Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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54 Barajas Schicksal

Man kennt nun die Ursache des langen Schweigens, das auf der Felsenkette herrschte, und die hinterlistigen Ratschlüsse, die es verbarg; es war ein schreckliches Schweigen, da diejenigen, die von unbarmherzigen Feinden angegriffen werden sollten, alles darunter fürchten und voraussetzen konnten. Unterdessen fing die Sonne an, sich nach Westen zu neigen; ein drückender, glühender Wind erhob sich in ungleichen Stößen und peitschte große weiße, am Horizont aufgehäufte Wolken vor sich her. Diese Dunststreifen dehnten sich aus und wurden schwärzer, und die Zweige der Tannen zitterten, wenn der Wind schwieg, und die schwarzen Geier, die die Steppe durchstreiften, suchten Schutz in den Felsen. Das waren die Vorboten eines nahenden Sturms.

»Kannst du nach dem zweimaligen Geheul, das diese Indianer ausgestoßen haben, ihre Zahl berechnen?« fragte Bois-Rosé den spanischen Jäger.

»Nein; und ich stelle mir außerdem unruhig die Frage, welche teuflische Kriegslist Sang-Mêlés Schlauheit und Main-Rouges Grausamkeit ihnen haben einflüstern können. Du hast ihre Stimmen ebenso gehört wie ich, sie haben irgend etwas gefunden, das ist gewiß. Dieses triumphierende Geheul ist der Beweis dafür.«

»Wir haben alle Vorkehrungen getroffen, die tapfere und vorsichtige Männer nur erdenken können«, sagte Fabian. »Wenn man seine Pflicht getan hat, muß man sich mit Ergebung auf alles gefaßt machen.«

»Wir wollen uns also nur darein ergeben«, erwiderte Pepe. »Inzwischen jedoch verzehrt mich der Durst; Ihr seid dort der nächste am Wasserfall, Don Fabian, seht doch also einmal zu, ob Ihr nicht mit meiner Kürbisflasche, wenn wir sie an das Ende meines Ladestocks binden, ohne Gefahr für Euch einige Tropfen Wasser auffangen könnt.«

»Gebt her«, erwiderte Fabian; »das ist leicht, und ich bin auch froh, den Durst löschen zu können.«

Fabian näherte sich kriechend dem Wasserfall und füllte mit ausgestreckten Armen die Kürbisflasche, die nun unter ihnen herumging; darauf nahmen die Jäger, für den Augenblick gestärkt, so bequem wie möglich ihre liegende Stellung wieder ein, das Auge immer auf die Schießscharten ihrer Verschanzungen gerichtet.

Als aber der Durst gelöscht war, machte sich der Hunger von neuem fühlbar, denn es war beinahe vier Uhr, und ungefähr zwölf Stunden waren vergangen, seitdem die Belagerten ihre einfache, unzureichende Mahlzeit von Maismehl zu sich genommen hatten. Abgesehen davon, daß die Notwendigkeit den Belagerten das Sparen ihrer Lebensmittel zu einem gebieterischen Gesetz machte, mußten sie auch die Nacht abwarten, um in Sicherheit und gedeckt gegen die Kugeln die Vorbereitungen – so einfach sie auch waren – dazu zu treffen, was Pepe ein Abendessen zu nennen geruhte. Die Zinnen ihrer Verschanzungen boten ihnen nur so lange vollkommene Sicherheit, als sie hinter ihnen lagen; die geringste Abweichung jedoch von der horizontalen Linie setzte ihre Glieder den Kugeln des Feindes aus.

Nach einem langen abermaligen Warten bemerkten die Augen der Jäger auf dem Gipfel der ihnen gegenüberliegenden Felsen, die bekanntlich um einige Fuß niedriger waren als ihr Standpunkt auf der Plattform, endlich eine Bewegung. Die Gesträuche, die deren Firste bekränzten, bewegten sich rasch, und bald entfaltete sich ein Mantel aus Büffelhaut über den Zweigen, auf denen er ausgebreitet und im Wind flatternd liegenblieb.

