Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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37 Der Finger Gottes

Unterdessen hatten Mattigkeit und Schmerz den Gambusino überwältigt. Da die Notwendigkeit es gebieterisch verlangte, daß er nichts von der Lage des Val d'Or, ja nicht einmal sein Dasein erfahren durfte, so faßten Bois-Rosé und Pepe nach gemeinschaftlicher Verabredung den Entschluß, ihn jetzt, da er in Sicherheit war, auf einige Stunden zu verlassen und diese Zeit zu benützen, um die Örtlichkeiten aufzusuchen, deren Beschreibung Fabian von seiner Adoptivmutter empfangen hatte. »Hört, mein Junge«, sagte Bois-Rosé zu Gayferos, »wir haben Euch ohne Zweifel hinreichende Proben von Zuneigung und Ergebenheit gegeben, so daß wir Euch hier nun einen halben, vielleicht einen ganzen Tag zurücklassen können. Wir haben noch etwas abzumachen, wozu drei entschlossene Männer nötig sind. Wenn wir heute abend oder morgen früh noch auf der Welt sind, so werdet Ihr uns zurückkommen sehen; wo nicht ... Ihr begreift, es ist dann nicht unsere Schuld. Unterdessen sind hier Wasser und trockenes Fleisch, und mit diesen Lebensmitteln werden vierundzwanzig Stunden bald vorüber sein.«

Wie man sich wohl denken kann, willigte der arme Verstümmelte nicht ohne Widerstreben in diese Trennung; indessen beruhigte er sich mit einem neuen und feierlichen Versprechen der hochherzigen Jäger, denen er schon soviel verdankte, und fand sich darein, sie ziehen zu lassen.

»Ich muß noch, ehe wir Euch verlassen, eine letzte Forderung an Euch richten«, sagte der alte Jäger. »Wenn der Zufall Eure Gefährten, von denen Ihr auf so traurige Art getrennt seid, hier vorüberführte, so fordere ich für den Fall, daß der Dienst, den wir Euch geleistet haben, einigen Wert in Euren Augen hat, beim Heil Eurer Seele von Euch, daß Ihr keinem von ihnen unseren Aufenthalt in diesen Gegenden verratet. Was Euer Hiersein betrifft, so mögt Ihr es rechtfertigen, wie Ihr es für gut befindet.«

Gayferos versprach, sich nach den Forderungen des Jägers zu richten, und die drei Freunde entfernten sich mit raschen Schritten.

Bois-Rosé stand auf dem Punkt, einen seiner glühenden Wünsche zu verwirklichen, was auch die Folge davon sein mochte; nämlich den Wunsch, sein vielgeliebtes Kind zu bereichern, mit Fabians künftigem Vermögen noch unermeßliche Schätze zu vereinigen. Er schien in seiner glühenden Hingebung zu vergessen, daß die Eroberung des Val d'Or eine Schranke mehr zwischen Fabian und ihm errichten würde.

Auch Pepe war glücklich auf diesem Marsch. Er stand bereit, so viel in seinen Kräften lag, das Böse, das er gegen seinen Willen der Familie der Mediana zugefügt hatte, wiedergutzumachen. Sein Gewissen war erleichtert, sein Schritt elastisch.

Nur Fabian schien von diesem Einfluß des Glücks nichts zu empfinden, und nach einer Viertelstunde bewog er seine Begleiter unter dem Vorwand, daß er sich ein wenig ausruhen müsse, zum Anhalten. Alle drei setzten sich auf einem kleinen Hügel nieder, von dessen Höhe sie die öde Landschaft ringsum überblicken konnten.

