Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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65 Eine Jagd auf Leben und Tod

Bois-Rosé war entschlossen, diese unverhoffte Gunst der Vorsehung zu nützen, und stürzte dem früheren Grenzjäger nach, von Gayferos gefolgt, der ebenso wie sie begriff, daß ihr Leben vom glücklichen Erfolg dieser Jagd auf Leben und Tod abhing.

Diese Jagd gehörte in der Tat nicht mehr zu denen, bei denen die Eigenliebe allein im Spiel ist; das Leben, das eben entfliehen wollte, mußte man dem Hungertod und seinem Gefolge von Qualen entreißen; man mußte jagen, wie es die reißenden Tiere tun, die Eingeweide vom Hunger zerrissen, mit blutigen Augen und keuchenden Weichen. Aber mitten in der Steppe war es, wo drei Männer ohne andere Waffen als ihre Messer ein Tier verfolgen sollten, das schnell genug war, ihrer Anstrengung zu spotten, und zu furchtbar, als daß man sich ihm ungestraft hätte nähern können.

Beim Anblick der auf ihn zulaufenden Feinde stand der Büffel einen Augenblick still, scharrte zurückweichend mit dem Fuß die Erde auf, peitschte unter dumpfem Brüllen seine Weichen mit dem Schwanz, fegte den Boden mit den Wellen seiner langen Mähne und wartete hinter dem Wall seiner drohenden Hörner wie hinter einer Verschanzung.

»Faß das Tier im Rücken, Pepe!« rief der Kanadier mit einer fast ebenso furchtbaren Stimme als die des brüllenden Büffels. »Gayferos, nehmt die rechte Seite; wir müssen ihn zwischen uns einschließen!«

Pepe war von den drei Jägern am weitesten voraus, und er führte den Befehl des Kanadiers mit einer Schnelligkeit aus, die man seinen müden Beinen nicht zugetraut hätte; Gayferos lief ebenfalls schnell nach der rechten und Bois-Rosé stürzte nach der linken Seite. Alle drei hatten bald die Winkel eines Dreiecks um den verwundeten Büffel gebildet.

»Jetzt zusammen vorwärts! Hurra! Hurra!« rief der Spanier, stürzte mit dem Messer in der Hand auf den Büffel los und trank mit den Augen schon das Blut, das von dem Tier wie ein purpurner Regen ringsum niedertropfte.

»Im Namen Gottes, nicht so schnell!« sagte der Kanadier, erschreckt vom heißhungrigen Eifer des früheren Grenzjägers, der jeder Gefahr Trotz bot. »Laß uns doch mit dir zugleich herankommen!«

Aber Pepe hörte nicht auf ihn; seine Augen glühten, seine Zähne waren fest zusammengebissen. Wo Bois-Rosé die Gefahr sah, erblickte Pepe nur eine zu verzehrende Beute, und er berührte fast den Büffel, als dieser aus Furcht vor den Feinden, deren Kreis sich um ihn schloß, die Flucht ergriff und in dem Augenblick fortlief, wo der Arm des Spaniers sich hob, um ihn zu treffen. Dieser letztere, von der Gewalt des Stoßes fortgerissen, traf nur die Luft, verlor das Gleichgewicht und fiel. Als er, ein wütendes Geheul ausstoßend, wieder aufstand, war der Büffel schon weit entfernt, und der Kanadier und Gayferos waren ihm voraus.

»Schneide ihm den Weg zum Fluß ab, Bois-Rosé!« rief der Spanier, als er sah, daß der Büffel einen letzten Zufluchtsort im Wasser suchen zu wollen schien. »Fabians wegen – um unser aller Leben willen dürfen wir ihn nicht entfliehen lassen!«

Bois-Rosé hatte Pepes Ruf nicht abgewartet, er hatte schon die Richtung des fliehenden Büffels bemerkt. In der Verzweiflung, die einzige Hoffnung ihres Lebens entschlüpfen zu sehen, lief der Kanadier in weiten Sätzen wie ein Jagdhund zum Ufer des Flusses, und als er sich mit dem Büffel fast in einer geraden Linie befand, verließ er diese plötzlich und stürzte sich mit lautem Geschrei auf ihn los. Das Tier schlug eine entgegengesetzte Richtung ein, und da es sich hier dem Gambusino gegenüber befand, der ihm den Weg abschnitt, so lief es wieder auf Pepe zu.

