Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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39 Schwert und Feuer

Das Gemälde der Sitten und Gewohnheiten in der Steppe, das wir zu entwerfen versuchen, würde nicht vollständig gewesen sein, wenn wir nicht das traurige Ende einer von jenen abenteuerlichen Expeditionen beigefügt hätten, die so oft von den mexikanischen Goldsuchern unternommen werden.

Nach unserer Meinung ist die englisch-amerikanische Rasse allein stark genug, um auch in geringerer Zahl den Kampf mit der indianischen Schlauheit und Grausamkeit zu bestehen. Die kanadische Rasse ist die einzige, die mit ihr an heroischen Taten und Fruchtbarkeit in den Hilfsmitteln wetteifert – das Beispiel Bois-Rosés hat es bewiesen –; aber die Nachkommen der Spanier – seltene Ausnahmen abgerechnet – sind zu schwach für die schrecklichen Feinde jeder Art – Durst und Hunger ausgenommen –, mit denen sie in den Wildnissen der Neuen Welt zusammentreffen können.

Die beiden Indianer hatten, als sie das mexikanische Lager betraten, den Kopf weder rechts noch links gewandt; sie hatten jene Maske unerschütterlicher Gleichgültigkeit beibehalten, die die Vorfahren der Indianer nicht einmal bei der ersten Artilleriesalve hatten fallen lassen, die seit der Eroberung Nordamerikas in ihre Ohren gedonnert hatte. Nichts jedoch war ihrer furchtbaren, untrüglichen Prüfung entgangen. Die Leichname der Ihrigen außerhalb des Lagers; das leere Zelt Don Estévans; die ungeordnete Geschäftigkeit der Abenteurer, die keinen anderen Chef hatten als den erbärmlichen Gomez; das Mißtrauen und die Furcht – alles hatten sie gesehen.

Der Schwarze Falke und die Antilope warfen, einmal im Lager, auf die sie umgebende Gruppe einen ruhigen, stolzen Blick wie zwei Löwen, die ein Bündnis mit den Wölfen schließen wollen. Seinem Rang gemäß nahm der Schwarze Falke zuerst das Wort. Es war für ihn wichtig, zu erfahren, wo denn der wirkliche Chef geblieben sei; der unerschrockene Häuptling, von dessen Klugheit und Mut – zwei Eigenschaften, die die Indianer so hochschätzen, wenn sie vereinigt sind – der Läufer ihm während ihrer Nachtwache erzählt hatte.

Wären Don Estévan und Pedro Diaz – dessen Wert die Antilope in seinem tödlichen Kampf mit der Pantherkatze hatte beurteilen können – getötet, so mußten die übrigen eine leichte Beute sein. Was war aus beiden geworden? Das wollten die Parlamentäre zu erfahren suchen.

»Wir bringen hier Friedensvorschläge, die den Weißen wie den Indianern angenehm sein werden«, sagte der Schwarze Falke; »aber unser Herz ist traurig, denn man soll die Überbringer guter Nachrichten ehren, und hier empfangen unsere Brüder die indianischen Gesandten in der heißen Sonnenglut, während doch das Zelt des Häuptlings« – er zeigte auf das Zelt Don Estévans – »sich öffnen sollte, sie aufzunehmen! Von der Höhe des Hügels werden sich die Worte eines Häuptlings besser verstehen lassen.« Der Indianer machte einen Umweg, um seinen Zweck zu erreichen.

Der improvisierte Chef erschrak bei diesem offenbaren Beweis, daß er einen Verstoß gemacht hatte; aber er hatte nicht Zeit gehabt, seine Rolle gründlich einzustudieren. Gomez beeilte sich, den Wunsch der Parlamentäre zu erfüllen, und ging unter das verlassene Zelt Don Estévans voran; aber der Schwarze Falke hatte die schreckliche Rolle, die er spielen mußte, gründlich studiert, und obgleich es ein gefährliches Drama war, dessen Prolog er jetzt aufführte, so setzte er sich doch mit ebenso großer Kaltblütigkeit nieder, als ob er die Redlichkeit und der Friede in Person gewesen wäre.

Gomez hob den Leinwandvorhang des Zeltes in die Höhe und befestigte ihn so, daß seine Falten die Indianer nicht verdeckten; dann wartete er, daß sie endlich den Gegenstand ihrer Sendung genauer auseinandersetzten, als es bis jetzt geschehen war. Die Indianer jedoch behielten auch ferner dieselbe Ruhe, dasselbe Schweigen bei.

Gomez glaubte das Wort nehmen zu müssen. »Ich erwarte«, sagte er mit mehr Würde, als er bis jetzt gezeigt hatte, »die Friedensworte meiner Brüder aus der Steppe. Die Ohren eines Häuptlings sind geöffnet.«

Der arme Gomez wünschte sich innerlich zu dieser ganz dem indianischen Geist angemessenen Redensart Glück; aber der Schwarze Falke ließ ihn sein eingebildetes Glück nicht lange genießen. Der wilde Krieger hob langsam das Haupt empor; ein Ausdruck verwundeten Stolzes ließ seine Nasenflügel sich schwellen, als ob er zum erstenmal den Betrug des Weißen entdeckte, und sein funkelnder Blick ließ seinen Zuhörer bleich werden; dann sagte er mit einer Stimme, die immer lauter wurde wie der Donner, der plötzlich an einem heiteren Tag in der Ferne grollt: »Ich sehe hier nur einen Häuptling« – er setzte einen Finger auf seine nackte Brust –, »einen indianischen Häuptling. Wo ist der weiße Häuptling? Ich sehe ihn nicht!«

Durch diese stolze Antwort wurde der Abenteurer ganz bestürzt; er fühlte, daß er entlarvt war. Er machte den Versuch, seine Gedanken zu ordnen und sich ebenfalls die Haltung eines Mannes zu geben, der in seinem gerechten Stolz beleidigt ist.

