Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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78 Die Erzählung

Der Kopf von Doña Rosarita war in eine seidene Schärpe gehüllt, unter der die langen Flechten ihrer schwarzen Haare über den Busen herabfielen. Ihr Gesicht trug die Spuren eines langen, geheimen Leidens. Als sie sich setzte, flog über ihr blasses Gesicht ein Schein von ängstlicher Unruhe. Sie schien das Herankommen des Augenblicks zu fürchten, in dem sie nicht mehr von der Vergangenheit träumen durfte, sondern eine Zukunft annehmen mußte, in die sie nicht hineinzublicken wagte.

Als der Fremde ebenfalls Platz genommen hatte, sagte der Hacendero: »Großen Dank, mein Freund, daß Ihr hergekommen seid, mir Nachrichten zu überbringen – obgleich ich ahne, daß sie sehr traurig sein müssen. Aber wir müssen alles erfahren. Der Wille Gottes sei gepriesen!«

»Sie sind in der Tat traurig; aber es ist, wie Ihr sagtet, von Bedeutung« – der Unbekannte schien sich, seine Worte betonend, besonders an Doña Rosarita zu wenden –, »daß ich Euch nichts verhehle. Ich habe gar vieles in der Steppe gesehen, und sie verbirgt vielleicht nicht so viele Geheimnisse, als man zu glauben geneigt sein könnte.«

Das junge Mädchen erbebte unmerklich und heftete einen klaren, tiefen Blick auf den Mann mit dem roten Taschentuch. »Sprecht, mein Freund«, sagte Rosarita mit klangvoller Stimme; »wir werden Mut haben, alles zu hören.«

»Was wißt Ihr von Don Estévan?« begann der Hacendero wieder.

»Er ist tot, Señor Kavalier.«

Don Agustin stieß einen schmerzlichen Seufzer aus und stützte seinen Kopf in seine Hände.

»Wer hat ihn getötet?« fragte er.

»Ich weiß es nicht; aber er ist tot!«

»Und Pedro Diaz, dieser Mann mit uneigennützigem Herzen?«

»Tot wie Don Estévan.«

»Und seine Freunde Cuchillo, Oroche, Baraja?«

»Tot wie Pedro Diaz! Alle tot, ausgenommen ... Aber wenn es Euch gefällig ist, Señor, so werde ich etwas weiter zurückgehen. Habe ich Euch nicht gesagt, daß Ihr alles erfahren müßtet?«

»Wir hören, mein Freund!«

»Ich will Euch keine Erzählung geben«, begann der Fremde, »von den Gefahren jeder Art, von den Kämpfen, die wir seit dem Augenblick unseres Aufbruchs zu bestehen hatten. Unter einem Chef, der uns ein grenzenloses Vertrauen einflößte, nahmen wir fröhlich unseren Anteil davon auf uns.«

»Armer Don Estévan!« murmelte der Hacendero.

»Beim letzten Nachtlager, das ich noch mit erreichte, hatte sich das Gerücht im Lager verbreitet, daß wir dicht bei einem unermeßlichen Goldlager wären. Unser Führer Cuchillo war verschwunden; seit zwei Tagen war er abwesend. Gott wollte mich ohne Zweifel retten, denn er flößte Don Estévan den Gedanken ein, mir den Befehl zu geben, in der Umgebung des Lagers Nachforschungen anzustellen.

Ich gehorchte trotz der Gefahren dieses Auftrags und machte mich daran, die Spuren unseres Führers zu suchen. Nach einiger Zeit war ich glücklich genug, sie wiederzufinden. Ich folgte ihnen, als ich plötzlich in der Ferne eine Abteilung Apachen auf der Büffeljagd entdeckte. Ich warf so rasch wie möglich mein Pferd herum; aber wildes Geheul brach auf allen Seiten aus und bewies mir, daß ich entdeckt sei.«

Der Fremde, in dem der Leser ohne Zweifel schon Gayferos, den skalpierten Gambusino, wiedererkannt hat, hielt einen Augenblick inne, als ob ihn die schrecklichen Erinnerungen überwältigten; dann erzählte er die Art und Weise, wie er von den Indianern gefangengenommen worden war; seine Angst bei dem Gedanken an die Qualen, die sie über ihn verhängen würden; den verzweifelten Kampf, den er gegen sie in einem Wettlauf mit nackten Füßen zu bestehen hatte, und die schrecklichen Leiden, die ihm dieser verursachte.

