Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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29 Die Bekehrung eines Republikaners

An diesem Abend wachte Don Estévan wie gewöhnlich in seinem Zelt, während seine Leute der Ruhe pflegten. Beim Schein eines düster brennenden Talglichts schien der Spanier unter seinem staubbesudelten Anzug, trotz des bescheidenen Aussehens seiner Wohnung aus Leinwand, doch nichts von seiner würdigen Haltung und seiner ausgezeichneten Persönlichkeit verloren zu haben. Seine Gesichtsfarbe, die sonnverbrannter war als in dem Augenblick, wo wir ihn zum erstenmal gesehen haben, gab seinen Zügen einen noch energischeren Charakter.

Er schien noch ebenso nachdenklich als zur Zeit, wo er vom Pferd gestiegen und in das für ihn errichtete Zelt getreten war; aber sein Nachdenken hatte nicht mehr denselben sorgenvollen Ausdruck. Am Vorabend des Tages, wo nach tausend Gefahren seine weiten Pläne sich zu verwirklichen begannen, hatte Don Antonio de Mediana endlich wenigstens für den Augenblick die Niedergeschlagenheit von sich abgeschüttelt, die durch die früheren Ereignisse bis heute auf ihm gelastet hatte. Seine Seele war wieder hart geworden in der Hoffnung eines nunmehr unzweifelhaften Erfolgs.

Er hatte die Leinwand aufgehoben, die den Türvorhang seines Zelts bildete, um einen raschen Blick auf die Männer, die unter seinem Schutz ruhten, und auf den nebligen Horizont zu werfen, der die »Nebelberge« bedeckte; er schien seine Mittel zum Handeln mit dem Zweck vergleichen zu wollen, den er verfolgte.

Der Anblick dieser sechzig Männer jedoch, die seiner Autorität gehorchten, brachte ihn auf eine andere Gedankenreihe. »Geradeso«, sagte der Spanier zu sich, »war es vor zwanzig Jahren; ich befehligte eine fast gleiche Anzahl von ebenso entschlossenen Seeleuten, als diese Abenteurer sind, die hier lagern. Ich war zu jener Zeit nur ein unbekannter jüngerer Sohn einer Familie, und sie waren es, die mir geholfen haben, meine Erbschaft wiederzuerobern ... ja, es war gewiß die meinige. Aber damals stand ich in der Blüte des Alters; ich hatte ein Ziel vor mir zu verfolgen, ich habe es erreicht ... ich bin selbst darüber hinausgegangen; und doch finde ich mich heute, da ich nichts mehr zu wünschen habe, in reifem Alter wieder, daß ich die Steppen durchstreife, gerade wie ich die Meere durchfurchte und mein Banner auf ihnen entfaltete! Warum ...?«

Die innere Stimme Medianas rief ihm zu, daß es geschah, um einen Tag seines Lebens zu vergessen; aber in diesem Augenblick wollte Don Antonio sie nicht hören.

Der Mond schien auf die im Lager pyramidenförmig geordneten Büchsen; er beleuchtete sechzig an Kampf und Gefahr gewöhnte Männer, die, nüchtern und unermüdlich, über Durst und Sonnenbrand lachten. In der Ferne spielte ein glänzender Duft wie bleiches Gold im Nebel der Berge, neben denen sich das Val d'Or ausbreitete.

»Warum?« wiederholte Don Antonio. Und er antwortete selbst auf seine eigene Frage: »Weil mir noch ein unermeßlicher Schatz und ein großes Königreich zu erobern bleiben.«

Die Augen Medianas funkelten vor Stolz; doch bald erlosch dieser Blitz, und er heftete einen melancholischen Blick auf den Horizont.

»Indessen«, fuhr er fort, »was werde ich von diesem Schatz für mich behalten? Nichts. Diese Krone – ich werde sie auf das Haupt eines anderen setzen. Und ich werde nicht einmal zum Lohn einen Sohn haben, einen Nachkommen, der den Namen Mediana trägt und sich eines Tages vor meinem Bildnis beugt, während er bei dessen Anblick die Worte spricht: ›Dieser hier konnte weder durch einen Schatz noch durch einen Thron in Versuchung geführt werden ...‹ Man wird es nur, solange ich lebe, sagen ... Doch alles in allem ist auch das ein schönes Los.«

Pedro Diaz, der, wie man gesehen hat, zu Don Estévan beschieden war, hob den Zeltvorhang in dem Augenblick auf, als dieser ihn fallen ließ. Der Chef hatte seine feste, entschiedene Haltung wieder angenommen.

