Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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24 Die Weissagung

Bei diesen Worten, die die Gräfin über die Absichten Don Antonios nicht mehr zweifeln ließen, war ihre erste Bewegung, sich auf die Wiege ihres Sohnes zu stürzen, um mit ihrem Leib einen Wall für ihn zu bilden. Aber Don Antonio kam ihr zuvor, nahm seine Stellung zwischen ihr und der Wiege und richtete einen kalten und teilnahmslosen Blick auf sie, den er seit dem Anfang dieser Zusammenkunft angenommen hatte. Sein Gemüt mußte tief erbittert, sein Herz sehr abgestumpft sein, daß sein entsetzlicher Entschluß der Gräfin gegenüber nicht wankend wurde. Ihre Nasenflügel hatten sich erweitert, der Busen wogte, ihre langen Haarflechten hingen auf die Schultern herab; die Angst malte sich in ihren Zügen, und sie richtete ihre Augen bald mit bittendem, bald mit erschrecktem Ausdruck auf ihn; sie war bezaubernd in der ganzen wilden Schönheit, die ihr stolzes Antlitz versprach, während die mütterliche Sorge ihren Blicken einen unsagbaren Zauber verlieh. »Gnade für ihn!« sagte sie endlich, als sie wieder Worte fand. »Ihr könnt mich töten; aber er, er, was hat er Euch getan, Don Antonio?«

»Was er mir getan hat?« erwiderte Don Antonio. »Ist er es nicht, der jetzt Graf von Mediana ist? Ist er nicht der gesetzliche Besitzer eines Titels und eines Vermögens, die ich nach dem Eid, den sein Vater unserer sterbenden Mutter geschworen hatte, erhalten sollte? Ist er nicht der Sohn derjenigen, die mir versprochen hatte, nur mich zu lieben, und die doch nicht eher Ruhe gehabt hat, als bis sie, mit Verletzung ihrer Eidschwüre, durch ihre verführerische Schönheit es so weit gebracht hat, daß auch mein Bruder seinen Eid brach?«

Die Gräfin verbarg ihr Gesicht in ihre Hände. »Hat man Euch nicht seit langer Zeit tot geglaubt?« sagte sie mit erstickter Stimme. »Ich habe den allgemeinen Irrtum geteilt!«

»Denkt Ihr, mich durch solche Lügen zu täuschen? Weiß ich nicht, daß bei dem ersten Gerücht von meinem Tod, der durch nichts bestätigt wurde, die zarte Sorgfalt erwachte, die Ihr dem Grafen von Mediana und dem reichen Majorat, das ihm gehört, geweiht hattet; daß der Zweck aller Eurer Intrigen nur der gewesen ist, den Ältesten in den Netzen zu fangen, die Ihr für den zweiten nur aufgestellt hattet, weil Ihr das formelle Versprechen seines Bruders kanntet?«

Die Gräfin antwortete nichts. Geschah dies vielleicht darum, weil die Anklagen des unerbittlichen Richters, in dessen Hände sie so plötzlich gefallen war, nicht so laut sprachen als ihr Gewissen? Oder verschmähte sie es, auf diese Anklage einer maßlosen Habgier zu antworten?

Don Antonio fuhr fort: »Lassen wir diese Anschuldigungen aus der Vergangenheit; ich bin nicht hierher gekommen, um Euch die zärtlichen Vorwürfe eines verratenen Liebhabers hören zu lassen – ich habe einen ernsten Zweck.«

Er tat einen Schritt nach der Wiege.

»Aber Ihr seht doch ein«, rief die Gräfin, »daß mein Sohn Euch nichts getan hat?«

In diesem Schrei lag so viel mütterliche Angst, so viel Heftigkeit, so viel Jammer, daß sich in der Seele Don Antonios ein Umschwung vorzubereiten schien, ohne daß jedoch seine Züge etwas von jener kalten Strenge verloren, in der er sein Gesicht verbarg; er antwortete mit einer etwas weniger drohenden Stimme: »Wer hat Euch gesagt, daß ich der Mörder eines Kindes sein wollte?«

»Ach, Dank Euch für Eure Barmherzigkeit, Don Antonio!« rief die Gräfin mit gefalteten Händen.