»Nun, Don Fabian«, sagte Pepe im Ton lustigen Vorwurfs und zeigte mit dem Finger auf die noch undeutliche Masse der »Nebelberge«, »sollten Eure Füße nicht neue Kraft durch die Nähe dieser so goldreichen Gegenden erhalten?«

»Nein«, antwortete Fabian; »ich werde vor Sonnenaufgang nicht einen Schritt mehr nach dieser Seite hin tun.«

»Ach«, unterbrach ihn der Kanadier ungestüm, womit er zugleich auf eine Gebärde des Erstaunens von seiten Pepes und auf seine eigene Überraschung antwortete, »das ist etwas ganz Neues! Und warum das, wenn ich fragen darf?«

»Warum? Weil hier eine verfluchte Stelle ist; eine Stelle, wo derjenige, den ich vor dir, Bois-Rosé, wie einen Vater liebte, ermordet wurde; weil tausend Gefahren euch hier umgeben und ich euch diesen nur schon zu sehr dadurch ausgesetzt habe, daß ihr meine Sache als die eure betrachtet.«

»Welches sind denn diese Gefahren, denen wir drei nicht trotzen könnten? Sollten sie etwa größer sein als diejenige, der wir eben entgangen sind? Und wenn wir nun Lust haben, Pepe und ich, sie für dich auf uns zu nehmen?« antwortete der Kanadier.

»Die Gefahren sind jeglicher Art«, erwiderte Fabian; »warum sollte ich mich noch länger täuschen? Beweist nicht alles auf dem geraden Marsch, den die Expedition eingeschlagen hat, daß Don Antonio von Mediana ebenso wie ich das Dasein des Val d'Or kennt? Der Führer, der die Expedition leitet, ist seiner Sache gewiß, das weiß ich heute bestimmt.«

»Nun«, fragte Bois-Rosé, »was folgerst du denn aus alledem?«

»Daß drei Männer«, antwortete Fabian, »nicht gegen sechzig kämpfen können!«

»Höre, mein Kind«, erwiderte der Kanadier etwas ungeduldig, »du hättest, ehe du uns zu dieser Unternehmung bewogst, nachdenken sollen; heute ist es zu spät dazu. Und warum denkst du nicht mehr so wie gestern?«

»Weil mich gestern die Leidenschaft noch irreführte: weil die Überlegung an die Stelle des Ungestüms, das mich mit fortriß, getreten ist; kurz, weil ich nicht mehr hoffe ... was ich gestern noch hoffte.« Die entgegengesetzten Leidenschaften, die im Herzen Fabians stürmten, ließen ihn dem Kanadier die verschiedenen Strömungen seines Willens nicht näher erklären.

»Fabian«, sagte der Kanadier feierlich, »du hast eine heilige, schreckliche Pflicht zu erfüllen, und diese Pflicht läßt nicht mit sich handeln! Wer sagt dir ferner, daß die von Don Antonio befehligte Expedition in derselben Richtung wie wir marschiert? Aber täte sie es auch – um so besser; der Mörder deiner Mutter wird dann in unsere Hände fallen.«

»Der Führer, der den Auftrag hat, den Goldsuchern den Weg zu zeigen«, erwiderte Fabian, der infolge seiner edlen Aufopferung Bois-Rosé seine wirklichen Gefühle zu verheimlichen suchte, »kann niemand anders sein als dieser Schelm von Cachillo. Habe ich euch nicht die Spur seines Pferdes gezeigt, die oft von der seiner Gefährten getrennt war? Es muß ihm also, wenn ich mich nicht täusche, das Tal, wo sich der Goldsand befindet, bekannt sein; in jedem Fall müssen wir, so schwer es auch deiner Ungeduld werden mag, warten, bis die Sonne wieder aufgeht, ehe wir uns blindlings in eine Gegend stürzen, die wir nicht kennen und wo goldgierige Abenteurer ebenso furchtbare Feinde für uns sein können wie die Indianer selbst. Ist das nicht auch deine Meinung, Pepe?«