»Ach, da fängt die Ausführung irgendeines Plans an«, sagte Bois-Rosé; »das geschieht vielleicht nur, um unsere Aufmerksamkeit von der wahren Seite, wo sich die Gefahr befinden wird, abzulenken.«

»Sie wird von dorther kommen, glaube es nur«, erwiderte Pepe. »Wenn noch fünf oder sechs andere Büffelhäute jener dort hinzugefügt sind, können zwei Männer hinter diesem Wall niederknien, der für die Kugeln unserer Büchsen undurchdringlich ist, so kurz auch die Entfernung sein mag, die uns davon trennt.«

Pepe hatte das kaum ausgesprochen, als ein zweiter Mantel von unsichtbarer Hand über den ersten geworfen wurde und seine Behauptung bestätigte.

»Was auch geschehen möge«, fügte der Kanadier hinzu, »ich überwache aufmerksam die ganze Linie der Gebüsche, und nicht ein Auge soll sich im Zwischenraum der Blätter zeigen, ohne daß ich es sehe.«

Eine dritte Büffelhaut kam bald zu den anderen hinzu. Dann konnten die Jäger noch fünf andere übereinandergelegte Büffelhäute zählen, die bald mit dem Haar nach innen, bald nach außen zusammengelegt wurden. Von nun an bildeten diese Mäntel mit ihrem langen Pelzwerk eine ebenso undurchdringliche Verschanzung wie eine Mauer von sechs Fuß Dicke.

»Das ist ohne Zweifel das Werk dieses Mestizen«, murmelte Pepe. »Wir werden an allen unseren Augen nicht zuviel haben, um nichts von dem zu verlieren, was sich hinter dieser Masse von Häuten zutragen kann. Sieh, ein Mann könnte jetzt beinahe aufrecht dahinter stehen, und ein aufrecht stehender Mann würde beinahe einen höheren Standpunkt haben als wir.«

»Ach«, sagte der Kanadier, »ich sehe dort links die Gesträuche sich bewegen, obgleich so unmerklich, daß der Indianer, der sie bewegt, denken muß, daß wir es für den Wind statt für die Hand eines Menschen halten. – Die Stelle, die Bois-Rosé bezeichnete, war das äußerste dem Wall von Büffelhäuten gegenüberliegende Ende der Felsen. Ein Felsvorsprung deckte eine Öffnung der ein Mann sich nähern und fast ohne Gefahr einen Blick hinunterwerfen konnte.

»Bah«, sagte Pepe; »laß den Schelm laufen, und nimm dich vielmehr vor dem Mestizen und seinem abscheulichen Vater in acht!«

»Nein, sage ich dir; der Himmel selbst überliefert uns den Anstifter dieses höllischen Hinterhalts!« erwiderte Bois-Rosé mit dem Ausdruck unterdrückter Wut. »Siehst du ihn?«

Im Schutz des Felsvorsprungs – fast unsichtbar durch einen dichten grünen Saum – lag ein Mann, dessen Stellung das Auge des Kanadiers mehr erriet als wirklich sah, auf dem Felsen. Unbeweglich, wagte er es nicht, den Laubvorhang gänzlich beiseite zu schieben. »Leg den Lauf deiner Büchse schräg!« sagte der Kanadier zu Pepe. »So ... gut... Laß den Lauf nicht den Stein, der dich deckt, überragen ... und nun ...« Der Büchsenschuß des Spaniers unterbrach den Kanadier, der Pepe die Sorge, sich zu rächen, abgetreten hatte, da seine Stellung sich nicht so gut dazu eignete.

Baraja war am Kopf getroffen; er wand sich wie eine verwundete Schlange, und da er keinen Stützpunkt hatte, so glitt er an der Seite des Felsens hinab, riß eine Ecke von deren grüner Bekleidung mit hinunter und stürzte in das Val d'Or. Dort rissen die letzten krampfhaften Bewegungen seiner geballten Hände eine lange Furche mitten durch das Gold, für das er sein Leben ließ. Durch einen Zufall, den man fast der Vorsehung zuschreiben mußte, verhüllte der Teil der grünen Einfassung, den er mit sich hinabgenommen hatte, abermals den Schatz vor den Augen eines jeden, der sein Dasein nicht kannte. Mit Ausnahme von Diaz und den drei Jägern hatte dieses verderbenbringende Geheimnis alle seine Besitzer das Leben gekostet.