Don Antonio fuhr fort: »Hört zuerst die Bestimmung, die ich über ihn getroffen habe, und dann werdet Ihr sehen, ob Ursache dazu da ist, meine Barmherzigkeit zu segnen. Der Knabe hat nur die Schuld auf sich, daß ein Verrat, dessen Frucht er ist, ihn zwischen mich und ein Vermögen gestellt hat, das ich meiner Erziehung nach als das meinige betrachten mußte. Er weiß noch nicht, welchen Rang ihm Gott verliehen hat, und in der unbekannten Welt, in die ich ihn versetzen werde ...«

»Oh, ich segne Euch immer noch, Don Antonio!« rief sie.

»... wird er es niemals erfahren; denn Ihr werdet nicht mehr da sein, um ihn daran zu erinnern!« fuhr der unerbittliche Richter fort.

»Was ?« rief die Gräfin mit einer Stimme, die von Überraschung, Erstaunen und Schreck beim ersten Laut erstickt wurde. »Was? Ihr wollt mich trennen von ihm? O nein, Ihr werdet es nicht tun!« fuhr sie, aufs Knie fallend, mit ausgestreckten Armen und bittendem Blick fort.

Don Antonio verharrte in düsterem Schweigen. Die Gräfin glaubte in seinem Herzen eine weniger unempfindliche Saite angeschlagen zu haben, und alles, was nur die Beredsamkeit einer Mutter an Überredungskraft aufbieten kann; alles, was ihr Flehen nur Rührendes hatte: die innigsten Bitten, die diesen unabänderlichen Entschluß mildern konnten, die Anrufung menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit – alles wurde von ihr in Tätigkeit gesetzt, um es dahin zu bringen, daß man sie nicht von ihrem Sohn trenne. Aber Tränen, Bitten, Versprechungen, Eide – alles war umsonst.

Ein kaltes Lächeln antwortete ihren Bitten. »Wie? Glaubt denn etwa die Gräfin von Mediana, daß ich nur darum tausend Gefahren getrotzt habe, um bis zu ihr zu gelangen; daß ich nur darum ein den Augen der menschlichen Gerechtigkeit unsichtbares Netz, in dem

ihr Ruf ungehört verhallen soll, gewebt habe, um in dem Augenblick auf meine Rache zu verzichten, wo ich diese endlich in meiner Gewalt habe? Nein, nein; mein Plan soll so ausgeführt werden, wie ich ihn entworfen habe, sofern nicht etwa«, fügte Don Antonio hinzu, indem er einen Dolch aus der Scheide zog und mit der Spitze auf die Wiege des kleinen Fabian zeigte, »ein Schrei oder ein unnützer Widerstand mich zwingen, diesen Plan zu ändern ... Und in diesem Fall möge mir mein Bruder verzeihen, wenn ich sein Blut vergieße: Ihr habt es dann gewollt!«

»O mein Gott!« rief die Gräfin. »Wirst du mir keinen Retter senden? Wirst du ein solches Verbrechen zulassen?«

Laßt diese Rechnung mich mit Gott abschließen, Madame; was die Menschen anlangt, so werde ich, wie gesagt, keine Spur hinter mir zurücklassen. Glaubt mir also: Rechnet ja nur wenig auf die Gerechtigkeit Gottes, wenn sie schläft; auf die der Menschen, wenn sie blind ist.«

Die Gräfin wollte noch einen letzten Versuch machen, dem Mann, der allen Bitten unzugänglich gewesen war, Schrecken einzuflößen, und mit bleicher Stirn, mit Augen, die von prophetischer Begeisterung glühten, trat sie auf ihn zu: »Hütet Euch!« sagte sie. »Die menschliche Gerechtigkeit, die Ihr verlacht, ist nicht da; aber jene Gerechtigkeit dort oben, die Ihr verspottet, wird am äußersten Ende der Welt, in den entlegensten Einöden, wo der Fußtritt des Menschen vielleicht noch niemals eine Spur zurückgelassen hat, Euch einen Ankläger, einen Richter und einen Henker erwecken.«

»Die Zeit der Wunder ist vorüber«, sagte Don Antonio kalt; »und ich bin gewiß, sie wird niemals zurückkehren!« Dann fügte er mit ungeduldigem Ton hinzu: »Doch machen wir der Sache ein Ende; dies Kind hat zum letztenmal unter dem Dach seiner Väter geschlafen.«