»Ihr habt mich herbeschieden, Don Estévan, und da bin ich«, sagte der Abenteurer, indem er seinen betreßten Filzhut abnahm.

»Ich habe mit Euch über wichtige Dinge zu reden, die ich Euch gestern nicht sagen konnte und Euch heute sagen muß«, erwiderte Arechiza; »denn ich habe auch einige Fragen an Euch zu richten, und obwohl es jetzt die Stunde der Ruhe ist, so können wir sie doch noch lange Zeit aussetzen. Wenn ich mich nicht täusche, Diaz, so gehört Ihr zu jenem Schlag von Männern, die nur ausruhen, wenn sie nichts Besseres zu tun haben. Die Ehrgeizigen sind einmal so«, fügte Don Estévan lächelnd hinzu.

»Ich bin nicht ehrgeizig, Señor de Arechiza«, erwiderte ruhig der Abenteurer.

»Ihr seid es, ohne es zu wissen, Diaz, und ich werde es Euch sogleich beweisen. Doch zuvor sagt mir, was denkt Ihr von diesem fernen Gewehrfeuer?«

»Die Menschen treffen einander auf dem Meer, dessen Oberfläche ohne Vergleich viel umfangreicher ist als die unserer Steppen; es ist darum nicht sonderbar, daß sie einander hier begegnen. Reisende und Indianer haben sich plötzlich einander gegenüber gefunden und schlagen sich.«

»Das war auch mein Gedanke«, sagte der Chef. »Noch eine andere Frage ..., dann werden wir auf den Gegenstand der Unterhaltung zurückkommen, der mir am Herzen liegt. Ist Cuchillo wieder eingetroffen?« fragte der Spanier.

»Nein, Señor, und alles läßt mich befürchten, daß wir den Führer, der uns bis heute geführt hat, verloren haben.«

»Und welcher Ursache schreibt Ihr dieses sonderbare Ausbleiben zu?« erwiderte Don Estévan mit einer besorgteren Miene, als er vielleicht selbst zu zeigen dachte.

»Es ist wahrscheinlich, daß er die Spur der Apachen zu weit verfolgt hat und durch einige dieser Räuber erwischt worden ist. In diesem Fall möchte seine Abwesenheit wohl ewig dauern, trotz der Feuer, die wir seit zwei Tagen anzünden, damit die Rauchsäule, die sich erhebt, ihm unseren Lagerplatz anzeige.«

»Sind das Eure geheimsten Gedanken, obgleich – um die Wahrheit zu sagen – Cuchillo zu den Leuten gehört, die man selten mit Unrecht einer Treulosigkeit anklagt? Aber noch ahne ich nicht, zu welchem Zweck er uns verraten haben könnte.« Don Estévan hob eine Seite seines Zelts empor und zeigte Pedro Diaz mit dem Finger den Nebelschleier, der den Gipfel der Berge am Horizont umhüllte. »Die Nähe dieser Berge«, sagte er mit nachdenklichem Ton, »könnte uns vielleicht die Abwesenheit Cuchillos erklären.« Dann sagte er mit plötzlich verändertem Ausdruck: »Und ist der Geist unserer Leute immer noch derselbe?«

»Immer noch, Señor«, erwiderte Diaz. »Mehr als jemals vertrauen sie ihrem Chef, der für sie wacht, wenn sie schlafen, und der nichtsdestoweniger wie der Letzte unter ihnen kämpft.«

»Ich habe mich ein wenig auf allen Punkten der Erdkugel geschlagen«, sagte Arechiza, der für ein Lob empfänglich war, dessen Aufrichtigkeit ihm nicht verdächtig schien, »und habe selten entschlossenere Männer als diese hier kommandiert. Wollte Gott, es wären fünfhundert, statt sechzig, dann wären nach der Rückkehr von der Expedition meine Pläne leicht zu verwirklichen.«

