lag, wohl aber Beschämung und Mehrung sowohl der Unsicherheit wie der Not. Die meisten, die ferner standen, begleiteten im Vorübergehen ihren stummen Gruß mit verschlossenen Gesichtern oder gar mit einem leisen, weisen und spöttischen Lächeln. Die Menge des Kirchspiels beredete in Stuben und Ställen, je nach Verstand und Gemütsart, die seltsame Sache mit Scheuheit oder mit Bedauern oder mit Grauen; und suchte sie mit allem Eifer zu ergründen. Die Klugen und Kalten unter ihnen kamen etwa zu dem Resultat, daß es der böse Schabernack eines Menschen wäre, der in besonderer Weise seine eigene Stimme von sich entfernen könnte, und rieten dabei in vorsichtiger Weise bald auf Eggert, den Barfüßer, der bei den Ludwigs verkehrte und die Maultrommel spielte und ihnen in manchem ein Rätsel und fremd war, bald auf den Knecht und bald auf die taube Magd; die Spielerischen, Phantastischen sannen bis in die Nächte, ob und wie sie eine völlig neue und seltsame Erklärung fänden, die der Natur und ihrer Kunde oder den Wundergeschichten aller Zeiten eine neue Entdeckung hinzufügte; die Stillen und Sinnigen – und das waren wohl die meisten, schon weil die Kinder in der Mehrzahl waren – glaubten, daß es doch wohl ein kleiner Wicht, ein sogenannter Unterirdischer wäre, wie sie nach uraltem Glauben, dem eigentlich alle noch trauten, im Dachgebälk und den dunklen Stallecken alter Gehöfte hausten, und sprachen von »dem Pfeifer« oder »dem kleinen Pfeifer«, als wüßten sie sicher sein Wesen und Gehaben. Und es gab in den Kinderstuben manch einen leisen Aufschrei; und große Augen sahen noch lange ins Dunkel, und sahen es voll rätselhaften Lebens.

Harm, der Zimmermann, der am dritten Tag, dem Sonntag, wieder nach Haus kam, durchsuchte noch einmal stundenlang den Boden und das ganze Haus. Darnach fragte er in seiner etwas schweren, gründlichen und ordentlichen Weise die, welche dabei gewesen. Der Knecht und der Tagelöhner erzählten ihm alles, was sie gehört und empfunden hatten, wußten aber nichts neues hinzuzufügen. Eggert sagte aus seiner trotzigen Stimmung heraus, die er gegen den Vater hatte und die ihm wie Eis in der Brust zu stehen schien: »Was soll ich sagen?« und er fuhr sich, wie seine Mutter es tat, mit jäher Handbewegung über das rotblonde Haar ... »es gibt ja viele unerklärliche Dinge. Dazu hat dieses ganze Haus was Dösiges und Muffiges; also ist hier ja der rechte Ort für solche Dinge. Im übrigen weiß ich nicht, ob man dem Knecht trauen darf. Nicht, daß er schlecht ist ... nein, das ist er nicht ... er ist kein schlechter Mensch ... aber es ist irgend etwas in ihm, das ich nicht raten kann. Ich verstehe z.B. nicht, warum er hier bei uns ist und leben mag ... mit den Kindern hat er ja freilich seinen Spaß und von Emma hält er sicher viel ... aber es ist doch klar, daß er so ganz anders ist wie wir, und daß er uns mit Verwunderung beobachtet ... So, und das ist alles was ich denke, und nun laß mich in Ruh.«

Da ging Harm nach der Stube zurück und setzte sich neben den Vater an das Bett, das in die Wohnstube gestellt war, und sagte, was er mit denen draußen besprochen hätte; und sagte so dies und das, was die beiden ermutigen sollte. Und sagte dann auch: ob es wohl möglich wäre ... ob sie nicht auch auf den Gedanken gekommen wären, den Bruder Eggert vorhin ausgesprochen hätte: daß es vielleicht eine törichte oder schlimme Schelmerei von dem Knecht wäre.

Der Vater zuckte auf und schwieg eine Weile und sagte dann mit harter, bittrer Stimme: »So ... so ... Eggert beschuldigt den Knecht. Wo hat er denn irgendwie einen Beweis dafür? Und wie sollte er es ausführen, da er doch mitten unter den anderen stand?« Die Kranke, die nun etwas wacher und ruhiger geworden war, schüttelte mit großen vorwurfsvollen Augen den Kopf, als wenn sie sagen wollte: ›Der? ... der gute, liebe Mensch? Der?‹ Da gab er es auf, diesen Verdacht weiter zu erörtern, und fing an, ihnen auseinanderzusetzen, daß es auf jeden Fall – wie es sich denn auch erkläre – eine natürliche Erscheinung wäre ... selbstverständlich! Und daß sie sich nun entweder nicht wiederholen würde, oder aber, wenn sie sich wiederholte, sicher eines Tages, und zwar bald, aufgeklärt und aufgedeckt würde, es sei nun, daß es auf eine Naturerscheinung oder auf eine menschliche Bosheit hinausliefe. Und darum sollte die Schwester ihre kleine Seele doch völlig beruhigen und aus dieser inneren Sicherheit und Beruhigung heraus von Tag zu Tag mehr gesunden.