»O Gott, laß es nicht so sein!« rief Dona Luisa, indem sie an Gott das heißeste Gebet richtete, das je einem Mutterherzen entquollen ist. Dann sank sie aufs Knie vor demjenigen, den sie geliebt hatte, und rief: »Antonio, ich habe Euch so großherzig, so edel, so ehrenhaft gekannt; wollt Ihr Euch wirklich mit einem Verbrechen besudeln? O nein – es ist nur, um mich zu erschrecken, nicht wahr?«

»Euch erschrecken?« antwortete Antonio mit sardonischem Lächeln. »Nein, wahrhaftig! Denn wenn ich alles, was Ihr sagt, wirklich gewesen bin, so ist das bei Gott ein ziemlich hübscher Vorrat von Tugenden, den ich ein wenig vermindern kann, ohne ihn zu erschöpfen. Aber die Zeit drängt«, fügte er hinzu, »und meine Leute werden ungeduldig.«

Auf diesen kalten, grausamen Spott fand Doña Luisa keine Antwort mehr. Der Mann, der mit dem Verbrechen seinen Scherz trieb, mußte ein Herz haben, bei dem jeder Versuch, es zu rühren, fernerhin unnütz war. Seit diesem Augenblick – und nur erst von diesem Augenblick an – begriff die Gräfin von Mediana, daß alles vorbei sei. Eine unaussprechliche Betäubung bemächtigte sich ihres Geistes; ihr Körper verlor alle Spannkraft; sie dachte, sie handelte nicht mehr, sie hatte keine Idee mehr, und mit gänzlicher Ergebung erwartete sie schweigend ihr Urteil.

In diesem weiten, ungleich erleuchteten Zimmer, wo die Windstöße mit düsterem Rauschen die langen Vorhänge erzittern ließen, sah diese Frau mit dem in Ergebung gebeugten Haupt dem Mann gegenüber, der bald kalt, bald spöttisch, bald zornig war, ganz wie ein armes Geschöpf aus, dessen Vertrag mit dem Bösen abgelaufen und das nun ganz seiner Willkür preisgegeben war. Wie dieses hatte auch die Gräfin – aber vergeblich – um Gnade oder nur um eine Frist von einem einzigen Augenblick gebeten; aber der Augenblick war da, ihre Seele gehörte ihr nicht mehr.

Sie ging darum auch, als sie den Befehl von Don Antonio empfing, das Kind aufzuwecken und anzukleiden, auf die Wiege zu, als ob sie gar nicht mehr gewußt hätte, daß sie noch am Leben sei. Einen Augenblick kam ihr der Gedanke, einen Schrei um Hilfe auszustoßen; aber mehr der Instinkt als die Überlegung hielt sie zurück; der Tiger, in dessen Klauen sie sich befand, hielt auch das Kind fest, und sein breites Messer blitzte vor ihren Augen mit blutigem Glanz. Sie sah es in ihrer Einbildung mit dem Blut dessen befleckt, den sie mehr als ihr Leben liebte, und mit diesem schrecklichen Gedanken, der sich ihrer bemächtigte, näherte sie sich ihrem Sohn mit umschleiertem Blick, mit gebeugtem Haupt und mit einem Herzen, das nicht mehr schlug.

Sie begann also mit mütterlicher Sorgfalt mit ihren zitternden Händen über das Antlitz ihres Sohnes zu streichen, um die Locken zu entfernen, von denen es eingehüllt war. Das Kind fühlte die sanfte Berührung der Hände seiner Mutter, öffnete die Augen, und als es im Halbdunkel die Mutter bemerkte, die es jeden Abend an seinem Bettchen erblickte, lächelte es mit seinem süßesten Lächeln und schlief wieder ein. Die Gräfin warf auf ihren Henker einen verzweifelnden Blick; der Mut verließ sie, und ihre Arme fielen schlaff an ihrem Körper nieder.

Don Antonio machte eine drohende Gebärde; die Gräfin schauderte, neigte sich abermals über ihr Kind und drückte auf seine Lippen einen Kuß mit derselben fieberhaften Glut, die ihre Lippen versengte. Bei dieser Berührung wachte es auf, blickte mit erstaunter Miene um sich her, und seine schlaftrunkenen Augenlider schlossen sich nochmals, als ein heftiger Stoß Don Antonios es wieder aufweckte und seiner Betäubung ein Ende machte. Das Kind schauderte inmitten der eisigen Luft, die durch das offene Fenster in das Zimmer drang, und beim Anblick eines Unbekannten, beim Anblick seiner bleichen und zitternden Mutter, deren Gesicht in Tränen schwamm, fing es an, vor Schrecken zu zittern, und barg sich weinend an ihrem Busen.

