Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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41 Die Strafe des Tantalus

Als Cuchillo auf seinem atemlosen Ritt in die Nähe der Nebelberge gekommen war, hielt er abermals an. Der Bandit hatte die äußere Erscheinung der Gegend, die er schon einmal gesehen hatte, nicht vergessen, aber sein Herz war von Furcht und Freude erschüttert; das aufgeregte Blut summte in seinen Ohren und benahm seinem Auge den gewöhnlichen scharfen Blick. Er mußte einen Augenblick haltmachen, um sich zu orientieren.

Nach einigen Minuten erst konnte er ruhiger um sich blicken. Es herrschte noch vollständige Dunkelheit, als er nicht weit von der Pyramide, die sich über dem Val d'Or erhob, anlangte; die feuchten Ausdünstungen des Sees umhüllten noch das Tal und den steilen Hügel des indianischen Grabmals mit einem dichten Schleier.

Das dumpfe Grollen des Wasserfalls, dessen er sich erinnerte, wurde für ihn ein Zeichen, seiner Ungewißheit ein Ende zu machen. Er hatte nicht vergessen, daß der Wasserfall sich nicht weit von der Goldmine in einen Abgrund hineinstürzte.

Er stieg also vom Pferd, um sich einen Augenblick auszuruhen und den Tag zu erwarten. Aber kaum hatte er sich niedergelegt, als ein Gefühl des Schreckens ihn aufspringen ließ, als hätte er sich in der Nähe einer giftigen Schlange befunden. Durch einen verhängnisvollen Zufall hatte er gerade an der Stelle angehalten, wo er Marcos Arellanos ermordet hatte. Eine plötzliche Erinnerung führte auch die kleinsten Ereignisse in diesem tödlichen Kampf mit der Schnelligkeit des Blitzes wieder vor die Augen des Banditen. Cuchillo fühlte, wie ein tiefer Schrecken sich seiner bemächtigte; aber er war nur von kurzer Dauer.

Unter dem klaren Himmel Amerikas hat der Aberglaube nicht wie in unseren nebligen Ländern, wo die Ausdünstungen des Abends den Gegenständen einen phantastischen Anblick geben, der ganz natürlich zur Träumerei auffordert, seine Wohnung aufgeschlagen. Aus solcher Träumerei ist jene düstere, nordländische Poesie entstanden, die unsere Länder, die schon von der Natur genug vernachlässigt sind, mit Geistern und Gespenstern bevölkert hat, als ob die Seelen derer, die ihr ganzes Leben hindurch verdammt waren, Reif und Frost zu ertragen, sich nicht zu glücklich schätzen müßten, ihnen entronnen zu sein, um sich wohl in acht zu nehmen, ihnen jemals wieder zu trotzen.

In den amerikanischen Wildnissen fürchtet der Reisende viel mehr die Lebenden als die Toten, und Cuchillo mußte die Weißen oder die Roten zu sehr fürchten, um sich lange mit Arellanos zu beschäftigen. Der Bandit bekam bald andere Gedanken, die an die Stelle derer traten, die ihn eben aufgeregt hatten. Wir wollen damit nicht sagen, daß er wieder ruhig wurde – denn die Nähe des Goldlagers raubte ihm seine freie Urteilskraft –, aber er dachte wenigstens nicht mehr an ein Verbrechen, das sich mit allen anderen vermischte, deren er sich schuldig gemacht hatte.

Der Gedanke an Arellanos war schon längst verschwunden, als Cuchillo von den ersten Strahlen der Morgendämmerung mitten in der Trunkenheit überrascht wurde, mit der die Habgier sein Gehirn umnebelte. Obgleich er beinahe gewiß war, daß niemand seine Entfernung aus dem Lager bemerkt hatte und noch weniger ihn jemand verfolgte, so beschloß er doch, die Pyramide, die sich vor ihm erhob, zu ersteigen und vom Gipfel dieser Anhöhe aus die Steppe weithin zu überblicken.