Aber der Schwarze Falke fuhr fort: »Warum einen redlichen Indianer betrügen wollen?«

»Gomez betrügt niemals jemand!« antwortete der Mexikaner stotternd. »Ich habe es Euch gesagt: Ich bin der Häuptling, der einzige Häuptling.«

Der Schwarze Falke machte der Antilope ein Zeichen. Der Läufer schaute nun ebenfalls den Abenteurer, den er vollends in Verwirrung bringen wollte, fest an. »Der einzige Häuptling, sagst du? Der Herr dieses leinenen Wigwams, der Krieger mit dem Sternenbanner, das auf der Spitze weht?«

»Ich bin das alles!« sagte der Mexikaner.

»Ich habe eine Lüge gehört!« rief der Schwarze Falke diesmal mit donnernder Stimme. »Ein Häuptling wie ich darf nicht zwei vernehmen!«

Antilope spielte die Rolle des Vermittlers und warf sich zwischen den Zorn des indianischen Häuptlings und den Unmut des Mexikaners; er bat den Schwarzen Falken, der entschlossen schien, sich zu erheben und die Unterredung zornig abzubrechen, sitzen zu bleiben; dann wandte er sich an Gomez: »Der weiße Krieger«, sagte er, »hat sich über seine Freunde, die Indianer, lustigmachen oder ihren Verstand auf die Probe stellen wollen. Er weiß recht gut, daß er nicht der Häuptling mit der doppelläufigen Büchse ist; mit dem schwarzen Haar, das anfängt, weiß zu werden; mit dem emporstehenden Schnurrbart; mit dem hohen Wuchs und den breiten Schultern.« Der Indianer schilderte die Erscheinung Don Estévans. »Er weiß recht gut, daß diese Hütte aus Leinwand nicht ihm gehört; ebensowenig wie auch sein Name nicht ein Name ist, den das Echo der Wildnis wiederholt hat. Dieser Name ist der eines anderen Häuptlings. Dieser Häuptling ist klein wie mein Bruder; aber sein Wuchs ist das doppelte Maß des seinigen; sein Körper ist biegsam wie der Bambus, aber stark wie der Stamm eines Eisenbaums.«

»Was ist das für ein Krieger?« fragte Gomez, um Zeit zu gewinnen und seiner Bestürzung Herr zu werden.

»Dieser Häuptling ist derjenige, der gestern abend hier« – der Läufer zeigte auf die Stelle, wo der Indianer unter Diaz' Lanze gefallen war – »die Pantherkatze getötet hat. Sein Name ist Pedro Diaz; unsere Kinder haben ihn zuweilen zitternd ausgesprochen.«

Was sollte der arme Gomez tun, zerschmettert von dem Gewicht der von dem Indianer so trefflich gezeichneten Porträts? Sich bestürzt unter den Zauber beugen, dem er unterlag, und aus Furcht, eine friedliche Verhandlung in Abwesenheit Don Estévans abzubrechen? Das Zugeständnis machen, daß der verräterische Läufer die Wahrheit gesprochen hatte? Er tat es. Er hätte aber dennoch die ganze Unterredung fallenlassen, wenn er den flammenden Blick, den die beiden Wilden miteinander wechselten, bemerkt hätte. Der Schwarze Falke ließ plötzlich unter seinen Augenwimpern den Ausdruck wilder Freude verschwinden, den er nur die Antilope hatte sehen lassen; dann richtete er seine ernsten Augen wieder auf Gomez. »Warum maßt du dir einen Titel an«, fuhr er fort, »der doch nicht der deinige ist? Nur an den Häuptling mit der doppelläufigen Büchse und an den Häuptling mit dem Körper aus Eisenholz will ich meine Friedensworte richten. Wo sind sie beide?«

»Sie haben sich beide mit einer Abteilung der Unsrigen entfernt, um Bisons zu jagen und unseren Soldaten Nahrungsmittel zu verschaffen«, antwortete Gomez mit ziemlich viel Geistesgegenwart; aber er hatte es mit zu starken Gegnern zu tun.

»Die Antilope und der Schwarze Falke werden ihre Rückkehr abwarten!« erwiderte der Indianer entschlossen. »Bis dahin wird der Mund der beiden Krieger stumm sein.«

Wirklich schlossen die Indianer verächtlich die Augen, zogen ihre Büffelmäntel über die Schultern und schienen sich um die Gegenwart ihres Wirtes nicht mehr zu kümmern.

Dieser Entschluß – so beleidigend er auch für die Eigenliebe des angeblichen Chefs war – machte wenigstens seiner Bestürzung ein Ende. Das Gewicht des Kommandos schien ihm zu drückend, seine improvisierte Rolle zu schwer zu spielen, daß er sich nicht erleichtert gefühlt hätte, als er sich bis zu Don Estévans und Diaz' Rückkehr, die nach seiner Meinung bald erfolgen mußte, davon befreit sah.