»Einer von ihnen«, sagte er, »holte mich ein; ein Schlag warf mich zu Boden, und ich fühlte, wie die scharfe Spitze eines Messers einen feurigen Kreis um mein Haupt zog. Ich hörte einen Büchsenschuß knallen. Eine Kugel pfiff an meinen Ohren vorüber, und ich verlor vollständig das Bewußtsein. Ich weiß nicht, wie viele Minuten so vorübergingen. Abermalige Büchsenschüsse ließen mich die Augen wieder aufschlagen, aber das Blut, das über mein Gesicht strömte, machte mich blind; ich fuhr mit der Hand nach meinem glühenden und zugleich eisigen Kopf – mein Schädel war nackt. Der Indianer hatte mein Kopfhaar mit der Haut des Schädels abgerissen. Das ist der Grund, Señor Kavalier, warum ich Tag und Nacht dieses Taschentuch auf dem Kopf trage.«

Kalter Schweiß bedeckte während dieser Erzählung das Gesicht des Gambusinos. Die beiden Zuhörer schauderten vor Schrecken und Entsetzen.

Nach einem Augenblick tiefen Schweigens fuhr der Erzähler fort: »Ich hätte vielleicht Euch und mir die Erzählung so trauriger Einzelheiten ersparen sollen.«

Gayferos wiederholte nun seinen Zuhörern, was wir schon wissen: nämlich die unerwartete Hilfe, die ihm die drei auf das Eiland geflüchteten Jäger leisteten. Es war bei dem Augenblick, wo ihn der Kanadier in Gegenwart der Indianer auf die Insel trug, als diese heldenmütige Tat dem Mund Don Agustins einen Ausruf der Bewunderung entriß.

»Aber es waren doch wohl ihrer zwanzig auf dieser Insel oder diesem Fluß?« unterbrach er ihn.

»Wenn ich den Riesen, der mich in seinen Armen trug, dazuzähle, waren es drei«, erwiderte der Erzähler.

»Bei Gott, dann sind es tapfere Männer! Doch fahrt fort!«

Der Gambusino erzählte weiter: »Die Gefährten dessen, der mich auf seinen Armen getragen hatte, waren ein anderer Mann, fast von seinem Alter – das heißt fünfundvierzig bis fünfzig Jahre –, und dann ein junger Mann mit bleichem, aber stolzem Gesicht, mit funkelndem Auge und süßem Lächeln. Bei Gott, ein schöner junger Mann, Señorita, den ein Vater stolz seinen Sohn nennen würde; ein Mann, der eine Frau glücklich und stolz machen würde, wenn sie ihn zu ihren Füßen sähe. In einem kurzen, ruhigen Augenblick, den meine schrecklichen Schmerzen mir vergönnten, konnte ich meine Befreier nach ihren Namen und ihrem Stand fragen. Aber ich konnte nichts von ihnen erfahren, als daß sie Otternjäger wären und zu ihrem Vergnügen die Steppe durchstreiften. Das war nicht recht wahrscheinlich; doch machte ich keine Bemerkung darüber.«

Doña Rosarita konnte einen Seufzer nicht ganz unterdrücken; vielleicht erwartete sie einen Namen.