Die beiden Tannen, deren düsteres Grün das Grab des Apachenhäuptlings bekränzte, schienen ihm wunderbar dazu geeignet, ihn den Augen der Indianer zu entziehen, wenn sich etwa zufällig solche in der Nähe befänden, und er wandte sich zum Fuß des Berges. Er konnte es jedoch nicht unterlassen, im Vorbeigehen einen zugleich gierigen und ängstlichen Blick auf das Tal mit den Goldklumpen zu werfen. Ein plötzlicher Gedanke hatte nämlich einen Augenblick lang seine Aufregung zerstreut. War die Goldmine auch immer noch jungfräulich und unberührt wie damals, wo er sie vor zwei Jahren verlassen hatte?

Ein einziger Blick beruhigte ihn. Nichts hatte sich im Aussehen des Val d'Or verändert; immer noch strahlten diese Massen des kostbaren Metalls ganze Garben von Licht aus. Der halb verdurstete Reisende erblickt nicht mit größerer Freude die Oase mit fließendem Wasser mitten in den unermeßlichen, glühenden Sandflächen; niemals hat in dem fabelhaften Zeitalter ein Faun oder Satyr auf eine im Bad unter dem verschwiegenen Schatten des Laubdachs überraschte Nymphe glühendere Blicke geworfen als Cuchillo auf die Haufen des gediegenen Goldes, das durch die Hecke von Baumwollstauden glänzte.

Jeder andere Abenteurer, den sein glücklicher Stern an diese Stelle geführt hätte, würde sich beeilt haben, soviel Gold, als er hätte tragen können, einzusammeln und mit seiner Beute zu entfliehen. Aber bei Cuchillo war wie bei dem Geizigen die Habgier eine Leidenschaft, die sich bis zum äußersten Punkt entwickelt hatte. Der Bandit hatte schon seit zwei Jahren in Gedanken diesen Schatz habgierig betrachtet; er hatte nicht gezögert, das Leben aller seiner Gefährten für ihn zu opfern und wollte sich nun nach Gefallen an dessen Betrachtung weiden, ehe er ihn plünderte.

Nachdem der Bandit einige Augenblicke der Befriedigung seines teuersten Wunsches gewidmet hatte, nahm er, seinen vorsichtigen Gewohnheiten getreu, sein Pferd beim Zügel, näherte sich rasch den Bergen und band es dort an eines von den Gesträuchen, die in einer Schlucht wuchsen. Sie war tief genug, um es vor jedem Auge zu verbergen, und er machte sich nun daran, die Pyramide zu ersteigen.

Auf dem Gipfel angelangt, hatte er die Einöden ringsherum durchforscht, um sich zu versichern, ob er auch wohl allein sei. Eine aufmerksame Prüfung von einigen Minuten hatte ihn abermals beruhigt, denn Don Estévan und seine drei Begleiter ebenso wie der kanadische Jäger und seine beiden Freunde befanden sich noch außerhalb des Bereichs seiner Augen zwischen den Hügeln, da sie durch weniger genaue Beschreibungen gezwungen waren, die Gegend zu rekognoszieren. Cuchillo war befriedigt durch das Schweigen, das rings um ihn herrschte, und hatte mechanisch seine Blicke wieder nach der Kaskade gewandt, da er einen Augenblick durch die Nähe der zu seinen Füßen ausgebreiteten Schätze ganz in Anspruch genommen war. Der Wasserstrahl, der in seinem Sturz hinter der Pyramide eine Brücke aus flüssigem Silber über den Abgrund zu bilden schien, brach sich zuweilen in seinem Fall.