Der Kanadier und Gayferos waren geschickte Jäger, und der Hunger verdoppelte noch ihren scharfen Blick; sie setzten also ihre Verfolgung fort und verdoppelten ihr Geschrei, während Pepe im Gegenteil unbeweglich und schweigend sich auf die Erde duckte und auf sein Vorüberkommen lauerte.

Es wurde bald klar, daß der Büffel sich durch eine breite Wunde zwischen beiden Schultern und durch den Blutverlust ermattet fühlte. Seine Bewegungen hatten die nervige Spannkraft verloren, Wellen blutigen Schaums drangen aus seinen weiten schwarzen Nüstern, und sein rauhes, stoßweises Gebrüll verriet seine Erschöpfung. Eine Wolke schien vor seinen Augen zu schweben, denn in seinem Lauf mußte er den Körper des lauernden Spaniers fast berühren – und doch verließ er die gerade Linie nicht.

Der frühere Grenzjäger ergriff mit einer Hand ein Horn des Büffels, der sich nicht umwandte, und mit der anderen stieß er ihm zweimal den Dolch bis an das Heft in die Brust, statt in die Schulter. Das Tier erhob sich aber bald wieder und riß den Spanier mit sich fort. Der ehemalige Grenzjäger hatte sich durch eins jener kühnen Manöver, die die Toreadores seines Vaterlands zuweilen in Anwendung bringen, auf dem Rücken des Tieres an die große, wallende Mähne angeklammert.

Bois-Rosé und Gayferos liefen hinzu und konnten einen Augenblick sehen, wie der Reiter, vom Hunger verzehrt, sich wie eine Schlange um seine Beute wand, abwechselnd den Arm zum Stoß hob und dann jedesmal den Kopf bückte, um mit gierigen Lippen das Blut zu saugen, das jeder Stoß hervorspritzen ließ. Der Hunger hatte den Menschen zum wilden Tier gemacht. Von nun an war es dem Grenzjäger gleichgültig, welche Richtung der im Todeskampf dahinstürmende Büffel einschlagen mochte; er trank wieder und immer wieder von dem warmen Blut, das ihm das Leben wiedergab, heulte, stieß mit dem Dolch und ließ sich davontragen.

»Tod und Donner!« rief der Kanadier keuchend aus, der nun auch den Qualen des Hungers, den er so lange durch seinen unerschütterlichen Willen unterdrückt hatte, nachgab. »Mach doch ein Ende mit ihm, Pepe! Willst du ihn vielleicht in den Fluß entkommen lassen?«

Der Spanier brüllte und stieß immer wieder zu, ohne zu sehen, daß der Büffel zum Fluß stürzte, um den an seinen Weichen angeklammerten Feind abzustreifen. In dem Augenblick, wo Bois-Rosé einen zweiten Schrei der Wut ausstieß, nahm das verwundete Tier seine Kräfte zusammen und setzte mit gewaltigem Sprung wie ein verendender Hirsch ins Wasser.

Der Mensch und der Büffel verschwanden mitten in einer Welle von Schaum und überschlugen sich einen Augenblick; aber das Leben hatte den Riesen der Prärien verlassen, der bald zusammenbrach und unbeweglich wie ein im Strom eines Flusses gestrandeter Felsblock liegenblieb.

In dem Augenblick, wo Pepe wieder festen Fuß faßte, stürzten der Kanadier und Gayferos, blutdürstig wie der Spanier, ebenfalls in den Fluß.

