Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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73 Ein kritischer Augenblick

Kaum waren die drei Gefangenen mitten in das dichte Gras gebracht, das die indianische Piroge verbarg – und zwar die beiden Männer fest geknebelt wie Fabian, der durch eine kurze Entfernung von ihnen getrennt wurde –, kaum war Rosarita, noch immer ohne Besinnung, von dem Mestizen in der Nähe ihres Vaters niedergelegt worden, als einer von den Indianern eine große Staubwolke stromaufwärts anzeigte.

Die an den Spitzen der Lanzen flatternden Skalpe, die Mäntel aus Büffelhaut, die mitten in dieser Wolke, die zuweilen von den Strahlen der Sonne durchbrochen wurde, hin und her flogen, und das Wiehern der Pferde, das der Wind herbeitrug – alles verkündete die Ankunft des Schwarzen Falken und seiner Bande. Reiter sprengten mitten durch die über ihnen schwebende Staubdecke mit wilden Schwenkungen und lautem Geschrei; alle diese mit schreienden Farben bemalten Gesichter, die phantastischen Zierate dieser plündernden Ritter der Steppe, die in der Sonne funkelnden Streitäxte, die im Takt geschlagenen Schilde – alles gab dieser regellosen Truppe das schrecklichste Aussehen.

Die Rufe »Der Schwarze Falke!«, »Main-Rouge! Sang-Mêlé!« erhoben sich bald auf beiden Seiten, und in einem Nu stürzten die Verbündeten des Mestizen, als ob sie einen wütenden Angriff hätten ausführen wollen, im Galopp vorwärts, indem sie ein ohrenzerreißendes Geheul ausstießen; dann öffnete sich der Zug, beschrieb in vollem Lauf einen raschen Kreis um Sang-Mêlé und seine Indianer, und in einem Augenblick wurde jedes Pferd plötzlich angehalten und stand unbeweglich auf seinen zitternden Sprungfesseln.

Ein tiefes Schweigen war dem Getümmel gefolgt. Der Mestize hatte noch seinen falschen Anzug an und erwartete aufrecht und ohne einen Schritt vorwärts zu tun, die Ankunft des Häuptlings.

Dieser saß, obgleich sein Gesicht noch durch den Schmerz von seiner frischen Wunde zusammengezogen war, gerade und fest auf seinem Pferd. Er näherte sich dem Mestizen, den er trotz seiner Verkleidung sogleich wiedererkannte und streckte dem Sohn von Main-Rouge mit einer Miene ruhiger und stolzer Majestät die Hand entgegen.

»Der Indianer, der Sohn eines Weißen, erwartete seine Verbündeten«, sagte der Mestize.

»Ist es nicht heute die dritte Sonne?« erwiderte der Schwarze Falke. »El Mestizo hat seine Zeit genützt.« Er zeigte mit dem Finger auf die Gefangenen.

»Diese hier sind nicht die einzigen; dort ist noch einer von den Weißen: der Sohn des Adlers der Schneegebirge.«

»Und der Spottvogel und der Adler? Was ist aus ihnen geworden? Ich hatte meinem Bruder elf Krieger anvertraut; was hat er damit gemacht?« fragte der indianische Häuptling in strengem Ton, nachdem er die erste freudige Bewegung, die ihm die Gefangennahme Fabians verursachte, unterdrückt hatte.

»Neun sind tot«, antwortete der Mestize. »Warum aber zieht der Häuptling die Augenbrauen zusammen? Er hat einen Tag und eine Nacht hindurch die drei Weißen auf der Insel des Rio Gila belagert; was hat er mit seinen Kriegern gemacht, die die Fische des Flusses verzehrt haben? Der Arm des Falken ist für lange Zeit gelähmt. El Mestizo hat in zwölf Stunden den jungen Krieger aus dem Süden gefangengenommen; er hat den Adler und den Spottvogel entwaffnet, so daß Büffel, Damhirsche und indianische Kinder jetzt ihrer spotten.«

»Der Adler und der Spottvogel sind auf unserer Spur; sie haben neue Waffen und haben ihren Weg mit neuen Leichen unserer Krieger besät.«

Der Häuptling erzählte dem Mestizen, was dieser noch nicht wußte: die Kämpfe, die er seit seinem Aufbruch aus dem mexikanischen Lager bestanden hatte; und diese Erzählung entriß dem Mestizen mehr als einmal ein Zähneknirschen.