Hier war ein Goldklumpen durch die hundertjährige Bewegung des Wassers bloßgelegt und funkelte durch die vom Wind zerstreuten regenbogenfarbigen Dünste in den Strahlen der Sonne. Die ungeheuerste Frucht, die sich jemals zwischen den Blättern einer Kokospalme gewiegt hat, war nicht größer als er. Dieser Goldklumpen war ständig von dem feuchten Staub der Kaskade bespült und strahlte in seinem ganzen Licht. Jeden Augenblick schien er aus seiner Einfassung von Kieselsteinen herausstürzen zu wollen, und doch drohte er vielleicht schon seit Jahrhunderten den Wert des Lösegelds eines Königs mit in den Abgrund zu nehmen.

Beim Anblick dieses Blocks, den er anscheinend mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte, hatte Cuchillo einen Anfall wahnsinniger Freude. Gierig beugte er sich mit ausgestreckten Händen und erweiterten Augen über den Abgrund; seine Brust hob sich bis zum Zerspringen, und er wäre der schmerzlichen Aufregung, die ihn ergriffen hatte, unterlegen, wenn er nicht einen Schrei des Schmerzes und der Lust zugleich ausgestoßen hätte. Das war der Schrei, den der Kanadier und seine beiden Gefährten gehört hatten.

Bald jedoch entriß ihm ein Schauspiel, auf das er mitten in dieser Einöde durchaus nicht gerechnet hatte, einen anderen Ausruf; aber diesmal war es ein Ausruf der Wut. Der Bandit hatte eben ein menschliches Wesen bemerkt; einen Mann, der mit ihm das Geheimnis seines Lebens teilte und mit profanem Fuß auf seinen unberührten Schatz trat. Bois-Rosé und Fabian waren für ihn hinter der dicken Einfassung des Val d'Or noch nicht sichtbar; Cuchillo dachte, daß der frühere Grenzjäger allein sei, und ohne Überlegung, fast, ohne sich Zeit zum Anlegen zu lassen, hatte er Feuer auf ihn gegeben. Das war die Ursache des Büchsenschusses; Pepe hatte die Kugel an seinen Ohren vorbeipfeifen hören.

Es ist unmöglich, die Wut und die Bestürzung des Banditen zu schildern, als er, selbst hinter den Zweigen der beiden Tannen versteckt, zwei Männer sich an Pepe anschließen sah und in dem einen von ihnen an seinem hohen Wuchs den schrecklichen Jaguarjäger von der Poza her und in dem anderen Fabian erkannte – denjenigen, der schon zweimal seinem Hinterhalt entgangen war.

Ein tödlicher Schauder erstarrte einen Augenblick sein Herz in der Brust. Betäubt schwankte Cuchillo hin und her; noch einmal mußte er aus diesem Val d'Or fliehen; immer schien ein schreckliches Verhängnis ihn fernhalten zu müssen und neue unersättliche Begierden in ihm zu entzünden.

Glücklicherweise für den Banditen entzogen ihn der dichte Nebel, der noch auf dem Gipfel der Pyramide wallte, und die dicken Flocken, die vom Wind hierhin und dorthin geweht wurden, den Blicken der Feinde, die zu ihm emporklimmten. Als sie auf der Höhe des Hügels anlangten, hatte Cuchillo unbemerkt auf der entgegengesetzten Seite hinabsteigen können, nachdem er noch Zeit gehabt hatte, auch Don Estévan und sein Gefolge in der Ferne zu erkennen. Das war ein neuer Gegenstand der Überraschung für den Banditen, der wie eine Schlange längs der Felsen hinglitt, sich unter die Blätter der Seerose im Wasser versteckte und den Entschluß faßte, die Entwicklung seines sonderbaren Abenteuers abzuwarten.

Cuchillo konnte so von niemand gesehen werden und war bereit, von dem Kampf, der zwischen Don Estévan und seinen drei Begleitern auf der einen und Fabian und seinen beiden Freunden auf der anderen Seite stattfinden mußte, einen Vorteil zu ziehen. Ein Schauer teuflischer Freude ergriff ihn in dem kühlenden Wasser des Sees. Er glich hier dem Raubvogel, der in den Wolken schwebt und wartet, bis das Schlachtfeld ihm sein Opfer überläßt. Er ahnte leicht, daß sich ein tödlicher Kampf zwischen Fabian und dem Herzog von Armada entspinnen würde, und berechnete schnell die günstigen Aussichten, die ihm noch blieben.

