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XXIII

Grunewald ...

ich bin herausgefahren! ... ich mußte Menschen sehen!

Annemariechen bringt dir gegen Abend Rosen, drei Hände voll ... du sollst dich freuen, wenn du heimkommst, und einen Gruß haben!

*

Unterwegs ... in der Bahn ...

ich glaube: die Menschen sind gar nicht so fröhlich und vergnügt, wie es immer aussieht!

Wenn man hört, wovon sie mit einander reden und was ihnen wichtig und unwichtig ist ... mögen sie noch so gut angezogen sein: es ist lauter Alltag und Kleinlichkeit und Klatsch!

und dieser schläfrig-langweilige müde Ton:

›Ja, das ist das Beste! wir haben als Kinder alle Lebertran bekommen‹!

weiß der Kuckuck, man merkt es heute noch!

*

An der Kirche stieg eine alte Dame ein ... und wollte ein Fenster geschlossen haben ...

Die Leute lachten und machten Witze ... bis der Schaffner es endlich hochzog.

Ich hörte dann, wie sie sich bei ihrer Nachbarin entschuldigte: sie hätte Sorge, sich etwas zu holen. Nicht ihrer selbst wegen. Sie sei schon fünfundsiebzig, aber ihre einzige Tochter hätte einen Sohn, der auf ihre Kosten studiere, und wenn sie sterbe, sei es damit vorbei, und drei Jahre müsse sie deshalb noch dableiben!

 

Ich brachte sie an der Brücke oben durch die Wagen über den Damm.

Sankt Hubertus.

Weißt du noch, wie oft wir hier gesessen haben, früher! und Manuskripte gelesen oder Verse korrigiert oder Schach gespielt oder in den Sommer hinausgesehen!

 

Warum sitzen wir nie mehr so?!

 

Dann fiel mir ein, was Hiesel Heinz über ›Faun und Totenkopf‹ geschrieben:

›Geld wirst du nie verdienen! mit so was verdient man kein Geld! aber du wirst einmal im Buch der Dichter dafür stehen‹!

 

Und ... dann ... kam ...

Wolf Walter ... die Treppe herunter ...

und ich ging!

 

Er wird wohl längst vollends verkommen sein! Ja ja: ... ›Fata . Morgana . Lügen‹!

*

In den Villen überall erleuchtete Balkone und Veranden ... rot und grün verhängte Lampen ... alte Herren, Zeitung lesend, und Frauen und lachende Kinderstimmen

und über allem dann und wann vertragene Takte der Musik in den Tanzgärten vorn am Brückenkopf ...

 

Ob man es auch noch einmal so haben wird: so auf einer Veranda zu sitzen, in grüne Gärten zu sehen, und alles sommerabendruhig, still und klar und wunschlos?!

vielleicht! wenn man fleißig war und ... recht viel gedichtet hat und ... wenn man genügend Geduld gehabt und

möglichst weit weg ist von den Tanzgärten der Jugend ... vorn am Brückenkopf!!

Warum nicht?!

*

An einem Gittertor im Dunkeln ein Liebespaar. Sie erschraken und fuhren auseinander, als ich vorbei kam ...

Dumme Kinder! ich tu euch nichts! seid ohne Sorge! ich verrat euch an niemand! o ich will eher Wache für euch halten, wenn ihr wollt!

habt euch lieb und küßt euch und umarmt euch und seid glücklich!

 

Guckt, so zu zweit am Zaun zu stehen in der Nacht, das kleine Leid des Tages sich zu klagen und sich zu trösten und sich zu küssen zwischendurch und den Kopf des andern an die Brust zu drücken und sich wieder zu küssen

und den ganzen Tag auf dieses Viertelstündchen sich zu freuen und bei der Arbeit sich zu sagen: schaffs! damit du fertig wirst! heut Abend kommt dein Schatz, dann mußt du Zeit haben! ...

guckt, ich glaube: es ist das Beste, das der Mensch im Leben hat!

verderbts euch nicht mit dummer Angst! ihr braucht euch nicht zu schämen!

vor niemand!

und vor mir schon gar nicht! nein, vor mir nicht! seht:

ich bin ein alter Mann gegen euch ... ich ... muß allein herumlaufen ... den ganzen schönen Sommer wieder ... und ... ich bin sogar ein deutscher Dichter!!

 

Mein Gott, wie lange stand ich nicht mehr so!!

*

In den Tanzsälen vorn, überall Musik ... und lauter kleine Mädchen ...

jung und lieb und so lustig und nichts wollend, als tanzen und lachen und lustig sein!

Doch ich saß wie ein Störenfried dazwischen und schämte mich und ging ...

sie aber tanzten und lachten und sangen weiter:

So klein wir kleine Mädchen,
o nein, wir werden nicht müd!
lachen und tanzen und lustig sein
und küssen macht nicht müd!

Und wenn wo wer sich wundert,
und wenn wo wer was fräg:
und wieso am hellichten Morgen wir
schon oder noch auf dem Weg,
in hellem Kleidchen,
mit Kreuzbandschuhchen,
mit Federfächer und mit Schal? ...

Wir fragen und sagen nichts weiter,
wir sagen nur: sag einmal:

Als du ein kleines Mädchen warst,
hast du nicht auch gelacht?
und hast dus nicht ganz ebenso,
ganz ebenso gemacht?!

Und die Rosen am Weg
und die Sonne am Himmel
freun sich und grüßen und nicken uns zu,
nur vom Zaun her macht ein alter
gichtbeiniger Spatz:
Du, du! Du, du!

Doch auch das hat nichts zu sagen!
der soll ganz still und friedlich sein,
er hat ja doch sein Zipperlein
und keinen Grund zu klagen:
als er ein kleiner Junge war,
hat er sehr viel gelacht
und hat es nur viel toller noch
als wir kleinen Mädchen gemacht!

Drum sag er lieber nicht: Du, du!
drum halt er lieber den Schnabel
und freu sich seines Zipperleins!
wenns nicht so wär, so hätt er keins!
und lasse uns in Ruh!
Du, du! Du, du!


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