Der Schwarze Falke und Sang-Mêlé schwiegen jedoch, als die Erzählung beendet war, unter dem Eindruck gegenseitigen Mißvergnügens. Vielleicht hätte sich diese Zusammenkunft schnell in eine feindliche verwandelt, wären nicht sechs andere Krieger angekommen; es waren die der Schar von Antilope, die dem Blutbad am Engpaß entronnen waren, wobei der Läufer selbst sein Leben gelassen hatte.

Nun wandte sich die ganze Wut der Indianer gegen Fabian: dies war der natürliche Ausweg, den sie finden mußte.

»Wo befindet sich der Sohn des Adlers?« rief der Schwarze Falke.

»Dort unten«, erwiderte der Mestize, indem er auf das Dickicht am anderen Ufer deutete, wo Main-Rouge seinen Gefangenen bewachte.

»Er muß sterben!« sagte der Häuptling.

Ein Freudengeheul folgte diesem kurzen und schrecklichen Urteilsspruch.

Als es aufgehört hatte, nahm der Mestize abermals das Wort. »Rayon-Brûlant«, sagte er, »ist ebenfalls auf unserer Spur; dieses weiße Mädchen hier zieht ihn zum Büffelsee. Aber er wird sie nicht wiederfinden; El Mestizo führt sie in seine Hütte, während der Schwarze Falke sich einer Herde von mehr als hundert Pferden bemächtigen wird, die sich im Pfahlwerk der Weißen eingeschlossen befinden. El Mestizo überläßt seinen Anteil dem Häuptling der Apachen; die Taube des Sees ist kostbarer für ihn als alle wilden Pferde der Prärien.« Die ruhige Unverschämtheit, die bei dem Mestizen aus dem Bewußtsein seiner Kraft, seiner Geschicklichkeit und seiner unzähmbaren Kühnheit entsprang und mit der er sich jetzt seines Versprechens gegen den Schwarzen Falken entband, sobald dieser ihm nicht weiter nützlich sein konnte, brachte bei dem indianischen Häuptling eine Bewegung der Wut hervor. Er fühlte jedoch, daß seine Wunde an der Schulter ihn einesteils seiner Hilfsmittel beraubte und daß außerdem die Büchsen von Main-Rouge und Sang-Mêlé unter allen Umständen mächtige Bundesgenossen waren.

Der Schwarze Falke verbarg also seinen Zorn wie ehemals die Könige, wenn sie gezwungen waren, in einer gefährlichen Lage mit furchtbaren Vasallen zu unterhandeln. »El Mestizo«, sagte er, »hat es so eilig, uns zu verlassen, daß er einen wichtigen Umstand vergißt. Sollte er sich fürchten vor dem Krieger, der zum Büffelsee kommen wird, daß er sich nicht seines Versprechens erinnert, meinen Händen denjenigen zu überliefern, den die Komantschen Rayon-Brûlant, den Zündenden Strahl, nennen?«

Diese letzten Worte des indianischen Häuptlings bewirkten plötzlich, daß der Mestize, der seinen gewöhnlichen Anzug wieder angelegt hatte und im Begriff stand, sich mit seinen Gefangenen zu entfernen, seine Vorbereitungen zum Aufbruch einstellte. »Es ist gut; El Mestizo wird bleiben, weil er sich vor nichts fürchtet; nicht einmal vor den zündenden Strahlen des Großen Geistes«, erwiderte er stolz, indem er auf den Kriegsnamen dessen anspielte, den er nach jener Beschuldigung fürchten sollte und den auszuliefern er versprochen hatte.

