Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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45 Das Lynchgesetz

Es gibt an den amerikanischen Grenzen ein schreckliches Gesetz. Es ist nicht gerade darum schrecklich, weil der einzige Artikel sagt: »Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut«; denn die Anwendung dieses Grundsatzes ist für den, der den Lauf der Dinge hier auf Erden beobachtet, in allen Akten der göttlichen Vorsehung sichtbar. »Wer das Schwert zieht, soll durch das Schwert umkommen«, sagt schon das Evangelium. Aber das Gesetz der Steppe ist schrecklich durch den Schein einer ehrfurchtgebietenden Gesetzlichkeit, mit der es sich zu umgeben den Anschein hat.

Dieses Gesetz ist schrecklich; nicht nur wie alle blutigen Gesetze dadurch, daß diejenigen, die es anwenden, eine Macht in Anspruch nehmen, die ihnen nicht verliehen ist, sondern dadurch, daß die dabei Beteiligten sich zu gleicher Zeit als Richter aufwerfen, von der Strafe entweder freisprechen oder den Urteilsspruch vollstrecken. Man nennt es das Lynchgesetz oder das Gesetzbuch des Lynch.

Mitten in den Steppen, die an die Grenzen der Vereinigten Staaten stoßen, vollziehen es die Weißen untereinander, die Indianer gegen die Weißen, die Weißen gegen die Indianer mit unerbittlicher Strenge. Die zivilisierte Gesellschaft hat seine Anwendung gemildert und es nur noch in der Todesstrafe in seiner Ursprünglichkeit bestehen lassen; aber das Barbarentum der Steppe läßt dieses Gesetz der ersten Zeitalter der Welt immer noch ohne Einschränkung in Kraft treten.

Ist hier nicht der Ort, zu bemerken, daß dieser Berührungspunkt der Zivilisation mit der Barbarei ein Schandfleck für die erstere ist, der verschwinden muß? Die Ehre der Zivilisation verlangt es. Die Gesellschaft hat Gesetze zum Schutz für alle aufgestellt. Der Mensch, der bei uns sich selbst Gerechtigkeit verschafft, verletzt die Gesetze und fällt dem Richterspruch derer anheim, denen die Gesellschaft das Amt erteilt hat, zu verurteilen und zu strafen.

»Man freut sich im Himmel«, heißt es im Evangelium, »mehr über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte.« Warum sollen die menschlichen Gesetze nicht vom Abglanz der göttlichen bestrahlt werden?

Aber heutigen Tages ist die Freiheit das einzige Gut, das die Gesellschaft dem zurückerstatten kann, dem ein Vergehen oder das Unglück diese geraubt hat.

Wir sagen das Unglück; gibt es nicht in der Tat ein Gesetz, das den ehrlichen, aber zahlungsunfähigen Schuldner dem Verbrecher gleichstellt und ihn derselben Behandlung in seinem Gefängnis unterwirft?

Nach dieser Abschweifung kommen wir auf das Lynchgesetz zurück. Vor einem solchen Gerichtshof ohne Berufung, wo die Parteien sich zu Richtern aufwerfen, sollte Don Antonio de Mediana erscheinen, und die Justiz der Städte hätte mit all ihren erschreckenden Vorbereitungen die Feierlichkeit der Gerichtssitzung nicht erreicht, die eben in der Steppe eröffnet werden sollte, wo drei Männer die menschliche Gerechtigkeit samt ihren Irrtümern vertraten.

Wir haben schon gesagt, welch großartige und sonderbare Szenerie sich ringsum dem Auge darbot, so daß bei deren Blick der Herzog von Armada zu dem Glauben hätte bewogen werden können, er befände sich unter dem Eindruck irgendeines schrecklichen Traums. In der Tat: diese finsteren, nebelumhüllten Berge; das dumpfe Geräusch, das unter der Erde grollte; die menschlichen Skalpe, die im Wind flatterten; das Skelett des indianischen Pferdes, durch das man hindurchsehen konnte – alles gewann in den Augen des spanischen Señors einen fremdartigen, phantastischen Charakter. Man hätte einen Augenblick glauben können, es fände hier eine Aufnahme in irgendeine geheime Verbindung des Mittelalters statt, wo man vor den Augen dessen, der aufgenommen werden sollte, alles entfaltete, was nur irgend seiner Seele Schrecken einflößen konnte, um dadurch seinen Mut zu erproben.

Dies alles war jedoch leider eine schreckliche Wirklichkeit.

Fabian zeigte mit dem Finger dem Herzog von Armada eine Steinplatte, wie sie, den Grabsteinen ähnlich, die Ebene bedeckten, und setzte sich auf eine andere, so daß er mit dem Kanadier und dem spanischen Jäger ein Dreieck bildete, dessen Gipfelpunkt er selbst war.