»Ich weiß nicht, welches die Pläne sind, von denen Eure Herrlichkeit zum erstenmal zu mir spricht«, erwiderte Diaz mit zurückhaltendem Ton; »aber vielleicht hält mich Señor Arechiza nur darum für ehrgeizig, weil er mir die Ehre erweist, mich nach sich selbst zu beurteilen.«

»Das ist möglich, Freund Diaz«, antwortete der Herzog von Armada lächelnd. »Das erstemal, als ich Euch sah, habe ich geglaubt, daß ein Herz von Eurem Schlag mit dem meinigen übereinstimmen müsse. Wir sind gemacht, um uns zu verstehen, und ich bin überzeugt, daß es der Fall sein wird.«

Der Mexikaner besaß ganz den lebhaften Verstand seiner Landsleute. Er hatte sich ein Urteil über Arechiza gebildet, aber er wartete, daß dieser zuerst den Anfang mache; er verbeugte sich höflich und schwieg.

Der Spanier schob zum zweitenmal den Vorhang seines Zelts beiseite und zeigte mit dem Finger auf den Horizont. »Noch einen Tagesmarsch«, sagte er, »und morgen werden wir am Fuß dieser Berge dort hinten lagern.«

»Gewiß«, sagte Diaz, »wir sind kaum sechs Meilen davon entfernt.«

»Das ist es nicht, was ich damit sagen wollte«, fügte Don Estévan hinzu; »aber jene Nebeldecke, die ihren Gipfel umkränzt, während an ihrem Fuß der Mond die Ebene mit bleichem Licht erleuchtet – wißt Ihr, was sie verbirgt?«

»Nein«, sagte der Mexikaner.

Der Herzog von Armada warf einen Blick auf Diaz, der bis auf den Grund seiner Seele dringen zu wollen schien. In dem Augenblick, wo er im Begriff stand, dem Abenteurer das Geheimnis zu enthüllen, das er bisher sorgfältig verborgen gehalten hatte, wollte der spanische Señor sich versichern, ob derjenige, den er zu seinem Vertrauten machte, dieses Zeichen von Vertrauen auch wohl wert sei. Das redliche Gesicht Diaz', auf dem man keine der gierigen Leidenschaften lesen konnte, die bei seinen Gefährten die Triebfeder des Handelns waren, beruhigte ihn.

Der Spanier fuhr sogleich fort: »Wohlan! Nach diesen Bergen marschieren wir von Tubac an. Ich werde Euch sagen, warum ich die Expedition nach diesem Ziel geführt habe, wie der Steuermann das Schiff nach einem Punkt im Ozean steuert, den nur er allein kennt. Heute abend sollt Ihr in meinen Gedanken lesen wie ich selbst. Wir sind gemacht, uns zu verstehen, sagte ich Euch. Jene Nebeldecke, die die Sonne morgens bei ihrem Aufgang nicht zerstreuen wird, verhüllt Schätze, die Gott vielleicht seit dem Anfang der Welt dort aufgehäuft hat. Seit Jahrhunderten führt das Regenwasser sie in die Ebene hinab; die Weißen haben sie niemals anders als nur halb gesehen, und die Indianer haben sie nicht angerührt. Morgen werden diese Schätze unser sein. Das ist der Zweck, den ich verfolge. Nun, Diaz, Ihr fallt nicht aufs Knie, um dem Himmel zu danken, daß Ihr zu denen gehört, die berufen sind, sie einzusammeln?«

»Nein«, sagte der Abenteurer einfach; »die Habgier hätte mich nicht dahin gebracht, den Gefahren Trotz zu bieten, die die Rachsucht mich hat suchen lassen. Ich hätte durch die Arbeit meiner Hände das erlangt, was so viele andere auf leichteren, aber weniger sicheren Wegen zu erreichen suchen. Die Indianer haben meine Felder verwüstet, meine Herden geraubt, meinen Vater und meine Brüder ermordet; ich allein nur habe ihrer Wut entrinnen können. Seit dieser Zeit habe ich die Staatsordnung verflucht, die unsere reichen Provinzen nicht zu schützen versteht. Ich habe den Indianern einen erbitterten Krieg erklärt; ich habe die dreifache Anzahl ihrer Schlachtopfer getötet; ich habe die Söhne dieser Hunde zu Dutzenden verkauft – immer ist es noch die Hoffnung auf Rache, die mich hierher geführt hat; nicht der Ehrgeiz, nicht die Habgier. Aber ich liebe mein Vaterland, und ich möchte von diesen Schätzen nur darum besitzen, um noch den letzten Versuch zu machen, an diesem fernen Kongreß Wiedervergeltung zu üben, der uns tyrannisiert und es nicht versteht, uns zu schützen!«