Die Bande des Schwarzen Falken bestand trotz der nach und nach auf dem Marsch bis zur Red Fork erlittenen Verluste noch aus ungefähr vierzig Reitern. Zehn Indianer begleiteten die beiden Piraten der Steppe, sechs andere hatten sich eben diesen fünfzig Kriegern angeschlossen – die Apachen waren also immer noch zahlreich genug, die Vaqueros, bei denen sie keinen Argwohn voraussetzten, mit Vorteil anzugreifen, sollte auch der junge Komantschenhäuptling die Krieger, die er befehligte, noch zur rechten Zeit herbeiführen.

Die Schnelligkeit des Marsches der indianischen Reiter – denn sie hatten keinen einzigen Fußgänger mehr bei sich – war so groß gewesen, daß es beinahe gewiß war, die Jäger und ihr Verbündeter würden den Büffelsee nicht vor Einbruch der Nacht oder frühestens bei Sonnenuntergang erreichen. Die Krieger der Steppe sind so wenig vorsichtig wie die Kinder, deren ungestüme Launen sie ebenfalls besitzen. Es gab für sie ein noch anziehenderes Schauspiel als den Raub von Pferden: nämlich die Todesmarter eines Weißen.

Die beiden Gefangenen – der Hacendero und der Senator – waren das ausschließliche Eigentum Sang-Mêlés, der durch das Lösegeld für sie eine reiche Beute zu machen hoffte; ihr Leben war geheiligt. Nur der unglückliche Fabian sollte mit seinem Leben die Kosten des grausamen Vergnügens tragen, das sich die Indianer versprachen. Es wurde also beschlossen, daß man ihn gleichsam als Sühneopfer vor dem Kampf darbringen wollte.

Während die Streitäxte der Indianer in einiger Entfernung eine junge Weide von ihren Zweigen befreiten, um ihren Stamm in eine Art von Marterpfahl zu verwandeln, war Rosarita wieder zu sich gekommen; aber beim Anblick ihres gefesselten Vaters und des Senators, beim Anblick der funkelnden Augen des Mestizen, die sich mit unzüchtiger Glut auf sie richteten, fiel die Unglückliche trotz der Stimme ihres Vaters, der sie zu trösten suchte und seine ermutigenden Worte mit den Verwünschungen seiner Henker mischte, ein zweites Mal in Ohnmacht.

»Ruhig, Freund!« sagte der Mestize kalt zu Don Agustin. »Seid ohne Furcht für Euer Leben; einige Beutel voll Piaster und hundert Pferde werden Euch aus meinen Händen loskaufen. Was die Taube des Sees anlangt, so wird sie zuerst das Weib eines tapferen Kriegers werden; dann werden wir später sehen, den Preis für ihre Loskaufung zu bestimmen. Ich habe sagen hören, daß die weißen Frauen gewöhnlich gegen den Willen ihrer Gatten so rebellisch sind, daß man nach einer gewissen Zeit sehr froh ist, sie selbst umsonst loszuwerden.« Hierauf betrachtete der Mestize mit gleichgültigen Augen die Vorbereitungen zur Todesmarter Fabians, ohne weiter auf die Verwünschungen des ungestümen Don Agustin oder auf die Bitten des Senators zu achten.

Ebenso wie einige Tage vorher Don Antonio von Mediana, dessen Minuten gezählt waren, den vom Dolch Fabians geworfenen Schatten allmählich abnehmen sah, so bezeichnete auch jetzt jeder Fortschritt, den die Sonne nach Westen machte, einen Augenblick weniger im Leben Fabians.