»Es ziemt dem Angeklagten nicht, sich in Gegenwart seiner Richter zu setzen«, sagte der spanische Señor mit bitterem Lächeln. »Ich werde also stehen bleiben.«

Fabian antwortete nichts. Er wartete, bis Diaz – der einzige fast unparteiische Zeuge vor diesem Gerichtshof – die ihm zusagende Stellung gewählt hätte. Wohl blieb der Abenteurer fern von den handelnden Personen in diesem Schauspiel, aber doch nahe genug, um alles zu sehen und zu hören. Seine Haltung war kalt, zurückhaltend und aufmerksam wie die eines Geschworenen, der sich seine Überzeugung nach der Debatte bilden will, die vor seinen Augen beginnen soll.

Fabian nahm hierauf das Wort: »Ihr sollt nun erfahren«, sagte er, »welches Verbrechens man Euch anklagt. Was mich anlangt, so bin ich hier nur der Richter, der hört, verdammt oder freispricht.« Nach diesen Worten schien er zu überlegen. Er mußte vor allen Dingen die Identität des Angeklagten dartun. »Seid Ihr auch«, fuhr er endlich fort, »Don Antonio, den man bis jetzt Graf von Mediana genannt hat?«

»Nein«, erwiderte der Spanier mit fester Stimme.

»Wer seid Ihr denn?« fuhr Fabian mit einem fast schmerzlichen Erstaunen, das er nicht verbergen konnte, fort; es widerstrebte ihm, zu glauben, daß ein Mediana zu einer feigen Lüge seine Zuflucht genommen hätte.

»Ich war der Graf von Mediana«, antwortete Don Antonio mit stolzem Lächeln, »bis zu dem Augenblick, wo mein Schwert mir andere Titel erobert hat; heute nennt man mich in Spanien nur Herzog von Armada. Das ist der Name, den ich auf den Mann meines Geschlechts vererben könnte, den ich als meinen Sohn adoptieren würde.« Dieser letztere beiläufig vom Angeklagten hingeworfene Satz sollte bald sein einziges Verteidigungsmittel bilden.

»Gut«, sagte Fabian; »der Herzog von Armada wird erfahren, welches Verbrechens Don Antonio von Mediana angeklagt ist. Sprich, Bois-Rosé; sage das, was du weißt, und nichts weiter!«

Dies zu empfehlen war nutzlos. Es lag auf dem rauhen, männlichen Antlitz des gigantischen Abkömmlings der normannischen Rasse, der unbeweglich, die Büchse auf der Schulter, neben ihm saß, so viel Ruhe und Ehrenhaftigkeit, daß sein Anblick allein jeden Gedanken an Verrat verbannte. Bois-Rosé stand auf, nahm langsam seine Pelzmütze ab und entblößte seine breite, edle Stirn. »Ich werde nur sagen, was ich weiß«, begann er. »Im Jahre 1808 war ich Matrose an Bord des Luggers ›Albatros‹, eines französischen Korsaren und Schleichhändlers. Es war im Monat November und eine neblige Nacht. Wir waren an Land gestiegen nach einer Verabredung, die mit dem Capitan der Grenzjäger von Elanchove an der Küste der Biskaya getroffen war. Ich will Euch nicht erzählen« – bei diesen Worten flog ein Lächeln über Pepes Lippen –, »wie wir mit Flintenschüssen von einer Küste verjagt wurden, wo wir als Freunde gelandet waren. Die Erklärung wird genug sein, daß, als wir unser Schiff wieder zu erreichen suchten, Kindergeschrei, das aus der Tiefe des Ozeans selbst hervorzukommen schien, meine Aufmerksamkeit erregte. Dieses Geschrei kam aus einem verlassenen Nachen. Ich ruderte an ihn mit Gefahr meines Lebens heran, denn ein lebhaftes Feuer war auf diesen Nachen gerichtet.

In diesem Kahn schwamm eine ermordete Frau in ihrem Blut. Die Frau war tot; an ihrer Seite lag ein kleines Kind im Sterben. Ich nahm das Kind mit; dieses Kind ist der hier gegenwärtige Mann.« Er zeigte auf Fabian. »Ich habe das Kind mitgenommen; ich habe die ermordete Frau auf das Ufer gelegt. Ich weiß nicht, wer dieses Verbrechen begangen hatte; ich habe nichts weiter zu sagen.« Nach diesen Worten bedeckte sich Bois-Rosé, schwieg und setzte sich.