Wenn die drei Jäger siegten, so hatte er wenig oder nichts von Fabian zu fürchten, der in seinen Augen immer noch Tiburcio Arellanos war. Die Mexikaner der unteren Klasse betrachten unter sich einen Messerstoß größtenteils wie eine Kleinigkeit, und er hoffte Verzeihung für den zu erhalten, den er Tiburcio gratis versetzt hatte, wenn er das Gehässige in seinem Verhalten auf Don Estévan schob.

Wenn dieser letztere Herr des Schlachtfeldes blieb, so schmeichelte er sich, seine Flucht leicht mit einem glaubhaften Vorwand beschönigen zu können. Er entschied sich daher, den Kampf beginnen zu lassen und im entscheidenden Augenblick dem Stärksten zu Hilfe zu eilen; er war beinahe überzeugt, daß seine Dazwischenkunft, nach welcher Seite auch immer der Sieg sich wenden mochte, dazu beitragen mußte, seine Sache zu verteidigen und seinen Prozeß zu gewinnen.

Während Cuchillo versuchte, sich über sein unglückliches Abenteuer durch Schlüsse zu trösten, die nicht ohne eine gewisse scheinbare Richtigkeit waren, hatte Bois-Rosé die Farbe der zuletzt Gekommenen unterscheiden können. »Es sind vier Reiter aus dem mexikanischen Lager«, sagte er.

»Ich hatte es geahnt«, sagte Fabian. »Wir werden bald die ganze Schar auf dem Hals haben und uns hier wie wilde Pferde in einem Pfahlwerk gefangen sehen.«

»Still!« antwortete Bois-Rosé. »Halte dich nur an mich, wenn es darauf ankommt, uns aus dieser schlechten Lage zu ziehen. Nichts beweist, daß sich noch andere Reiter hinter ihnen befinden, und auf jeden Fall hätten wir keine vorteilhaftere Stellung als diese Anhöhe wählen können, von wo aus wir einen ganzen Stamm Wilder herausfordern könnten; ebensowenig beweist irgend etwas, daß sie die Absicht hätten, hier anzuhalten. Unterdessen werde ich sie überwachen.«

Mit diesen Worten legte sich der Kanadier platt auf die Erde nieder und richtete sich so ein, daß sein Kopf zwischen Steinen, die sich wie Zinnen auf dem Gipfel der Pyramide befanden, verborgen blieb, ohne daß er doch die vier Reiter aus dem Gesicht verloren hätte. Man vernahm bald das Geräusch der Hufe ihrer Pferde mitten im Schweigen der Steppe. Der alte Jäger sah, wie sie einen Augenblick anhielten und sich berieten, aber ihre Stimme gelangte nicht bis zu ihm.

»Warum dieser Aufenthalt, Diaz?« sagte der Herzog von Armada und nicht ohne etwas Ungeduld zu seinem Vertrauten. »Die Zeit drängt; wir haben schon zuviel verloren!«

»Die Vorsicht fordert, daß wir nicht so vorwärts marschieren, ohne die Gegend zu rekognoszieren.«

»Stimmt sie nicht mit der Beschreibung überein, die Cuchillo uns von ihr gegeben hat?«

»Das schon, aber der Schelm muß sich nicht weit von hier versteckt haben, weil wir eben seine Spuren in der Richtung nach jenem Felsen hin wiedergefunden haben; vielleicht ist er nicht allein, und wir haben alles von ihm zu befürchten.«

