Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

25 Die Brücke über den Waldstrom

Während Cuchillo mitten im Dickicht, in dem er zusammengekauert lag, auf den günstigen Augenblick lauerte, um seine Büchse auf den Feind, dessen Blut ihm der Señor aus Spanien bezahlte, abzudrücken, verfolgte dieser letztere unempfindlich und tätig – wie der Ehrgeizige ist, der den Wert der Zeit kennt, ohne sich mit dem Drama im voraus zu beschäftigen, das fast unter seinen Augen zu Ende gespielt werden sollte und dessen Entwicklung er als gewiß ansah – unabänderlich die Ausführung seiner Pläne.

Das Wenige, was Cuchillo ihm über Diaz gesagt hatte – sein zurückhaltendes Betragen bei der Zusammenkunft mit den beiden anderen abenteuernden Gefährten des Banditen –, war für Don Estévan, der den Menschen schnell zu beurteilen verstand, genug gewesen, um sich über ihn eine ziemlich günstige Meinung zu bilden. Einige Worte, die Diaz entfielen; Worte, die von einem ehrlichen Herzen – wenn auch mit einem etwas leichtfertigen Gewissen – Zeugnis ablegten, hatten diese gute Meinung im Innern des Spaniers bestätigt.

Arechiza oder – wenn man lieber will – der Herzog von Armada verheimlichte es sich nicht, daß die Abenteurer, die ihn im Verlauf seiner Expedition umgeben sollten, einem großen Teil nach von derselben Moralität wie Cuchillo und seine beiden Freunde sein würden. Für ihn war also ein beinahe rechtlicher Mann ein kostbarer Fund; was seinen entschlossenen Mut betraf, so ließ das weitverbreitete Gerücht davon ihn nicht bezweifeln. Don Estévan beschloß demnach, Diaz für seine Absichten zu gewinnen und ihn zu diesem Zweck an sich zu fesseln. Man darf nicht vergessen, daß der Spanier bei seinen politischen Plänen die Eroberung des Val d'Or nur als ein Mittel betrachtete, das höchste Ziel, das er vor Augen hatte, zu erreichen.

Während sie langsam der Straße folgten, die Cuchillo ihm vorgezeichnet hatte, hatte Don Estévan einen Versuch gemacht, die Gesinnungen seines Neuangeworbenen zu sondieren, dessen Entschlossenheit und Gewandtheit der Hacendero ihm schon gerühmt hatte. Aber diese zwei Eigenschaften genügten Don Estévan noch nicht, um aus Diaz einen Unterbefehlshaber und einen Vertrauten zugleich zu machen. Er lenkte die Unterhaltung auf eine ganz natürliche Weise auf die Gründe des Mißvergnügens über das Mutterland, wovon er die ersten Spuren während seines Aufenthalts im Staat Sonora bemerkt hatte. Bei den ersten Worten, die Pedro Diaz antwortete, sah Don Estévan, daß er der Mann sei, den er zu finden wünschte; aber der Augenblick war noch nicht da, sich ihm ganz zu eröffnen. Er hielt nur in seinem Geist den Gedanken fest, daß Diaz unter seinen Händen zugleich ein mächtiges Werkzeug und ein kostbarer Gehilfe sein würde, und begnügte sich damit, ihn halb und halb sehen zu lassen, daß die Expedition nach Tubac, wenn sie mit Erfolg gekrönt sei, leicht eine Trennung der Provinz Sonora vom souveränen Kongreß Mexikos herbeiführen könne.

Cuchillos Büchsenschuß unterbrach Don Estévan. Wenn die Habgier des Banditen ihm gestattet hätte seine beiden Gefährten Oroche und Baraja, die ihre Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatten, an der Belohnung, die er von Don Estévan erwartete, teilnehmen zu lassen, so würde Tiburcio gewiß von einer der drei zugleich auf ihn abgefeuerten Büchsen getroffen worden sein. Aber Cuchillo hatte allein die zwanzig ihm von Don Estévan versprochenen Unzen Gold gewinnen wollen, und die plötzliche Bewegung, die Tiburcio bei der Entdeckung Bois-Rosés gemacht hatte, war der Grund, daß er der einzelnen Kugel des Mörders entging.