»Meine Brüder dort unten werden ungeduldig«, sagte Gomez, »die Worte der indianischen Häuptlinge kennenzulernen; ich will sie damit bekanntmachen.«

»Geh«, antwortete der Schwarze Falke.

Gomez ließ sich nicht lange bitten und stieg die Anhöhe wie ein Schüler hinab, der endlich eine unangenehme Arbeit vollendet hat. Er erzählte die Einzelheiten seiner Unterhaltung, vergaß aber gewisse Punkte, die wenig schmeichelhaft für seinen Stolz waren, und stellte es als einen unschätzbaren Vorteil dar, den man einzig und allein seiner Festigkeit und Schlauheit verdanke, daß die Häuptlinge dahin gebracht worden waren, die Rückkehr Don Estévans abzuwarten.

Die Zeit verfloß, und er kam nicht.

Während dieser Zeit fand eine sehr lebhafte Unterhaltung mit leiser Stimme zwischen den beiden Indianern statt, die in dem Zelt Arechizas zurückgeblieben waren. Der Schwarze Falke hatte, seitdem er die Überzeugung gewonnen hatte, daß der wirkliche Führer abwesend und Gomez nur ein bleiches, trauriges Schattenbild von ihm sei, einen kühnen Plan entworfen und nahm für sich allein alle Gefahr von dessen Ausführung in Anspruch. Antilope widersetzte sich und wollte selbst alle Gefahren bestehen.

Dieser Plan war folgender: Irgendein Grund – ein Zufall, eine zu lange dauernde Jagd – konnte die beiden Führer länger vom Lager entfernt halten, als sie selbst dachten. Man konnte eine Abteilung Indianer in einen Hinterhalt legen, um sie bei ihrer Rückkehr anzugreifen. Wenn diese Abwesenheit bis in die Nacht hinein dauerte, so sollten die Apachen, vom Läufer geführt, die durch die Entfernung ihrer Führer entmutigten Weißen überfallen. Die Aussicht auf deren Niederlage war ziemlich sicher, und der Schwarze Falke machte außerdem noch den Vorschlag, als Parlamentär und Geisel zurückzubleiben, um ihre Wachsamkeit einzuschläfern. Durch einen Angriff unter so unglücklichen Verhältnissen waren die Mexikaner ihrer Gnade, der Gnade der Indianer, preisgegeben. Freilich mußte die Geisel, die sie durch ihre Gegenwart mit Friedenshoffnungen, die das Blutbad und der Tod so bald vernichten sollten, geködert hatte, fast gewiß das Leben verlieren; aber was ist der Tod für einen indianischen Häuptling, wenn sein Blut seinem Stamm nützlich sein kann?

Antilope billigte diesen Plan vollständig, aber er wollte selbst als Geisel zurückbleiben. Es lag nur wenig daran, ob der Stamm einen einfachen Krieger verlor, wenn er dafür einen mit vollem Recht berühmten Häuptling behielt. Es war ein hochherziger Wettstreit, der lange dauerte.

»Der Leib des Schwarzen Falken wird wieder gesund werden«, sagte Antilope feierlich. »Er wird dem Stamm bald mit einem kräftigen Körper und einem großen Geist zu Dienste stehen. Wenn der Häuptling stirbt, wird das Klagegeschrei der Krieger viele Monde lang währen – wer wird nach dem Tod der Antilope noch daran denken, daß sie gelebt hat?«

Der Schwarze Falke war immer noch dagegen.

»Mein Körper ist aus Eisen«, erwiderte der Läufer; »das Harz des Feigenbaums ist nicht elastischer als die Hacken der Antilope. Im Augenblick der Gefahr wird sie mit einem Sprung über die Verschanzung der Weißen setzen. Vom Gipfel dieser Anhöhe wird sie bis in die Mitte ihrer Krieger springen. Was wird der Schwarze Falke mit seiner zerschmetterten Schulter tun?«

»Er wird den Tod erwarten, unerschütterlich, die Augen auf seine Feinde geheftet; er wird lachen über ihren Zorn und über ihre Messer.«

Gewiß war dies ein kostbares Leben, das der Läufer seinem Stamm erhalten wollte, und er wurde darum nur noch dringender. »Die Antilope«, sagte er, »wird wie der Schwarze Falke über die Wut ihrer Feinde lachen. Sie wird ihren Messerstößen eine ebenso starke Seele entgegenstellen, aber sie wird eine von keiner Wunde geschwächte Kraft zum Beistand haben.«

Während die beiden Apachen so an Hochherzigkeit miteinander wetteiferten, zählten die Mexikaner in tödlicher Unruhe alle Minuten, die verflossen, ohne daß Don Estévan zurückkehrte. Niemand unter ihnen wünschte seine Rückkehr lebhafter als Gomez, der trotz seiner Prahlereien nichts so sehr fürchtete, als wenn er den beiden Indianern wieder als Unterhändler oder als Chef gegenübertreten sollte.