»Fast in allen Stunden dieser Nacht«, antwortete der frühere Grenzsoldat, »hat der Wind den Schall eines Gewehrfeuers bis in unser Ohr getragen, was offenbar beweist, daß der Hauptteil mit den Indianern gekämpft haben muß. Es ist nicht wahrscheinlich, daß uns jemand zuvorgekommen ist; ich muß also ganz offen bekennen, daß meine Ansicht von der Eurigen verschieden ist. Ich meine, wir müssen ohne Zeitverlust irgendeinen Ort in diesen Bergen zu gewinnen suchen, wo wir uns in einen letzten, unvermeidlichen Kampf gegen unsere Feinde mit einiger Hoffnung auf Erfolg einlassen können.«

»Diesen ungleichen Kampf will ich eben vermeiden«, erwiderte Fabian mit Wärme. »Solange ich noch hoffen kann, vor dem Presidio von Tubac diejenigen einzuholen, die mir die Vorsehung für meine Rache bezeichnet hat, solange noch drei gegen fünf standen, habe ich sie ohne Überlegung verfolgt; solange ich glauben konnte, daß ich mich getäuscht hätte und daß diese Expedition wie alle vorhergehenden in dieselben Einöden ohne einen anderen Zweck eindrang als den, irgendeine unbekannte Goldmine zu entdecken, bin ich ihrem Marsch Schritt für Schritt gefolgt – aber was ist geschehen? Nachdem wir vier Tage hindurch eine verschiedene Richtung eingeschlagen hatten, finden wir nicht Don Estévan und seine Leute in dieser Nacht selbst bei den Nebelbergen wieder? Ihr Ziel ist also dasselbe wie unseres. Drei Männer können nicht gegen sechzig kämpfen; also wolle Gott nicht, daß ich im Interesse meiner Rache oder aus eigenen habgierigen Absichten zwei hochherzige Freunde opfere, deren Leben mir kostbarer ist als das meine.«

»Du bist noch ein Kind«, sagte der Kanadier, »das nicht einsieht, daß hier zwar jeder für sich handelt, daß aber unser dreifaches Interesse nur ein einziges bildet. Verfolgten wir nicht schon zwei Tage zuvor, ehe Gott dich zum zweitenmal in meine Arme geworfen hat, den Mann, der damals deine Hoffnungen vernichtete, wie er einst deine Mutter getötet und deinen Namen gestohlen hat? Seit zehn Jahren tun Pepe und ich immer dasselbe; unsere Freunde und Feinde sind gemeinschaftliche gewesen, und du bist der Sohn Pepes, weil du der meinige bist. Fabian, mein Kind, danken wir Gott, daß er und ich dasselbe Ziel verfolgen, das zugleich das deinige ist. Was auch daraus folgen mag – wir werden nicht einen Schritt rückwärts tun.«

»Und dann«, nahm der ehemalige Grenzsoldat das Wort, »achtet Ihr es denn für nichts, Don Fabian, Goldklumpen aufzulesen, ein ganzes Leben voll Überfluß für eine eingebildete Gefahr zu gewinnen? Denn ich wiederhole es: Wir müssen die ersten im Val d'Or sein, und ein Tag, eine Stunde Vorsprung kann uns für immer reich machen. Ihr seht also wohl, daß wir im Gegenteil nur unwürdige Egoisten sind und daß wir es vielmehr wagen, Euch unserem persönlichen Vorteil zu opfern.«

»Pepe hat recht«, fügte der alte Jäger hinzu; »wir wollen Gold, viel Gold!«

»Und was wolltest du mit dem Gold machen?« fragte Fabian lächelnd.

»Was ich damit machen würde?« fragte Bois-Rosé, indem er den frühen Grenzjäger mit dem Ellbogen stieß.