Als Cuchillo seinen Schuß abgegeben hatte, nahm er sich nicht die Zeit, zu untersuchen, ob er getroffen hätte, sondern beeilte sich, wie er es zuvor gesagt hatte, sich zu seinen beiden Gefährten zurückzuziehen. Doch war sein Auge etwas von Furcht getrübt; denn hatte er auch den getroffen, nach dem er gezielt hatte so zweifelte er doch nicht, daß zwei Jäger dessen Tod rächen würden, deren Geschicklichkeit und Unerschrockenheit er erst am Tag vorher schätzen gelernt hatte. Cuchillo erkannte also auch beim ersten Anlauf den Ort nicht, wo er sein Pferd angebunden hatte. Obgleich seine Ungewißheit nur kurze Zeit dauerte, so wäre sie ihm doch verderblich geworden, wenn nicht Bois-Rosé und seine beiden Freunde durch diesen plötzlichen Angriff ebenfalls ein wenig außer Fassung gekommen wären. Der unvorhergesehene Schuß, der sich in dem Augenblick entlud, wo Tiburcio und der Kanadier noch unter dem Eindruck der lebhaftesten Aufregung waren, betäubte sie gleichsam.

»Caramba!« rief Pepe. »Ich wäre neugierig, zu wissen, wem diese Kugel zugesandt werden sollte – mir oder Euch, junger Mann; denn ich habe Eure Unterhaltung mit angehört, und ich, der ich dieser Geschichte von Elanchove nicht fremd bin ...«

»Von Elanchove?« sagte der Kanadier. » –Wie? Du solltest wissen ...?«

»Aber dies ist nicht der Augenblick, gefühlvoll zu sein«, antwortete Pepe rasch. »Wir wollen später darüber sprechen, denn es ist ein Geheimnis, das du ohne mich nicht entwirren könntest. Du bist es, der, wie es scheint, den jungen Grafen wiedergefunden hat; das ist für jetzt genug. Nun vorwärts, Bois-Rosé! Geh rechts, wo die Entladung herkam; dieser junge Mann und ich, wir wollen uns auf der anderen Seite in den Hinterhalt legen, denn der Schelm, der den Schuß getan hat, ist vielleicht jetzt gerade im Begriff, unser Nachtlager zu umgehen, und dann wird er in unseren Hinterhalt fallen.«

Nach diesen Worten warf sich Pepe, die Büchse in der Hand und von Tiburcio, der sein Messer gezogen hatte, gefolgt, nach der einen Seite, während der Kanadier seine hohe Gestalt mit außerordentlicher Geschwindigkeit krümmte und in der Richtung, die Pepe ihm angedeutet hatte, unter den dichtesten Zweigen mit ebensoviel Schnelligkeit als Geräuschlosigkeit hinschlüpfte. Das Nachtlager war also für den Augenblick der Bewachung des Pferdes überlassen, das der frühere Grenzjäger eingefangen hatte und das, erschreckt durch den Knall der Feuerwaffe, seine Anstrengungen verdoppelte, um – selbst mit Gefahr, sich zu erdrosseln – den Lasso, mit dem es angebunden war, zu zerreißen.