Wollte Gott etwa auf den Richter des spanischen Señors die Strafe der Wiedervergeltung in ihrer ganzen Strenge anwenden? Man hätte es fürchten können, denn während der kurzen Augenblicke des Schweigens mischte sich kein fernes Geräusch in die Seufzer des Schilfs am Fluß; keine Staubwolke am Horizont, kein Geräusch von Rudern, die durch die Anstrengungen seiner Freunde ins Wasser getaucht wurden, verkündete ihre Ankunft. Noch einige Augenblicke später, und diejenigen, die seit zwei Tagen und zwei Nächten seiner Spur folgten, würden nur noch seinen Tod zu rächen gehabt haben.

Eine Handvoll trockenen Grases hatte einige abgestorbene Weidenzweige angezündet, und die von den Indianern herbeigetragenen Reisigbündel hatten die Glut vollends entflammt. Die schrecklichen Vorbereitungen zur Todesmarter waren nun beendet; am Horizont herrschte immer noch dasselbe Schweigen, dieselbe Regungslosigkeit – ausgenommen, daß die Brachschnepfe im schnellsten Flug über die Lagunen hinschwebte und der gedämpfte Schall des durch die Biber gepeitschten Wassers, die in ihre fernen Sümpfe tauchten, herüberklang.

»Ist der Augenblick jetzt gekommen?« fragte der Mestize den Schwarzen Falken.

»Meine Krieger warten nur noch auf den indianischen Gefangenen.«

»Es soll nach dem Willen meines Bruders geschehen.«

Der Mestize gab den Befehl, die Piroge ins Wasser zu lassen, um den Gefangenen und seine beiden Wächter herüberzuholen.

»Ah, das trifft sich wahrhaftig glücklich!« rief der alte Main-Rouge auf der anderen Seite des Flusses, von wo aus er die Vorbereitungen zu dem indianischen Schauspiel gesehen hatte, und zeigte seine hohe Gestalt über den Gesträuchen. »Es fing schon an, mich schrecklich zu langweilen, den Wachhund zu spielen.« Der alte Renegat sprach diese Worte mit einem Gähnen der Langeweile und streckte seine mageren Glieder aus. »Auf, mein Tapferer«, sagte er, sich bückend; »du mußt aller dieser langweiligen Vorbereitungen doch bei allen Teufeln der Hölle ebenso müde sein wie ich!«

Einen Augenblick nachher sah man Fabians Körper, von den kräftigen Armen des Amerikaners aufgehoben, sich ebenfalls über das Gesträuch emporrichten.

»Steh fest da ... so ist es gut«, sagte der unbarmherzige alte Mann, während der Gefangene, dessen Glieder von den Banden starr geworden waren, eine Anstrengung machte, um sein Gleichgewicht zu erhalten und gerade und fest zu stehen wie ein Krieger, der eifrig darauf bedacht ist, den letzten Augenblick stehend zu erwarten. »Wenn du jetzt«, fuhr der alte Pirat fort, »irgend etwas singen willst, um dich zu zerstreuen, so steht es dir frei!«

Das bleiche Antlitz Fabians, dessen Augen noch blitzten, ohne daß die Nähe eines schrecklichen Todes ihren Glanz ausgelöscht hätten, zeigte sich nur einen Augenblick hindurch. Der Körper des Gefangenen schwankte auf seinen angeschwollenen Beinen, und da seine Arme ihn nicht unterstützen konnten, so knickte er zusammen und fiel wieder hinter die Gesträuche. »Bindet mir die Arme los«, sagte er zu Main-Rouge mit fester Stimme. »Was habt Ihr zu fürchten?«

»Nicht gerade viel. Es kommt darauf nicht an; man wird Euch darum bald kein Stück weniger vom Körper abreißen!«

Der Renegat durchschnitt den Knoten der Riemen, die seine Arme gefesselt hielten, und Fabian konnte sich erheben und aufrecht stehen. Eine letzte Hoffnung, ein letzter Gedanke schien ihn aufzuregen; viel mehr jedoch ein Gedanke als ein Schein von Hoffnung, denn seine Augen warfen nur einen Blick auf den Horizont, um die immer noch bis in die Ferne schweigende Steppe zu befragen, und richteten bald ihre ganze Aufmerksamkeit auf das gegenüberliegende Ufer, von wo der Angstschrei, auf den er geantwortet hatte, seine Ohren getroffen hatte.