Eine feierliche Stille folgte dieser Erklärung. Fabian senkte einen Augenblick seine blitzenden Augen auf den Boden und richtete sie dann wieder ruhig und kalt auf den Grenzjäger, an den jetzt die Reihe zu sprechen gekommen war. Fabian stand auf dem Gipfel seiner schrecklichen Rolle, und in seinem Ernst, in der Haltung des jungen Mannes in Lumpen lebte der ganze Adel eines Geschlechts wieder auf, lag die ganze Leidenschaftslosigkeit eines Richters. Er warf Pepe einen so gebieterischen Blick zu, daß der wilde Jäger nicht umhin konnte, diesem, zu gehorchen. Der Grenzjäger erhob sich und trat zwei Schritte vor. Auf seinem Antlitz ließ sich ebenfalls der feste Entschluß lesen, nur nach seinem Gewissen zu reden. »Ich verstehe Euch, Graf von Mediana«, sagte er, sich an Fabian wendend, der in seinen Augen nur allein das Recht hatte, diesen Titel zu führen; »ich werde vergessen, daß der hier gegenwärtige Mann mich lange Jahre unter dem Abschaum der Menschheit in einem Presidio hat zubringen lassen. Wenn ich einst vor Gott erscheinen werde, mag er mir die Worte, die ich jetzt sagen will, wiederholen; ich werde sie hören und nicht bedauern, sie ausgesprochen zu haben.«

Fabian machte eine Gebärde der Zustimmung.

»Im Jahre 1808«, sagte Pepe, »war ich noch Grenzjäger oder königlicher Mikelet in spanischen Diensten. Es war eine Novembernacht; ich war auf Posten an der Küste Elanchoves; drei Männer kamen von der Seeseite und betraten die Meeresküste.

Der Führer, der uns befehligte, hatte einem von ihnen das Recht verkauft, an einer verbotenen Küste zu landen. Ich muß mir den Vorwurf machen, der Mitschuldige dieses Mannes gewesen zu sein; ich habe von ihm den Preis für meine schuldbeladene Schwäche empfangen. Am folgenden Tag hatte die Gräfin von Mediana mit ihrem kleinen Sohn nachts ihr Schloß verlassen. Die Gräfin war ermordet worden, der junge Graf erschien nicht wieder. Nicht lange darauf stellte sich der Onkel des Kindes ein; er forderte die Güter und Titel seines Neffen für sich; alles wurde ihm übergeben. Ich hatte geglaubt, mich nur einer Intrige verkauft zu haben – ich hatte einen Mord unterstützt!

Ich habe den neuen Grafen von Mediana dieses Verbrechens vor den Menschen angeklagt. Fünf Jahre im Presidio von Ceuta sind die Belohnung meiner Kühnheit gewesen. Heute, fern vom Tribunal dieser bestochenen Richter, im Angesicht Gottes, der uns sieht, klage ich wie ehemals den unrechtmäßigen, hier gegenwärtigen Inhaber des Namens Graf von Mediana des Mordes der Gräfin an. Ich habe nichts weiter zu sagen. Möge der Mörder mich mit Lügen strafen.«

»Ihr hört es«, sagte Fabian. »Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu erwidern?«

In dem Augenblick, wo Fabian diese Frage beendete, ließ sich ein Angstgeschrei von der Seite her vernehmen, wo der Wasserstrahl sich bogenförmig in den Abgrund stürzte. Alle blickten sogleich nach dieser Richtung hin, und hinter dem durchsichtigen Schleier des Wasserfalls schien eine menschliche Gestalt einen Augenblick über dem Abgrund zu schweben und dann als dunkle Linie hinabzustürzen.

Wenn die Zuschauer dieser schrecklichen Episode das Dasein des Goldblocks gekannt hätten, so würden sie ihn jetzt nicht mehr an der Stelle gefunden haben, wo der Felsen ihn so lange Zeit festgehalten hatte. Er war verschwunden, und derjenige, der ihn trug, war mit ihm vom Abgrund verschlungen. Tiefes Schweigen folgte dem Ruf, der sich eben hatte hören lassen, während unter dem Nebel der Berge ein dumpfer Donner grauenvoll widerhallte.

Die Szene war den handelnden Personen angemessen. Schwarze Geier schwebten kreisend über ihnen, und ihr scharfes Geschrei mischte sich in das ferne Rollen auf den Hügeln, als ob sie eine neue Beute ahnten oder den Leichnam bedauerten, den der Abgrund verschlungen hatte.

Nach der ersten Bewegung des Erstaunens, die durch ein Schauspiel, das alle so wenig erwartet hatten, hervorgerufen worden war, wiederholte Fabian: »Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?«

Im Herzen Medianas fand ein heftiger Kampf zwischen seinem Gewissen und seinem Stolz statt. Der Stolz trug den Sieg davon. »Nichts«, antwortete Don Antonio. »Nichts?« erwiderte Fabian. »Aber Ihr begreift vielleicht nicht die schreckliche Pflicht, die ich noch erfüllen muß?«

»Ich begreife sie.«

»Und ich«, rief Fabian mit erhobener Stimme, »ich werde sie zu erfüllen wissen! Und doch – obwohl das Blut meiner Mutter um Rache schreit, reinigt Euch von der Schuld, und ich will Eure Worte segnen. Schwört mir beim Namen Mediana, den wir beide tragen; schwört auf Eure Ehre, beim Heil Eurer Seele, daß Ihr unschuldig seid, und ich werde glücklich sein, Euch glauben zu können.«

Dann erwartete Fabian unter dem Gewicht einer unaussprechlichen Angst die Antwort Medianas; aber unbeugsam und ruhig wie der gefallene Erzengel blieb Mediana schweigsam und still.