Barajas Schicksal war wohlverdient. Die Strafe der Wiedervergeltung hatte ihn mit unerbittlicher Strenge getroffen; die moralischen Qualen, die er an dem unheilbringenden Pfahl erlitten hatte, wogen die Martern Oroches in reichlichem Maße auf, und wie der Gambusino sein Gold mit sich in den Abgrund nahm, so hatte auch Baraja seinen letzten Seufzer auf dem Schatz ausgehaucht, nach dem er mit so großer Gier und Habsucht gestrebt hatte.

»Der Schelm liegt im Gold bis an den Hals«, sagte Pepe mit philosophischer Ruhe.

Gott ist gerecht«, fügte der Kanadier hinzu.

»Suche jetzt, wo der Schatz ist, den man dir versprochen hat, du teuflischer Mestize!« sagte der Spanier. »Ich habe gut daran getan, die Oberfläche des Tals mit einem Schleier zu bedecken.«

Der Himmel hatte sich nach und nach während dieses neuen Ereignisses mit Wolken bedeckt, und das Echo wiederholte das erste und dumpfe Grollen des fernen Donners; dann folgte dem Anzeichen des nahen Sturms ein tiefes, majestätisches Schweigen.

»Eine schreckliche Nacht steht uns bevor«, sagte Bois-Rosé, »in der wir gegen die Menschen und gegen die entfesselten Elemente werden kämpfen müssen. Schleiche dich jedoch kriechend zum gegenüberliegenden Rand der Plattform, Fabian, und sieh zu, ob unser Pulver für den Fall, daß der Sturm noch vor dem Eintritt der Nacht losbrechen sollte, gut verwahrt liegt; wirf zugleich einen raschen Blick auf die Ebene unter dir, und überzeuge dich, ob die vier Schelme dort unten ihre Höhle nicht verlassen haben.«

Während der junge Mann sich ohne ein Wort entfernte, um den Befehlen des Kanadiers Folge zu leisten, stieß dieser einen Seufzer aus und sagte zum Spanier: »Meine Seele ist düster wie diese Wolken, die Regen und Donner mit sich führen; ich fühle, daß mein Herz schwach ist wie das eines Weibes; schwarze Ahnungen, die ich meinem Sohn nicht verraten möchte, haben jenen Mut gebrochen, auf den ich bis heute so stolz gewesen bin. Pepe, weißt du keinen Trost für deinen alten Gefährten in der Gefahr?«

»Ich weiß keinen, mein armer Bois-Rosé«, antwortete der Grenzjäger, »wenn nicht den, wovor Gott mich bewahren wolle, daß nämlich eine Kugel dieser Teufel dich träfe ...«

»Ich spreche nicht von mir«, unterbrach ihn der Waldläufer. »Wenn ich jetzt einigen Wert auf mein Leben lege, so geschieht das ein wenig deinetwegen und besonders Fabians halber. Laß dich nicht durch meine Offenherzigkeit kränken, denn ich füge hinzu, daß sich nach meiner Ansicht meine Tage zwischen euch zu Ende neigen werden wie auf einem jener schönen, breiten Ströme mit wilden, blumenreichen Ufern, deren Lauf wir so oft zusammen in unserem Rindenkanu gefolgt sind; an dem wir hier das Feuer unseres Nachtlagers im Schatten der Sumachs und Magnolien anzündeten, weiter unten anhielten, um Biberfallen zu stellen oder die Hirsche zu jagen, die zur Tränke kamen. Ich habe vor etwas anderem Furcht, als das Leben zu verlieren.«

»Ich verstehe dich«, sagte Pepe. »Du fürchtest dich davor, von ihm getrennt zu werden, wie es schon einmal der Fall war, ohne jedoch zu sterben.«

»Das ist es, Pepe; du hast die schmerzliche Seite, die in mir erzittert, mit dem Finger berührt. Wenn ich also in die Hände dieser Indianer fallen sollte, so setz dich nicht der Gefahr aus, meiner Spur ganze Wochen lang zu folgen, wie du es schon getan hast! Überlaß einen unnützen Greis seinem Schicksal, bring Fabian nach Spanien zurück, und hilf ihm, das wiederzuerlangen, was er verloren hat; nur laß ihn nicht vergessen – denn die Jugend ist vergeßlich, Pepe –, laß ihn nicht vergessen, daß es einen Mann auf der Welt gab, für den sein Anblick das war, was der Schatten des Mesquite dem Reisenden in der sandigen Steppe ist, oder wie die Rauchsäule, die den verirrten Jäger wieder zurechtführt, oder wie der Polarstern, der den Nebel durchstrahlt und ihm den Weg zeigt.« Er schwieg und verschloß seine düsteren Gedanken tief in seinem Herzen.