Don Estévan machte eine verächtliche Gebärde. »Diaz täuscht sich nach meiner Meinung nicht«, sagte Baraja. »Niemand soll mich glauben machen, daß ich nicht etwas wie den Schatten eines Menschen auf dem Gipfel jenes Felsens gesehen habe.«

»Alle jene am Eingang dieser Engpässe von den Indianern niedergelegten Opfergaben«, fügte Oroche hinzu, »beweisen, daß dieser Ort sehr von ihnen besucht ist; er ist vielleicht keine so vollständige Einöde, als es den Anschein hat. Die Indianer sind mehr zu fürchten als Cuchillo, und das Leben Don Estévans darf man am wenigsten aussetzen.«

Don Estévan fügte sich diesen Gründen, und Bois-Rosé sah hinter einer Art von Brustwehr, wie Oroche den Auftrag erhielt, die Gegend zu untersuchen, vom Pferd stieg und sich von der Gruppe trennte.

»Ach«, sagte Bois-Rosé mit leiser Stimme, »ich erkenne jetzt unter diesen Reitern einen von denen, die ich nachts an der Poza gesehen habe, und zwar denjenigen, der sich Don Estévan nennen läßt ... und der niemand anderer ist als Don Antonio von Mediana ... Sein Schicksal liefert ihn endlich in unsere Hände!«

»Don Antonio von Mediana?« wiederholte Fabian. »Ist es möglich? Täuschst du dich auch nicht?«

»Er ist es, sage ich euch.«

»Ach«, sagte Fabian, »jetzt sehe ich ihn; der Finger Gottes war es, der mich wider meinen Willen nach diesem verfluchten Ort trieb. Geist meiner Mutter«, fügte er ganz leise hinzu, »freue dich in der Tiefe deines Grabes!«

Pepe schwieg, aber bei dem Namen, den er eben vernommen hatte, hob er ebenfalls den Kopf. Der Haß leuchtete in seinem Blick, und sein Auge schien die Entfernung zu messen, die ihn noch vom Gegenstand dieses Hasses trennte. Kaum hätte ein geschickter Schütze wie Bois-Rosé einen von den Reitern getroffen, und Pepe versteckte sich wieder hinter den zackigen Felsen. »Richte dich doch nicht so weit empor, Pepe«, sagte der Kanadier, »du wirst sonst gesehen werden!«

»Bemerkst du hinter ihnen keine anderen Reiter?« fragte Fabian.

»Niemand. Von der Spitze dort unten, wo der Fluß sich in zwei Arme teilt, bis hierher sehe ich nur Nebel und Sonne und kein lebendes Wesen ... sofern nämlich«, fuhr Bois-Rosé fort, nachdem er einen Augenblick innegehalten hatte, als suchte er sich die Erscheinung eines fernen Gegenstandes zu erklären, »sofern, wie ich annehme, jene schwarze Masse, die ich auf dem Fluß treiben sehe, ein abgestorbener, fortschwimmender Baum ist. Jedenfalls aber – mag es nun ein Stamm oder ein Rindenkanu sein – folgt der schwarze Körper der Strömung des Wassers und entfernt sich folglich von uns.«

»Was liegt daran?« fragte Fabian, der sich viel mehr für die Überwachung Don Estévans als für die Aufklärung eines fernen Geheimnisses interessierte. »Beschreibe mir die Reiter, die den Führer begleiten; vielleicht kann ich sie an der Schilderung, die du davon entwirfst, erkennen.«

»Aha!« fuhr der Kanadier fort. »Das Rindenkanu oder der Baumstamm ...«

»Laß doch, um Gottes willen, dieses ferne Ding ruhen!« sagte Fabian, von einer wütenden Ungeduld ergriffen. »Was haben wir uns darüber Sorge zu machen?« »Frage auf einem unbekannten Meer den Matrosen im Mastkorb, ob er sich über die Felsenriffe beunruhigen soll. Wohlan! Wenn ich es denn aussprechen muß: Dieser schwarze Körper kann ein Rindenkanu sein; und Gott gebe, daß es nicht hier mit einigen von diesen Freibeutern landet, deren es so viele in der Steppe gibt. Gut, das Kanu verschwindet im Nebel.«

»Die Reiter? Die Reiter?« wiederholte Fabian mit dumpfer Stimme.