In diesem Augenblick näherte sich Diaz den Richtern und dem Angeklagten und sagte: »Ich habe mit tiefer Aufmerksamkeit die gegen Don Estévan de Arechiza, den ich auch unter dem Namen Herzog von Armada kannte, gerichtete Anklage mit angehört. Darf ich hier frei aussprechen, was ich davon denke?«

»Redet!« antwortete Fabian.

»Ein Punkt scheint mir zweifelhaft. Ich weiß nicht, ob das Verbrechen, das man diesem edlen Kavalier vorwirft, von ihm begangen worden ist; aber dies auch zugegeben – habt Ihr ein Mandat, ihn zu richten? Nach den Gesetzen an unseren Grenzen, wo die Tribunale keine Sitzung halten können, haben nur die nächsten Verwandten des Getöteten das Recht, das Blut des Schuldigen zu fordern. Don Tiburcio hat seine Jugend in diesem Land verlebt; ich habe ihn als den Adoptivsohn des Gambusinos Marcos Arellanos kennengelernt. Was beweist, daß Tiburcio Arellanos der Sohn der ermordeten Frau ist? Wie hat nach so langen Jahren der frühere Matrose, der jetzt hier gegenwärtige Jäger mitten in diesen Steppen in dem hier stehenden Mann den Knaben wiederzuerkennen vermocht, den er nur einen Augenblick in einer nebligen Nacht gesehen hat?«

»Antworte, Bois-Rosé!« sagte Fabian kalt.

Der Kanadier erhob sich abermals. »Zunächst muß ich Euch sagen«, begann der alte Jäger, »daß ich den Knaben, um den es sich handelt, nicht bloß einen einzigen Augenblick in einer nebligen Nacht gesehen habe. Nachdem ich ihn einem gewissen Tod entrissen hatte, habe ich zwei Jahre lang mit ihm an Bord eines Schiffes gelebt, auf das ich ihn gebracht hatte. Die Züge eines Sohnes sind nicht tiefer in das Gedächtnis eines Vaters gegraben, als die Züge dieses Kindes in dem meinigen hafteten.

Jetzt komme ich zu der Frage: Wie habe ich ihn wiedererkannt? Wenn Ihr in der Einöde auf ungebahntem Pfad geht, richtet Ihr Euch da nicht nach dem Lauf der Flüsse, nach dem Aussehen der Bäume, nach der Gestalt ihrer Stämme, nach dem Zustand des Mooses, das sie bedeckt, nach den Sternen am Himmel? Wenn Ihr denselben Weg wieder im folgenden Jahr nehmt oder zwanzig Jahre später oder in einer nächtlichen Stunde; wenn der Fluß vom Regen angeschwollen ist; wenn ihn die Sonne halb ausgetrocknet hat; wenn Blätter den Baum bedecken, den Ihr im Winter unbelaubt gesehen habt; wenn sein Stamm stärker geworden ist; wenn das Moos sich verdichtet hat – würdet Ihr nicht immer den Stern, den Baum oder den Bach erkennen?«

»Ganz gewiß«, erwiderte Diaz; »der Mann, der die Steppe durchstreift hat, täuscht sich darin nicht. Aber ...«

Der Kanadier fuhr, den Abenteurer unterbrechend, fort: »Wenn Ihr in den Savannen einem Unbekannten begegnet, der den Schrei des Vogels oder die Stimme des Tieres mit Euch austauscht, die Euch oder Euren Freunden als Erkennungszeichen dienen, sagt Ihr da nicht: ›Dieser Mann gehört zu uns!‹?«

»Ganz gewiß!«

»Wohlan! Ich habe das Kind in dem erwachsenen Mann wiedererkannt, wie Ihr den schwanken Schößling in dem groß gewordenen Baum, den einst murmelnden Bach in dem tosenden, vom Regen angeschwollenen Strom wiedererkennen würdet; ich habe den Knaben an einem Losungswort wiedererkannt, das er in zwanzig Jahren nur halb vergessen hatte.«

»Ist dieses Zusammentreffen nicht zum verwundern sonderbar?« fügte Diaz, fest überzeugt von der Wahrhaftigkeit des Kanadiers, hinzu.