Indessen fielen die ersten Strahlen des Tages in die lichtvollen Öffnungen zwischen den einzelnen Bäumen; der Glanz des Feuers verschwand nach und nach vor dem der Sonne, der die Gegenstände allmählich deutlicher erkennen ließ. Die Natur erwachte in der ganzen Pracht der Wälder in den Tropengegenden. Der Huaco, der auf den weißblumigen Lianen saß, ließ die beiden Silben hören, die ihm den Namen gegeben haben und bei deren Klang die Schlangen sich zitternd verbergen; der Choyero schwebte an den Wipfeln der Bäume hin und her und belauerte die im Dickicht schlafenden Reptilien. Der Morgenwind trug von der Ebene her das ferne Wiehern der Pferde, das dumpfe Gebrüll der Stiere, die die aufgehende Sonne begrüßten, deren Strahlen bald in den Wald hineindrangen. Die Winden mit weißen und roten glockenförmigen Blüten, die Blätter von der verschiedenartigsten grünen Färbung funkelten unter dem Tau, mit dem die Nacht sie bedeckt hatte; die rauhen Baumstämme vergoldeten sich mit strahlendem Licht und zeigten hier und da in einem verborgenen Winkel ihrer Zweige leere Häute, die von Schlangen abgestreift worden waren. Die gleiche Sonne enthüllte auf einmal die Schrecken und die Pracht der wilden Natur.

»Hier wollen wir haltmachen«, sagte Pepe zu Tiburcio – den wir von nun an Fabian nennen werden –, als sie nach einem raschen Lauf ein ziemlich dichtes Gebüsch erreicht hatten, in dem sie sich verbergen konnten, ohne doch selbst den schmalen Fußpfad, der nach der Brücke über den Salto de Agua führte, aus den Augen zu verlieren; »ich bin sicher, daß der Schelm, der so schlecht zielt, sogleich hier durchkommen wird, und ich hoffe, ihm bemerklich zu machen, daß, seitdem ich den Dienst des Königs von Spanien verlassen und bei dem Kanadier in der Schule gewesen bin, ich einige Fortschritte in der Handhabung der Büchse gemacht habe.«

Fabian und Pepe machten hinter einem kleinen Sumachgebüsch halt. Der junge Graf, dessen Geist noch von den Aufschlüssen, die er vernommen hatte, in Aufregung war, wurde nicht böse über die augenblickliche Ruhe; er hoffte nämlich, der gewesene Grenzjäger werde sie benützen, um seine verwirrt gegebenen Aufschlüsse zu vervollständigen, da er ja doch behauptete, einem Ereignis nicht fremd geblieben zu sein, von dem Fabian bis jetzt nur einen dunklen Begriff hatte.

Aber der spanische Jäger schwieg. Der Anblick desjenigen, der durch sein Zutun verwaist und seiner Güter und seines Namens beraubt worden war, weckte Gewissensbisse auf, die zwanzig Jahre nicht hatten töten können. Pepe betrachtete beim Licht des anbrechenden Tages schweigend das Kind, das er einst an den sandigen Küsten Elanchoves hatte spielen sehen. Der Stolz, der rücksichtslose Blick seiner Mutter lebte in den Augen des Sohnes; seine Haltung, sein ausdrucksvolles, männliches Gesicht erinnerten an seinen Vater Don Juan de Mediana; aber eine rauhe, an Anstrengungen reiche Jugendzeit hatte einen Mann aus Fabian gemacht, der körperlich viel kräftiger war als derjenige, von dem er das Leben empfangen hatte.

Pepe entschloß sich endlich, das Schweigen, das bittere Erinnerungen ihn bewahren ließen, zu brechen. »Blickt immer so wie ich scharf auf den Fußpfad, der sich unter diesen Bäumen verliert«, sagte er, »und wendet den Kopf nicht ab. Bois-Rosé und ich, wir sprechen immer so miteinander in gefährlichen Augenblicken; hört aufmerksam auf meine Worte!«

»Ich höre«, antwortete Fabian, indem er den Anordnungen Pepes Folge leistete.

»Habt Ihr aus Eurer Kindheit nicht noch genauere Erinnerungen als diejenigen, die Ihr dem Kanadier mitgeteilt habt?« begann der alte Grenzjäger.