»Was die drei Reiter betrifft, so kenne ich sie nicht. Es ist einer dabei, dessen Wuchs gerade und schmächtig ist wie eine Binse; welch ein schönes Pferd reitet er!

»Ein rotbraunes Pferd, goldene Tressen an seinem Filzhut, edles Gesicht?«

»Geradeso.«

»Es ist Pedro Diaz.«

»Hilf, Himmel!« fuhr Bois-Rosé fort. »Da ist ein anderer, der hat wohl Gefallen daran gefunden, seinen Mantel zu zerfetzen.«

»Das ist Oroche«, unterbrach ihn Fabian. »Und was tun sie jetzt? Aber es wäre wirklich eine Feigheit, uns jetzt nicht zu zeigen, wo Gott uns Don Antonio fast allein zuschickt!«

»Geduld!« sagte Pepe. »Ich habe ebenso wie Ihr ein Interesse, ihn nicht entkommen zu lassen, aber Übereilung kann alles verderben. Wenn man fünfzehn Jahre gewartet hat, so kann man wohl noch eine Minute länger warten. Sind sie allein, Bois-Rosé, oder bemerkst du in der Ferne noch das übrige Gefolge?«

»Der Sand wirbelt zwar dort unten, aber es ist der Wind, der ihn aufjagt; sie sind allein. Ach, seht, sie halten an, als ob sie sich orientieren wollten! Sie blicken nach allen Seiten hin. Da steigt der Mann mit dem zerfetzten Mantel vom Pferd und nähert sich der Weideneinfassung.«

»Ja«, sagte Fabian, »sie haben gute Gründe, den Weg zu wissen; aber befindet sich nicht unter ihnen ein Mann in einer Gamuza auf einem Apfelschimmel? Wenn es der Fall ist, so ist es Cuchillo.«

»Er ist nicht dabei«, erwiderte der Jäger. »Doch halt – der Mann mit dem Mantel bückt sich, er rafft Sand auf und schwingt ihn in der Hand. Er öffnet halb den Lianenvorhang, er verschwindet hinter der Hecke ... Ach, der Schelm hat die Goldmine gefunden«, fuhr der Jäger fort; »aber ich müßte mich sehr irren, wenn wir nicht bald mit ihm Abrechnung halten.«

Einen Augenblick war alles still; die drei Freunde hielten selbst den Atem an.

Der Jäger nahm jedoch bald seine Beobachtungen wieder auf. »Es scheint mir, als ob das Wasser des Sees sich bewegte«, sagte er. »Ach, der Mann mit dem Mantel ist aus der Umzäunung herausgetreten; er spricht mit einem seiner Gefährten, und beide springen wie wahnsinnig umher. Die Freude macht sie verrückt, ich kann es mir recht gut denken. Selten haben diese Leute, die nur Gold suchen, eine Mine wie diese hier gefunden; aber sie sind allein, und der Augenblick ist da, wo wir ihnen begreiflich machen müssen, daß diese Mine nur uns allein gehört. Wir können nicht Christen wie Hunde oder – was dasselbe ist – wie Apachen töten! Wir wollen sie also auffordern, sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben.«

Bois-Rosé stand bei diesen Worten langsam auf. Er glich dem Adler, der die mächtigen Flügel schüttelt, ehe er sie in ihrer ganzen Ausdehnung entfaltet und sich in schnellem Flug wie der Blitz von seinem erhabenen Horst in die Ebene stürzt.