Die kleine Kranke hörte dem Bruder, den sie wegen seines verständigen Wesens heiß verehrte, mit großen, stummen Augen zu, und man merkte, wie die Worte ihr gut taten. Die Augen bekamen wieder mehr den stillen, sanften Schein, den sie gehabt, und die zierlichen Wangen wurden leise rot. Sie lag, nachdem er geredet hatte, mit weniger gespanntem und geängstetem Gesicht und mit ruhigerem Atmen in ihren Kissen und horchte auf Reimer, der ihr mit leiser, aber reiner und festlicher Stimme ein etwas langatmiges Frühlingslied vorlas. Und als am selben Abend die Mutter, da sie ihr Bett für die Nacht bereitete, ihr in einem stürmischen Ausbruch der mütterlichen Liebe mit heiß hervorbrechendem Schluchzen Gesicht und Brust küßte, kam der erste Laut, ein sanftes Stöhnen aus ihrer Kehle und dann die ersten schwachen Worte.

Diese frohe Nachricht verbreitete sich rasch durchs ganze Haus und alle Kinder kamen der Reihe nach an ihr Bettlein, um ihr die Hand zu streicheln. Der Knecht aber ließ im Stall, als er es vernahm, die Forke fallen und schrie auf und kam mit seinem leichten Hinken in die Stube geschossen, trat an ihr Bett und sagte, über sein ganzes hübsches Gesicht strahlend, wie trunken von ihrer Gesundung und von dem, was er sagte: »Hör', klein Emma, liebes Kind! Sagte ich dir nicht schon, daß es ein Vogel sein könnte? Hör' ... jetzt erinnere ich mich ganz genau, was ich einmal in meiner Heimat gehört habe ... ich habe drei Nächte darüber gegrübelt ... ich habe es immer hin und her gewandt in meinem Sinn ... Ich habe einmal gehört ... es gibt einen kleinen Vögel, einen Rethbewohner ... so von der Art der Rohrdommel, aber viel kleiner ... der soll für gewöhnlich auswandern ... Zuweilen aber, sagt man, wird er durch das weiche Wetter verlockt zu bleiben, und dann ... wenn der kalte, scharfe Wind einsetzt ... soll er in dem alten Reth des Hausdachs Schutz suchen ... und sich darin verkriechen ... und wenn er nun aufträumt, so in seinem Schlaf ... kann es nicht so gewesen sein? ... dann schreit er laut und lang ... Gewiß ... so ist es! Ja, das mußt du glauben, Emma, liebes Kind! Du mußt denken: ei, der kleine träumende Vogel in unserem Dach! Ja, das mußt du denken, wenn es einmal wiederkommt. Aber ich glaube fast, es kommt nicht wieder; denn, sieh, es geht ja schon stark in das Frühjahr hinein ... Er wird seinen Schlaf und seine Träume von sich geschüttelt haben und sich davon gemacht haben.« So sprach er in seiner zierlichen, raschen alemannischen Weise.

Sie hörte ihm mit blanken Augen zu, das lange, edle Gesicht voll schweren, süßen Ernstes und fast Feierlichkeit, so als wenn er ihr eine goldene Krone auf die Decke legte.

An diesem Abend sprach der Knecht beim Abendbrot davon, daß er einen Brief von seinem Onkel aus Köln bekommen hätte, der erkrankt wäre, und daß er wohl dahinreisen und seinen Dienst aufgeben müsse. Er versicherte ausdrücklich und wortreich, daß er nicht wegen der elenden Pfeiferei fortgehe; das traue ihm auch wohl niemand im Hause zu. Er gehe, weil sein Onkel ernstlich erkrankt wäre und nach ihm gerufen hätte und weil er einsähe, daß sie hier auf dem Hof jetzt auch ohne ihn fertig werden könnten, da die Tiere aus dem Stall kämen.