»Gott«, sagte Bois-Rosé feierlich, »Gott, der dem Windhauch befiehlt, den befruchtenden Blütenstaub des männlichen Palmbaums weit durch den Raum hindurch nach der weiblichen Dattelpalme zu tragen; Gott, der dem verheerenden Sturm, dem verwüstenden Sturzbach, dem Zugvogel auf der Wanderung den Samen der Bäume und Pflanzen anvertraut, die zum Unterhalt der Menschen notwendig sind, um sie hundert Meilen von der Pflanze oder dem Baum, der ihnen das Dasein gegeben hat, wieder entstehen zu lassen – sollte der nicht ebenso leicht zwei nach seinem Bild geschaffene Wesen einander begegnen lassen können?«

Diaz schwieg einen Augenblick, da er doch nichts weiter gegen die warme Rede des Kanadiers einzuwenden wußte, dessen ehrliches Gesicht den Stempel der Wahrheit trug und eine unwiderstehliche Überzeugung aussprach; dann wandte er sich an Pepe. »Habt Ihr« fragte er, »in dem Adoptivsohn des Gambusinos Marcos Arellanos den Sohn der Gräfin von Mediana wiedererkannt?«

»Ich müßte niemals seine Mutter gesehen haben, um ihn länger als einen Tag nicht als solchen zu erkennen«. erwiderte Pepe. »Übrigens möge mich der Herzog von Armada Lügen strafen.«

Don Antonio war zu stolz zum Lügen und konnte die Wahrheit nicht leugnen, ohne sich in den Augen der drei Mitglieder des improvisierten Tribunals herabzusetzen, ohne das einzige Verteidigungsmittel zu vernichten, zu dem sein Stolz und der geheime Wunsch seines Herzens ihm seine Zuflucht zu nehmen gestatteten. »Es ist wahr«, sagte er; »dieser Mann ist von meinem Blut; ich könnte es nicht leugnen, ohne meine Lippen mit einer Lüge zu besudeln. Die Lüge ist die Tochter der Feigheit.«

Diaz senkte das Haupt, ging wieder an seinen Platz und sagte nichts weiter.

»Ihr habt es gehört«, sagte Fabian; »ich bin gewiß der Sohn dieser von dem hier gegenwärtigen Mann ermordeten Frau. Ich habe also das Recht, Rache für sie zu nehmen. Was sagt nun das Gesetz der Steppe?«

»Auge um Auge«, antwortete Bois-Rosé.

»Zahn um Zahn«, fügte Pepe hinzu.

»Blut um Blut«, schloß Fabian, »Tod um Tod!« Dann wandte er sich an Don Antonio und sprach langsam die Worte aus: »Ihr habt Blut vergossen und getötet; es wird Euch geschehen, was Ihr anderen getan habt. Gott hat so gesprochen und will es so.«

Fabian entblößte seinen Dolch; die Sonne überflutete mit ihrem Morgenlicht die Steppe und die Gegenstände darin warfen lange Schatten. Ein heller Blitz leuchtete von der nackten Klinge des jüngsten der beiden Mediana. Fabian stieß die Spitze in den Sand. Der Dolch warf einen seiner Länge gleichen Schatten.

»Die Sonne«, sagte Fabian, »wird die Augenblicke bestimmen, die Euch zu leben übrigbleiben. Sobald der Schatten dieses Dolches waagrecht fällt, werdet Ihr vor Gott erscheinen, und meine Mutter wird gerächt sein.« Ein tiefes Schweigen folgte den letzten Worten Fabians, der unter dem Gewicht schmerzlicher, so lange Zeit unterdrückter Gemütsbewegungen mehr auf den Stein zurückfiel, als daß er sich darauf niederließ. Bois-Rosé und Pepe waren gleichfalls schweigend sitzen geblieben, so daß den Verurteilten ein Dreieck von Büchsen umgab, da jeder einen Winkel des Dreiecks eingenommen hatte. Alle vier blieben unbeweglich ...

Diaz fühlte nun wohl, daß alles vorbei sei, und wollte bei der Ausführung des Urteilsspruchs nicht gegenwärtig sein. Er näherte sich, ohne zu sprechen, dem Herzog von Armada, beugte ein Knie vor ihm, ergriff seine Hand und küßte sie, immer noch schweigsam. »Ich werde für das Heil Eurer Seele beten«, sagte er endlich mit leiser Stimme. »Señor Herzog von Armada, entbindet Ihr mich meines Eides?«

»Ja«, erwiderte Don Antonio mit fester Stimme. »Geht, und Gott segne Euch für Eure Ehrenhaftigkeit.«

Der edle Abenteurer entfernte sich schweigend. Sein Pferd war nicht weit davon stehengeblieben. Diaz ging darauf zu, nahm den Zügel in die Hand und entfernte sich langsam in Richtung der Flußgabel.

Unterdessen beschrieb die Sonne an einem wolkenlosen Himmel ihren ewigen Kreis. Die Schatten wurden nach und nach kürzer; die schwarzen Geier schwebten immer noch kreisend über ihnen, und dumpfer Donner grollte noch wie einen Augenblick vorher unter der Dunsthülle der Nebelberge wie ein fernes Gewitter.

Bleich, aber ergeben, war der unglückliche Graf von Mediana aufrecht stehen geblieben. In eine letzte Träumerei versunken, schien er nicht zu bemerken, daß der Schatten immer kürzer wurde. Die äußeren Gegenstände verschwanden vor seinen Augen zwischen einer Vergangenheit, die ihm nicht mehr gehörte, und der Ewigkeit, die sich bald vor ihm öffnen sollte. Sein Stolz jedoch kämpfte immer noch in seinem Herzen, und er bewahrte ein hartnäckiges Schweigen.