»Ungeschickter Schlächter!« rief der Kanadier aus und wandte sich an Pepe. »Sah man wohl jemals ein edles Tier so hinschlachten?«

»La, la!« antwortete Pepe. »Ohne mich wäre euch dieses edle Tier entkommen; und da liegt es dank meiner Ungeschicklichkeit!« Mit diesen Worten hatte der Spanier seine gute Laune ganz wiedererlangt und sprang mit wilder Freude um den im Strom gestrandeten Büffel herum.

Die Anstrengungen der drei Jäger waren kaum imstande, die ungeheure Leiche ans Ufer zu ziehen, wo sie keine Zeit verloren, ihn zu zerlegen, aber ihr Werk noch oft unterbrachen, um sich den Ausbrüchen einer trunkenen Freude zu überlassen, die sie fast überwältigte.

»Lebensmittel für einen ganzen Feldzug!« wiederholte Pepe zum zehntenmal. »Ein Riesenmahl und dann die Ruhe unter diesen schönen Bäumen«, endete er und zeigte auf die schattige, gegenüberliegende Insel. »Ein rasches Mahl, wie es der Soldat im Feld zu sich nimmt, eine Stunde Schlaf und dann weiter auf der Spur der Indianer!« antwortete ernst der Kanadier. »Ich vergaß dies, Bois-Rosé; wir hatten soviel vom Hunger ausgestanden!«

In der Erinnerung an das Gefühl ihrer Pflicht und ihrer Liebe setzten die drei Jäger schweigsam ihr Werk fort, als klagendes Geheul sie unterbrach. »Halt!« sagte Pepe und zeigte auf zwei Wölfe am entgegengesetzten Ufer der Insel, denen der Hunger dieses Geheul entriß und von denen sie mit gierigen Augen betrachtet wurden. »Da sind zwei arme Teufel, die auch ihren Anteil vom Büffel verlangen, und – wahrhaftig – sie sollen ihn haben!«

Bei diesen Worten ergriff der Grenzjäger einen Vorderfuß des Büffels, schwang ihn um den Kopf und warf ihn mit kräftigem Arm über den Fluß. Die Beute der Wölfe fiel einige Schritt vor ihnen nieder, und die beiden hungrigen Tiere stürzten sich ins Wasser, um sie herauszuholen.

»Das hier wird später für sie und ihre Gefährten sein«, sagte Bois-Rosé, als die edelsten Teile des Tieres – das heißt der Höcker, der das saftigste Stück Fleisch und mit Recht wegen seines ausgezeichneten Geschmacks gesucht ist, und das in lange, schmale Streifen geschnittene Rückenstück – beiseite gelegt waren. »Nun wollen wir uns mit der Mahlzeit beschäftigen.« »Ich denke nicht«, sagte Pepe, »daß dieser Büffel sich selbst verwundet hat, um das Vergnügen zu haben, sich von uns töten und verzehren zu lassen; er ist offenbar der Verfolgung irgendeines jagenden Indianers entronnen. Es würde also sehr vernünftig von uns sein, wenn wir uns darauf gefaßt machten, bald den Besuch eines oder mehrerer von diesen unversöhnlichen Räubern zu erhalten, die sich eine Pflicht daraus machen würden, uns wie diesen Büffel zu behandeln ... Jene beiden Wölfe dort unten in der kleinen Lichtung auf der Insel scharren den Boden auf«, fügte Pepe, seine vernünftige Gedankenreise unterbrechend, hinzu, »und sie sind so eifrig damit beschäftigt, daß ich es mir nach dem Anteil, den ich ihnen zugeworfen habe, nicht erklären kann.«