Fabian nahm schweigend seinen Platz wieder ein. »Unsere Munition ist in Sicherheit; in der Ebene jedoch habe ich nichts gesehen.«

»Die Schelme sind in ihrem Loch geblieben, um nur wie Fischadler des Nachts herauszukommen«, sagte Pepe; »dann werden wir sehen, wie sie sich bis zum Fuß dieses Hügels hinschleichen, denn sie erwarten ohne Zweifel jetzt weiter nichts als das Dunkel der Nacht, um uns anzugreifen.«

»Ich glaube es nicht«, erwiderte der Kanadier; »wenn aber der Tag vorüber ist, ohne daß sie den Plan, den sie gefaßt haben, in Ausführung gebracht haben, so weiß ich jemand, der ihnen mit Hilfe des Sturms die Hälfte des Weges ersparen wird. Wir wollen beide einen Ausfall machen, Pepe, wie in jener Nacht am Ufer des Arkansas, wo wir diese Indianer mit dem Messer töteten, die sich in den Biberhöhlen, in denen sie verborgen lagen, so sehr in Sicherheit glaubten.«

»Ja«, antwortete Pepe; »wenn man uns jemals an den Marterpfahl bindet und uns artig bittet, unseren Todesgesang anzustimmen, so werden wir ihnen eine lange Litanei erzählen können.«

Dennoch schien sich trotz der Behauptung des Kanadiers der Angriff immer noch verzögern zu wollen. Seit einiger Zeit hatte sich eine Rauchwolke in dichten Kreisen hinter der Felsenkette erhoben. Die Jäger hatten anfangs einige Mühe, sich zu erklären, aus welchem Beweggrund die Belagerer das Feuer, von dem sie den Rauch aufsteigen sahen, wohl angezündet hätten; aber ausgehungert, wie sie waren, errieten sie bald den Grund davon. Der Wind führte einen Geruch bis zu ihnen, über den ihr Geruchssinn sich nicht täuschen konnte.

»Seht, die Hunde«, sagte Pepe, »haben irgendein Rehviertel mitgebracht, und da beschäftigen sie sich nun, es braten zu lassen, während Christen wie wir darauf beschränkt sind, sich mit dem Duft des Bratens zu begnügen. Das will sagen, sie sind entschlossen, uns hier zu belagern, um durch den Hunger zu erreichen, was sie durch Gewalt nicht erzwingen können. Caramba, ich hatte von dem Mestizen und dem Ungeheuer, das er seinen Vater nennt, eine bessere Meinung! Sosehr sie auch Räuber sind, so mangelt es ihnen doch durchaus nicht an Mut!«

Bald erhob sich der Rauch nicht mehr über die Felsen, und ein so wildes Geheul, daß man starke Nerven haben mußte, um nicht davor zu schaudern, erhob sich mit einem Mal und mischte sich in das Rollen des Donners, der sich allmählich näherte. Man hätte glauben können, es seien Äußerungen des Dankes einer Schar Dämonen nach einem Festmahl des Hexensabbats.

Die drei Jäger hörten jedoch ohne Schauder diese schrecklichen Töne an wie jene Tierbändiger, die vor dem Gebrüll der wilden Bestien nicht erbleichen. Sie fürchteten einen Angriff weniger als eine Belagerung.

»Sollen wir antworten?« fragte Pepe.