»Ich habe vergeblich mein Gedächtnis befragt, seit ich wußte, daß Marcos Arellanos nicht mein Vater war; und obgleich dies schon lange her ist, so erinnerte ich mich doch nicht einmal dessen, der meine erste Kindheit gepflegt hat.«

»Und der weiß nicht mehr als Ihr«, fuhr Pepe fort. »Ich kann Euch sagen, was Ihr nicht wißt.«

»So sprecht doch, um Gottes willen!« rief Fabian. »Still! Nicht so laut! Diese Wälder, so einsam sie auch sind, umschließen doch ohne Zweifel die Feinde Eures Geschlechts; es sei denn, daß man es auf mich allein abgesehen hat. Da ich übrigens Euch nicht sogleich erkannt habe, so ist es möglich, daß er Euch ebensowenig erkannt hat.«

»Wer? Von wem sprecht Ihr?« fragte Fabian lebhaft. »Vom Mörder Eurer Mutter; von dem, der Euch Eure Titel, Eure Würden, Eure Reichtümer und Euren Namen gestohlen hat.«

»Ich bin also edel geboren und reich?« fragte Fabian, dessen erster Gedanke sich auf Doña Rosarita richtete, gleichsam, um ihr mit einem Adel und einem Reichtum, die er nur deshalb schätzte, weil er sie ihr anbieten konnte, seine Huldigung darzubringen. »Ach, warum habe ich es nicht früher gewußt – nur gestern schon!« Fabian dachte erst nachher an seine Mutter.

»Edel geboren? Ihr seid es noch!« erwiderte Pepe, indem er den Lauf seiner Büchse mit seiner Hand umschloß und sie rasch an die Schulter brachte, denn er glaubte die Goldtresse eines Hutes unter den Bäumen am Weg funkeln zu sehen. Es war aber nur ein Sonnenstrahl, und der Jäger legte seine Waffe wieder aufs Knie. »Man hat Euch das Blut nicht nehmen können, das in Euren Adern fließt; aber reich seid Ihr nicht mehr!«

»Was liegt mir daran!« antwortete Fabian traurig. »Heute wäre es zu spät.«

»Oh, es liegt viel daran. Ich kenne zwei Männer, die das, was Ihr verloren habt, Euch wieder verschaffen oder bei dem Versuch ihr Leben verlieren werden.«

»Und meine Mutter?« fuhr Fabian fort.

»Ach, die Erinnerung an Eure Mutter und an Euch, Don Fabian, hat sehr oft einen Mann im Schlaf beunruhigt, von dem ich zu Euch rede. Sehr oft hat er mitten in der Stille der Nächte, mitten in den Wäldern den Angstschrei wiederzuerkennen geglaubt, den er eines Abends hörte und den er für das Murmeln der Brise an den Felsen abhängen hielt ... Es war der Todesschrei Eurer unglücklichen Mutter!«

»Welchen Mann meint Ihr denn?« fragte Fabian.

»Einen Mann, der – freilich, ohne es zu wissen – dem Mörder Eurer Mutter behilflich gewesen ist. Ach, Don Fabian«, fuhr der Jäger lebhaft fort, gleichsam, um eine Gebärde des Abscheus von seiten des jungen Grafen von Mediana zu beantworten, »flucht ihm nicht; sein Gewissen hat mehr gesagt, als Ihr ihm würdet sagen können; und heute ist er bereit, jeden Blutstropfen für Euch zu vergießen.«

Die stürmischen Leidenschaften, die sich erst vor einigen Stunden im Herzen Fabians beruhigt hatten, erwachten wiederum wie jene hoch aufflammenden Gluten, die zuweilen eine scheinbar schon erloschene Brandstätte emporsteigen läßt. Er hatte schon den Tod Arellanos' zu rächen, seinen Mörder zu verfolgen, ihn vor allen Dingen kennenzulernen, und jetzt erfuhr er plötzlich, daß auch das Blut seiner Mutter – derjenigen, die ihn unter ihrem Herzen getragen hatte – noch um Rache schrie. Das süße Antlitz Rosaritas verschwand inmitten der blutigen Bilder, die sein heißes Blut vor ihm erstehen ließ, wie vor den roten Streiflichtern eines Brandes in der Nacht die rosigen Farben der Morgenröte, die das Auge mit Vergnügen am fernen Horizont im Frühnebel sich abzeichnen sah, erbleichen und sich verwischen.