»Das Kind fragt, was ich damit machen würde!«

»Ja, ich bestehe darauf, es zu wissen.«

»Was ich damit machen würde?« wiederholte der ehrliche Kanadier, den diese Frage nicht wenig in Verlegenheit setzte. »Ich würde... wahrhaftig, ich würde... damit sehr vieles machen... und wenn ich es auch nur – mit deiner Erlaubnis – dazu benützte, an meine Büchse einen Lauf aus lauterem Gold machen zu lassen«, fügte er mit triumphierender Miene hinzu. Fabian konnte nicht umhin, noch lächelnd mit den Schultern zu zucken.

»Du lachst?« fuhr Bois-Rosé fort, in Eifer geratend. »Denkst du denn nicht, daß es außerordentlich schmeichelhaft für mich wäre, wenn ich einem Apachen oder Sioux oder Pawnee mit dem Messer den Garaus machte und ihm sagen könnte: ›Hund, die Kugel, die dir den Kopf zerschmettert hat, kommt aus einem ganz goldenen Lauf!‹ Geh doch, mein Kind; wenige Biberjäger würden ebenso sprechen können!«

»Das gebe ich zu«, antwortete Fabian. Dann fuhr er ernsthaft fort: »Nein, meine Freunde, Don Estévan entgeht meiner Rache dank den Kriegern, von denen er umgeben ist; diese Goldmine, die ich für mein Eigentum hielt, entgeht mir ebenfalls – was schadet es! Habe ich nicht noch im Fall, daß der Ehrgeiz mich ergreifen sollte, den Namen und die Güter meiner Väter wieder in Besitz zu nehmen? Gibt es nicht in Spanien Gerichtshöfe, die allein ein gleiches Recht sprechen? Gott wird helfen; aber ich will nicht wie ein Tor zwei edle Leben aufs Spiel setzen – ich rede nicht von meinem!« fuhr er melancholisch fort. »Habe ich nicht schon, so jung ich auch noch bin, den bitteren Kelch bis auf den Grund geleert? Genug; eure edelmütigen Ausflüchte sollen mich nicht mehr zum Schweigen bringen.«

Bei diesen Worten reichte Fabian den Jägern die Hände, die den Druck liebreich und fest erwiderten.

Der Kanadier betrachtete einige Minuten schweigend und gerührt das edle Antlitz dessen, den er mit Stolz seinen Sohn nannte; dann aber machte der augenblickliche, gezwungene Ausdruck seiner Züge den wahren Gefühlen seines Herzens Platz, und er sagte: »Fabian, mein Kind, mein ganzes Leben ist entweder auf dem Meer oder mitten in den Einöden verflossen, aber ich erinnere mich noch genug der Städte und ihrer Sitten, um zu wissen, daß unter den Menschen die Gerechtigkeit sich eher erkaufen als erobern läßt. Dieses Gold, mein Kind, das in diesen Bergen verborgen liegt, dieses Gold wollen wir anwenden, um das aus dir zu machen, wozu die Vorsehung dich bestimmt hatte: dieses Gold wird die Hindernisse ebnen, an denen sich ohne Zweifel dein gutes Recht brechen würde. Pepe wird mich nicht Lügen strafen, wenn ich dir sage, daß wir unser Leben daransetzen wollen, um dir die Güter deiner Vorfahren und den berühmten Namen, den zu tragen du so würdig bist, wieder zu verschaffen.«

»Ja«, sagte der Grenzjäger, »ich habe es Euch schon gesagt, der erste Teil meines Lebens ist nicht so gewesen, wie ich es wohl gewünscht hätte – das ist freilich auch ein wenig die Schuld der spanischen Regierung, die mich nicht bezahlte –, nichtsdestoweniger liegt doch eine schreckliche Last auf meinem Herzen. Oft habe ich traurig an meine Vergangenheit zurückgedacht; aber Gott verzeiht immer dem Schuldigen, weil er mit der einen Hand das Verbrechen wägt, während die andere die Sühnung darbietet. Der Tag der Sühnung ist da, die Verzeihung ist nahe, und es ist nur gerecht, wenn ich Euch mit Gefahr meines Lebens wiedergebe, was mit durch meine Schuld Euch geraubt ist.«