Gayferos fuhr in der Erzählung der Einzelheiten fort, die der Leser schon kennt. Als er bei der Entführung Fabians von Mediana angelangt war, vermied er es aus einem Gefühl des Anstands für das junge Mädchen, von Main-Rouge und Sang-Mêlé u sprechen. »Ja, Señorita«, rief er aus, »der arme junge Mann wurde von den Indianern gefangengenommen, und sein martervoller Tod sollte den Tod der Ihrigen sühnen.«

An dieser Stelle der Erzählung hatten sich die Wangen Rosaritas mit einer tödlichen Blässe bedeckt.

»Nun, und dieser junge Mann«, unterbrach ihn der Hacendero, den diese traurige Entwicklung beinahe ebensosehr wie seine Tochter aufregte; »was ist aus ihm geworden?«

Rosarita, deren Stimme bei der Erzählung des Gambusinos erloschen war, vergalt mit einem zärtlichen, dankbaren Blick die Sorge, die ihr Vater für diesen jungen Mann zeigte, für den sie sich so lebhaft interessierte.

Gayferos verbarg einen Blick der Freude und enthielt sich immer noch mit demselben Zartgefühl auch der geringsten Anspielung auf den blutigen Kampf im Tal der Red Fork. Er fuhr dann fort: »Drei Tage und drei Nächte vergingen in schrecklicher Angst, die nur von einem schwachen Hoffnungsschimmer gemindert wurde. Endlich am Morgen des vierten Tages konnten wir unversehens über die blutdürstigen Räuber herfallen, und nach einem erbitterten Kampf konnte der riesenhafte Krieger denjenigen frisch und gesund wieder befreien und an sein Herz drücken, den er seinen vielgeliebten Sohn nannte.«

»Gott sei Dank!« rief der Hacendero mit einem tiefen Seufzer aus.

Rosarita sagte nichts; aber die an die Stelle ihrer Blässe getretene belebtere Gesichtsfarbe war Zeugnis genug von ihrer Freude. Ihre Lippen waren wieder ruhig geworden und lächelten beim Schluß der Erzählung des Gambusinos.

Wir müssen einen Augenblick Gayferos' Erzählung unterbrechen, um noch zu erwähnen, daß der Angriff Bois-Rosé und seiner Schar an den Ufern des Roten Flusses so ungestüm gewesen und die Flucht Don Agustins mit seiner Tochter so eilig erfolgt war, daß beide zwar die Einzelheiten des Kampfes, aber durchaus nicht die Namen derer wußten, die sich dort ausgezeichnet hatten. Allerdings hatte Rosarita Fabian im Kampf an der Seite Bois-Rosé gesehen, aber ohne zu wissen, wie der Jäger hieß; ohne zu wissen, daß Fabian der Gefangene der Piraten der Prärien gewesen war. Doch weckten gewisse übereinstimmende Punkte die Hoffnung des jungen Mädchens.

»Fahrt fort!« sagte der Hacendero. »Aber in dieser Erzählung, die einen Mann lebhaft interessiert, der selbst vor sechs Monaten Gefangener der Indianer war, suche ich vergebens die einzelnen Umstände, die den Tod des armen Don Estévan veranlaßten.«

»Ich kenne sie nicht«, fuhr Gayferos fort, »und kann Euch nur die Worte des jüngsten unter den drei Jägern wiederholen, den ich eines Tages darüber befragte. ›Er ist tot‹, sagte er zu mir mit ernstem Ton. ›Ihr selbst seid der letzte Rest einer größeren Expedition. Wenn Ihr nach Hause zurückgekehrt sein werdet – denn‹, fügte er seufzend hinzu, ›Ihr habt vielleicht jemand dort, der schmerzlich die Tage Eurer Abwesenheit zählt –, so wird man tausend Fragen über das Schicksal Eures Chefs und Eurer Führer an Euch richten. Antwortet darauf: Die Führer sind in der Erfüllung ihrer Pflicht getötet worden. Was Euren Chef anbelangt, so hatte ihn die Gerechtigkeit Gottes verdammt, und das Gottesurteil ist in der Steppe vollzogen worden. Don Estévan de Arechiza wird nie mehr zu seinen Freunden zurückkehren.‹

»Armer Don Estévan!« rief der Hacendero aus.