Die Warnung, die der Grenzjäger seinen beiden Gefährten eben gegeben hatte, hatte diese wieder zum Bewußtsein ihrer kritischen Lage gebracht, die sie nur durch ihr unverhofftes Glück einige Augenblicke lang hatten vergessen können. Eine krumme Linie von gelblicher Farbe zog sich durch den dunkelblauen Fluß und zeigte den Jägern die Stelle, wo man ihn durchwaten konnte. Sie entschlossen sich also, der größeren Sicherheit halber eine gedeckte Stellung auf der Insel zu nehmen, dort Feuer anzuzünden und ihr Mahl im dichten Schatten der Bäume zu bereiten. Als die kleine Schar die Furt des Red River durchwatete, flohen die beiden Wölfe bei der Annäherung der Menschen, und einer von ihnen packte das Stück, das ihnen der Jäger zugeworfen hatte. Als die drei Jäger festen Fuß auf der Insel gefaßt hatten, fanden sie beinahe mitten in der kleinen Lichtung ein Loch, das die Krallen der Wölfe einige Zoll tief aufgescharrt hatten.

»Ohne Zweifel liegt irgendein Leichnam hier verborgen«, sagte Pepe, der gewöhnlich an einem einmal gewonnenen Eindruck zäh festhielt; »und doch scheint dieser Rasen nicht anzudeuten, daß er frisch aufgewühlt sei.«

Nichtsdestoweniger fiel dem Spanier während seiner Untersuchung der Umstand auf, daß es an dem Ort, wo die Krallen der Wölfe den Rasen abgerissen hatten, eine Stelle gab, wo dieser Rasen so sauber wie mit einem Gartenmesser durchschnitten zu sein schien. Die Stimme Bois-Rosés, die ihn zu dem Ort rief, den er zum Haltepunkt ausersehen hatte, um hier hilfreiche Hand zu leisten, rief Pepe von seinen Nachforschungen ab, aber nicht, ohne daß er sich vorgenommen hätte, wiederzukommen und sie fortzusetzen, sobald sein verzehrender Hunger gestillt wäre.

Obgleich das Ungewitter in der verhängnisvollen Nacht, wo Fabian ihnen entrissen war, das Pulver der beiden Jäger verdorben hatte, so war es doch noch trocken genug, um leicht ein Feuer damit anzünden zu können, an dem sie ihre Lebensmittel zubereiten wollten. Trockenes Holz war im Überfluß auf der Insel, und bald warteten die drei hungrigen Jäger auf den Augenblick, der ihren bis zum äußersten Punkt gebrachten Hunger befriedigen sollte, und atmeten unterdessen den köstlichen Duft, den der auf den Kohlen bratende Büffelhöcker verbreitete.

Zwanzigmal mußte der Kanadier, der sich mehr beherrschen konnte als seine beiden Gefährten, sein Ansehen geltend machen, um sie davon abzuhalten, das noch blutige Büffelfleisch zu verschlingen; endlich kam der Augenblick, wo sie ihrer verzehrenden Ungeduld die Zügel schießen lassen konnten. »Sachte doch! Sachte!« rief Bois-Rosé, als Gayferos und Pepe einen wütenden Angriff auf den Büffelhöcker begannen. »Wenn das so fortgeht, so werdet ihr euch zuerst würgen und dann ersticken; dieser Braten ohne Salz ist unverdaulich wie Kieselsteine.« »Möglich«, antwortete Pepe, der mit den Worten sparsam umging; »aber er ist zart wie der Tau des Himmels.«

Und ein gewaltiges Krachen der Kinnbacken ließ sich allein mitten unter dem Schweigen der Insel vernehmen.

»Jene da drüben pflegen sich auch«, sagte der Kanadier und bezeichnete am Ufer des Flusses, das sie eben verlassen hatten, zwei andere Tischgenossen, die, nicht weniger gierig wie sie selbst, mit den blutigen Überresten des Büffels beschäftigt waren. Es waren die beiden Wölfe, die durch den Fluß geschwommen waren und, angezogen von der Witterung des Büffels, diesen mit einem Eifer zerrissen, der jedoch dem der beiden Jäger nicht gleichkam; diese Raubtiere würden den Vorwurf der Prahlerei verdient haben, hätten sie den Hunger der Menschen zu fühlen behauptet.