»Gut, Freund Diaz, gut!« sagte der Spanier, indem er dem Abenteurer die Hand reichte.

Dieser fuhr heftig fort: »Stark durch die Hilfe, die das Gold mir gewährt, würde ich es dahin bringen, daß diese sechzig Männer, die da unter Euren Augen schlafen, meine Beschwerden mit mir teilten. Bei unserer Rückkehr müßte das der Gießbach werden, der in seinem Lauf immer mehr anschwillt, und wir würden das Joch einer Hauptstadt abschütteln, die nichts versteht, als nur in jedem Augenblick Personen und Prinzipien zu wechseln.«

Don Estévan hatte schon in früheren Unterhaltungen mit Diaz einen dumpfen Haß gegen das Föderalsystem durchschimmern gesehen; aber noch niemals bis jetzt hatte sich sein Groll so klar erkennen lassen. Er wollte wissen, ob er sich nur auf persönliche Beweggründe stützte, ähnlich denjenigen, die er eben auseinandergesetzt hatte. »Der Kongreß ist sehr weit von Euch«, sagte er mit verstellter Gutmütigkeit; »der Regierung von Mexiko fehlt es an den notwendigen Truppen und Geldmitteln, um so entfernte Provinzen, als die euren sind, zu beschützen. Das ist ohne Zweifel der schwerste Vorwurf, den Ihr dieser macht?«

»Der einzige Vorwurf? Wollte Gott, es wäre so! Es gibt aber noch andere. Die Unabhängigkeit ist für uns nur ein leeres, inhaltsloses Wort, und wir haben nur die Lasten von diesem fernen Mittelpunkt. Kaum überläßt man uns noch die Wahl unserer Alkalden. Unsere Zölle, unsere Finanzen, unsere Soldaten sind ein Weideplatz für ehrgeizige Wühler geworden, die heute in der Hauptstadt ein Prinzip an die Spitze stellen, das andere siegreiche Ruhestörer morgen mit Füßen treten. So werden diejenigen, die tags vorher auf den Schild erhoben wurden, am folgenden Tag schon geächtet! Menschen und Prinzipien – alles ist abgenutzt. Die so oft gewechselten Fahnen vereinen niemand mehr unter sich; wir wollen weder von den einen noch von den anderen etwas wissen. Unsere Frauen sind schöner, unsere Felder fruchtbarer, unsere Minen ebenso reich und unsere Männer tapferer als die ihrigen; was haben wir also von den Staaten des Zentrums zu erwarten?«

Arechiza betrachtete mit stolzer Freude den Abenteurer, dessen Enthusiasmus so gut seine ehrgeizigen Absichten unterstützte. »Fügt hinzu«, unterbrach er ihn, »daß Gesetze, von einem Kongreß ausgehend, den man zu lenken wüßte, die Fremden in euer Land rufen würden, anstatt sie zurückzuhalten, wie man es bis jetzt getan hat. Die europäischen Schiffe würden sich in eure Häfen drängen, eine edle Bevölkerung würde nach eurem fruchtbaren Boden hinströmen, und aus einem Staat zweiten Ranges, aus einem zerstückelten Bundesstaat würde bald ein reiches und mächtiges Land erstehen!«

Arechiza schwieg und forschte mit aufmerksamem Blick nach der Wirkung, die seine Worte auf den hochherzigen Sinn des Abenteurers hervorbrachten. Deren Eindruck wäre auch jedem anderen weniger scharfsichtigen Auge, als das des Spaniers war, sichtbar gewesen. Die Aussicht, zur Erhebung seines Landes beizutragen, verband sich mit der Hoffnung, das Joch eines Bundes abzuschütteln, der ihm hassenswert erschien, und verlieh dem Gesicht Diaz' einen Ausdruck von Enthusiasmus, den der Herzog zu benützen beschloß.