»Und Ihr habt die Namen dieser so liebreichen, so edelmütigen und so tapferen Männer nicht erfahren können?« fragte Rosarita.

»Nicht für den Augenblick«, erwiderte Gayferos. »Nur kam es mir sonderbar vor, daß der jüngste unter den drei Jägern zu mir von Don Estévan, Diaz, Oroche und Baraja gesprochen hatte, als kenne er sie genau.«

Ein ängstliches Beben überlief unmerklich den Körper Rosaritas; ihr Busen hob sich, ihre Wangen wurden purpurrot, dann wurden sie wieder bleich wie die Blume der Datura; aber ihr Mund blieb stumm.

»Ich beendige nun meine Erzählung«, fuhr Gayferos fort. »Nachdem wir den Sohn des tapferen Kriegers den Apachen entrissen hatten, wandten wir uns zu den Prärien von Texas.

Ich will nicht von allen Gefahren erzählen, in denen wir Ottern- und Biberjäger während der sechs Monate eines herumstreifenden Lebens, das auch seinen Reiz hat, geschwebt sind. Es war aber einer unter uns, der diese abenteuerliche Lebensweise nicht ebenso angenehm fand als wir drei. Das war der schon erwähnte junge Mann.

Als ich ihn zum erstenmal sah, war mir der schwermütige Ausdruck von Ergebung in seinem Gesicht aufgefallen; später jedoch schien seine Ergebung abzunehmen und seine Schwermut größer zu werden. Vergebens ergriff der alte Jäger, den ich für seinen Vater hielt – ich weiß jetzt, daß er es nicht ist –, jede Gelegenheit, ihn die Pracht der großen Wälder, in denen wir lebten, die ehrfurchtgebietenden Szenerien der Steppe, den Reiz der Gefahren, denen wir trotzten, bewundern zu lassen; nur in der Gefahr vergaß der junge Mann seine Schwermut. Er rief sie herbei und schien sie eifrig zu suchen, wie es derjenige tut, dem die Last des Lebens beschwerlich zu werden anfängt.

In ruhigen Augenblicken zeigte er eine düstere Stimmung, und ich sagte oft zu dem alten Krieger: »Die Einöde ist nur für das reife Alter da; die Jugend liebt das Geräusch und den Anblick ihresgleichen; laßt uns zu den Ansiedlungen zurückkehren!«

Und der Riese seufzte, ohne mir zu antworten.

Nach und nach wurde die Stirn der beiden Jäger, die den jungen Mann wie ihren Sohn liebten, auch düsterer. In einer Nacht, wo der junge Mann und ich erwachten, erinnerte ich ihn an einen Namen, den seine Lippen vor sechs Monaten im Schlaf ausgesprochen hatten; ich erfuhr nun die Ursache seines Kummers, der sein Leben langsam untergrub. Er liebte, und die Einöde hatte eine Erinnerung nur lebendiger geweckt, die er vergeblich auszulöschen gehofft hatte. Ja, der arme junge Mann liebte, und zwar unglücklich – ohne Gegenliebe.«

Der Erzähler schwieg einen Augenblick und beobachtete mit forschenden Augen die Haltung seiner Zuhörer; besonders die Doña Rosaritas, auf die er es hauptsächlich mit der Erzählung aller Umstände, die vorzüglich dazu geeignet sind, die Fibern des Herzens einer Frau erbeben zu lassen, abgesehen zu haben schien.

Krieger und Jäger zugleich, suchte der Hacendero das Vergnügen nicht zu verbergen, das er über die Geschichte dieser Unbekannten empfand.