»Señor Graf von Mediana«, nahm Fabian, einen letzten Versuch machend, das Wort, »in fünf Minuten wird der Dolch keinen Schatten mehr werfen!«

»Ich habe nichts über die Vergangenheit zu sagen«, antwortete Don Antonio; »ich habe mich nur noch mit der Zukunft meines Namens zu beschäftigen. Täuscht Euch nicht über den Sinn der Worte, die Ihr jetzt hören werdet; in welcher Gestalt der Tod sich mir auch zeigen möge, er hat nichts Schreckliches für mich.«

»Ich höre«, sagte Fabian sanft.

»Du bist noch sehr jung, Fabian«, fuhr Mediana fort; »das vergossene Blut wird darum nur noch länger auf dir lasten.«

Fabian machte eine Gebärde der Angst.

»Warum willst du so bald dieses Leben besudeln, das du kaum erst begonnen hast? Warum willst du nicht dem Weg folgen, den eine unverhoffte Gnade der Vorsehung vor dir öffnet? Gestern warst du arm und ohne Familie. Gott gibt dir eine Familie zu derselben Zeit, wo er dir Reichtum verleiht. Das Erbe deines Namens ist in meinen Händen nicht geringer geworden; in einem Zeitraum von zwanzig Jahren habe ich den Namen Mediana zur Höhe der berühmtesten Namen Spaniens erhoben, und ich bin bereit, ihn mit allem Glanz, den ich ihm habe beifügen können, zurückzugeben. Nimm doch ein Gut zurück, das ich dir freudig und glücklich abtrete, denn mein einsames Leben schien mir sehr drückend; aber erkaufe es dir nicht durch ein Verbrechen, von dem dich eine eingebildete Gerechtigkeit nicht freisprechen wird und das du bis zum letzten Tag deines Lebens beweinen wirst.«

»Der Richter, der auf seinem Richterstuhl sitzt, hat nicht das Recht, auf die Stimme seines Herzens zu hören. Sein Gewissen und der Dienst, den er der Gesellschaft leistet, machen ihn stark; er kann den Schuldigen beklagen, aber seine Pflicht erheischt es, ihn zu verdammen. Diese beiden Männer und ich repräsentieren in diesen Einöden die menschliche Gerechtigkeit. Vernichtet die Anklagen, die auf Euch lasten, Don Antonio, und von uns beiden werdet Ihr nicht der Glücklichste sein, denn nur bebend stehe ich als Ankläger hier. Es liegt aber nicht in meiner Macht, mich der Pflicht, die Gott mir auferlegt hat, zu entziehen.«

»Bedenke es wohl, Fabian: nicht Verzeihung, sondern Vergessenheit nehme ich in Anspruch. Dank diesem Vergessen wird es nur von dir abhängen, als der Sohn, den ich adoptieren werde, ein Mediana, der Erbe eines fürstlichen Hauses, zu sein. Nach meinem Tod werden diese Titel nur noch ein leeres Wort sein.«

Bei diesen Worten bedeckte eine tödliche Blässe die Stirn des jungen Mannes; aber er stieß die Versuchung des Stolzes, die im Grund seines Herzens aufstieg, zurück und verschloß das Ohr der Stimme, die ihm einen reichlichen Anteil von menschlicher Größe vorhielt, als ob er nur das eitle Rauschen des Windes gehört hätte, der im Laub der Weiden murmelt. »O Mediana, warum müßt Ihr meine Mutter getötet haben?« rief Fabian, indem er das Gesicht mit beiden Händen verhüllte. Dann warf er einen Blick auf den im Sand steckenden Dolch und fügte mit feierlicher Stimme hinzu: »Señor Herzog von Armada, der Dolch wirft keinen Schatten mehr!«

Don Antonio erbebte wider seinen Willen; erinnerte er sich etwa jetzt der prophetischen Drohung, die die Gräfin von Mediana ihm zwanzig Jahre vorher zugerufen hatte? »Vielleicht«, hatte sie ihm gesagt, »wird der Gott, den Ihr verspottet, Euch einst mitten in der Wüste, wohin die Menschen noch nie gedrungen sind, einen Ankläger, einen Zeugen, einen Richter und Henker finden lassen.«

Ankläger, Richter und Zeuge – alles befand sich vor seinen Augen; wer aber sollte der Henker sein?

Es sollte jedoch nichts an der Erfüllung der furchtbaren Vorhersagung fehlen. Ein Geräusch wie von zerbrochenen Zweigen ließ die handelnden Personen in diesem Drama, dessen Entwicklung die Sonne ein Ziel setzen sollte, ihre Augen erheben.

Ein Mann in einem von Wasser triefenden, von Schlamm besudelten Anzug kam aus dem Kreis der Baumwollstauden – es war Cuchillo. Der Schelm näherte sich mit unerschütterlicher Ungezwungenheit, obgleich er ein wenig zu hinken schien. Keiner von diesen vier so tief in Gedanken versunkenen Männern schien durch seinen Anblick überrascht zu sein.