Ein düsteres Schweigen herrschte im ganzen Lager, als man nach ungefähr einer Stunde den Schwarzen Falken das Zelt verlassen sah; er ging den Hügel hinunter und auf die Gruppe zu, bei der sich Gomez befand. »Meine Krieger«, sagte der Indianer, »sind ebenfalls ungeduldig, aus dem Mund ihres Häuptlings die Hoffnungen auf Frieden und Freundschaft mit den Weißen zu vernehmen. Der Schwarze Falke wird bald unter seine Freunde zurückkehren; er läßt seinen Begleiter als Geisel zurück.«

»Geh!« sagte Gomez im Ton ernster Würde, den er in Gegenwart seiner Gefährten anzunehmen wußte.

Der Indianer ging hinaus, wie er eingetreten war: ohne den Kopf zur Seite zu wenden, ohne scheinbar auch dem geringsten Gefühl von Neugier nachzugeben.

Als der Häuptling bei den vier Kriegern, die ihn erwarteten, angelangt war, sprach er einige Augenblicke mit ihnen. Er schien mit dem Finger auf das Zelt zu zeigen, auf dessen Schwelle der Läufer unbeweglich und ernst wie eine Statue saß. Nach einigen Minuten sahen die Weißen, die ihren Bewegungen mit den Augen folgten, daß sich ein Apachenreiter im Galopp entfernte. Die anderen Indianer blieben, die Zügel ihrer Pferde in der Hand, ebenso ruhig auf der Erde sitzen wie der Läufer auf der Schwelle des Zeltes Don Estévans.

Unterdessen verging die Zeit. Die Sonne war am Horizont verschwunden; einige Wolken von rötlicher Färbung fingen an bleich zu werden und verkündeten das Hereinbrechen der Nacht. Don Estévan, Diaz, Baraja und Oroche, deren Namen die Mexikaner jeden Augenblick wiederholten, wurden immer noch vergeblich erwartet. Die Nacht brach herein und verdoppelte die Unruhe. Die Indianer sind veränderlich und launisch, das wußte jedermann im Lager; ein plötzlicher Angriff konnte auf die Friedensvorschläge folgen, die sie so unbestimmt gemacht hatten.

Gomez suchte diese Unruhe zu beschwichtigen. »Was habt ihr zu befürchten, solange der Indianer unter uns bleibt? Ist nicht seine Ruhe ein Zeichen der Aufrichtigkeit seiner Absichten?«

Der schwarze Schatten von Antilope, der im Lager zurückgeblieben war, ließ sich trotz der Nacht immer noch unterscheiden. Der indianische Läufer hatte seine Stellung nicht verändert; nur wenn es Tag gewesen wäre, hätte man sehen können, wie er leicht das Haupt neigte, als ob er aufmerksamer auf das Geräusch horchen wollte, das bald das Schweigen der Steppe unterbrechen sollte.

Dieses Schweigen war ehrfurchtgebietend. Diese großen wellenförmigen Ebenen, über denen nach und nach der schwarze Himmel oder die aufgehenden Sterne erschienen, waren stumm wie dieser Himmel. Gerade in der Dämmerung, die auf den Sonnenschein folgt, nimmt die Steppe einen wilderen und großartigeren Charakter an, und die Nacht mit dem Schrecken in ihrem Gefolge war hereingebrochen.

Im Lager wurde die schreckliche Ruhe der wüsten Einöden, in denen es aufgeschlagen war, nur durch das Geflüster einiger Gruppen Abenteurer oder durch den halblauten Gesang eines unruhigen Goldsuchers unterbrochen. Alle warfen von Zeit zu Zeit mißtrauische Blicke auf die Apachengruppe, die sich vor ihren Pferden gelagert hatte. Sie schienen ebenso unbeweglich wie die Felsblöcke, denen die Dunkelheit zuweilen eine menschliche Form verleiht; aber sie schienen – vielleicht der Dunkelheit halber – von Minute zu Minute immer entfernter zu sein.

»Das ist sonderbar«, sagte einer der Abenteurer mit nachdenklicher Miene zu Gomez; »die Indianer schienen mir eben noch dieser Erdvertiefung viel näher gewesen zu sein.«

»Es ist eine optische Täuschung«, antwortete Gomez, der aufgelegt war, alles in einem rosenfarbigen Licht zu sehen.

»Seht, Gomez«, sagte ein anderer, »ich spüre hier nicht den geringsten Lufthauch, und doch scheint der Wind dort unten vor den Indianern Sandwolken aufzujagen.«

»Das macht, weil wir vor dem Wind durch unsere Wagenburg gedeckt sind, und die Steppe dort hat keine geschützte Seite.«

Unterdessen schien, wenn man von dem immer unbestimmteren Umriß der Indianer schließen durfte, die Finsternis sich zu verdoppeln, und bald fragten in der Gruppe – der Gomez vergeblich das Vertrauen, das ihm seine Geisel einflößte, mitzuteilen suchte – mehrere einander, ob der entfernte Schatten, den man kaum noch bemerkte, von den Indianern oder von Nopalsträuchern herrührte. Bald wurde die Ungewißheit in dieser Beziehung so groß, daß einer der Abenteurer sich entschloß, das wirkliche Sachverhältnis zu untersuchen, und sich mit der Büchse auf der Schulter entfernte.