»Und durch welchen Zufall«, fragte der erstaunte Mexikaner, »befinden sich Eure Gedanken hierin auf gleichem Weg mit den meinigen?«

»Ich habe oft über die glänzende Zukunft nachgedacht, die sich der Staat Sonora durch seine Trennung von den Zentrumsstaaten bereiten könnte«, antwortete Arechiza gleichgültig.

»Und Ihr glaubt also wie ich, daß die Lage Sonoras, seine Fruchtbarkeit, seine Reichtümer ihm eine glänzende Zukunft sichern?«

»Aber«, fuhr der Spanier fort, »um aus Sonora einen an Kraft und Macht den europäischen Nationen gleichen Staat zu machen, muß er die Anfänge seines Glücks an derselben Quelle schöpfen. Ist er erst einmal seiner freien Tatkraft wiedergegeben, so wird ihm nur noch eine einzige Bedingung fehlen, um Großes zu vollbringen: ein Mann, dessen verständige und feste Hand die nach allen Seiten hin zerstreuten Keime der Kraft sammeln kann. Unter solchen Bedingungen würde ich, den Ihr nur unter dem Namen Arechiza kennt, die Schätze zu Eurer Verfügung stellen, Señor Diaz!«

»Einen Chef, meint Ihr, Don Estévan?«

»Mehr als einen Chef – einen König!«

Bei diesem Wort fuhr der Abenteurer zusammen wie ein wildes Pferd, das den Sporn zum erstenmal fühlt.

»Einen König!« fuhr der Spanier fort, als ob er auf einmal ein republikanisches Ohr an diesen fremdartig klingenden Namen gewöhnen wollte. »Europa verdankt es nur seinen Königen, den ganzen Erdkreis zuerst unterworfen und dann aufgeklärt zu haben.«

»Einen König?« wiederholte langsam der Abenteurer. »Aber ein König ist die Geißel eines Volkes!«

»Irrtum!« sagte der Spanier feierlich. »Als gegen das Ende des letzten Jahrhunderts der Geist des Schwindels durch das alte Europa, dessen Verfall schon begonnen hat, gegangen war, verleugneten einige Völker, die es bewohnen, ähnlich dem Wahnsinnigen, der in seinen Eingeweiden mit eigenen Händen wühlt, ihre Vergangenheit und sprachen wie Ihr: ›Die Könige sind die Geißeln der Völker.‹ Sie erkannten ihre Geschichte nicht mehr an und verzichteten auf die glorreichen Erinnerungen, die auf ihren Seiten verzeichnet stehen. Unfähig nun, irgend etwas aufzubauen, wollten sie alles niederreißen. Also sprachen sie zu den Söhnen derer, die durch ihren Namen an Tugend, Mut und Ruhm erinnerten: ›Ihr sollt die eitlen Titel, die euch eure Väter hinterlassen haben, nicht mehr tragen; die Ehren, von denen ihr umgeben wart; die Vorrechte, die ihr genossen habt, verschwinden künftig vor dem großen Prinzip, das alle Menschen gleich macht.‹ Du Armer sollst sie nicht mehr führen, diese Titel, ohne doch deiner Familie eine andere Erbschaft hinterlassen zu können; diese Auszeichnung verdunkelt diejenigen, deren Väter sich ausruhten im Schatten ihres Kramladens oder unter den Buchen auf ihrem Feld, während der Vater des Mannes, den sie beraubten, auf den Schlachtfeldern sein Blut vergoß, um den Kramladen oder die Furche der Väter der Räuber zu schützen. Wie, Diaz? Wenn Ihr Euer Vaterland wieder neu erstehen laßt; wenn Ihr es einer Knechtschaft, unter der es seufzt, entreißt, soll da Euer Sohn kaum das Recht haben, Euren Namen zu tragen?« Diaz hörte dem Spanier aufmerksam zu, der fortfuhr: »Wißt Ihr, was ein König ist? Er ist der Felsendamm, die steile Küste, die Gott dem Ozean als Grenze setzt. Wie die Fluten des Ozeans am Gestade, so bricht sich der umwälzende Ehrgeiz, dem die Völker stets als Opfer fallen, am König. Diese Völkerflut, die unaufhörlich in der Hauptstadt Eurer Republik grollt und die in ihrem Lauf weder Damm noch Gestade trifft, wodurch sie aufgehalten werden könnte, überströmt rauschend Euer Land bis zur Grenze und hat die Verwüstung und den Umsturz in ihrem Gefolge. Wißt Ihr, was ein König ist? Das ist ferner die mächtige Hand, die die Elemente der Kraft einer großen Nation zusammenhält und vereinigt, die die Gerechtigkeit und den Schutz für die entferntesten Provinzen wie für diejenigen, die der Hauptstadt am nächsten liegen, im Schatten ihrer Autorität zur Geltung bringt; es ist der Vater, der den Unterschied zwischen den einzelnen Provinzen vertilgt; der aus Kindern derselben Religion und desselben Vaterlandes einige Brüder macht, deren Kraft eben in der Einigkeit liegt. Ein König ist die große Pulsader, die das Blut in dem sozialen Körper kreisen läßt; er ist Einheit, Kraft, Glück!«