»Und der Mörder meiner Mutter – kennt Ihr ihn?« fragte Fabian mit funkelndem Auge.

»Ihr kennt ihn auch; Ihr habt mit ihm am selben Tisch beim Hacendero gegessen, dessen Haus Ihr eben verlassen habt.« –

Doch wir wollen Pepe Fabian die traurige Geschichte erzählen lassen, die der Leser schon kennt, und wenden uns wieder zu dem kanadischen Jäger.

Bois-Rosé war ganz mit der Gefahr beschäftigt, die das Kind laufen konnte, das ein zweites Wunder ihm wiedergegeben hatte, und er lief darum rasch vorwärts; aber vergeblich senkte sich sein Auge in die verriegelten Öffnungen dieses unentwirrbaren Labyrinths von dicht nebeneinanderstehenden Stämmen, verwirrten Lianen und buschigen Zweigen – kein Feind ließ sich erblicken. Vergebens lauschte er angestrengt, um jedes Geräusch zu vernehmen, das sich in den Wäldern nur hören läßt; außer dem, von dem wir schon gesprochen haben, ließ sich nichts weiter hören als das Knacken der Zweige, die er auf seinem Marsch niedergetreten hatte und die sich hinter ihm wieder aufrichteten. Er ging noch einige Minuten lang weiter, dann warf er sich auf die Erde, drückte sein Ohr auf den Boden und schloß die Augen, um besser alle Kraft seiner Sinne zusammennehmen zu können. Nach einigen Sekunden hörte er ein dumpfes Geräusch, wie wenn ein Pferd nach der entgegengesetzten Richtung hingaloppierte.

»Pepe hat sich nicht getäuscht«, murmelte er aufstehend und eilte, ohne sich noch zu besinnen, auf demselben Weg zurück. »Der Taugenichts hat den Vorteil, ein Pferd zu haben, vor mir voraus und reitet um unser Lager herum; aber ich habe vor ihm den Vorteil, eine gute amerikanische Büchse zu besitzen, und Pepe hat eine ähnliche zur Verfügung.«

Die Bäume flogen bei der Schnelligkeit seines Laufes rechts und links an ihm vorüber; da er einer vollkommen geraden Linie folgte und sein Feind nach der richtigen Voraussetzung seines Kameraden einen Halbkreis beschrieb, so bemerkte er einen Augenblick – freilich in einer ungeheuren Entfernung – die gelbliche Farbe einer ledernen Weste, die sich in einer Öffnung des Gebüsches gerade in der Höhe eines Mannes zu Pferd zeigte. Dieses fast unsichtbare Ziel war genug, und plötzlich stillstehend schoß er seine Büchse ab. Die lederne Weste verschwand; aber da für Männer seiner Art zielen treffen ist, so zweifelte der Kanadier keinen Augenblick, daß sein Feind tot oder wenigstens verwundet auf der Erde liege.

Der weißliche Rauch des Schusses wirbelte noch in gleicher Höhe mit den niedrigsten Blättern der Bäume, als Bois-Rosé sich schon weit von dem Ort entfernt hatte, wo er stehengeblieben war, um zu zielen. Er dachte wohl einen Augenblick daran, seine Büchse wieder zu laden, aber bei dem heißen Rachedurst, der ihn vorwärts trieb, fürchtete er, hierdurch nur Zeit zu verlieren, und im Fall, daß der Mörder gegen alle Wahrscheinlichkeit nicht allein sei, verließ er sich auf seine Leibesstärke, um das Verhältnis auszugleichen.

Diesmal vernachlässigte er jegliche Vorsicht, da seine Büchse seine Gegenwart bezeugt hatte. Wie ein Jäger über Hecken und Gräben springt, um sich des Wildes zu bemächtigen, welches sein Gewehr zu Boden gestreckt hat, zu zerknickte Bois-Rosé in seinem Laufe junge Bäume, die einen gewöhnlichen Mann aufgehalten haben würden, wie Kraut. Die Gesträuche, die jungen Baumschößlinge, die Lianen, welche er unter die Füße getreten und durch die Wucht seines Körpers zerrissen hatte, krachten auf allen Seiten.