Aber das dichte Gras entzog seinem Blick die Gruppe der Gefangenen, unter denen der Senator und der Hacendero sich schaudernd fragten, wer der unglückliche Weiße sein könnte, dessen Todesmarter vorbereitet wurde. Ihrerseits konnten die beiden Gefangenen Fabian ebensowenig durch die Flut von Gras bemerken, die ihre Blicke aufhielt.

Endlich war die Piroge im Wasser; zwei Indianer legten ihre Ruder darin zurecht – als ein schreckliches Geschrei wie das, das Achilles hören ließ, als er aus dem Zelt stürzte, um den Tod des Patroklus zu rächen, die Luft mit furchtbaren Schwingungen durchzitterte.

Dieser Schrei hatte sich von der Seite des Biberteichs her erhoben; die Indianer konnten ihn nicht hören, ohne zu erbeben, und Fabian fühlte instinktmäßig, daß diese Laute von Freunden herrührten. Die Luft erzitterte noch unter ihrem Klang, als ein zweiter Schrei aus den gewaltigen Lungen des Waldläufers erscholl und den ersten übertönte und die Stimme des ehemaligen Grenzjägers ebenfalls heulend den Widerhall weckte. Diese beiden Stimmen hatten Fabian seinen Namen wie eine Schranke zwischen dem Tod und ihm zugerufen, und Fabian antwortete darauf, ohne zu zittern.

»Hund!« rief Main-Rouge aus und hob sein Messer zum Stoß.

Fabian ergriff den Arm des Renegaten, und ein kurzer Kampf entspann sich zwischen dem Gefangenen und seinem wilden Wächter, in dem der Ausgang wegen der außerordentlichen Kraft des Amerikaners nicht zweifelhaft gewesen wäre, als sich in die Rufe Bois-Rosés, des Spaniers und Rayon-Brûlants, die von drei entgegengesetzten Seiten aus erklangen, ein Geheul mischte, das auf drei Seiten – im Norden, Süden und Osten – erscholl. Das wütende Bellen einer Dogge widerhallte mitten in diesem Getümmel wie das Brüllen eines gefesselten Löwen.

Bei einer von Fabian gemachten Anstrengung, um Main-Rouges Messer von seiner Brust zu entfernen, fiel der junge Mann, der nur sehr leicht auf seinen Füßen stand, die von den Knoten der Riemen kraftlos gemacht worden waren, schwer auf die Erde nieder. Dieser Fall rettete ihm für den Augenblick das Leben.

Der immer noch wachsende Lärm mitten in diesem eben noch ruhigen Tal lenkte die Wut des alten Renegaten ab; er erinnerte sich, daß das Leben des Gefangenen nur dem Schwarzen Falken gehöre, und versuchte den Feind, der sie bedrohte, zu erkennen. Der vor seinen Augen schwebende Vorhang von gelblichem Laub hinderte ihn daran. Alles, was er von seinem Posten aussehen konnte, waren einige Köpfe von Indianern, die sich am schnellsten wieder in den Sattel geworfen hatten, und weiterhin ein so heftiges Wogen des langen Grases, das von den erschreckten Gesichtern der Reiter überragt wurde, daß man hätte meinen können, es wäre durch das Vorüberlaufen einer Büffelherde hervorgebracht. Zur selben Zeit kreuzten sich fünf Büchsenschüsse – die einen links, die anderen rechts hinter der Apachenschar – und warfen die fünf Krieger aus dem Sattel, die sich eben erst darin festgesetzt hatten. Der alte Renegat sah nun eine Art von »Rette-sich-wer-kann« auf dem gegenüberliegenden Ufer entstehen; er stieß tausend gräßliche Flüche aus und suchte, seine Büchse in der Hand, vergeblich einen von den Feinden, die er hörte, deren Anblick ihm aber durch das Gras entzogen wurde.