Rosarita suchte unter einer scheinbaren Kälte den Reiz zu verbergen, den sie bei diesem Roman empfand, der Herz und Sinn zugleich in Anspruch nahm und dessen rührendste Seiten der Gambusino ihr sorgfältig aufschlug. Das Feuer ihrer großen schwarzen Augen, die Farbe ihrer Wange straften jedoch ihre Anstrengungen Lügen. »Ach«, rief Don Agustin, »wenn diese drei tapferen Unbekannten unter dem Befehl des armen Don Estévan gestanden hätten, so wäre das Schicksal der Expedition ohne Zweifel ein ganz anderes gewesen.«

»Ich glaube es auch«, antwortete Gayferos; »Gott hatte es anders beschlossen. Unterdessen«, fuhr er fort, »empfand ich lebhaft den Wunsch, mein Vaterland wiederzusehen; aber die Dankbarkeit machte es mir zur Pflicht, es ihnen zu verschweigen. Der alte Krieger schien es zu ahnen und sprach mit mir darüber. Zu edelmütig, um ihr Werk unvollendet zu lassen und mich allein den zahllosen Gefahren der Rückkehr auszusetzen, entschloß sich der riesige Jäger, mich bis Tubac zu begleiten. Sein Gefährte hatte nichts gegen diesen Entschluß einzuwenden, und wir machten uns zur Grenze hin auf den Weg. Der junge Mann allein schien uns nur widerstrebend zu folgen.

Um das Presidio zu erreichen, war es notwendig, zum zweitenmal die Kette der Nebelberge zu überschreiten, und gerade beim Einbruch der Nacht hatten wir sie überstiegen und waren genötigt, haltzumachen. Es ist dies eine Gegend, die von den Gilenosindianern am häufigsten besucht wird, und wir konnten nur mit der größten Vorsicht hier übernachten.

Ich gestehe es, nichts gleicht mehr der Wohnung der Geister des Abgrunds als diese Berge, in deren Mitte wir die Nacht zubrachten. Jeden Augenblick wurde unser Schlaf durch sonderbares Getöse unterbrochen, das aus den Schluchten der Felsen hervorzukommen schien. Bald war es wie das unterirdische Getöse eines grollenden Vulkans oder wie die Stimme eines fernen brausenden Wasserfalls; bald war es wie das Geheul von Wölfen oder wie klagendes Seufzen, und von Zeit zu Zeit zerrissen unheimliche Blitze den ewigen Nebelschleier, der diese Berge bedeckt.

Ein peinlicher Traum vermehrte bei mir noch die düstere Stimmung, in die mich das unerklärliche Getöse versetzte. Ich träumte, daß ich mich noch auf der Insel befände, daß das Geheul der Indianer meine Ohren zerriß, daß Büchsenschüsse noch schmerzlich wie sechs Monate früher meine schwachen Nerven erschütterten. Dieser Traum zeigte mir im Schlaf so schreckliche Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit, daß ich mehrmals erwachte, ohne die Kraft dazu zu haben, den bleiernen Schlaf, der auf mir lastete, abzuschütteln. Endlich wachte ich auf und öffnete die Augen. Alles um uns war so ruhig, wie es bei dem übernatürlichen Getöse, das von allen Seiten erscholl, nur immer sein konnte.

Wir hatten uns aus Furcht vor einem Überfall und ohne Feuer anzuzünden auf einem Felsen gelagert, der wie ein Tisch in ein ziemlich breites Tal hineinreichte und sich ungefähr fünfzig Fuß über dieses erhob. Die beiden älteren Jäger schliefen in einiger Entfernung von mir, der jüngste allein wachte; er war an der Reihe und war wie immer gezwungen gewesen, dieses Recht in Anspruch zu nehmen, denn seinen Gefährten schien es peinlich zu sein, ihn so ihre Beschwerden teilen zu sehen.

»Habt Ihr nichts gehört?« fragte ich meinen wachenden Gefährten.

»Nichts Neues«, sagte er zu mir, »als das Getöse der in diesen Bergen stets unruhigen unterirdischen Vulkane.« »Sagt lieber, daß wir uns hier an einem verfluchten Ort befinden«, erwiderte ich und erzählte dem jungen Mann meinen Traum.