Indessen glaubte er zu hören, daß ein Thier ebenso wie er durch das Dickicht brach. Wirklich sah er auch ein scheu gewordenes Pferd, das zu beiden Seiten ausschlug und ohne Reiter war, während die Baumzweige, von denen es getroffen wurde, die Steigbügel, welche an die Flanken schlugen, seinen Schrecken verdoppelten. Nun hatte seine Kugel offenbar den Reiter aus dem Sattel geworfen. Plötzlich ließ sich ein ganz besonderes Pfeifen vernehmen, das Pferd hielt kurz an, die Nüstern im Wind, die Ohren gespitzt, und lief nach der Stelle hin, woher der Ton kam.

Noch einige Sätze und Bois-Rosé gelangte an den Ort, wo er den herabgestürzten Reiter zu finden hoffte; er wollte ihn mitleidlos tödten, um Tiburcio vor ähnlichen Angriffen sicher zu stellen. Schon hörte er das keuchende Athemholen eines Verwundeten; bald sah er durch die Blätter das Pferd sich auf die Erde niederbeugen, sich wieder aufrichten und abermals fortspringen; diesmal aber saß der Reiter mit der ledernen Weste wieder im Sattel und in einem Augenblick verschwanden Mann und Pferd in den Tiefen des Waldes.

In seiner Hoffnung auf Rache betrogen stieß Bois-Rosé gegen den Feigling der entfloh, energische Verwünschungen aus, lud hastig seine Büchse wieder und schoß aufs Gerathewohl los, aber es war zu spät, seine Beute entschlüpfte ihm. Nun ahmte er dreimal das Geheul des Schakals nach, um Pepe zu benachrichtigen, daß etwas Außerordentliches vorginge und richtete seine Schritte seufzend nach der Stelle, wo er das Pferd sich hatte niederbücken und wieder aufrichten sehen. Das Gras war hier durch den Fall eines schweren Körpers zerknickt; hier mußte der Reiter heruntergestürzt sein, wie es auch ein Sumachzweig bewies, der gleiche Höhe mit einem Manne zu Pferde hatte; die Blätter waren zerquetscht oder abgerissen, als ob eine wankende Hand den Versuch gemacht hätte, sich daran festzuhalten. Doch befleckte keine Spur von Blut das Gras oder die untern Blätter, nur eine Büchse war auf der eiligen Flucht zurückgelassen worden. Bois-Rosé nahm sie auf.

Mein armer Fabian, sagte er bei sich, wird dadurch wenigstens eine ziemlich gute Waffe gewonnen haben, denn ein Messer allein ist in den Wäldern von keiner großen Bedeutung.

Ein wenig durch diesen Fund über den geringen Erfolg seiner Expedition getröstet machte sich Bois-Rosé auf den Weg nach dem Lager. Dort angekommen hörte er abermals den Knall einer Feuerwaffe im Walde wiederhallen.

Das ist Pepe's Büchse, ich kenne sie. Sollte er glücklicher gewesen sein, als ich?

Eine neue Entladung folgte. Diesmal hallte sie schmerzlich im Herzen des Canadiers zurück; dieser Ton war seinem Ohr fremd. Als ein Raub einer schrecklichen Ungewißheit über das Resultat dieses Schusses für das Kind, welches er wiedergefunden hatte, setzte er seinen eiligen Lauf nach dem Lager fort.

Während Bois-Rosé mit Riesenschritten dem Orte zusteuerte, wo er Fabian und Pepe zu treffen hoffte, tönte ein neuer Schuß in seinen Ohren wieder und vermehrte noch die drückende Angst, welche er empfand.

Auch diesmal war es nicht der wohlbekannte Ton der Büchse Pepes.

Bald indeß erscholl die Stimme des Letzteren in der tiefen Stille, die diesen kurz nach einander fallenden Schüssen folgte. Aber es lag in dem Klange dieser Stimme inmitten der Ruhe des Waldes etwas Beunruhigendes, das die folternde Angst des Canadiers noch vermehrte.