Einige Indianer, die zu weit entfernt von ihren Pferden waren, stürzten sich in die Piroge und ruderten trotz der Rufe Main-Rouges und trotz der Befehle und Flüche Sang-Mêlés eifrig nach dem entgegengesetzten Ufer. Der größte Teil der übrigen Apachen hatte sich auf die Pferde geschwungen und trieb diese ungestüm in den Fluß, denn ein dicker Rauch erhob sich aus der Ebene hinter ihnen, und schon brachen lange Flammenstrahlen mit gespaltenen Spitzen durch das hohe Gras.

Der Schrecken hatte die indianischen Krieger noch schneller ergriffen, als das Feuer sich in der Ebene verbreitete; die übrigen, die zu Fuß zurückgeblieben waren, warfen sich schwimmend in den Fluß.

»Feige Krieger mit Weiberherzen! Memmen!« heulte Sang-Mêlé wütend und suchte vergebens die Flucht der Indianer aufzuhalten.

Aber der Rauch, den der Wind vor sich hertrieb, das Knistern des brennenden Grases und besonders der panische Schrecken, den der plötzliche Angriff durch unsichtbare Feinde hervorgerufen hatte, vereitelte alle Anstrengungen des Mestizen. Er hatte selbst eine kostbare Beute in Sicherheit zu bringen, hörte deshalb bald mit unnützen Vorstellungen auf, ergriff eines von den Pferden beim Zügel, dessen Reiter eben herabgeworfen worden war, und sprang auf Rosarita in dem Augenblick zu, wo diese endlich die Augen wieder öffnete. Das Knallen der Büchsenschüsse hatte ihre todesähnliche Ohnmacht gehoben, und der erste Gegenstand, der sich ihrem Blick darbot, war immer noch der schreckliche Sang-Mêlé, den die Leidenschaften, von denen er aufgeregt war, noch furchtbarer machten.

Vergebens wollte sie fliehen; der Mestize ergriff ihren Arm, und trotz ihres Geschreis, trotz des Rufens ihres Vaters und des Senators, die unbeweglich in ihren Banden dalagen, hob Sang-Mêlé sie empor, warf sie quer über den Sattel und sprang hinter ihr auf den Rücken des Pferdes. Einen Augenblick nachher spaltete sein Pferd mit der Brust das Wasser des Flusses, das unter vierzig anderen Pferden brauste.

Alles, was sich eben zugetragen hatte, war so rasch vor sich gegangen, daß niemand unter den Angreifenden dieser Entwicklung hatte zuvorkommen können. Eine schwarze Rauchwolke verbarg ihnen den Feind; aus dieser Wolke drangen verwirrte Stimmen.

»Hierher, Bois-Rosé!« rief die donnernde Stimme Pepes. »Ich höre diesen Hund von Mestizen heulen. Wo bist du, rotweiße Natter?«

»Zu Hilfe, im Namen aller Heiligen!« riefen zu gleicher Zeit der Senator und der Hacendero, die sich in ihren Banden wanden.

»Wilson!« sagte eine Stimme.

»Sir?« antwortete eine andere Stimme.

Und der Rauch erhob sich in dichten Wirbeln, und in den Augenblicken, wo die Büchsen nicht knallten, knisterte das Gras der Ebene unter den Flammen, die auf allen Seiten in glühenden Schlangenlinien vorwärts drangen. Während der vollständigen Verwirrung, die bei den Angreifenden wie bei den Flüchtigen herrschte, hätte man den Senator und Don Agustin trotz ihres Geschreis vergessen, wenn sich nicht Sir Fredericks Stimme hätte vernehmen lassen.