Oroche und Baraja waren mit der Prüfung der Gegend zufrieden; sie schien vollständig öde zu sein. Sie waren darum wieder auf ihre Pferde gestiegen und hatten Don Estévan und Pedro Diaz, die zurückgeblieben waren, ein Zeichen gegeben, zu ihnen zu stoßen. Obgleich die beiden Kundschafter durch den funkelnden Anblick des Val d'Or ganz geblendet waren, so hatten sie doch die von Cuchillo auf dem Sand zurückgelassenen Spuren nicht unbemerkt lassen können. Sie erwarteten die Ankunft ihres Führers, um seine Befehle darüber zu vernehmen.

Die beiden Goldsucher hatten ebenso wie Cuchillo und Pepe vor ihnen zu gleicher Zeit in ihrem Herzen den Biß des Dämons der Habgier gefühlt. Diese düstere Gegend, diese öden Abgründe, die Gewißheit, im ganzen Lager die einzigen zu sein, die mit Don Estévan und Diaz das Geheimnis dieser schwindelerregenden Goldmine teilten – alles flüsterte unheimliche Ratschläge in ihr Ohr.

Ohne Zweifel sind die Verbrechen, die der Anblick eines Schatzes hervorruft, unter dem Sinnbild von gierigen Drachen verstanden, die nach heidnischen oder christlichen Legenden in dessen Nähe wachen. Wenn Don Estévan und Pedro Diaz nicht wieder ins Lager zurückkehrten, so blieben Baraja und Oroche allein. Später würden sie sich dann schon gegenseitig voneinander zu befreien suchen. Das waren die Gedanken, die die Seelen der beiden Kundschafter durchflogen, als die Reiter zu ihnen stießen. Das war auch der Ausdruck des Blickes, den Baraja und Oroche miteinander wechselten.

»Wir haben die Spuren Cuchillos gesehen«, sagte der erste; »und wenn wir ihn gefangennehmen wollen, so müssen wir diese Berge sorgfältig durchsuchen.«

»Cuchillo hat den Schatz gesehen und darf uns nicht entwischen«, fügte der zweite hinzu. »Ich denke wie Baraja, daß er sich in diesen Abgründen versteckt hält und hofft, daß wir ihm nicht dahin folgen werden.«

Die beiden Schelme wußten, daß die dunklen Nebelberge viele Geheimnisse auf ewig in sich verschließen konnten.

»Don Estévan«, sagte Pedro Diaz, »ich bin jetzt der Meinung, daß wir zum Lager zurückkehren.«

Don Antonio zögerte einen Augenblick, und in dieser Zeit schlug das Herz ungestüm in Barajas und Oroches Brust.

Es war gut, Diaz' Rat zu befolgen – und niemand wußte es besser als die beiden Taugenichtse –, aber es war zu spät. Sie waren in der Schußweite der drei Jäger, die auf der Spitze der Pyramide im Hinterhalt lagen und alle ihre Bewegungen überwachten; jetzt konnten sie nicht mehr fliehen. Ein schreckliches Erwachen sollte die gierigen Träume Barajas und Oroches zerstreuen.

»Es ist Zeit!« sagte Bois-Rosé.

»Ich muß Don Antonio lebendig haben!« sagte Fabian kurz. »Richtet euch danach; das übrige kümmert mich wenig.«

Als er geendet hatte, richtete sich der Kanadier in seiner ganzen Höhe empor; er stieß einen Schrei aus, der plötzlich in den Ohren der vier zuletzt Gekommenen widerhallte und ihnen einen Ausruf der Überraschung entriß, der durch den gigantischen Wuchs des Kanadiers und durch seinen sonderbaren Anzug noch verdoppelt wurde.

»Wer seid ihr? Was wollt ihr?« rief eine Stimme, die Fabian als die Don Antonios erkannte.