»Vorwärts also!« sagte der Kanadier. »Gott hat jedem von uns seinen Weg vorgezeichnet und wird – wie du sagtest, Fabian – das übrige tun. Wenn du hierbleiben willst, so werden wir ohne dich gehen.«

Mit diesen Worten erhob sich der Kanadier, warf seine Büchse über die Schulter und forderte mit einer Gebärde der Autorität seine Gefährten auf, ihm zu folgen. Fabian war gezwungen, dem unwiderruflichen Entschluß seiner Freunde zu gehorchen. Alle drei gingen entschlossen auf die Nebelberge los und verschwanden bald auf dem rauhen, zerrissenen Terrain. Die Morgendämmerung war dem Tag noch nicht gewichen, als der kanadische Jäger und seine beiden Begleiter die Stelle, wo sie gesessen waren, verließen.

Ein neuer Teilnehmer näherte sich seinerseits dem Schauplatz der Szenen, die das Licht des Tages beleuchten sollte. Wie der Satan, wie der Dämon der Finsternis kam er allein. Sein Pferd warf im ungestümen Lauf mit den Hufen den Sand und den Kies der dürren Ebene empor, die es zu verschlingen schien. Der Reiter, dessen unheimliches Gesicht von habgierigen Leidenschaften glühte – und in diesem Reiter hat man Cuchillo wohl schon wiedererkannt –, schien indes selbst zuweilen von geheimen Schrecken beunruhigt zu werden.

In der Tat konnte seine Flucht aus dem Lager – selbst im Lärm des Kampfes – von irgend jemand unter denen bemerkt worden sein, die er im Augenblick der Gefahr verließ; streifende Indianer konnten sein Entfliehen gesehen haben, und das waren die Ursachen zu seiner Besorgnis. Doch war Cuchillo nicht der Mann, einen so kühnen Streich zu versuchen, ohne ebenfalls die günstigen Aussichten abgewogen zu haben. Er hatte es wie der Jäger gemacht, der die Jungen des Löwen oder des Jaguars in der Höhle fangen will und dem Alten eine Beute vorwirft, um seine Aufmerksamkeit abzuziehen und ihn zu entfernen. Die Leute, die er den Herren dieser Steppe vorgeworfen hatte, waren seine Gefährten. Seine vorhergehenden Streifereien hatten, wie schon gesagt, nur zum Zweck gehabt, einer Indianerabteilung, deren Spur er bemerkt hatte, den Weg zum Lager Don Estévans zu zeigen. Er spielte freilich ein gefährliches Spiel, und man hat gesehen, wie er kaum das Expeditionskorps wiedererreichen konnte und nur einige Augenblicke vor den ihn wütend verfolgenden Apachenkriegern anlangte.

Er hatte gedacht, daß der Kampf sich bis in einen Teil der Nacht hinein verlängern würde; daß die Abenteurer – mochten sie nun Sieger oder Besiegte sein – es den ganzen folgenden Tag hindurch nicht wagen würden, ihre schützende Wagenburg zu verlassen, und daß er somit lange Stunden vor sich hatte, wo er einen Teil der Schätze des Val d'Or einsammeln und sie nach seiner Rückkehr unter den Schutz seiner Gefährten stellen konnte. Endlich bedachte er auch noch, daß, wenn die ganze Expedition das Val d'Or in Besitz genommen hatte, er auch als Soldat und als Führer seinen Anteil erhalten mußte. An Vorwänden sollte es ihm schon nicht fehlen, um seine abermalige Abwesenheit zu bemänteln, und somit hätte er noch reichlich die Kenntnis eines Geheimnisses ausgebeutet, das er schon für eine bedeutende Summe verkauft hatte.

