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V

Gestern war der junge Dichter da ... der vorige Woche die Manuskripte geschickt hatte. Einundzwanzig ganze Jahre!

Ob ich Zeit gehabt? obs was sei? mein Urteil entscheide sein Schicksal! Seine Familie sei natürlich dagegen, und er selber könne vorläufig auch noch nichts Greifbares aufweisen, aber ...

wie man selber einmal redete! Wort für Wort!

 

Weiß Gott, ich möchte gerne helfen, wenn jemand so kommt und Rat möchte ... ich weiß, wie froh ich selber an einem freundlichen Wort gewesen wäre! und wie dankbar, selbst für den kleinsten Fingerzeig!

Ich hab alles immer selber finden müssen und mir überall immer erst den Kopf einrennen ... und bis auf dich und Helmut hat mir eigentlich kein Mensch auch nur einen Buchstaben weit geholfen ... und gerade in Zeiten der Entscheidung. Aber es war vielleicht ganz gut! ... die Leute raten immer rückwärts, anstatt vorwärts, auch wo sie selber sagen müßten, daß ein Rückwärts kaum mehr möglich! Sie raten immer von ihrem Standpunkt aus, anstatt von dem Punkt aus, auf dem man selber steht.

 

Doch ... was soll man sagen?! Was heißt Talent? was ist aus einer Handvoll Papier mit Versen oder Novellen viel zu sehen?!

Was er geschickt hatte, war, wie dergleichen immer ist. Es war gut, wenn er in einem Jahr was Besseres macht! es war schlecht, wenn er in einem Jahr nichts Besseres macht!

Es war, wie man eben anfängt! wie vielleicht auch Goethe angefangen! wie ein Kind anfängt, Mensch zu werden, mit bruchstückhaftem Wiedergeben irgendwo gehörter Dinge.

 

Aber so ein junger Mensch will eine Antwort, an die er sich halten kann. Was soll man da sagen? Soll man sagen: Sieh mal: Verse, wie der und der und der sie macht ... das muß man nachgerade können! das ist heute einfach Voraussetzung! und was du gemacht hast, ist ganz viel für den Anfang, aber ... aber ... was denkst du dir? wo willst du hin? willst du ... Schriftsteller werden oder Dichter? Du meinst, das sei dasselbe! und Schriftsteller nur allgemeine Bezeichnung für Adreßbuch und Steuererklärung, ein harmloserer Ausdruck für etwas, das ... na ja!

aber das ist falsch!

ich habe Jahre gebraucht, bis ich es auseinander halten lernte, und ich kann es stellenweise heute noch nicht ... und dabei ist Schriftsteller und Dichter so zweierlei wie Maurermeister und Baumeister oder Marmor und Marmorstuck!

Oder soll man brutal sein: wie steht es denn? Hast du so viel Geld, daß du zur Not davon leben kannst, sind alle andern Fragen zunächst Nebensache! Hast du das nicht ... dann ...

ja, dann laß es lieber bleiben!

dann werde lieber überhaupt nichts!

wer heute den Ehrgeiz hat, etwas Besonderes werden zu wollen, einerlei was, muß zuerst den Ehrgeiz haben, über so viel Geld verfügen zu können, daß er tun und lassen kann, was er will, und warten bis man zu ihm kommt! Ob ers erbt, erjobbert oder pumpt, ist gleichgültig! nur haben muß ers!

*

Die Hauptfrage ist fast selbstverständlich immer: ob man mehr Talent für Lyrisches oder für Dramatisches oder Novellistisches habe?

Schon als Junge aber schien mir eine solche Frage sinnlos ... und diese Scheidung ist immer noch sakrosanktes Dogma!

 

Ich glaube nicht an spezialisiertes Dichtertum! ich glaube nicht an verschiedenartig angeborene Begabungen! ich glaube nicht an naturgetrennte Talente!

Der liebe Gott ist kein Apotheker! der liebe Gott ist Künstler! und macht aus dem Vollen, was er macht!

Ich glaube an gar nichts als an die Kinderstube, in der einer aufwächst, und an den Willen, den man als Gehirn mitbekommt!

Und wenn hundert und tausend Sach-und Fachverständige kommen und es hundert- und tausendmal besser wissen ...

es ist doch so! der liebe Gott stammt aus einer Zeit, in der es noch keine Spezialisten gab! und ist Künstler und nicht Sachverständiger und Fachmann, Gott sei Dank!

und das ist das Ur-Göttliche an ihm!

 

›Man hat es oder hat es nicht!‹

 

Entweder: es kann einer reiten, und dann kann er es ebenso gut auf einem Rappen als auf einem Schimmel und lernt es auch auf einem Maultier ...

oder:

es kann einer nicht reiten, und dann bricht er sich auf einem Schaukelpferd das Genick!

*

Und wenn einer wissen will: ob er Talent habe? ob er was könne? quäl ihn nicht mit Zweifeln und Bedenklichkeiten, sondern frag ihn einfach:

was er damit mache, wenn er auf der Straße einen Bierflaschenverschluß finde? ob er sich zutraue, eine Dampfmaschine daraus zu machen?! Sieht er dich dumm an, so nimm ihm das nicht übel! aber er soll dann auch sein Dichten- oder Musikmachen- oder Malen-wollen bleiben lassen!

Sagt er ja, mag er versuchen, obs ihm glückt!

 

Goethe konnt es!

und konnt es ... obschon es damals noch gar keine Dampfmaschinen gab!


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