»Nein«, sagte der Kanadier, »unsere Büchsen werden diesmal für uns antworten. Aber durchforsche mit aufmerksamem Auge jeden Stamm in den Gebüschen, jeden Grashalm, als ob wir ein ganzes Nest voll Klapperschlangen vor uns hätten. Dieses Gewürm will mit uns fertig werden, ehe die Nacht beginnt und der Sturm ausbricht.«

»Gott gebe, daß du dich nicht täuschst, denn der morgige Tag wird, ohne die Dunkelheit zu rechnen, uns neue Gefahren bringen. Dieser Schelm, den wir eben auf sein goldenes Bett gestreckt haben, hat diese beiden wilden Tiere Main-Rouge und Sang-Mêlé ebenso wie ihre Bundesgenossen zu dem einzigen Zweck gegen uns geführt, sich des Schatzes zu bemächtigen, ohne zu wissen, daß er von den drei Kriegern der Rio-Gila-Insel bewacht wurde. Es ist wahrscheinlich, daß der Schwarze Falke zu dieser Stunde die Spuren derer entdeckt hat, die ihm so viele Krieger getötet haben; ohne Zweifel werden sie sich hier morgen alle gegen uns vereinigen.«

»Der Wall von Büffelhäuten hat sich bewegt«, sagte Fabian, Pepes wahrscheinliche Schlüsse unterbrechend (wahrscheinlich, da wir wissen, daß die Antilope vom Schwarzen Falken beauftragt war, die Spuren der drei Jäger wieder zu suchen). »Ich habe hinter dieser Masse von Mänteln auch die roten Bänder flattern sehen, die Sang-Mêlés Kopf schmücken.«

Von der Seite des Felsens an, die sich an die Nebelberge anlehnte und wo Main-Rouge und Sang-Mêlé im Schutz ihres Schildes von Mänteln sich auf die Knie geworfen hatten, bis zu der Stelle, wo der Abhang der Felsen die Ebene berührte, ließ das Auge der Belagerten keinen Zollbreit undurchforscht. Aber um einen Feind in diesem letzten Teil der Felsen treffen zu können, mußte die Büchse der Jäger notwendigerweise eine schräge Richtung annehmen und der Schütze den Lauf über die äußere Seite der Schießscharten hinausstrecken, ohne daß er sich jedoch selbst bloßzugeben brauchte.

»Bei Gott!« sagte Pepe plötzlich mit leiser Stimme. »Da ist ein Indianer, der des Lebens müde ist oder der ebenfalls seine Erkundung bis mitten in das Val d'Or ausdehnen will.« Er deutete zugleich mit dem Kopf auf die Hand eines Indianers, die vorsichtig das Gesträuch am äußersten Teil der Felsenkette auseinanderbog, wo sie mit der Ebene zusammentraf.

»Zieh dich ein wenig nach der rechten Seite zurück!« sagte schnell der Kanadier zu Fabian. »Pepe liegt ihr zu gerade gegenüber, um ihn mit Leichtigkeit treffen zu können, ohne sich eine Blöße zu geben.«

Fabian zog sich sogleich zum äußersten Rand der Plattform nach der Seite des Wasserfalls hin zurück, um Bois-Rosé nicht an freier Bewegung zu hindern.

»Dieser Indianer ist wahnsinnig!« fügte der Kanadier hinzu. »Sieh nur – er scheint fast einen Büchsenschuß herauszufordern, um seine Gegenwart anzukündigen.« In der Tat bewegte der Feind, von dem man nur die Hand erblickte, das Gesträuch entweder mit einer sehr ungeschickten oder sehr hinterlistigen Hartnäckigkeit, denn es war unmöglich, diese Bewegung nicht zu bemerken.

»Es ist vielleicht irgendeine Kriegslist, um unsere Aufmerksamkeit nach dieser Seite hinzulenken«, sagte Pepe. »Aber sei ruhig, ich habe das Auge überall.«

»Kriegslist oder nicht«, erwiderte der Kanadier; »ich habe ihn da vor der Mündung meines Laufes und könnte ihm von hier aus den Arm zwischen dem Daumen und dem Faustgelenk zerschmettern. Geh noch ein wenig zurück, Fabian, wenn es möglich ist; ich muß noch etwas schräger nach links halten, denn wenn seine Hand da ist, so ist sein Körper weiter entfernt. Gut! Jetzt habe ich die richtige Lage.«

Als der Kanadier diese Worte gesprochen hatte, schien der schrille Ruf eines Raubvogels oben aus der Luft bis zu den Ohren der Jäger zu dringen, und plötzlich ließ der Indianer die Gebüsche los, und seine Hand verschwand. Raubvögel schwebten dicht unter den Wolken, die immer dunkler wurden und sich tiefer auf die Erde niedersenkten; es war somit Pepe und Bois-Rosé unmöglich, sich bestimmte Rechenschaft von dem Schrei zu geben, den sie gehört hatten. Sie wußten nicht, ob es ein Signal sei oder die Stimme einer Weihe, wie sie über ihren Häuptern in der Luft kreisten.