Was man bemerkte, waren wirklich nur Nopalbüsche und nicht Menschen und Pferde. Die Indianer hatten die wachsende Dunkelheit benützt, um sich langsam zu entfernen, ohne ihre Stellung zu verändern. Die Staubwirbel, die sie in der Luft erregten, hatten ebenfalls dazu gedient, ihre Bewegungen unsichtbar zu machen, und so hatten sie sich wieder mit ihren Gefährten vereinigt. Als der Kundschafter zu der Stelle kam, wo die Apachen gesessen hatten, fand er den Platz und die Steppe, soweit er sie überblicken konnte, öde und leer. Er lief hastig zum Lager zurück, um die Nachricht vom Verschwinden der Indianer zu überbringen. Dieses Ereignis war ein ärgerliches Zeichen.

Vom Gipfel des Hügels, den er immer noch einnahm, hatte Antilope nicht eine Bewegung seiner Stammesgenossen aus den Augen verloren. Gomez wurde von den Abenteurern genötigt, über diesen Gegenstand Auskunft zu verlangen, und ging – sehr ungern – auf ihn zu. »Warum hat der Häuptling nicht seinen Kriegern befohlen, bei den Weißen zu bleiben?« sagte er.

»Was will mein Bruder sagen?« erwiderte der Indianer, der tat, als ob er nicht verstünde. »Von welchen Kriegern will er reden?«

»Von denen, die eben noch dort unten wie Freunde lagerten und jetzt wie Feinde verschwunden sind.«

»Man kann in der Dunkelheit nicht weit blicken; die Weißen haben nicht genau hingesehen; sie müssen ihre Feuer anzünden, und die Flamme wird sie diejenigen sehen lassen, die sie suchen. Was liegt übrigens daran? Haben sie nicht in ihren Händen den Häuptling eines ganzen Stammes, der die Rückkehr seiner Gesandten erwartet? Unsere Krieger werden ihnen sagen wollen, sich zu beeilen.«

Diese Antwort des listigen Indianers weckte in Gomez eine plötzliche Erinnerung. Er bebte, und der Läufer bemerkte es; eben hatte er daran gedacht, daß am Abend vorher alles trockene Holz, womit das Lager erleuchtet werden mußte, verbrannt war und daß man während des unruhevollen Tages vergessen hatte, den Vorrat zu erneuern. Es war zu spät, es jetzt zu tun.

Dieser seinen verräterischen Absichten so günstige, die Weißen aber sehr beunruhigende Umstand war dem Läufer ebensowenig als den anderen entgangen, und er hatte seine Zweifel darüber aufklären wollen; jetzt zweifelte er nicht mehr.

Kalter Schweiß trat bei dem Gedanken an diese unverzeihliche Nachlässigkeit auf Gomez' Stirn. Sein einziger Trost war nur, daß die Flucht der Indianer keine Treulosigkeit verbergen konnte, da ihr Häuptling als Geisel zurückblieb. Er beschloß jedoch, ihn genau zu überwachen. »Ein Häuptling darf nicht mitten unter seinen Freunden allein bleiben, und ich werde darum sechs von unseren Leuten den Befehl geben, in seiner Nähe zu bleiben, wie es sich ziemt. Sie werden die Erzählung von seinen Kämpfen anhören.«

Gomez verließ die Antilope, ohne den verächtlichen Zug auf den Lippen des Indianers zu sehen, und gab sechs seiner Kameraden den Befehl, sich um den Läufer herumzusetzen und ihn zu erdolchen, sobald sich der geringste Anschein von Verrat kundgeben würde. Der Mexikaner fing an, sich an das Kommandieren zu gewöhnen. Einen Augenblick dachte er daran, die Unvorsichtigkeit, die eine so gefährliche Hilfe für die Indianer geworden war, wiedergutzumachen und eine Abteilung zur Einsammlung von Holz abzusenden; aber seine Truppe wäre dadurch zu sehr geschwächt, und er verwarf diesen Gedanken bald wieder.

Das Lager blieb also in die vollständigste Dunkelheit eingehüllt. Diese Dunkelheit aber war nicht nur eine Gefahr für die Abenteurer allein; vielleicht hatten sich diejenigen, deren Abwesenheit so fühlbar war, verirrt, und nun fehlte ihnen der Widerschein der Feuer, um durch sie ihren Rückweg wiederzufinden. Die Gedanken des Menschen sind immer von den Szenen abhängig, die ihn umgeben, und die Finsternis, die überall herrschte, die weißen Dünste, die langsam aus dem Schoß der Erde emporstiegen und die Sterne verhüllten, trugen dazu bei, die Gedanken aller Lagerbewohner zu verdüstern. Sie fingen an zu zweifeln, ob ihr Chef und seine drei Gefährten jemals wieder zu ihnen zurückkehren würden. In solchem Fall ist von der Furcht zur Gewißheit nur ein kleiner Schritt, und Don Estévan und seine Begleiter wurden bald als verloren betrachtet. Leise geführte Unterhaltungen wurden unterbrochen. Jeder behielt seine Unruhe für sich, und im Lager wie auf der unermeßlichen Ebene herrschte ein düsteres Schweigen.

Bald jedoch störten unbestimmte Laute diese feierliche Stille. Man glaubte aus der Ferne etwas wie ein schwaches Wiehern zu vernehmen. Gomez hatte sich mit der ihm so plötzlich zugefallenen Würde in Gedanken schon etwas vertraut gemacht und beeilte sich jetzt – angespornt durch die Nähe der Gefahr, die von allen schon vorhergefühlt wurde, ehe sie noch da war –, selbst mit dem indianischen Läufer zu sprechen, den er für einen wirklichen Häuptling hielt.

