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XXX

Da sitz ich nun vor deinem Brief, Hannie, wie ein dummer Junge ... und freue mich, so schön ausgezankt zu werden! und möchte dich dahaben, um ... um ... ich weiß nicht!

Du bist so lieb! und so gut! und wenn ich ab und zu dich sehe, bin ich ja auch wieder ruhig!

*

Es ist vielleicht nur das Herbstwerden draußen, das mir in den Gliedern liegt! ich möchte noch ein bißchen Sommer haben! wenn das Laub fällt, ist immer wieder schon ein Jahr vorbei und ...

man ist noch so weit von jedem Ziel!

und steckt immer noch in lauter Vorarbeiten! und wird nicht fertig und wird nicht fertig!

und jede Stunde,

die man dann nicht wenigstens gelebt,

jeder Kuß, den man nicht geküßt,

jedes Lied, das man nicht gesungen ... steht dann auf und schreit: Narr, der du wieder warst!

Gewiß, man hat es gut! man hat es, rückwärts gesehen, besser vielleicht, als Tausende! vorwärts aber ... und darauf kommt es an:

was hat man denn? was hat man denn?

und wen hat man denn, wenn du nicht wärst?

die Mutter, Helmut, ja! aber hier? wen hat man denn? mit dem man einmal reden könnte, wie es einem ums Herz ist oder um den Kopf, ohne Furcht: daß man faule Redensarten zur Antwort bekommt oder Gegenfragen über Dinge, um die sichs gar nicht handelt!

wen hat man denn? sag doch selber!

Tausend Freunde, gewiß! und ›Gleichgesinnte‹!

aber ... anstatt daß einer käme, wenn er merkt, daß man herunter ist, daß irgend wo etwas nicht klappt: was ist mit dir? warum machst du nichts mehr? wo fehlts? was ist los? ...

sitzen sie in ihren Kneipen und klatschen und zucken die Achseln: man sei mürrisch und verdrießlich und schroff geworden! und könne nichts mehr!!

 

Oh nein, vielliebe Freunde, man kann immer noch was! man hat sich nur Zeit gelassen! man wollte nur einmal Ordnung schaffen und seine Waffen nachsehen und ... doch nein! es lohnt sich nicht! ...

Flöte erzählte neulich dergleichen! ich weiß es jedoch auch so! schon lang!

*

Mürrisch! verdrießlich! schroff!

Nein, nein! ich bin immer noch ein dreimal froherer Mensch im Grunde, als sie alle!

aber ... wo darf man denn?

wo darf man denn froh und fröhlich sein, ohne daß nicht jeder es als persönliche Kränkung nimmt! oder als Nichtachtung, wenn man über den Plunder, ob dem er so feierlich tut, lacht?!

und wenn es einen selber einmal umwirft ... wo darf man denn? wo darf man denn sagen: daß man auch einmal Sehnsucht hätte nach ... nach ... nach einer Hand, die einem über das Haar striche! nach ein bißchen Zärtlichkeit! ... ohne daß sie sofort mit den blödesten Witzen kämen!

oder ...

wo darf man denn davon reden: wie man sitzt und mit seinen Gedanken herumringt! Schon das käme ihnen lächerlich vor! mit Gedanken ringen! ... und wie es ist: wenn man mühsam Schale um Schale gesprengt hat und einen tauben Kern findet! und ...

wenn einen dann Angst faßt und an den Grundmauern rüttelt: ob die Wege, um die man sich abmüht, am Ende doch nicht aus all der Verwirrung hinausfinden und zusammenlaufen?!

Nein, Hannie, nein!

es ist ein trauriges Lied, das Lied von den guten Freunden!

*

Aber ich glaube, es geht nicht bloß mir so! ich leide nur das Leid der Zeit! Und

es ist immer noch die große tote Zeit:

zwischen Charfreitag und Ostern,

in die wir hineingeboren sind und die wir nun einmal durchhalten müssen, und die als toter Punkt sich in jedem Einzelleben zwischen Dreißig und Vierzig wiederholt!

Wohin ich sehe, es ist überall ein Müdewerden, ein Wankendgewordensein an dem, wofür man bisher gekämpft ... es ist wie ein großes Waffenstrecken vor der eigenen Kritik ...

 

Ich wußte sonst immer, wohinaus und in welcher Richtung etwa die Gesamtstimmung sich weitertragen und wie sie sich umbiegen und ändern würde ... wir haben ja oft gelacht, wenn ich so ›prophezeite‹: gib acht, in einem Jahr kommt das und das und so und so: Rot, Blau, Grün, Gelb, Grau! und es traf immer zu! ...

wohin ich fühle aber: ein Zögern und Langsamertun, ein Stillstehen und Halten, wie vor einem Ziel, zu dem die Einfahrt nicht frei ist!

ob sie überhaupt frei wird?!

Es liegen Christusstimmungen in der Luft, als ob sich endlich etwas klären wolle ... aber es ist noch lange nicht so weit!


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