»Um Gotteswillen, so kommt doch zurück! Don Fabian«, rief der Grenzjäger. »Was nützt es denn, wenn man ...«

Ein dritter Knall schnitt ihm das Wort vom Munde, und als das entfernteste Echo das letzte Grollen wiederholt hatte, lauschte der alte Jäger vergeblich. Es hatte den Anschein, als ob derselbe Schuß eben die Stimme desjenigen, der gesprochen, so wie auch die des jungen Mannes, an den sie gerichtet war, zum Schweigen gebracht hätte. Die tiefe nur auf einen Augenblick gestörte Ruhe war wieder hergestellt, eben so majestätisch, feierlich und schrecklich wie vorher. Nur der Spottvogel warf plötzlich mitten in dieses Schweigen menschlicher Worte in ironischer, unvollkommener Nachahmung, als ob er die letzten dem Munde eines Sterbenden entschlüpften Töne hätte wiederholen wollen, bald darauf ließ er einen sanften klagenden Gesang, einer Todeshymne gleich, vernehmen. Der Canadier lief noch einen Augenblick keuchend weiter, dann rief er, auf die Gefahr hin, die Aufmerksamkeit irgend eines verborgenen Feindes auf sich zu lenken, mit einer Stimme, die das Echo des Waldes schmetternd weckte: »Heda! Pepe, wo bist Du? Seid Ihr...«

»Hier! Gerade vor Dir«, antwortete Pepe's Stimme; »Don Fabian und ich, wir sind beide hier.«

Ein freudiger Ausruf entfuhr seinem Munde, als er Tiburcio und Pepe, die auf ihn zu warten schienen, wieder erblickte.

»Der Hund muß verwundet sein«, rief er zu ihnen hinlaufend, »den er hat vergeblich versucht, sich an einem Zweige festzuhalten und im Grase war die Spur seines Körpers abgedrückt; bist Du glücklicher gewesen als ich, denn Deine Büchse hat doch auch ein Wörtchen mit ihm gesprochen?«

Pepe schüttelte verneinend mit dem Kopfe.

»Wenn Du von einem Manne mit einer Lederweste sprichst, so muß der Teufel ihn beschützen, denn ich habe ebenfalls auf ihn geschossen, ohne ihn zu treffen. Es waren aber noch vier andere Reiter bei ihm, und in dem einen habe ich den erkannt, der sich hier Don Estévan nennen läßt und der niemand anderer ist als ...«

»Ich habe lediglich den Mann mit der Lederweste gesehen«, unterbrach ihn Bois-Rosé, »und habe die Büchse bei mir, die er bei seinem Sturz hat fallen lassen. Aber bist du nicht verwundet?« wandte er sich lebhaft an Fabian.

»Nein, nein, mein Freund – mein Vater!« erwiderte Fabian und warf sich in die ausgebreiteten Arme des Kanadiers, der ihn mit nassen Augen an sein Herz drückte und ausrief, als ob er ihn zum erstenmal sähe: »Ach, wie groß er ist! Wie schön ist jetzt der kleine Fabian!«

Dann aber fielen ihm seine Blässe und seine feierliche Haltung auf, und er befragte sorgenvoll das Kind, das er eben wiedergefunden hatte.

»Pepe hat mir alles gesagt!« antwortete Fabian. »Ich weiß, daß sich unter jenen Männern der Mörder meiner Mutter befindet!«

»Ja«, sagte Pepe, »der Mann mit der Thunfischerei! Aber – bei der Heiligen Jungfrau von Atocha! – wollen wir ihn etwa entschlüpfen lassen?«

»Das wolle Gott nicht!« rief Fabian.

Schnell berieten sich die drei Freunde und faßten den Entschluß, so schnell wie möglich die hölzerne Brücke zu erreichen, die wir schon erwähnt haben, da dies der einzige Weg war, der nach Tubac führte.


 << zurück weiter >>