»Das ist vielleicht eine Warnung«, sagte er ernst. »Ich erinnere mich, daß ich eines Nachts einen ähnlichen Traum hatte, als ...«

Der junge Mann hielt inne. Er näherte sich dem Rand des Felsens, der das Tal beherrschte. Unwillkürlich machte ich es ebenso. Derselbe Gegenstand fiel uns zu gleicher Zeit in die Augen.

Einer der Geister der Finsternis, die diese Gegenden bewohnen müssen, schien plötzlich eine sichtbare Gestalt angenommen zu haben. Es war eine Art von Gespenst mit dem Kopf und dem Pelz eines Wolfs, aber aufrecht auf seinen Beinen wie ein menschliches Wesen. Ich bekreuzigte mich, sagte ein Stoßgebet her, aber das Gespenst rührte sich nicht.

»Das ist der Teufel!« murmelte ich.

»Es ist ein Indianer« erwiderte der junge Mann; »seht dort in einiger Entfernung seine Gefährten.«

In der Tat konnten unsere an die Dunkelheit schon gewöhnten Augen etwa zwanzig Indianer auf der Erde liegend bemerken, die uns gewiß nicht so nahe bei sich vermuteten.

Ach, Señorita, das war eine solch gefährliche Lage, nach der der arme junge Mann, der uns begleitete, so begierig war, und Sie würden wie ich mit blutendem Herzen die traurige Freude gesehen haben, die in seinen Augen blitzte; denn je mehr wir uns den Ansiedlungen näherten, um so mehr schien seine Schwermut zuzunehmen.

»Wir wollen unsere Freunde wecken«, sagte ich nun.

»Nein, laßt mich allein gehen. Diese beiden Männer haben genug für mich getan; an mir ist jetzt die Reihe, mich der Gefahr auszusetzen, und wenn ich sterbe ... nun, dann werde ich vergessen ...«

Mit diesen Worten ging der junge Mann von mir weg, machte einen Umweg, und ich verlor ihn aus den Augen, ohne daß ich jedoch aufhörte, das schreckliche, regungslose Wesen fünfzig Fuß unter mir zu beobachten ...

Plötzlich sah ich, wie eine andere schwarze Gestalt sich auf sie warf, wie die beiden Körper zu einem einzigen wurden, aber still genug, daß man hätte glauben können, es sei ein Kampf zweier Geister. Sie verschwanden aus meinen Augen in einer Spaltung des Bodens, und ich betete zu Gott für den edlen jungen Mann, der sein Leben mit soviel kaltem Blut und Unerschrockenheit aufs Spiel setzte. Kurze Zeit darauf sah ich ihn zurückkommen; das Blut strömte aus einer breiten Kopfwunde über sein Gesicht.

»0 Jesus!« rief ich aus. »Ihr seid verwundet!«

»Es ist nichts!« sagte er. »Nun will ich meine Gefährten wecken.«

»Was soll ich noch sagen, Señorita?« fuhr der Gambusino fort. »Mein Traum war uns eine Warnung Gottes. Eine Abteilung Indianer, die wir an der Red Fo... in Texas, wollte ich sagen, vollständig in die Flucht geschlagen hatten, war wieder unseren Spuren gefolgt, um das Blut der Ihrigen, das an den Ufern des ... an der Stelle, wo wir den jungen Mann befreit hatten, geflossen war, zu rächen. Aber die Indianer hatten mit furchtbaren Gegnern zu tun. Ihre Schildwache war von dem mutigen jungen Mann erdrosselt worden, ehe sie nur Zeit gehabt hatte, einen Alarmruf auszustoßen, und die anderen wurden im Schlaf von den drei vereinigten Jägern überfallen.