»Und wer seid Ihr denn, der Ihr in Amerika als Vorkämpfer für die Könige auftretet, die Europa nicht mehr haben will?«

»Ein Mann, der die Könige sehr nahe gesehen hat«, antwortete der Herzog von Armada; »ein Mann, der selbst es verschmähen würde, die Krone auf sein Haupt zu setzen, der aber Europa dem demokratischen Geist, der es tötet, überläßt, weil in den Beschlüssen Gottes jedes Ding seine Zeit haben muß und weil nunmehr die Reihe an Amerika ist, die Alte Welt zu beherrschen, wenn es für sich selbst das Prinzip aufnimmt, das Europa zurückzustoßen scheint.«

»Das demokratische Prinzip tötet, sagt Ihr?« rief Diaz. »Wahrlich, Ihr sprecht da sonderbare Dinge zu mir. Europa ist alt, ich gebe es zu; aber ist es nicht unter seinen Königen alt geworden? Wenn die Stunde der Auflösung eines Tages für Europa schlägt, wird es nicht in der Demokratie wieder fest werden und sich mit Hilfe dieses großen Prinzips, das alles um uns her belebt, wieder verjüngen können? Wenn diese Demokratie, wie Ihr es glaubt, ein Gift ist für eine altersschwache Nation, werdet Ihr denn leugnen, daß sie ein Lebenselement für ein junges, erst seit kurzem frei gewordenes Volk ist, in dessen Adern ein reiches und edles Blut strömt? Seht das nördliche Amerika – es blüht im Schatten dieses zeugungskräftigen Prinzips!«

»Das ist wahr«, erwiderte der Spanier, »aber eure Sitten selbst sind dem Königtum angepaßt. Mögen immerhin eure Nachbarn im Norden unter einer Regierungsform groß werden, die in sich den Keim der Vernichtung trägt und die sie später töten wird – ihr habt nicht denselben Geist wie sie; ihr habt nur ein vorzeitiges Greisenalter als Ziel vor euch, wenn ihr ihren Wegen folgen wollt. Die Zertrümmerung ereilt euch, weil ihr nicht einig seid; ihr seid alt in Mexiko, ohne jung gewesen zu sein; und wir müssen Sonora verjüngen! Das ist euer Vaterland! Was geht euch das andere an? Geben wir den Bundesstaaten ein Beispiel, dem sie früher oder später folgen werden! Ja«, fuhr Don Estévan fort, indem er den Republikaner bei der Liebe zu seinem Vaterland faßte, »die anderen Provinzen werden sich unserem königlichen Banner anschließen; sie werden ihren lächerlichen krallenlosen Adler vor dem Löwen senken, den wir aufpflanzen werden, und aus einem Staat zweiten Ranges wird Sonora der Hauptteil eines Königreichs werden, das mit jedem Tag an Größe zunimmt!«