»Caramba! Ihr habt mich also erwartet?« sagte er. »Und ich bestand hartnäckig darauf, das unangenehmste Bad zu verlängern, das ich jemals genommen habe, von dem meine Eigenliebe sich gekränkt gefühlt hätte« – Cuchillo erwähnte seinen Ausflug in die Berge mit keinem Wort –; »aber das Wasser dieses Sees ist so eisig kalt, daß ich, um nicht darin vor Kälte umzukommen, noch einer größeren Gefahr getrotzt haben würde, als die ist, wieder mit alten Freunden zusammenzutreffen. Dazu kommt noch, daß ich fühlte, wie sich an meinem Fuß eine Wunde wieder öffnete, die ich dort empfangen hatte ... vor langer, sehr langer Zeit... Don Estévan, Don Tiburcio, ich bin Euer ergebener Diener.«

Cuchillos Worte wurden mit tiefem Schweigen aufgenommen. Er fühlte wohl, daß er die Rolle des Hasen spielte, der unter den Zähnen der Windhunde eine Zuflucht sucht; aber er versuchte durch Unverschämtheit seine mehr als zweifelhafte Lage zu sichern. Der Jäger allein warf einen Blick auf Fabian, der nach dem Grund zu forschen schien, der diese Person mit dem unverschämten Gesicht und dem schlammbedeckten grünlichen Bart ungerufen herbeigezogen hatte.

»Es ist Cuchillo«, sagte Fabian als Antwort auf den Blick Bois-Rosés.

»Cuchillo, Euer unwürdiger Diener«, erwiderte der Taugenichts, »der Eure Heldentaten bei jener Jaguarjagd wohl bemerkt hat.« Meine Gegenwart, dachte Cuchillo, ist ihnen entschieden weniger unangenehm, als ich geglaubt hätte. Er fühlte, wie seine Unverschämtheit sich verdoppelte, obgleich der Empfang, der ihm zuteil wurde, eisig genug war; obgleich das Schweigen demjenigen glich, das in einem Sterbehaus beim Erscheinen eines jeden Neuankommenden herrscht. Er fuhr mit lauter Stimme fort, als er die feierliche Haltung aller bemerkte: »Aber, bei Gott, ich sehe, daß ihr in Geschäften begriffen seid und daß ich vielleicht unbescheiden bin; ich ziehe mich daher zurück. Es gibt Augenblicke, wo man nicht gern gestört sein mag; ich weiß es aus Erfahrung.«

Bei diesen Worten machte Cuchillo Miene, ein zweites Mal durch die grüne Einfassung des Val d'Or zu dringen, als die rauhe Stimme Bois-Rosés ihn zurückhielt. »Beim Heil Euer Seele, bleibt hier, Señor Cuchillo!« sagte der Jäger zu ihm.

Der Riese wird von meinen geistigen Fähigkeiten gehört haben, sagte sich Cuchillo; sie bedürfen meiner. Im ganzen will ich doch lieber mit ihnen teilen, als gar nichts bekommen; aber gewiß ist dieses Val d'Or bezaubert. »Mit Eurer Erlaubnis, Señor Kanadier?« erwiderte er, sich an den Jäger wendend. Dann heuchelte er eine Überraschung, die er beim Anblick seines Chefs nicht empfand: »Ich habe ...«

Ein gebieterisches Zeichen Fabians schnitt Cuchillos Rede kurz ab. »Ruhig!« sagte er. »Stört nicht die letzten Gedanken eines Christen, der sterben muß! Señor Graf von Mediana«, fügte Fabian hinzu, »ich frage Euch noch einmal bei dem Namen, den wir tragen, bei Eurer Ehre, beim Heil Eurer Seele: Seid Ihr unschuldig am Mord an meiner Mutter?«

Auf diese Frage erwiderte Don Antonio, ohne zu wanken: »Ich habe nichts zu sagen; ich gestehe nur meinen Pairs das Recht zu, über mich zu urteilen. Mögen mein Schicksal und deines in Erfüllung gehen!«

»Gott sieht und hört mich«, sagte Fabian. Dann führte er Cuchillo beiseite und sagte zu ihm: »Ein feierlicher Spruch hat diesen Mann verurteilt. Als Repräsentanten der menschlichen Gerechtigkeit in dieser Steppe legen wir in Eure Hände das Amt des Henkers. Die Schätze, die dieses Tal umschließt, werden die Belohnung für die Erfüllung dieser schrecklichen Pflicht sein. Möchtet Ihr niemals einen ungerechten Mord begangen haben!«

»Man hat nicht vierzig Jahre gelebt, ohne einige Sünden auf seinem Gewissen zu haben, Don Tiburcio; ich würde jedoch Don Estévan nicht um einen geringeren Preis getötet haben und bin stolz darauf, meine Talente nach ihrem wahren Wert anerkannt zu sehen. Ihr meint also, das Gold des Val d'Or soll mir gehören?«