Der Büffelrücken war gänzlich verschwunden, und Pepe warf seine Augen noch lüstern auf das in Streifen geschnittene Rückenstück, das Bois-Rosé fast verkohlen ließ, um das so getrocknete Fleisch noch einige Tage aufbewahren zu können. Dieser Vorrat wurde beiseite gelegt.

»Jetzt eine Stunde Schlaf«, sagte der Kanadier, »und dann wieder auf den Weg; der Tod und die Indianer warten nicht.« Er streckte sich selbst aufs Gras nieder, um seinen Gefährten mit gutem Beispiel voranzugehen; eine gewaltige Anstrengung seines Willens verscheuchte die Flut von traurigen Gedanken, die ihn umlagerten, und der Riese schlief ein, um seine Kraft und seine Energie wiederzufinden, die er so nötig hatte, um seinem Jungen Hilfe zu bringen.

Gayferos machte es wie der Kanadier; Pepe jedoch hatte sich, ehe er die Augen schloß, von dem sonderbaren Umstand Rechenschaft zu geben, der seine Aufmerksamkeit bei der Untersuchung des von den Wölfen im Mittelpunkt der kleinen Lichtung gescharrten Lochs auf sich gezogen hatte. Der Grenzjäger prüfte abermals mit der Geduld eines Indianers die Stelle, wo der Rasen so sauber durchschnitten schien. Da er jetzt ruhiger war, so überzeugte er sich sehr bald, daß die Kralle irgendeines Tieres den tonigen Boden so nicht hätte zerreißen können. Bald glaubte er auch an der Erde jene glänzenden, metallischen Spuren zu entdecken, wie sie das Pflugeisen an der Seite der von ihm aufgerissenen Furchen zurückläßt.

Nun zog Pepe sein Messer. Er legte die flache Klinge in ihrer ganzen Länge an diesen Schnitt, von dem er sich keine Rechenschaft geben konnte, und ließ sie der geraden, im Boden befindlichen Linie folgen. Die Klinge des Messers glitt bald mit Leichtigkeit wie in eine Art von Fuge und beschrieb so einen weiten Kreis. Pepe fühlte sein Herz lebhafter in der Brust klopfen. Er ahnte eins von den in der Steppe angebrachten Verstecken und in diesem Versteck ohne Zweifel Biberfallen, Pulver, Blei und Waffen.

Wenn wir jetzt sagen, was man ohne Zweifel schon erraten hat – daß nämlich ein glücklicher Zufall die drei Jäger auf die Büffelinsel geführt hatte, wo der Mestize seine Beute vergraben hatte –, so wird man zugeben, daß das Herz des Spaniers nicht von einer leeren Hoffnung aufgeregt war. Pepe brauchte nur noch einfach die Rasenplatte abzuheben, die einen Schatz verbarg, der für die entwaffneten Wanderer kostbarer war als das nutzlose, von ihnen verschmähte Gold.

Pepe scharrte den Boden mit Hilfe seiner Nägel und seines Messers mit einem krampfhaften Eifer auf. Was würde er in der Tiefe dieses Verstecks finden? Waren, mit denen er nichts anzufangen wußte, oder Waffen – das heißt, das Leben und die Freiheit Fabians, ihre gebrochene Stärke und Energie?

Nachdem Pepe einen Augenblick, von schrecklicher Ungewißheit überwältigt, innegehalten hatte, nahm er seine Arbeit wieder auf. Bald fühlte er unter der noch weichen Erde das Leder, das die versteckten Gegenstände umhüllte. Er warf das Leder weit weg; ein Sonnenstrahl drang vor den geblendeten Augen des Spaniers bis auf den Grund des Verstecks; er hatte nur eins unter den bunt durcheinandergeworfenen Gegenständen bemerkt: Feuerwaffen von allen Größen, an den Büchsen hängende Pulverhörner, die in ihrer Durchsichtigkeit das körnige, glänzende Pulver ahnen ließen, mit dem sie angefüllt waren.