Antilope war mitten unter denen, denen Gomez seine Bewachung übertragen hatte, noch ebenso kaltblütig wie sonst.

»Die Ohren eines Weißen«, sagte der Mexikaner in seiner Anrede an den Apachen, »sind nicht so fein wie die eines Indianers. Könnte wohl der Häuptling sagen, ob dies das Wiehern der Pferde der Abgesandten ist, das sich dort unten in der Ebene hören läßt?«

Der Indianer horchte aufmerksam einige Sekunden lang. »Es sind die Abgesandten«, antwortete er; »sie wollen erfahren, ob der Häuptling mit der doppelläufigen Büchse und derjenige, der Pedro Diaz heißt, endlich heimgekehrt sind.«

»Die Indianer wissen vielleicht besser als die Weißen, daß diese beiden Häuptlinge niemals zurückkehren werden; wenn sie aber diesmal nicht mit demjenigen, den die Kameraden an seiner Stelle gewählt haben, mit mir über den Frieden verhandeln wollen, so nehmen wir an, daß sie den Krieg wollen.«

»Gut!« sagte der Indianer. »Der Schwarze Falke ist ein gefürchteter Häuptling, der niemand fragt, was er sagen oder tun soll.«

Während dieser kurzen Unterredung war der ferne Lärm immer größer geworden. Die Erde widerhallte dumpf vom Galopp von Pferden, die man in der Dunkelheit noch nicht sehen konnte. Ein unheimlicher Schauder lief durch das Lager; die Goldsucher jedoch verließen sich auf die Gegenwart der Antilope und dachten noch nicht daran, sich in Verteidigungszustand zu setzen.

Gomez wollte den Befehl dazu geben, als ihm der Indianer ein Zeichen gab, zu lauschen, und selbst zuerst den Kopf vorneigte. »Das sind die Abgesandten noch nicht!« sagte er. »Sieh!«

Eine Schar Pferde sprang durch die Ebene, nahe genug, um zu unterscheiden, daß keines einen Reiter trug. »Es sind wilde Pferde«, fuhr der Indianer fort, »und meine Krieger machen Jagd darauf. Wenn sie diese einholen, so werden unsere Freunde mit dem bleichen Gesicht ihren Anteil an der Beute bekommen. Der Schwarze Falke wird bald zurückkehren, die Beute zu verteilen.«

Zwei oder drei Indianer sprengten wirklich hinter den herrenlosen Pferden her, die erschreckt zu fliehen schienen.

»Die Bleichgesichter können ruhig sein!« rief Antilope, um den Verdacht seiner Feinde einzuschläfern. »Der Schwarze Falke kommt endlich, um mit seinen neuen Freunden zu unterhandeln. Seht, er sprengt furchtlos durch ihr Jagdrevier!«

Der Indianer richtete diese Worte an Leute, deren Mißtrauen durch dieses Schauspiel nicht im entferntesten erregt wurde. Die meisten Mexikaner sahen es vielmehr als ein Pfand der Sicherheit an. Sie glaubten, daß das Vertrauen, mit dem einzelne Indianer wilde Pferde bis unter die Verschanzungen der Weißen verfolgten, ein Zeichen sei, daß der Friede bald abgeschlossen sein würde. Keiner von ihnen bemerkte, daß der Läufer sacht die Bänder seines weiten Mantels löste und daß seine Hand unter dessen Falten eine scharfe Streitaxt, die an seinem Gürtel hing, losmachte; ihre Aufmerksamkeit war durch die neue Szene, die ihre Blicke auf sich zog, ganz in Anspruch genommen. Die Pferdeschar mußte in der Richtung, die sie verfolgte, an der Wagenreihe des Lagers entlanglaufen.

Unter den Indianern, die die springenden Tiere in der Ebene verfolgten, war der Schwarze Falke zu erkennen. Die Abenteurer sahen, wie er vor die Spitze des fliehenden Haufens sprengte, um ihm den Rückzug abzuschneiden. Wirklich hielten auch die Pferde ungestüm vor der Öffnung an, die man vor einigen Stunden in die Wagenreihe gemacht hatte, um die Parlamentäre einzulassen.

Plötzlich erhob sich unter den Mexikanern in dem Augenblick, wo das wahnsinnige Vertrauen auf die Gegenwart des Läufers unter ihnen und auf die friedliche Haltung der jagenden Indianer keine Grenzen mehr kannte, ein Schrei der Bestürzung und des Schreckens. Wie durch ein Wunder, das man nur im Traum sieht, richteten sich in einem Augenblick düstere schwarze Gestalten, Kindern der Finsternis ähnlich, vor den Augen der Mexikaner empor. Diese Pferde, die herrenlos zu sein schienen, waren plötzlich von Reitern mit wehenden Federn und flatternden Mänteln bestiegen, die ihre Waffen schwangen und ein wütendes Geheul ausstießen.