»Ganz und gar, ohne nur ein Stückchen davon auszunehmen!«

»Caramba! Trotz meiner wohlbekannten Gewissenszweifel ist es ein guter Preis; ich will auch nicht darum feilschen. Wenn Ihr etwa noch einen anderen kleinen Dienst von mir fordern wollt – geniert Euch nicht, es kommt auf die gleiche Rechnung.«

Das unerwartete Erscheinen Cuchillos wird durch die vorangehenden Ereignisse gerechtfertigt. Der Bandit war aus dem Wasser des benachbarten Sees, wo er sich verborgen gehalten hatte, herausgekommen, als der Prolog des Dramas stattgefunden hatte, an dem er sich eben beteiligt hatte. Durch das Zusammentreffen mit Baraja und Oroche in den Bergen war er auf seinen ersten Gedanken zurückgekommen: nämlich, sich dem Sieger anzuschließen. Alles in allem sah er, daß die Dinge einen besseren Verlauf für ihn nahmen, als er geglaubt hatte, doch verhehlte er sich die Gefahr nicht, die für ihn darin lag, daß er der Henker eines Mannes sein sollte, der alle seine Verbrechen kannte; der ihn mit einem Wort der unerbittlichen Gerechtigkeit, die in der Steppe herrscht, überliefern konnte.

Er begriff, daß er, um sich die versprochene Belohnung zu verdienen und Don Antonio für immer den Mund zu verschließen, damit beginnen müsse, diesen zu täuschen, und er fand Gelegenheit, dem Verurteilten leise ins Ohr zu flüstern: »Fürchtet nichts... Ich bin auf Eurer Seite.«

Unter den Zuschauern dieser schrecklichen Szene herrschte tiefes Schweigen, wie es der verschiedene Eindruck, dem sie preisgegeben waren, hervorgebracht hatte. Eine gänzliche Niedergeschlagenheit war in Fabians Seele der Willensenergie gefolgt, und seine Stirn war gegen die Erde gebeugt, ebenso bleich, ebenso aschfarbig wie die des Mannes, dem seine Gerechtigkeit den Urteilsspruch verkündet hatte.

Bois-Rosé, bei dem die täglichen Gefahren des Matrosen- und des Jägerlebens diesen physischen Schauder des Menschen vor der Vernichtung schon längst abgestreift hatten, schien einzig und allein in die melancholische Betrachtung dieses jungen Mannes versunken, den er wie einen Sohn liebte und dessen ganze gebrochene Haltung von seinem Schmerz zeugte. Pepe dagegen suchte mit einer undurchdringlichen Maske die stürmischen Gefühle einer befriedigten Rachsucht zu verhüllen und war still und schweigsam wie seine beiden Gefährten.

Cuchillo allein, dessen blutgierige und rachsüchtige Triebe ihn umsonst die gehässige Rolle des Henkers hätten übernehmen lassen, konnte beim Gedanken an die ungeheure Summe, die dieser Mord ihm einbringen sollte, kaum seine Freude beherrschen. Außerdem fand sich Cuchillo durch einen sonderbaren Zufall zum erstenmal im Einverständnis mit einer scheinbaren Gesetzmäßigkeit. Caramba! dachte er bei sich, als er seine Büchse aus Pepes Hand nahm und Don Antonio zugleich ein Zeichen des Einverständnisses machte. Das ist ein Fall, wo der Alkalde von Arizpe selbst mich – wenn auch wütend darüber – freisprechen müßte.

Der Spanier wußte nicht, ob er in Cuchillo seinen Retter oder seinen Henker sehen sollte; er war bleich, seine Augen funkelten, aber er rührte sich nicht. »Es ist mir prophezeit worden, daß ich in einer Wüste sterben würde. Ich habe vor einem Gericht, wie Ihr es nennt, gestanden; ich bin verurteilt – sollte Gott auch noch die äußerste Schmach über mich kommen lassen, von der Hand dieses Mannes zu sterben? Señor Fabian, ich verzeihe dir; möge dieser Bandit dir nicht ebenso verderbenbringend werden, als er es dem Bruder deines Vaters sein wird, als er es deinem ...«

Ein Schrei Cuchillos – ein Schrei des Schreckens – unterbrach den Herzog von Armada. »Zu den Waffen! Zu den Waffen! Da sind die Indianer!« rief er.

Es entstand eine augenblickliche Verwirrung; Fabian, Bois-Rosé und Pepe ergriffen ihre Büchsen; Cuchillo benützte diesen kurzen Augenblick, stürzte auf Don Antonio los, der ebenfalls mit vorgestrecktem Hals die unermeßliche Ebene überschaute, und stieß ihm seinen Dolch zweimal durch die Kehle. Der unglückliche Mediana stürzte zu Boden, und Wogen von Blut entquollen seinem Mund.

Ein Lächeln flog über Cuchillos Lippen – Don Antonio nahm das Geheimnis des Banditen mit in den Tod.


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