Zum erstenmal seit langer Zeit kniete Pepe nieder, sprach ein glühendes Gebet und lief wie närrisch zu Bois-Rosé.

Der Kanadier schlief den leichten Schlaf des Soldaten vor dem Feind. »Was gibt es, Pepe?« rief er aus, durch das Geräusch der Schritte seines Gefährten geweckt.

»Komm her, Bois-Rosé!« erwiderte Pepe freudig. »Kommt, Gayferos!« schrie er und stieß den schlafenden Gambusino mit dem Fuß. Dann lief er wieder zu dem Versteck, von seinen beiden Gefährten gefolgt, die ihn vergeblich befragten. »Waffen! Waffen zum Auswählen!« rief der Spanier. »Da! Und da! Und da!« Und bei jedem Wort tauchte Pepe, auf die Erde gebückt, seinen Arm in die gähnende Öffnung und warf dem verdutzten Kanadier eine Büchse nach der anderen vor die Füße.

»Laß uns Gott danken, Pepe!« rief Bois-Rosé aus. »Er gibt uns die Kraft wieder, die er unseren Armen entrissen hatte.«

Jeder von den drei Jägern wählte sich die Waffe, die ihm behagte. Bois-Rosé nahm noch eine vierte für Fabian mit, denn dieser unverhoffte Fund hatte nach dem Fang des durch die Vorsehung ihnen zugeführten Büffels sein Herz abermals der Hoffnung geöffnet.

»Laß uns das übrige wieder hineinlegen, Pepe. Rauben wir dem Eigentümer nicht in diesen Waffen und Waren die kostbarsten Hilfsquellen, die er hier versteckt hat? Es würde undankbar gegen Gott sein.«

Die drei Jäger hatten bald das Versteck wieder zugeworfen und sein Dasein so gut wie möglich vor aller Augen verborgen, ohne zu ahnen, daß sie so edelmütig das Interesse ihrer Todfeinde wahrnahmen.

»Nun vorwärts!« fuhr der Kanadier fort. »Tag und Nacht vorwärts; nicht wahr, Pepe?«

»Los, denn nun sind drei Krieger auf der Spur dieser Banditen, und Don Fabian ...«

Ein unerwarteter Anblick ließ das Wort auf seinen Lippen ersterben; eine furchtbare Wirklichkeit drohte noch einmal die Träume dieser beiden Jäger zu zerstören oder doch wenigstens die Ausführung ihrer Pläne zu verschieben. Bois-Rosé hatte ebenso wie Pepe die Ursache dieser plötzlichen Unterbrechung gesehen.

Ein sorgfältig wie zum Kampf bemalter indianischer Krieger schien aufmerksam das am entgegengesetzten Ufer zurückgebliebene Büffelgerippe zu betrachten. Obgleich es unmöglich war, daß der Indianer die drei Weißen nicht bemerkt haben sollte, so nahm er doch scheinbar keine Notiz von ihrer Gegenwart.

»Das ist unser Wirt«, begann Pepe; »soll ich zum Dank die Tragweite meiner neuen Büchse an ihm versuchen?«

»Nimm dich wohl davor in acht, Pepe; so tapfer dieser Indianer auch sein mag, seine Ruhe – denn er sieht uns, ohne uns nur einmal zu betrachten – beweist, daß er nicht allein ist.«

Der Indianer setzte in der Tat seine Untersuchung mit einer Kaltblütigkeit fort, die einen erprobten oder wenigstens einen solchen Mut bewies, der aus dem Vertrauen auf die überlegene Zahl entspringt, und seine am Riemen über die Schulter hängende Büchse schien mehr ein Schmuck als eine Angriffswaffe zu sein.