Er packte dann an einem der nächsten Tage seine Sachen, ging noch mal ins Dorf und kaufte für jedes Kind einige Kleinigkeiten und kam zurück und verteilte, was er gekauft hatte, an die Kleinen. Dann kam er in die Stube zu Emma, die nun schon am Fenster im Lehnstuhl saß, und legte ihr ein kleines goldblankes Herz, wie ein Groschen so groß, auf die Kniedecke und bat sie, daß sie es annehmen möchte. Sie hatte schon erfahren, daß er fortginge, und weinte heimlich darum und wußte nicht, was es mit ihr war. Sie nahm das Herzchen mit freudigem Erröten in die blaß gewordene Hand, sah es an und freute sich über die edle Form. Aber die Mutter, erfahrener, sah, daß es echt war, und sagte mit Verwundern, obgleich sie sich mit ihrem Kinde über seine Freundlichkeit freuen wollte: »Das haben Sie nicht im Dorf gekauft.«

»Nein,« sagte er offen, »das habe ich auch nicht. Ich habe es von meiner Schwester geerbt, die jung gestorben ist und die ich nicht gekannt habe. Ich bitte die Meisterin, daß sie es mir vergönnt, daß ich es Emma zur Erinnerung schenke, da ich nun weggehe.« Dann wandte er sich wieder zu ihr und sagte: »Denk' an den kleinen Vogel im Reth! Zweifle darin nicht! Und so werde rasch wieder gesund und fröhlich ...« Er wollte noch mehr sagen, aber es brachen ihm Tränen heraus. Er küßte ihr in plötzlichem überströmenden Gefühl die Hand und ging hinaus.

In der Küche sagte die Mutter, die ihm in Verwirrung nachgegangen war, aus freundlichem Herzen, er möchte doch einmal wieder von sich hören lassen. Sie hätten ihn alle gern gehabt. Auch sie weinte.

Er versprach es. »Aber erst nach Jahren,« sagte er. Und noch einmal, mit großem Nachdruck: »Nach Jahren werde ich von mir hören lassen, Meisterin! Erst etwas Tüchtiges schaffen, Meisterin; und älter und verständiger werden! Dann will ich noch einmal wieder durch diese Tür kommen, in einem schönen Anzug.«

Damit ging er.

Es kam aber nicht so, wie der Knecht und sie alle gemeint hatten. Das Pfeifen freilich, das ja schon eine Woche geschwiegen hatte, schwieg auch weiter. Aber der Zustand Emmas blieb betrüblich. Ihr Körper gewann zwar bald wieder die schmale Straffheit; aber die freilich nicht schweren Krämpfe, die gleich nach jenem Ereignis eingetreten waren, wiederholten sich alle vier Wochen. Das noch Schlimmere aber war, daß ihre Seele gleichgültig gegen die Dinge und die Farben um sie wurde und in ein schwermütiges und sinnierendes Wesen geriet. Die Anlage zur Schwermut, die von Haus aus als Erbe vom Vater in ihr war, kam nun zutage und wurde allen sichtbar. Der Knecht war ihr mit seinem bunten Wesen in wenig Wochen mit hinreißender Gewalt die Stelle geworden, wo ihr die Welt jenen wonnigen Schein hatte, den ihr spielendes Herz begehrte. Das Wunder, auf das jeder Mensch wartet, das er nie sieht, solange er lebt, war ihr in ihm begegnet. Und nun war er fort ... fort in die weite, unbekannte Welt. Sie sprach kein Wort über ihn; sie schwieg auch über das, was er ihr von seinem Jugendleben anvertraut hatte; sie hatte das Gefühl, daß sie ihn durchaus in dem Geheimnis lassen müßte, das ihn umgab; aber sie dachte immer an ihn. Und allmählich nahm ihr Denken die Form der Anklage und Trauer an. Sie geriet in den Glauben hinein, daß er durch Gottes Führung und Weisheit in ihr Haus gekommen wäre und es an ihr gelegen hätte, ihm zu helfen, ihn aus seiner Verlassenheit, Erniedrigung und Verkapptheit zu lösen. Aber sie war nicht treu, nicht gütig, nicht wach genug gewesen, seiner armen, umstrickten Seele zu helfen. Sie hatte es versäumt. So wanderte er nun wieder heimatlos in der sonnenarmen Welt; und sie trug die Schuld. Wie war es doch gekommen ... nun eben ... sie war nicht treu, nicht fromm, nicht gütig genug! Und sie begann aus einem überzarten und überreizten Gewissen heraus in ihrem kleinen sauberen seelischen Wesen herumzuwühlen und zu stoßen, und alles unsauber und unerklärlich zu finden, und sich schwer anzuklagen, so, als wäre sie nichts wert und als wäre sie von Gott und seinen Engeln verlassen, und es wäre nichts mit ihr und ihrem Leben. Und es kam ein großes Sündengefühl über sie und sie war traurig und betete, und ging in die Kirche, und gewann doch nicht das Gefühl der Vergebung und des Trostes und weinte heimlich still vor sich hin. Und die schon immer ein wenig abseits Gestandene trennte sich nun fast ganz von ihren Gespielen, ja, von dem Treiben aller Menschen.