Ein unglücklicher Zufall vermehrte noch Lärm und Schrecken dieses Überfalls. Die Pferde nämlich, die ihr Instinkt schon seit einigen Augenblicken von der Gegenwart der Indianer in Kenntnis gesetzt hatte, erschraken bei dem plötzlich mitten im Schweigen ausbrechenden Geheul und gaben jenem tollen, panischen Schrecken nach, der sie zuweilen ergreift und den die Mexikaner eine Estampida nennen. In einem Augenblick waren die Riemen zerrissen, mittels derer sie an die Räder und Deichseln der Wagen gebunden waren: die Pfähle, an denen sich ihre Halfter befanden, wurden herausgerissen, und die erschrockenen Tiere fingen an. im Lager umherzuspringen, rissen ihre Herren, die nicht imstande waren, sie festzuhalten, nieder und traten sie unter die Füße. Einige fuhren blind gegen die Verschanzungen; andere sprangen über die Wagen hinweg oder stürzten durch die Öffnung des Lagers.

Ausrufe des Schmerzes und der Wut mischten sich in das Wiehern der Pferde und in das Geheul der Indianer: die Mutigsten wurden ratlos und bestürzt. Bald waren keine anderen Pferde mehr da als diejenigen, die sich in ihrem blinden Schrecken an den Wagen zerschmettert oder betäubt hatten; die anderen galoppierten schon durch die Ebene.

Dieser neue Unglücksfall jedoch, der die Mexikaner traf, wäre beinahe zu ihrem Glück eingetreten. Die Indianer, die sich rasch in den Sattel geworfen hatten, waren einen Augenblick im Zweifel, ob sie nicht diese lebendige Beute, die ihnen entfloh, verfolgen sollten. Einige stürzten auch schon den zerstreuten Tieren nach-, zum Unglück für die Weißen hielt die Stimme des Schwarzen Falken sie zurück.

Ein Wort wird jetzt das unerwartete Erscheinen der Wilden erklären. Die Apachen hatten gegen die Mexikaner eine List gebraucht, die nur so kühne Reiter wie sie ausführen können. Sie hängen sich nämlich mit einem Fuß an ihren Sattel, verbergen den Körper an der Seite ihres Pferdes und können so lange Strecken durchfliegen. Die Finsternis hatte die Ausführung dieser Kriegslist noch viel leichter gemacht, und die Abenteurer hatten scheinbar nur wilde Pferde gesehen, ohne die Reiter, die sie trugen, zu bemerken.

Wie eine Staubwolke, die der Wind in die Ferne treibt, stürzten sich die Reiter durch die frei gebliebene Öffnung. Der Boden erzitterte bald unter dem Galopp der größeren Abteilung Indianer, die herbeieilte, um sich dem ersten anzuschließen, als Gomez seinen Dolch auf den Indianer neben ihm zückte – aber Antilope kam ihm zuvor. Sein Mantel glitt von den Schultern, und mit einem Schlag der Streitaxt, die er ergriffen hatte, spaltete er den Schädel des unglücklichen Goldsuchers bis auf die Augen.

Im selben Augenblick ertönte auf der Schwelle des Zeltes Don Estévans ein so ohrenzerreißendes Kriegsgeschrei, daß man eher hätte sagen können, es sei von der Kehle eines Dämons als von einer menschlichen Brust ausgestoßen. Antilope – denn er war es, der das Signal zum Blutbad gegeben hatte – sprang, wie er es dem Schwarzen Falken versprochen hatte, vom Gipfel des Hügels herab und fiel wie ein Blitzstrahl mitten unter die Weißen. Ein hundertfaches Geheul antwortete zu gleicher Zeit dem Geheul des Läufers.

»Die Weißen sind nicht einmal Hunde!« rief der Indianer. »Sie sind mutlos wie die Hasen und dumm wie das Vieh.« Antilope hatte, nachdem er diese Beschimpfung ausgestoßen hatte, einen Anlauf genommen, und gewandt wie das Tier, dessen Namen er führte, setzte er mit einem Sprung über die Verschanzung und befand sich wieder unter seinen wilden Genossen.

Eine schreckliche Verwirrung herrschte mehr als je im Lager der Mexikaner. Man rannte ganz verdutzt in der Dunkelheit aufeinander; die einen zogen das Messer gegen die anderen, da sie sich gegenseitig für Feinde hielten; die Todesstunde hatte für alle geschlagen.

Vergeblich wurden die Indianer von einigen aufeinanderfolgenden Schüssen empfangen; die Hand, die die Muskete abschoß, war unsicher; das zielende Auge war verstört – niemand wurde getroffen. Die Apachen nahmen sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Die wilden Krieger sprangen mit der Lanze und dem Streitkolben in der Hand heran wie eine von jenen wütenden Sturzwellen, die brüllend über einem sinkenden Schiff zusammenschlagen. Sechzig Pferde wurden auf einmal gegen die Verschanzungen mit dem wilden Ungestüm getrieben, das solchen Reitern und Pferden eigentümlich ist; sie stürzten sich darauf, wie die Wogen des Ozeans sich schäumend auf ein umgeworfenes Schiff stürzen, mit dem wir das mexikanische Lager verglichen haben.

An der Spitze dieser schrecklichen Reiter mit roter Haut, die ein betäubendes Geheul ausstießen, war der Schwarze Falke an seinem hohen Wuchs und an der Unbeweglichkeit seines rechten Arms leicht erkenntlich. Der unerschrockene Häuptling hatte sich auf seinen Sattel binden lassen, um nur seine Krieger anführen und seine Augen an der Niedermetzelung weiden zu können. Wir sagen seine Augen, denn seine linke Hand mußte das Pferd lenken; er konnte nur die Kämpfenden von den Hufen seines Rosses zermalmen lassen.