Don Antonio – nachdem er mit gebieterischer Miene Eile befohlen hatte – zog sich ans Fenster zurück, aber ohne seine Augen von Doña Luisa abzuwenden. Die unglückliche Mutter unterbrach sich unendlich oft in einem gewöhnlich so süßen, jetzt aber so herzzerreißenden Geschäft, drückte zärtlich jedes Kleidungsstück ihres geliebten Sohnes und bedeckte mit glühenden Küssen jeden Teil seines Körpers, den ihr Mund erreichen konnte. Sie tat es, um einige kostbare Augenblicke zu gewinnen; um den schrecklichen Moment zu verzögern, wo ihr Sohn angekleidet vor ihr stand und aufhören mußte, ihr zu gehören. Bis dahin war sie ja noch immer seine Mutter; sie konnte ihn immer noch umarmen. Nur einen Augenblick mehr gewonnen, dachte sie, und vielleicht schickt Gott in seiner Barmherzigkeit einen Retter! Und wenn auch Gott die wahrscheinliche Vollendung dieses abscheulichen Verbrechens zugeben sollte – war der Gewinn einer Minute nicht soviel wie hundert Küsse, die sie ihm noch geben konnte?

In der Freude wie im Schmerz gibt es Grenzen, die die menschliche Schwäche nicht überschreiten kann – jenseits dieser Grenzen würden die Bande des Lebens zerreißen. Gott hat es so eingerichtet, damit nicht das durch ihn hergestellte Gleichgewicht aufgehoben werde. Dies geschah auch im letzten Augenblick der Trennung der Mutter von ihrem so heißgeliebten Kind: Alles war beendet, der Retter war nicht erschienen; aber beim letzten Kuß, bei der letzten Umarmung bedeckten die Augen Doña Luisas sich mit einem Schleier; die Empfindungslosigkeit ihres Körpers ließ den Seelenschmerz aufhören; sie stieß einen schwachen Schrei aus und fiel in eine tiefe Ohnmacht.

Don Antonio hatte diese Entwicklung wahrscheinlich vorhergesehen, und sie durchkreuzte seine ferneren Pläne nicht; kurz, er beleuchtete kaltblütig mit der Lampe das bleiche, leblose Antlitz der Gräfin, um sich zu überzeugen, ob sie noch atme, und ohne sich um das stille Weinen des Knaben zu kümmern, der vor Schreck nicht schreien konnte, schob er den Riegel vor die Eingangstür. Dann öffnete er einen Schrank von schwarz poliertem Eichenholz, der der Gräfin als Schreibtisch diente, raffte die Schmucksachen und das Gold, das er darin fand, zusammen und legte es in die einzelnen Fächer – steckte auch in der Eile einige Papiere in seine Tasche –, dann packte er alle Frauenwäsche zusammen und legte sie in andere Möbelstücke.

Während dieser Zeit schluchzte der Knabe immer noch, während er seine Mutter umfaßt hielt, deren kalte Empfindungslosigkeit für ihn eine Quelle geheimnisvollen Schreckens war.

Das Zimmer bot bald den Anblick der Unordnung dar, die einer großen Reise vorauszugehen pflegt. Die geleerten Schubfächer lagen hier und dort verstreut auf dem Fußboden, die Flügel des Schranks standen halb offen – mit einem Wort: alles bezeugte die Vorbereitungen zu einer schleunigen Abreise.

Nachdem Don Antonio seine Durchsuchung beendet hatte, setzte er sich, seine Stirn trocknend, auf den Lehnsessel, den die Gräfin einige Zeit vorher eingenommen hatte, und blickte aufmerksam um sich her. Als dieser Blick auf den Körper der Gräfin fiel, die immer noch leblos dalag, und auf ihr Kind, das ihre Hand gefaßt hatte, schien sich seiner ein schrecklicher Gedanke zu bemächtigen. Er stand schon halb auf – dann setzte er sich wieder, als ob ein Kampf in seinem Herzen zwischen zwei entgegengesetzten Ideen sich entsponnen hätte. »Nein!« rief er endlich. »Ein Opfer ist genug! Aber er ... er ... er ist sein Blut, und ich will es nicht vergießen.« Und um den Gang seiner Gedanken zu ändern und einer unwiderstehlichen Versuchung zu entrinnen, ging er rasch ans Fenster, ließ ein leises Pfeifen ertönen, und einige Sekunden später erschien ein Kopf über dem Balkon, und einer von den Männern, die Pepe schon gesehen hatte, stieg herüber und trat in das Zimmer.