Der Mexikaner schüttelte den Kopf mit zweifelnder Miene. »Nein«, sagte er, »unser ganzes Land hat die Vergleiche zwischen dem republikanischen und dem monarchischen System anstellen können. Dreihundert Jahre der Knechtschaft erinnern nur zu sehr an die Fehler des letzteren; die Republik allein hat ihm die Unabhängigkeit gegeben. Eine Trennung vom Mutterstaat ist aber leicht für uns; die Gründung eines Königreichs ist unmöglich. Ein König in Eurem Sinn ist der Verwahrer der Kräfte einer Nation; aber der Mann, der in seinen Händen all die zerstreuten Elemente der Macht einer Nation vereinigt, ist immer nur zu sehr geneigt, sie seines Vorteils halber unwirksam zu machen. Darum wollen auch die Völker in dem Maße, als sie zur Reife gelangen, keine Könige mehr. Ihr sagt, wir hätten keine Jugend gehabt, und gerade darum hätten wir sie vertrieben. Ein Volk ist reif am ersten Tag einer Republik; im Interesse der Könige allein liegt es, die Kindheit der Nationen zu verlängern.«

»Aber wir zählen Monarchien, die zwölf Jahrhunderte bestanden haben, und Ihr habt keine Republik, die heute auch nur ein einziges Jahrhundert alt wäre. Glaubt Ihr noch nicht, daß eine Staatsform, die zwölf Jahrhunderte überdauern kann, allein die Keime für die Lebensfähigkeit und die Macht der Nation enthält?«

»Der eifersüchtige Geist der Könige hat immer die Republiken erstickt«, erwiderte der Mexikaner. »Das Problem der Monarchie hat nur allein gelöst werden können; die Erfahrung wird es für immer der Verurteilung preisgeben; das Problem der Republiken ist aber noch zu lösen. Und was steht nicht zu erwarten von der Vervollkommnung einer Staatsform, von der die älteste noch kein Jahrhundert zählt, deren Erfolge aber den Stempel der Größe in solchem Maße an sich tragen?«

In einem Streit über Prinzipien, über die der Spanier lange Zeit reiflich nachgedacht hatte, mußte dieser dem Mexikaner weit überlegen sein, der plötzlich auf ein Terrain geführt war, das er vorher nicht hatte sondieren können. Der Herzog von Armada machte übrigens die Umwandlung des neuen Staates in eine Monarchie zur Bedingung, wenn er diesen Staat mit seinen Reichtümern, seiner Erfahrung und mit den Hilfsmitteln, die er von Europa erwartete, unterstützen sollte. Diaz wünschte vor allem die Selbständigkeit seines Vaterlands; er hörte darum auf, Einwürfe zu machen.

Nun nahm der Spanier die Übelstände einen nach dem anderen wieder auf, über die der Abenteurer sich mit so großer Bitterkeit beklagt hatte. Er wußte seinen Zuhörer so sehr für den Erfolg der Sache, die er als die Sache seines Landes hinstellte, zu interessieren; er enthüllte ihm so geschickt seine Sendung, seinen Namen, seine Titel; er entwickelte die Überlegenheit des monarchischen Prinzips im Vergleich zu Mexiko mit einer solchen Kraft und Autorität der Rede, daß er die mißtrauischen Zweifel des Republikaners einen nach dem anderen erstickte oder doch zu ersticken schien. Er ließ ebenso, wie er es mit dem Senator gemacht hatte – aber mit mehr Behutsamkeit, da er einen edleren Charakter gewinnen mußte – unter die allgemeinen Gesichtspunkte auch Schlaglichter persönlichen Ehrgeizes fallen, und noch war keine halbe Stunde vergangen, als er auch schon in Diaz` Seele, wenn nicht eine vollständige Überzeugung, doch wenigstens eine gänzliche Zustimmung bewirkt hatte.

Indem er nun von den Prinzipien auf die Personen überging, nannte er den König Don Carlos als denjenigen, dessen Vorläufer der Abenteurer und seine Freunde sein sollten.