»Wilson«, rief der Engländer aus, »hört auf, Euch mit meiner Person zu beschäftigen! Es sind hier irgendwo – wenigstens nicht weit von hier – zwei Unglückliche, die in großer Gefahr schweben. Hört Ihr sie? Wohlan! Nehmt an, ich sei es!«

Zur selben Zeit machten der Engländer und der Amerikaner einen weiten Umweg, um das hin und her wogende Feuer zu vermeiden, und stürzten zu dem Ort, wo das Geschrei und der Hilferuf ertönten. Es war Zeit, denn die Flammen warfen schon einen glühenden Schein auf Don Agustin und seinen Unglücksgefährten, als die beiden Retter erschienen und ihre Bande durchschnitten.

Kaum war der unglückliche Vater frei, so stürzte er zum Ufer des Flusses. Einen Augenblick lang sah er nur eine verwirrte Masse von Pferden und Reitern, die gegen den reißenden Strom kämpften; von heulenden und wiehernden Köpfen von Menschen und Pferden, die sich gegenseitig in ihren übereilten Bewegungen hinderten, indem die einen den anderen zuvorzukommen suchten. Einige waren in die Mitte des Flusses gerissen, andere endlich faßten festen Fuß am Ufer. Unter diesen letzteren erschien der Mestize einen Augenblick lang mit seiner Last im Arm; Don Agustin sah einen Zipfel von dem wallenden Kleid Rosaritas; aber der Reiter, der sie davontrug, verschwand plötzlich hinter den Baumwollstauden.

In dem Augenblick, wo der Hacendero, als er seine vielgeliebte Tochter aus den Augen verloren hatte, einen Schrei der Wut und des Schmerzes ausstieß, fühlte er sich unter dem Griff einer kräftigen Hand zu Boden geworfen. Don Agustin hatte sich noch gar nicht von diesem neuen Ereignis Rechenschaft abgelegt, als eine Kugel einige Zoll über ihm mit scharfem Pfeifen vorüberflog.

»Ihr seid ihr nur soeben entkommen«, sagte phlegmatisch eine Stimme zur Seite des Hacenderos. Es war Wilson, der hinter ihm herangekrochen war und ihn heftig gerade in dem Augenblick niedergeworfen hatte, wo Main-Rouge, ohne daß er es gewahr wurde, auf ihn zielte. »Seht«, fuhr der Amerikaner fort, »dort flieht der Schelm und schämt sich, daß er gefehlt hat! Ach, wenn ich doch Zeit gehabt hätte, meine Büchse wieder zu laden! Aber ich habe nur daran gedacht, zu verhindern, daß Ihr lebendig verbrennt und daß Euch nachher der Schädel zerschmettert würde.«

Während dieser Zeit hatte der letzte indianische Reiter das Ufer erreicht, und Main-Rouge verschwand ebenfalls – aber er war nicht allein. Die beiden Wächter Fabians schleppten diesen, trotz seiner Anstrengungen sich frei zu machen, mit sich fort, und der alte Renegat kam ihnen dabei mit seiner unwiderstehlichen Kraft zu Hilfe.

»Hofft auf Gott!« sagte die ernste Stimme Sir Fredericks, der sich ebenfalls dem Ufer des Flusses näherte, wo das Feuer trotz der glühenden Hitze, die es noch vor sich verbreitete, auf einem feuchten und kahlen Boden erlosch. »Dort ist jemand, der über Eure Tochter wacht. Wir schließen diese Hunde von allen Seiten ein, und nicht einer von ihnen soll entkommen!«

Bei diesen Worten zeigte der Engländer Don Agustin auf jeder Seite des Ufers etwa zwanzig seiner längs des Flusses staffelförmig aufgestellten Vaqueros zu Pferd, und die Hoffnung drang bei diesem Anblick zum erstenmal wieder in das Herz des Hacenderos.