Aber, wie wir gesehen hatten, Cuchillo rechnete ohne das Mißtrauen, das Don Antonio gegen ihn gefaßt hatte. Um seinen Handel mit ihm abzuschließen, war er gezwungen gewesen, ihm so genaue Nachweise über die Lage des Val d'Or zu geben, daß Don Antonio von dem Ort aus, den die Expedition erreicht hatte, sich nicht mehr über den Weg, der eingeschlagen werden mußte, täuschen konnte. Der hatte diese Kenntnis nun Pedro Diaz an dem Abend mitgeteilt, wo sein Mißtrauen durch die längere Abwesenheit Cuchillos wach geworden war. Die Vorsicht wollte es so, sonst hätte wohl die Habgier noch andere dasselbe tun lassen, was der Bandit getan hatte.

Nachdem Cuchillo sich gestellt hatte, als ob er tödlich verwundet sei, und mitten im Lager niedergestürzt war, hatte er sich still und unbemerkt nach der Wagenburg begeben, die von den Indianern nicht umzingelt war, sein Pferd war ihm gefolgt, wie er es dazu schon lange dressiert hatte, und begünstigt von der Dunkelheit, war er nach den Bergen gesprengt, deren Zugänge er kannte. Die Habgier, die glühendste unter seinen Leidenschaften, hatte ihn die Augen über gewisse schwache Seiten eines Plans schließen lassen, dessen Ausführung ohnehin schon großen Gefahren unterlag.

Er war nun nahe daran, seine Treulosigkeit mit Erfolg gekrönt zu sehen; mit gierig funkelnden Augen, das Herz klopfend vor Hoffnung und Furcht, näherte er sich mit verhängten Zügeln dem Val d'Or. Aber wie der Geizige unaufhörlich fürchtet, daß ein unsichtbares verborgenes Auge seinen Schritten nach dem Schatz folgt, den er an einem nur ihm bekannten Ort verscharrt weiß, so setzte er auch zuweilen seinen raschen Lauf aus, um aufmerksam den dumpfen, unbestimmten Tönen der Wildnis zu lauschen. Wenn er dann mit dem Blick die weite Steppe durchforscht hatte, so erkannte er, daß seine Furcht grundlos gewesen sei, und er setzte seinen Weg mit neuem Vertrauen und neuem Eifer fort.

Zuweilen weckte auch der Anblick der Gegenden, die er schon gesehen hatte, düstere Erinnerungen in ihm. Sein Instinkt hatte ihn gut auf denselben Weg geleitet: auf diesem kleinen Hügel hatte er sich mit Marcos Arellanos ausgeruht, dieser Nopal hatte ihnen seine erquickenden Früchte geliefert; sie hatten beide mit geheimnisvollem Schrecken das sonderbare Aussehen der Nebelberge betrachtet.

Cuchillo jagte immer weiter; der Wind pfiff durch sein Haar; sein Pferd wieherte, und dessen schneller Galopp trug den Mörder der Stelle entgegen, wo sein Opfer den Tod unter seinen Stößen gefunden hatte. Der Furcht vor seinen irdischen Feinden folgte nun diejenige, die uns unter dem Mantel der Nacht das Gewissen einflößt, das am Tag wohl eingeschläfert werden kann, des

Nachts aber um so gewisser erwacht. Die Sträucher, die stachligen Nopals tanzten wie Gespenster vor Cuchillo und streckten die Arme aus, um sich seinem Marsch zu widersetzen. Ein kalter Schweiß benetzte seine Stirn; aber die Habgier war stärker als die Furcht – sie stachelte ihn an wie seine Sporen die Flanken seines Pferdes und trieb ihn blindlings nach dem Val d'Or.