Der Matrose sah kaltblütig auf die Szene, die sich seinen Augen darbot, und wartete auf die Befehle, die er empfangen würde.

»Wirf diese Bündel durchs Fenster! Juan soll sie in Empfang nehmen.«

»Welche?« fragte der Matrose mit rohem Lachen, indem er auf den Körper der Gräfin zeigte.

»Diese da«, sagte Antonio.

»Mit Eurer Erlaubnis, Kapitän«, sagte John, indem er einen kleinen silbernen Brasero, der am Fuß der Lampe stand, einsteckte.

»Gut, mein Junge; aber vor allen Dingen beeile dich!«

Niemals wurde ein Befehl pünktlicher ausgeführt, denn in einem Augenblick verschwanden tausend kleine Gegenstände der Damentoilette in den Taschen seiner Jacke, während die von Antonio gemachten Bündel zu seinem Gefährten hinabwanderten, der folgende Worte zu ihm hinaufrief: »John, wir teilen beide!«

»Schnell nun«, sagte Don Antonio. »Hier ist das Schwerste noch wegzutragen; fühlst du dich stark genug dazu?«

»Wie denn? Das ist ja zum Lachen, Kapitän!« Und er hob die Gräfin auf, als ob es der Körper eines Kindes gewesen wäre, nahm sie unter den Arm und ging zum Balkon. »He, Juan«, rief er, »zieh die Strickleiter straff; ich bringe dir Beute!« Und er verschwand langsam unter dem Balkon.

Don Antonio folgte ihm, nahm den Knaben mit sich, der vor Schreck stumm war, und verließ seinerseits das Zimmer.

Einige Minuten später warf die Lampe noch einmal einen lebhaften Schein auf die verstreuten Kleidungsstücke, auf die leere Wiege, auf die geöffneten Schränke – und erlosch. Dann trug inmitten des fernen Grollens des Ozeans gegen seine riesenhaften Eindämmungen ein pfeifender Windstoß einen Ton herbei, der wie ein Schluchzen, wie der letzte Schrei von Verzweiflung und Angst klang. Pepe der Schläfer, der es hörte, glaubte, es sei nur das klagende, traurige Rauschen des Windes in den Felsabhängen.

Beenden wir diese traurige Erzählung. Die unglückliche, immer noch leblose Mutter wurde durch ihren Räuber in einen Nachen gelegt, der ihn hergeführt hatte. Bei seinem unversöhnlichen Ehrgeiz hatte Don Antonio Doña Luisas Urteil gesprochen; ein Vorwurf seines Gewissens hielt ihn allein ab, auch den jungen Fabian zu ermorden, den er jedoch der Willkür des Meeres in dem Nachen überließ, in dem einer seiner Matrosen die Gräfin erdolchte. Don Antonio hoffte wahrscheinlich, daß Hunger, Kälte und Sturm die Sorge auf sich nehmen würden, den Sohn seines Bruders verschwinden zu lassen.

Was Mediana und seine beiden Mitschuldigen betrifft, so hatten sie sich schwimmend ins Meer geworfen und an Bord durch die Erfindung eines erlittenen Unfalls das Verlassen des Nachens erklärt, in dem sich nur noch eine tote Frau und ein armes Kind, das die Kälte einer Winternacht wahrscheinlich töten mußte, befanden.

Don Antonio kam in die Wohnung seiner Väter zurück; man kennt sein Leben bis zu dem Abend, an dem Cuchillo in seiner Gegenwart beinahe den jungen Mann erdolcht hätte, den Gott auf seinen Weg geführt hatte. Wir haben auch gesehen, was dem neuen Mordversuch vorangegangen war, dessen Opfer Tiburcio in dem dicht bei der Hacienda liegenden Wald fast geworden wäre.


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