Ein Donnerschlag, dessen Rollen in den Nebelbergen widerhallte, jagte die Weihen in die Flucht. Alle lebenden Wesen schienen vor dem schrecklichen Sturm, der bald ausbrechen mußte, einen Zufluchtsort zu suchen. Die Erde selbst schien ihr Antlitz vor der Stimme, die aus den Wolken klang, zu verhüllen. Nur die Menschen blieben unberührt und lauerten auf die Gelegenheit, sich gegenseitig zu ermorden.

»Der rote Teufel wird bald wiederkommen«, sagte der Kanadier, »denn niemand rührt sich vor uns, und in der Tat können sie ja auch nur von der Ebene und nicht vom Gipfel dieser Berge aus zu uns emporsteigen.«

Bereit, auf den ersten Feuer zu geben, der es wagen sollte, den Raum zwischen der Felsenkette und dem Fuß der Pyramide zu durchlaufen, lag Bois-Rosés Büchse unbeweglich, die Mündung nach dem Gesträuch gerichtet, das nicht einmal mehr der Wind bewegte.

»Ah«, sagte der Kanadier, »der Schelm erneuert den Versuch; er hat Mut bekommen, da er ungestraft geblieben ist. Aber, bei allen Teufeln, ich habe niemals einen Indianer sich auf diese Art benehmen sehen! Das ist irgendein Verzweifelter aus den Prärien, der das Gelübde getan haben muß, sich bei der ersten Gelegenheit den Schädel zerschmettern zu lassen.«

Die Haltung des Indianers schien auch in der Tat die Voraussetzung zu rechtfertigen, daß er einer von denen wäre, die noch heute unter den Indianern ebenso unbesonnen abgelegte Gelübde erfüllen, als diejenigen waren, die einst unsere gallischen Vorfahren taten, die an Wildheit den Indianern nichts nachgaben.

Der rote Krieger war mit einem Satz bis in die Umzäunung der Baumwollstauden und Weiden des Val d'Or gesprungen, und obgleich er hier gänzlich durch das undurchdringliche Grün verdeckt war, so ragte doch sein Kopf ganz darüber hinaus, und in seinem bemalten Antlitz funkelten die Augen mit einem Feuer, das die Gewißheit des Todes nicht zu dämpfen vermochte. Sie hefteten sich starr auf Bois-Rosés Büchse, die langsam durch die Spalte von Steinen vorrückte, als ob er den Schützen hätte bezaubern wollen.

»Es ist sein Wille gewesen!« sagte der Kanadier, der durch die Stellung des Indianers genötigt war, von oben nach unten Feuer zu geben, und deshalb den Lauf seiner Büchse vorstrecken mußte, so daß sie etwa einen halben Fuß über den Felsen hinausragte.

Drei Schüsse und ein zweifacher Schrei des Schmerzes erschollen fast zu gleicher Zeit. Der erste Schuß kam aus der Waffe des Waldläufers; der erste Schrei bezeichnete den Todeskampf des Indianers, der sein Todesgeheul ausstieß.

Die beiden fast augenblicklich folgenden Schüsse waren von Main-Rouge und Sang-Mêlé abgefeuert. Der zweite Schrei des Schmerzes war von Bois-Rosé ausgestoßen. Zwei Kugeln hatten zu gleicher Zeit den Lauf seiner Büchse getroffen, die ihm aus der Hand gerissen wurde, auf den Felsen schlug und dann dicht zu dem sterbenden Indianer hinrollte.

Felsenherz hatte noch Kraft genug, sich ihrer zu bemächtigen, und seine wankende Hand schleuderte sie an den Fuß der Felsen; dann rührte er sich nicht mehr. Ein Geheul wilder Freude begleitete diese letzte Heldentat, während der entwaffnete Kanadier auf Pepe und Fabian einen Blick tödlicher Angst warf.

Während dieser Zeit wurde der Himmel immer finsterer.


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