Die Nacht war noch nicht vorüber, als diese neue Heldentat ausgeführt war, und ich schlief wieder ein. Ich erwachte erst nach Tagesanbruch. Die beiden Jäger standen aufrecht auf dem Felsen, der das Tal beherrschte, und beide blickten auf den Schlaf dessen, den sie so sehr liebten. Ich wollte den großen Jäger über die einzelnen Umstände der Abenteuer der Nacht befragen, als er den Finger auf den Mund legte und auf den schlafenden jungen Mann zeigte. Es war sein Sohn, dessen Schlaf er bewachte. Ich begriff, daß ich ihn nicht stören durfte, und schaute, ohne etwas zu sagen, auf seine bleichen Züge und die blutige Binde, die um seinen Kopf geschlungen war.«

»Armes Kind!« unterbrach ihn leise Doña Rosarita. »Noch so jung und schon ein Leben voll steter Gefahren. Armer Vater auch, der in jedem Augenblick für die Tage eines vielgeliebten Sohnes zittern muß!«

»Eines vielgeliebten, wie Ihr sagt, Señorita«, erwiderte der Erzähler. »Sechs Monate lang habe ich in jedem Augenblick die unendliche Zärtlichkeit dieses herkulischen Vaters für seinen Sohn sehen können.

Der junge Mann schlief ruhig, und sein Mund flüsterte leise einen Namen, aber laut genug, daß ich es hören konnte, und es war der Name einer Frau.«

Die schwarzen Augen Rosaritas schienen den Erzähler zu fragen; aber das Wort erstarb auf ihren halbgeöffneten Lippen; sie wagte nicht auszusprechen, was ihr Herz in ihr Ohr flüsterte.

»Aber ich nehme Ihre Zeit zu lange in Anspruch«, fuhr Gayferos fort, ohne daß er die Verwirrung des jungen Mädchens zu bemerken schien; »ich komme zum Schluß meiner Erzählung.

Der junge Mann wachte in dem Augenblick auf, wo der Riese, nachdem er mich beiseite geführt hatte, mir die verlangte Erklärung geben wollte. ›Halt!‹ sagte er. ›Geht hinunter und zählt die Toten, die diese Hunde uns zurückgelassen haben.‹

Elf auf dem Boden ausgestreckte Leichen«, fuhr der Gambusino fort, »und zwei gefangene Pferde bezeugten den Sieg dieser unerschrockenen Indianertöter.«

»Ehre sei diesen Unbekannten!« rief Don Agustin enthusiastisch aus.

Seine Tochter schlug ihre zarten Hände zusammen und rief ebenfalls mit flammenden Wangen und Augen, die von einem Enthusiasmus wie die ihres Vaters blitzten, aus: »Das ist schön! So jung und so tapfer!«

Das junge Mädchen spendete sein Lob nur dem jungen Unbekannten, dessen Namen ihm das feine Gefühl der Frauen, das zuweilen ein zweites Gesicht zu sein scheint, vielleicht offenbarte. Der Erzähler schien mit Lust die seinen Freunden gespendeten Lobeserhebungen zu hören.

»Aber Ihr erfuhrt doch endlich ihren Namen?« fragte schüchtern Doña Rosarita.

»Der Älteste hieß Bois-Rosé, der zweite Pepe oder Dormilon; was den jungen Mann betrifft ...«

Gayferos schien sich auf einen Namen zu besinnen, ohne daß er die ängstliche Erwartung zu bemerken schien, die sich bei dem jungen Mädchen in dem wogenden Busen, in ihrer Blässe und den geschwellten Nasenflügeln kundgab. Da die Lage Tiburcios mit der des jungen Unbekannten so ähnlich war, zweifelte sie nicht daran, daß er es auch sei, und das arme Kind raffte seine Kräfte zusammen, um seinen Namen anzuhören, ohne dabei einen Ausruf des Glücks und der Liebe auszustoßen.

»Was den jungen Mann betrifft«, fuhr der Gambusino fort, »so hieß er ... Fabian.«

Bei diesem Namen, der Rosarita an nichts erinnerte und so ihre süßen Täuschungen vernichtete, legte sie schmerzlich die Hand auf ihr Herz, ihre Lippen erbleichten; die Farbe, die die Hoffnung auf ihre Wangen zurückgerufen hatte, erlosch wie die rosigen Wolken nach Sonnenuntergang; dann konnte sie nur unwillkürlich wiederholen: »Fabian!«

Aber Fabian war für sie nicht Tiburcio – Fabian war ein Unbekannter!