Die Wirklichkeit folgte bald auf seine Visionen, und der Bandit lachte über seinen Schrecken. »Die Gespenster«, sagte er, »sind wie die Alkalden: sie beschäftigen sich niemals mit so armen Teufeln, wie ich bin; aber wenn ich nur zwei oder drei Aroben von diesem Gold aufraffe, so will ich so viele Messen für die Ruhe von Arellanos' Seele lesen lassen, daß er sich Glück wünschen wird, von so freigebigen Händen getötet worden zu sein.«

Cuchillo brach in ein Gelächter aus und spornte sein Pferd zu noch schnellerem Lauf an; dann hielt er nach einigen Minuten ungestümen Rennens wieder an, um zu horchen. Nur sein Pferd atmete schnaubend durch die Nüstern; sonst störte kein Geräusch das Schweigen der Steppe. Der Bandit fühlte sich sicher und ließ einen Augenblick die frische Morgenluft seine schweißtriefende Stirn kühlen.

»Ich bin allein, ganz allein!« sagte er. »Dieses Vieh, das ich so gut geführt habe, schlägt sich dort unten, damit ich mit Bequemlichkeit dem Sand einen Teil jenes Goldes nehmen kann, das er verhüllt, aber nicht verbirgt. Wer wird mich jetzt daran hindern, wenn der Tag anbricht, soviel davon zusammenzuraffen, als ich tragen kann, ohne mein Geheimnis zu verraten? Diesmal wird es nicht so sein wie mit Arellanos; ich werde nicht wieder vor den Indianern zu fliehen brauchen; ich habe ihnen ihre Beute überliefert, um sie aus meinem Weg zu entfernen. Nachher werde ich abermals mit denjenigen von meinen Gefährten zurückkommen, die den Lanzen der Apachen entgangen sind! Wie viele werden wohl noch übrigbleiben, um mit mir zu teilen? Oh, der Gedanke an diese Schätze macht das Blut in meinen Adern zu Feuer. Ist es nicht dieses Gold, das bald mir gehören wird, das allein hier auf Erden Ruhm, Vergnügen und alle Güter dieser Welt gibt und dessen Macht sich nach den Worten unserer Priester noch bis übers Grab ausdehnt?«

Ein glänzendes Luftgebilde ging an den Augen des Banditen vorüber; er spornte abermals sein Pferd an und flog wieder vorwärts nach dem Val d'Or.

Während Cuchillo, trunken von der Hoffnung auf eine reiche Beute, blindlings dahinstürmte, wohin sein Geschick ihn rief; während er selbst dem Einfluß gehorchte, der ihn nach jenen düsteren Einöden trieb, näherten sich ihrerseits die vier Reiter, die schweigend das mexikanische Lager verlassen hatten: Don Estévan, Pedro Diaz, Oroche und Baraja. Von allen Abenteurern, die unter seinen Befehlen standen, waren sie diejenigen, denen der Chef am sichersten sich anvertrauen zu können glaubte.

Obgleich die Nebelberge nicht weiter als sechs Meilen vom Lager entfernt waren, so hatte doch Arechiza, da er nicht wußte, wieviel Zeit zu seiner Expedition nötig sein würde, den Befehl hinterlassen, seine Rückkehr im Schutz der Wagenburg abzuwarten. Dann war er, wie wir schon erwähnt haben, unter dem Vorwand weggeritten, eine Rekognoszierung in der Umgegend vorzunehmen, ohne jedoch die Abenteurer ahnen zu lassen, daß sie nahe dem Ziel wären, auf das sie losgingen.

Oroche und Baraja allein kannten den wirklichen Grund dieser nächtlichen Expedition und folgten in einiger Entfernung Don Estévan und Diaz, die voranritten. Die beiden Freunde ritten durch die Nacht mit einem vor Begier klopfenden Herzen; bald setzten sie nun ihre Füße auf die reichste Mine, die jemals das Auge eines Goldsuchers geblendet hat, und brannten vor Verlangen, Cuchillo den Weg dahin abzuschneiden.

Zwei Stunden ritten sie ebenso rasch wie der, den sie verfolgten – aber ohne Resultat. Cuchillo hatte einen ebenso großen Vorsprung und blieb unsichtbar für seine Verfolger in den unermeßlichen Ebenen, wo in der Dunkelheit seine Spuren selbst dem Auge eines Indianers entgangen wären.