In einigen Minuten hatten Streitaxt, Messer und Lanze in den Händen der Indianer eine schreckliche Arbeit vollbracht. Die Leichname bedeckten die Erde. Einige Mexikaner kämpften noch mit dem Mut der Verzweiflung; die meisten von ihnen versuchten zu fliehen; aber die einzigen Pferde, die noch im Lager geblieben waren, lagen, an der Seite ihrer Herren getötet, auf dem Sand. Dennoch war die Furcht stärker– die Weißen verließen ihren letzten Zufluchtsort, um sich zerstreut in die Ebene zu werfen.

Die Niederlage der Mexikaner war schon mehr als zur Hälfte vollendet, als diejenigen, die noch im Lager kämpften, einen Schimmer von Hoffnung faßten. Von den Nebelbergen her sprengten zwei Reiter in vollem Lauf. Einige Flüchtlinge vereinigten sich mit ihnen. Dieses unvorhergesehene Ereignis konnte die Lage der Dinge ändern; aber die Flüchtlinge wurden von den Indianern eng umstellt, und da sie alle zu Fuß waren, so konnten sie nicht lange gegen ihre Feinde zu Pferd standhalten.

Einer von den unverhofft angekommenen Reitern, den man in der Dunkelheit nicht zu erkennen vermochte, war mit einer Streitaxt bewaffnet, die er einem Apachen entrissen hatte. Er stand fast aufrecht in den Bügeln und schlug mit jedem Hieb einen Gegner nieder, kräftig unterstützt von seinem Begleiter, der ebenso wie er in der Dunkelheit unkenntlich war. Sie waren bald von einer Flut von gräßlichen Körpern umgeben, die auf allen Seiten ihre Bewegungen hemmten.

Nach einiger Zeit jedoch setzte ein Pferd mit seinem Reiter mit einem wundervollen Sprung über diese lebende Hecke, und beide verschwanden bald, hitzig verfolgt, nach derselben Seite hin, woher sie gekommen waren. Was den anderen Reiter anlangt, so bewies ein triumphierendes Geheul den im Lager umzingelten Abenteurern, daß er entweder tot oder gefangen war.

Dies war der letzte Akt in diesem beklagenswerten Drama. In jedem Augenblick fiel einer der zerstreuten Flüchtlinge oder einer der wenigen Streiter im Lager unter der indianischen Lanze, um sich nicht wieder zu erheben; bald verloren sich Verfolger und Verfolgte in der Finsternis, wo die Schüsse sich immer seltener hören ließen, je geringer die Zahl der Flüchtigen wurde – dann hörte man nichts mehr.

Einige Zeit darauf kamen die Indianer zu ihren siegreichen Kameraden zurück; alle hatten Skalpe in der Hand, von denen das Blut noch herabtropfte. Ebenso waren auch die im Umkreis des Lagers ermordeten Weißen verstümmelt. Von dieser ganzen zahlreichen Truppe waren nur der noch lebend skalpierte Gambusino und einige in der Dunkelheit dem schrecklichen Gemetzel entronnene Flüchtlinge übriggeblieben. Die anderen waren nur Leichname ohne Kopfhaut und lagen, hundertfach verstümmelt, mitten unter den Maultieren und den getöteten Pferden. Eine Stunde nach Beendigung dieses blutigen Kampfes beleuchtete der Schein der als ungeheurer Scheiterhaufen verbrannten Wagen weithin die mit Toten und Sterbenden bedeckte Ebene. Die Flamme zeigte auch einen weißen Gefangenen, der an den Stamm eines Eisenholzbaums gebunden war, und eine Gruppe Indianer, die einen wilden Tanz um den Gefangenen aufführten.

Der Schwarze Falke und die Antilope saßen wie vor einigen Stunden auf der Schwelle des Zeltes Don Estévans; sie glichen den Geistern der Zerstörung und des Gemetzels. Mit Lust schienen sich ihre Augen an dem düsteren Schauspiel des Todes, ihre Ohren an den Seufzern zu weiden, die der letzte Todeskampf einigen Verwundeten entriß; sie atmeten mit Lust den faden, ekelhaften Geruch des Blutes, dessen Dünste bis zu ihnen emporstiegen. Ein dunkler Himmel, hier und da rot vom Widerschein des Feuers, lag über diesem traurigen Anblick.

Die beiden Indianer hatten ihre ruhige Haltung wieder angenommen, als ob sie beide allem, was sich eben zugetragen hatte, ganz fremd gewesen wären. Beide schwiegen; Antilope sprach zuerst. »Was hört jetzt der Schwarze Falke?« fragte er seinen Gefährten.

»Zwei Stimmen«, antwortete der Häuptling: »Die des Fiebers, das das Mark seiner Gebeine verbrennt und ihm zuruft, sich den Händen des Arztes im Stamm anzuvertrauen. Er hört aber auch noch das Geräusch der drei fliehenden Krieger aus dem Norden und die Stimme eines Freundes, die zu dem verwundeten Häuptling sagt: ›Ein Freund wird es auf sich nehmen, dich zu rächen !‹«

»Es ist gut«, erwiderte Antilope einfach; »morgen will ich mit dreißig unserer besten Krieger auf ihrer Spur sein.«


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