In diesem Augenblick wurde die Erzählung des Gambusinos durch die Ankunft eines Dieners unterbrochen. Der Kaplan bat den Hacendero, einer Angelegenheit halber, über die er mit ihm zu sprechen habe, einen Augenblick zu ihm zu kommen.

Don Agustin verließ den Saal, indem er versprach, daß er bald zurückkehren würde.

Der Gambusino und das junge Mädchen blieben allein. Dieser betrachtete die unter ihrem seidenen Schleier verwirrte und zitternde Rosarita einen Augenblick schweigend und mit kaum verhehlter Freude. Ein geheimes Gefühl sagte ihr, daß Gayferos seine Erzählung noch nicht beendet hatte.

In der Tat sagte der Gambusino leise zu ihr: »Fabian hatte noch einen anderen Namen, Señorita; wollen Sie ihn wissen, während wir hier ohne Zeugen sind?«

Rosarita erbleichte. »Einen anderen Namen? O sagt ihn!« erwiderte sie mit bebender Stimme.

»Man hat ihn lange Tiburcio Arellanos genannt.«

Ein Ausruf des Glücks rang sich aus der Brust des jungen Mädchens, das sich von seinem Sitz erhob, sich dem Überbringer dieser guten Nachricht näherte, seine Hand ergriff und sie mit ausbrechender Leidenschaft an die Lippen preßte. »Dank! Dank«, rief Rosarita aus; »obgleich mein Herz es mir schon gesagt hat.« Dann schritt sie wankend durch den Saal und kniete vor einer Madonna in goldenem Rahmen nieder.

»Tiburcio Arellanos«, nahm der Gambusino das Wort, »ist jetzt nur noch Fabian, und Fabian ist der letzte der Grafen von Mediana, einer edlen Familie in Spanien.«

Das junge Mädchen betete immer noch, ohne daß es Gayferos' Worte zu hören schien.

»Unermeßliche Güter, einen großen Namen, Titel, Ehre – alles legt er zu den Füßen der Frau nieder, die die seinige werden wird.«

Das junge Mädchen setzte sein glühendes Gebet fort, ohne den Kopf umzuwenden.

»Und dennoch«, nahm der Gambusino wieder das Wort, »hat das Herz Don Fabians von Mediana nichts von dem vergessen, was das Herz von Tiburcio Arellanos gefühlt hat.«

Rosarita unterbrach ihr Gebet.

»Tiburcio Arellanos wird heute abend hier sein, wenn Sie ihn anhören wollen.«

Diesmal betete das junge Mädchen nicht mehr. Es war Tiburcio und nicht Fabian, Graf von Mediana; Tiburcio, arm und unbekannt, den sie so sehr beweint hatte. Nur bei diesem Namen hörte sie. Ehren, Titel, Reichtümer, was kümmerte sie das? Fabian lebte und liebte sie immer noch; war das nicht genug?

»Wenn Sie sich nach der Öffnung in der Ringmauer begeben wollen, wo er Sie verlassen hat, so werden Sie ihn heute abend dort finden. Erinnern Sie sich auch des Ortes, den ich meine?«

»O mein Gott«, murmelte das junge Mädchen; »als ob ich nicht alle Abende hinginge!«

Und immer noch kniete Rosarita vor dem Bild der Madonna und nahm ihr unterbrochenes Gebet wieder auf.

Der Gambusino betrachtete einige Augenblicke dieses glühende kniende Wesen, ihren seidenen, bis auf die Hüften herabwallenden Schleier, die bloßen Schultern und die langen Flechten ihres Haares, das in geschmeidigen Ringeln auf den Boden des Saales niederfiel, dann ging er ebenfalls hinaus.


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