Mehr als einmal war Don Estévan auf dem Punkt, auf eine nutzlose Verfolgung zu verzichten und das Verschwinden Cuchillos irgendeinem anderen Grund als dem Verrat zuzuschreiben.

»Es ist nicht daran zu zweifeln, daß der Taugenichts den Angriff der Indianer benützt hat, um nach dem Val d'Or zu fliehen und vorher erst von den Schätzen, die er an uns verhandelt hat, einen Zehnten zu erheben, der in unseren Händen vielleicht hinreichen würde, um die Majorität im Kongreß von Arizpe zu erkaufen; es ist doch gut, einer solchen Plünderung vorzubeugen«, sagte Pedro Diaz.

»Das ist es nicht, was ich am meisten fürchte«, antwortete Don Estévan lächelnd. »Wenn Cuchillo die Größe des Schatzes, den er mir verkaufte, nicht übertrieben hat, so müßte der Senat von Arizpe beinahe einzig in der Welt dastehen, wenn uns nicht noch Gold genug übrigbliebe, ihn mehrmals zu bestechen. Aber ich weiß nicht, welche unbestimmte Furcht, noch im Hafen zu scheitern, mich plötzlich so nahe dem erstrebten Ziel durchbebt, um dessentwillen ich die Steppe durchzogen und eine von allen beneidete Stellung aufgegeben habe, um den Gefahren einer Expedition, wie die unsere ist, zu trotzen. Die Steppe ist wie das Meer reich an Piraten aller Art, und Cuchillos Herz ist reich an Verrätereien: es kommt mir vor, als ob dieser Bandit mein Verderben sein wird.« Und Don Antonio setzte schweigend seinen Weg fort.

Nicht so war es mit den beiden Reitern, die ihm folgten. Ihren Augen kam es vor, als ob ein goldener Nebel über der goldreichen Stelle schwebte, auf die sie zuritten.

»Wenn Cuchillo nicht der größte Taugenichts ist, dem ich jemals begegnet bin«, sagte Baraja zu seinem Gefährten, »so will ich mein ganzes Leben hindurch einen Mantel wie den Euren tragen! Und doch verzeihe ich ihm von Herzen die Treulosigkeit, deren Opfer wir beinahe geworden wären, da er es ist, dem ich es verdanken werde, den Fuß einmal auf eine jener Goldminen gesetzt zu haben, von denen ich schon soviel habe reden hören und an deren Reichtum – ich muß es gestehen – Euer kläglicher Mantel mich oft hatte zweifeln lassen.«

In dem Augenblick, als der Gambusino mit den langen Haaren etwas bitter diese Anspielung auf das namenlose Kleidungsstück rügen wollte, das seine Freunde nur aus Höflichkeit einen Mantel zu nennen beliebten, hielt Don Estévan an, während Diaz vom Pferd stieg. Der Abenteurer beugte sich nieder, um aus dem Sand einen schwarzen Gegenstand von zweifelhafter Form aufzuheben. Es war eine Art kleiner, lederner Reisetasche, die als Cuchillos Eigentum erkannt wurde. »Hier, Señor, das beweist, daß wir ihm gewiß auf der Spur sind«, sagte Diaz. »Der anbrechende Tag wird uns bald die Gegenwart eines Verräters zeigen ...«

»Und das soll seine letzte Verräterei sein, das schwöre ich!« fügte Don Estévan hinzu.

In der Tat fanden sich beim Aufgang der Sonne – und dieser war nicht mehr fern – die Hauptpersonen dieses Dramas zur bestimmten Zeit ein, um in dem unzugänglichsten Teil dieser Einöden, umgeben von einer ebenso seltsamen wie großartigen Natur, zusammenzutreffen. Der Finger Gottes hatte sie ohne ihr Wissen hierher geführt.


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