»Ach, es ist ein Komantsche«, fuhr Bois-Rosé fort; »ich sehe es an seinem Kopfputz und an den Verzierungen seines Büffelmantels; und der Komantsche ist der unversöhnliche Feind des Apachen. Dieser junge Mann ist auf dem Kriegspfad. Ich werde ihn anrufen, denn die Augenblicke sind zu kostbar, um mit List zu handeln und nicht gerade aufs Ziel loszugehen.«

Der Kanadier beeilte sich, seinen Plan auszuführen, der ganz seinem ehrlichen Charakter entsprach; er näherte sich also mit festem Schritt dem Ufer des Flusses – gleich bereit, den Kampf anzunehmen, wenn ihnen der Zufall einen Feind entgegenführte –, um ein Bündnis mit dem Indianer zu schließen, wenn er einen Freund in dem jungen Komantschenkrieger finden sollte.

»Rede ihn spanisch an, Bois-Rosé«, sagte Pepe; »wir werden so viel eher erfahren, woran wir uns zu halten haben.«

Der Kanadier hob den Kolben seiner Büchse in die Höhe, während der Indianer noch das Büffelgerippe und die Spuren dabei untersuchte.

»Drei Krieger starben vor Hunger, als ihnen der Große Geist einen verwundeten Büffel zugesandt hat!« rief der Waldläufer. »Mein Sohn sucht zu erkennen, ob es der ist, den seine Lanze getroffen hat. Will er den Anteil davon nehmen, den wir ihm aufbewahrt haben? Er wird damit den drei weißen Kriegern beweisen, daß er ihr Freund ist.«

Der Indianer hob endlich den Kopf. »Ein Komantsche«, antwortete er, »ist nicht der Freund aller Weißen, denen er begegnet; er will wissen, bevor er sich an ihr Feuer setzt, woher sie kommen, wohin sie gehen und wie sie heißen.

»Caramba!« sagte Pepe halblaut. »Der junge Mann ist stolz wie ein Häuptling.«

»Mein Sohn spricht mit dem Stolz eines Häuptlings«, erwiderte Bois-Rosé, indem er höflicher die Worte des ehemaligen Grenzjägers wiederholte. »Ohne Zweifel hat er auch dessen Mut; aber er ist noch sehr jung, um Krieger auf den Kriegspfad zu führen. Und doch will ich ihm antworten, wie ich dem Häuptling eines Stammes antworten würde. Wir haben eben das Gebiet der Apachen durchstreift und folgen bis zur Gabel des Red River der Spur zweier Banditen. Dieser hier ist Pepe der Schläfer, jener der Goldsucher, dem die Apachen den Skalp genommen haben, und ich bin der Waldläufer aus Unterkanada.«

Der Indianer hatte die Antwort Bois-Rosés ernst angehört. »Mein Vater«, antwortete er, »hat die Klugheit eines Häuptlings, dessen Alter er hat; aber er kann nicht machen, daß die Augen eines Komantschenkriegers blind oder seine Ohren taub sein sollen. Unter den drei Kriegern mit weißer Haut sind zwei, deren Namen sein Gedächtnis behalten hat, und das sind nicht diejenigen, die er eben hörte.«

»Halt da!« erwiderte Bois-Rosé lebhaft. »Das heißt mir auf artige Weise sagen, daß ich ein Lügner sei, und meine Zunge hat noch niemals zu lügen vermocht – weder aus Furcht noch aus Freundschaft.« Dann fuhr der Kanadier mit erzürnter Stimme fort: »Wer Bois-Rosé der Lügenhaftigkeit anklagt, wird sein Feind; also zurück, Komantsche, und mögen dich meine Augen nicht wiedersehen; die Steppe ist von nun an zu eng für uns beide!«

Der Kanadier ließ bei diesen Worten das Schloß seiner Büchse spielen; aber der Indianer machte, ohne die Fassung zu verlieren, ein Zeichen mit der Hand.