»Also ein König – der König Karl I.; gut!« sagte Diaz. »Aber wir werden viele Schwierigkeiten zu überwinden haben.«

»Weniger als Ihr denkt«, antwortete der Spanier. »Jedenfalls wird Gold diese Schwierigkeiten heben, Freund Diaz. Morgen werden wir es mit vollen Händen sammeln; wir bauen dem neuen Königtum eine goldene Brücke, kaufen und bezahlen freigebig die Gründer, die Stützen eines Throns, der nur noch auf einen König zu warten braucht.«

So legte der kühne Parteigänger, wie er es seinem Herrn versprochen hatte, selbst in der Mitte der Steppe den Grund zu einer künftigen Dynastie. Was der aristokratische Einfluß des Senators im Kongreß von Arizpe bewirken konnte und sollte, denselben Eindruck mußte der Einfluß eines zwar untergeordneten, aber durch seine kühnen Taten berühmten Mannes auf Standesgenossen ausüben. Mit dem Gipfelpunkt und der Grundlage hatte der Spanier alles gewonnen. Der hochstehende Señor war von nun an sicher, sein Ziel zu erreichen, und setzte stolz seinen Fuß auf die Hindernisse, die noch dazwischen lagen.

Diaz hatte sich aus dem Zelt Don Estévans, der ihn begleitete, entfernt und wollte den Ort im Lager wieder aufsuchen, wo er schlafen mußte, um sich von einem langen Marsch auszuruhen und sich auf die Anstrengungen des folgenden Tages vorzubereiten. In demselben Augenblick, als Benito und Baraja sich auf den Boden gestreckt hatten, um ebenfalls zu schlafen, überschauten der Spanier und der Mexikaner von der Höhe des Hügels, auf dem sie sich befanden, die ganze, weite Ebene. Die »Nebelberge« erhoben sich in der Ferne, von ihrem geheimnisvollen Schleier ewigen Nebels umhüllt. In diesen dichten Dunstkreis, der soviel Gold in sich barg, schien der Mond lange Silberstrahlen zu werfen.

So nahe dem Ziel seiner Expedition, so nahe den Nebelbergen, daß er sozusagen die Hand von seinem Zelt aus nach ihnen ausstrecken und sie berühren konnte, warf Don Antonio von Mediana einen Blick ruhigen Stolzes auf den Horizont. Alle Schwierigkeiten waren überwunden. Die unablässige Wachsamkeit der Indianer war dank desselben Diaz, des energischen Werkzeugs des Herzogs von Armada, der sich seinem Willen gebeugt hatte, getäuscht worden. Ein unermeßlicher Schatz in jungfräulicher Reinheit, noch unberührt seit dem Anfang der Welt, wartete nur auf die Hände, die ihn begierig aufwühlen sollten.

»Seht«, sagte der Spanier zu Pedro Diaz, »aus jenem Nebel dort unten werden die Anfänge eines neuen Königreichs entstehen, und unser Name gehört nun der Geschichte an. Jetzt habe ich nur noch eine Furcht: nämlich die vor irgendeinem Verrat Cuchillos; und Ihr werdet sie mit mir teilen, wenn Ihr wißt, daß er es ist, der mir das Geheimnis, das jene Berge verhüllen, verkauft hat.«

Diaz blickte mit nachdenklicher Miene auf die unermeßliche Ebene, die sich vor ihren Füßen ausdehnte. Er

121 schien einen noch unerkennbaren Punkt in der Ferne zu betrachten. »Ach«, machte er, »ich sehe einen Reiter, der im Galopp herbeikommt; es ist Gayferos oder Cuchillo.«

»Wollte Gott, es wäre der letztere«, sagte Arechiza, indem er mit dem Auge dem sich nähernden Reiter folgte. »Er ist ein Schelm, den ich lieber im Bereich meiner Hand als fern aus meinen Augen habe.«

»Ich glaube seinen Schimmel zu erkennen«, antwortete der Mexikaner.

Nach Verlauf einer Minute erkannten sie wirklich beim Mondschein in dem Reiter, der mit verhängten Zügeln heransprengte, Cuchillo.

»Zu den Waffen! Zu den Waffen!« schrie Cuchillo. »Die Indianer sind da!« Und noch während er dieses Alarmzeichen gab, stürzte er mit seinem Pferd durch die Öffnung, die von den Schildwachen eben in die Verschanzung gemacht worden war.

»Cuchillo – die Indianer! Zwei Namen von böser Vorbedeutung«, sagte der Herzog von Armada.


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