»Wer wir sind?« antwortete der Jäger. »Ich will es euch sagen und euch zuerst an eine Wahrheit erinnern, die man weder in meinem Vaterland noch in der Steppe jemals bestreitet, nämlich daß das Land dem gehört, der es zuerst in Besitz nimmt! Da ihr uns nun nicht habt hierherkommen sehen, so müssen wir wohl vor euch hier gewesen sein. Wir sind also die einzigen Herren dieser Gegend. Was wir wollen, ist, daß ihr euch in guter Haltung entfernt – das heißt drei von euch –, daß aber der vierte sich uns auf Gnade und Ungnade ergibt, damit wir ihn an ein zweites Steppengesetz erinnern, das Blut für Blut fordert!«

»Das ist irgendein Einsiedler, den die Einsamkeit verrückt gemacht hat!« sagte Pedro Diaz, der den Bruder der Büchse und des Messers mit einem friedlichen Einsiedler verwechselte.

»Nehmt euch in acht!« sagte Baraja. »Ich kenne diesen Mann; er ist der gefürchtetste Jaguartöter, den ich jemals gesehen habe. Halt, Diaz! Wir haben keine Aussicht auf Erfolg!«

»Was kümmert mich das?« rief Pedro Diaz.

»Zu fordern, daß man sich ohne Schwertstreich zurückziehen soll! Einem solchen Schatz gegenüber, Freund«, rief Oroche, indem er auf das Val d'Or zeigte, »läßt man sich eher das Herz aus der Brust reißen, als daß man irgend jemandem weicht!«

»Ihr habt es gewollt«, erwiderte der Kanadier phlegmatisch.

»Wartet«, sagte Pedro Diaz; »ich will der Unterredung mit einem Büchsenschuß ein Ende machen.«

»Nein«, sagte Mediana und hielt ihn zurück, »laßt uns doch erst sehen, wie weit die Tollheit dieses Sonderlings geht. Wer unter uns ist denn derjenige, Freund«, rief er mit spöttischem Ton, »den Ihr das Gesetz der Steppe lehren wollt?«

»Ihr seid es, wenn es Euch gefällt!« rief Fabians Stimme, der plötzlich im selben Augenblick hervortrat, wo sich auch Pepe an seiner Seite erhob.

»Ah, Ihr seid es immer noch«, antwortete Mediana mit einer Stimme, die fast beim ersten Laut von Wut und Überraschung erstickt wurde.

Fabian verbeugte sich feierlich. »Und ich folge Euch vierzehn Tage lang Schritt für Schritt und danke Gott, daß ich endlich eine alte Rechnung bezahlen kann, die schon fünfzehn Jahre unberichtigt geblieben ist.«

»Wer seid Ihr denn?« fragte Don Estévan, der vergeblich zu erraten versuchte, mit wem er es zu tun hatte, so sehr hatten die Jahre und der Anzug den früheren Grenzjäger und Küstenwächter verändert.

»Pepe der Schläfer, der nicht wie Ihr seinen Aufenthalt im Presidio von Ceuta vergessen hat.«

Bei diesem Namen, der ihm die Drohung Fabians an der Brücke über den Salto de Agua erklärte, verlor Don Estévan plötzlich die verächtliche Miene, die sein Gesicht bis jetzt gezeigt hatte. Eine plötzliche Ahnung sagte ihm, daß sein Glück im Abnehmen begriffen sei. Er warf einen unruhigen Blick um sich her. Die hohen Felsen, die das Val d'Or auf der einen Seite umgaben, konnten sie gegen das Feuer der Jäger, die die Plattform besetzt hielten, sichern. Ein kurzer Raum trennte ihn davon, und einen Augenblick riet ihm die Klugheit, nach dieser Deckung zu stürzen; aber sein Stolz empörte sich dagegen, und er blieb auf seinem Platz.

»Nun, so rächt euch doch an einem Feind, der die Flucht verschmäht!« rief Pepe stolz dem Spanier zu.

»Habe ich Euch nicht gesagt«, erwiderte kaltblütig der letztere, »daß wir Euch nur lebendig haben wollen?«


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