»Rayon-Brûlant«, rief er und schlug stolz mit der Hand auf seine Brust, »suchte längs des Red River den Adler der Schneegebirge und den Spottvogel auf der Spur des Sohnes, den die Apachenhunde ihnen geraubt haben.«

»Den Adler, den Spötter?« rief Bois-Rosé in größtem Erstaunen. »Ach, es ist wahr; ich vergaß ... Aber sagt, mein Junge, sagt«, fuhr lebhaft der alte Jäger fort, »habt Ihr meinen Fabian, den Sohn, den ich suche, gesehen?« Und er warf plötzlich seine Büchse weit von sich und stürzte sich in die Furt des Flusses, die er mit Riesenschritten durchwatete. »Ja, ja, der Adler und der Spötter, das sind wir beide; es sind die Namen, die uns die Apachen gegeben haben; ich hatte sie vergessen«, fuhr er fort und ließ das Wasser von seinen weiten Schritten gepeitscht ringsum aufspritzen. »Wartet, Rayon-Brûlant, ich gehöre Euch wie das Eisen dem Pfeil, wie die Klinge dem Griff... ein Freund ... auf Leben und Tod ...«

Der junge Indianer erwartete lächelnd den Waldläufer, der bald festen Fuß auf dem Ufer faßte und ihm seine breite, ehrliche Hand hinstreckte, in der der Krieger die seinige wie in einem gespaltenen Baumstamm fühlte, der sich über ihr geschlossen hat.

»Ihr seid also«, rief der Kanadier aus, der kaum dem Verlangen widerstand, den jungen Indianer in seinen Armen aufzuheben, »der Feind von Main-Rouge, Sang-Mêlé und von dieser ganzen ... Aber wer hat unsere Namen dem Krieger gesagt, den die Seinigen wohl mit Recht Rayon-Brûlant genannt haben? Denn mein Sohn erscheint schrecklich wie die Feuerzungen, die aus den Wolken hervorbrechen!«

»Vom Presidio von Tubac bis zum Büffelsee, wo die Blume des Sees sich im Wasser spiegelt«, antwortete der Indianer, indem er auf Doña Rosarita anspielte, deren Bild sich wider seinen Willen seinem Kopf eingeprägt hatte; »vom Büffelsee bis zu den Nebelbergen und von den düsteren Hügeln bis zu dem Versteck, das sie hier angelegt haben, ist Rayon-Brûlant den Spuren der Räuber seiner Ehre gefolgt.«

»Ach, diesen Teufeln gewiß ... Doch fahre fort, Rayon-Brûlant!«

»Die Räuber«, fuhr der Indianer fort, »haben kein Geheimnis für ihn gehabt, und nach ihren Reden hat Rayon-Brûlant die beiden weißen Krieger auf der Büffelinsel wiedererkannt. Sind die beiden weißen Krieger so tapfer, wie man erzählt?« schloß er und heftete seine Augen auf den fernen Horizont.

»Warum diese Frage?« antwortete Bois-Rosé mit einem ruhigen Lächeln, das mehr sagte als alle Beteuerungen.

»Darum«, erwiderte der Indianer ruhig, »weil ich von hier aus im Osten den Rauch der Feuer des Schwarzen Falken und seiner dreißig Krieger, im Westen das Feuer der beiden Piraten der Steppe, im Norden die Feuer von zehn Apachen sehe und weil der Komantsche und die beiden Bleichgesichter sich zwischen drei feindlichen Abteilungen befinden.«

»Das ist beim Himmel wahr!« rief der Kanadier aus und befragte mit einem Blick den Komantschen, nachdem er in der Ferne eine leichte Rauchwolke hatte aufsteigen sehen, die eine indianische Lagerstelle bezeichnete.


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