»Seht noch weiter! Hier und dort«, fuhr Sir Frederick fort, »sind treue und tapfere Bundesgenossen.«

Der Engländer zeigte zweihundert Schritt von ihnen stromaufwärts Diaz und Pepe nebeneinander zu Pferd, die den Strom spalteten und das entgegengesetzte Ufer erreichten, und in derselben Entfernung stromabwärts fünf Männer in einem Kanu, dessen sonderbare Bauart der Hacendero staunend betrachtete. Unter ihnen beugten sich zwei athletische Ruderer auf ihre Ruder nieder, während eine wütende Dogge neben ihnen heulte. Der Hacendero erkannte die vier Büffeljäger wieder; was den fünften anlangte, gegen den der kräftige Encinas nur wie ein Mann von gewöhnlichem Wuchs erschien, so kannte ihn Don Agustin nicht.

»Das ist Bois-Rosé«, sagte Sir Frederick, »der Waldläufer aus Kanada, dem wie Euch, Don Agustin, ein Sohn – die Hoffnung und Liebe seines Lebens – entführt worden ist. Dort unten auf der Seite des Biberteichs befindet sich auch noch ein junger und tapferer Komantschenkrieger, ihr Verbündeter, und alles, was einem Mann zu tun möglich ist, werden diese Männer tun.«

Der Waldläufer und der spanische Jäger sahen einander zu gleicher Zeit trotz der Entfernung, die sie trennte, und gaben sich einen beredten, schweigenden Wink mit der Hand wie Leute, die nicht nötig haben, Worte zu wechseln, um sich zu verstehen.

»Ah! Derjenige, der meine Tochter retten wird, soll reich sein für den Rest seiner Tage!« rief der Hacendero, um sie anzuspornen.

Der reiche Don Agustin wußte nicht, daß bei jeder dieser Gruppen von entschlossenen Männern, die demselben Gedanken gehorchten und in demselben Augenblick über den Fluß setzten, sich einer befand, der Schätze verschmäht hatte, neben denen sein mächtiger Reichtum fast nur Dürftigkeit war.

Und als der Hacendero abermals sein Versprechen wiederholte, für immer denjenigen reich zu machen, der ihm Doña Rosarita wiedergeben würde, wechselten die beiden Jäger noch einen Blick und einen anderen Wink mit der Hand. Pepe spornte ungestüm sein Pferd an, das kräftig unter seinem Reiter schwamm, und Bois-Rosé gab dem Kanu noch eine schnellere Bewegung. Der Hacendero dachte, daß dies geschehe, um die versprochene Belohnung zu gewinnen; aber Gott weiß, wie groß sein Irrtum war.

Ein Gewehrfeuer erscholl plötzlich in der Richtung des Biberteichs und bewies, daß Rayon-Brûlant und Gayferos ebenfalls nicht müßig waren. Die Stimme des jungen Häuptlings tönte bis zum Ufer, wo Wilson und Sir Frederick wachten, und Diaz, Pepe, Bois-Rosé und Encinas stießen ebenfalls ein furchtbares Geschrei aus, um Rayon-Brûlant zu zeigen, daß sie ihm zu Hilfe kämen. Bald sah Don Agustin, wie sie an Land stiegen und zu dem Ort, wohin so teure Interessen sie riefen, durch die Weiden und Baumwollstauden hinstürmten, die fast überall den sumpfigen Boden bedeckten, wo die Indianer sich verschanzen wollten.

Als sie verschwunden waren, bewies nur das immer mehr sich entfernende Bellen von Encinas' Dogge, daß die tapferen Abenteurer trotz der Hindernisse des Terrains und der Gefahren, die in diesem undurchdringlichen Dickicht verborgen waren, nicht abließen, vorwärts zu dringen.


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