Der Vater war darüber hart bedrückt. Der tägliche Anblick seiner schmucken, zarten, gebrochenen Tochter, die er besonders liebte und um die er besonders sorgte, da er wohl fühlte, daß sie dem Leben und der Welt ebenso unsicher gegenüberstand, wie er selbst, ließ ihn die Last seiner wirtschaftlichen Not noch schwerer erscheinen. Zur Schwermut geneigt wie dies sein Kind, fing er an, die ganze Not, die ihn und sein Haus betroffen hatte, mit dunkler Seele anzusehen, so, als wenn Haus und Familie von schlimmen Mächten verführt und bestraft werde und vergeblich gegen sie kämpfen müsse; und er geriet in Mißtrauen über den guten Sinn des Lebens, an den er bisher, vom Glück begünstigt, umringt von seinem mutigen, lebensvollen Weib und gesund heranwachsenden Kindern, trotz seines dunklen und zarten Gemüts mit einem treuherzigen Mut immer geglaubt hatte. Und das erste böse Werk dieses Mißtrauens war, daß es ihn mehr und mehr in den Verdacht trieb, den er gegen seinen Sohn Eggert, den Barfüßer, hatte: daß er der Pfeifer gewesen und also alle Schuld an der Krankheit des Kindes hätte.

Um diese Zeit, einige Wochen nach dem Weggange des Knechtes, entstand auch im Kirchspiel, auf lauter Mutmaßung hin, der Glaube, daß dieser Eggert, der vielen wegen seines einsamen und zuweilen wunderlichen oder doch wunderlich scheinenden Wesens fremd und unerklärlich war, der »Pfeifer« wäre. Und dieser Glaube – wie es denn mit Glauben so geht, wenn er erst Anklang und Anhang gefunden hat – setzte sich rasch durch und beherrschte bald alle. Es lag ja auch Grund vor zu solchem Glauben. Da war sein Streit mit seinem Vater, und sein Wunsch vom Hause fortzukommen. Da war sein jähes, eigenwilliges Wesen, dem man einen seltsamen, ganz wunderlichen Einfall und seine verschlagene Ausführung wohl zutrauen konnte. Da war sein abendliches Gelaufe zu den Söhnen des Fischers Ludwig, die zwar durchaus keine verrufenen Leute, aber doch ein verwegenes und abenteuerliches Geschlecht waren. – Da war endlich sein Mundharmonikablasen, das er zuweilen – so erzählte man ... mit großer Kunst durch ein eigentümliches und wildes Tremolieren und Pfeifen unterbrach und unterhaltlicher machte. Dies letzte gab den etwa noch vorhandenen Zweiflern den Rest. Die ganze Sache ist übrigens niemals völlig klar geworden. Es liegen da vielleicht noch andere dunkle Dinge vor. Es ist später über diese ganze Begebenheit in der Gegend viel hin- und hergeredet worden; aber die rechte deutliche Herkunft hat man nicht gefunden. Genug, es schien damals, im Frühjahr 1912, allen klar ... nein, es war allen gewiß: dieser große, schmucke Eggert, der so etwas Frisches und Natürliches zur Schau trug, war in aller Heimlichkeit und Verschlagenheit ein Bauchredner, ein künstlicher Pfeifer, ein verruchter Schelm. Er hatte diese ebenso bitterböse, wie unheimliche Sache ins Werk gesetzt, um sich auf diesem Wege an seinem Vater und seiner ganzen Familie, der er grollte, zu rächen, und über die Verwirrung, die er so angerichtet, eine Gelegenheit zu finden, aus dem Hause und von der Arbeit weg in die Welt zu kommen, nach der er sich sehnte.

So glaubte man; und es half nichts, daß die Ludwigs, als sie es hörten, behaupteten, etwas Verrückteres wäre noch niemals gesagt worden, und jedem dringend rieten, es ihm selbst ja nicht zu sagen, wie denn auch sie es niemals wagen würden; denn wer es ihm sagte, würde im nächsten Augenblick überrannt sein und blutend auf dem Rücken liegen.

So hielt sich denn jedermann wohlweislich zurück, seinen Glauben ins Weite zu verkünden. Und die Familie selbst erfuhr nichts von dem Gerede, und der Angeschuldigte, noch viel weniger.


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