Gabriel Ferry
Der Waldläufer
Gabriel Ferry

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40 Das Val d'Or

Wir müssen jetzt auf den Morgen desselben Tages zurückkommen, der den Mexikanern so verderblich wurde und an dem auch die drei wunderbar auf ihrer schwimmenden Insel geretteten Jäger in das Val d'Or eindringen wollten.

Dunkelheit verhüllte noch die Landschaft und ließ nur deren große Umrisse erkennen; sie war indes nicht mehr so groß wie in den feierlichen Stunden einer Steppennacht. Die Sterne verließen nach und nach den Himmel, auf dem die Zacken der Sierra abstachen wie Türme mit abenteuerlichen Zinnen, deren Gipfel grauer Nebel umkränzt. Dichte Schatten bezeichneten an den Seiten tiefe Spalten. Am Fuß der Sierra trennte sich ein einsamer Fels wie ein vorgeschobenes Bollwerk von der Masse der benachbarten Berge. Hinter der flachen Ebene seines Gipfels stürzte sich ein Wasserfall mit ehrfurchtgebietendem Rauschen in einen bodenlosen Abgrund. Diesseits des einsamen Felsens, der sich wie ein abgestumpfter Kegel erhob, stand eine Reihe Zwergweiden und Baumwollstauden – ein Beweis, daß sich ein Flüßchen oder eine Einfassung von angeschwemmtem Boden in der Nähe befand.

Dann dehnte sich die unermeßliche Ebene des Deltas, das durch die Trennung der beiden Arme des Rio Gila gebildet wurde, der sich westlich und östlich einen Durchgang durch die Kette der Nebelberge bahnte, bis zum Gipfelpunkt des Triangels in seiner ganzen düsteren Erhabenheit aus. Die Basis des vom Fluß eingeschlossenen Deltas war nicht weiter als eine Meile vom Gipfel entfernt; aber zwischen seinen beiden Seiten, die von den beiden Armen des Gila begrenzt wurden, hatte seine Grundlinie eine fast dreimal so große Ausdehnung.

Das waren in der Dunkelheit für den Reisenden, der von der Gabel des Flusses herkam, die hervorstechenden Züge der Landschaft.

Die Nacht machte der Dunkelheit Platz, das bläuliche Licht des Morgens folgte der Finsternis auf den Zacken der Berge. Wie in einem verwirrten Entwurf tauchten ihre Gipfel nacheinander aus der düsteren Morgendämmerung hervor. Unbestimmte Schlaglichter drangen nach und nach in die Abgründe der sich amphitheatralisch erhebenden Hügel. Das Licht kam nur Schritt vor Schritt. Auf der Plattform des einsam stehenden Felsens waren zwei Fichten wie zwei Gespenster sichtbar, streckten ihre gewaltigen Wurzeln weit aus, und ihre gebeugten Stämme, ihre schwarzen Nadeln neigten sich über den Abgrund. Zu ihren Füßen stand aufrecht, von verborgenen Banden gehalten, das Skelett eines Pferdes, das auf seinen weißen Knochen noch den wilden Zierat trug, mit dem es einst geschmückt gewesen war. Die Bruchstücke eines Sattels umschlossen noch seine durchsichtigen Flanken.

Das Licht der Morgendämmerung beleuchtete bald noch unheimlichere Sinnbilder: an Pfählen, die in gewisser Entfernung voneinander aufgerichtet waren, flatterten menschliche Skalpe im Morgenwinde. Diese gräßlichen Trophäen bezeichneten das Grabmal eines Kriegers aus einem Barbarenvolk. Wirklich ruhte auch ein früher durch seine Taten berühmter indianischer Häuptling auf dem Gipfel dieser natürlichen Pyramide. In seinem Grab liegend beherrschte er wie der Genius der Verwüstung diese Ebenen, wo sein Kriegsgeschrei so oft widerhallt war und die er auf dem Schlachtroß durchflogen hatte, dessen Gebeine jetzt an seiner Seite im Tau der Nacht und in der Glut des Tages bleichten. Raubvögel flogen schreiend über dieses stumme Grab, als sollte ihr Geschrei den wieder aufwecken, der hier auf ewig schlief und dessen erstarrte Hand ihnen nicht mehr blutige Feste bereiten sollte.

Einige Minuten später färbte sich der Horizont den Nebelbergen gegenüber mit einem bleichen Licht; rosige Wolken schwebten zum Zenit. Bald darauf traf ein Sonnenstrahl, ähnlich dem ersten Funken eines entstehenden Brandes, wie ein goldener Pfeil den dichten Nebel der Sierra, und das Licht überflutete mit einer Flammendecke die Tiefen der Täler.

Der Tag war angebrochen, aber ein Nebelmantel verhüllte noch die Hügelmasse. Dieser Nebel wurde wie ein hin und her schwankender Vorhang vom Morgenwind emporgehoben und zerstreute sich nach und nach. Dunstflocken hingen noch hartnäckig an den Blättern der Sträucher oder sprangen wie Gemsen auf den Bergen von Kamm zu Kamm. Tiefe Engpässe, an deren Eingang die Opfergaben indianischen Aberglaubens für die Geister der Berge in Menge zur Schau lagen, wurden einer nach dem anderen sichtbar und zeigten wilde Abgründe und Wasserfälle, die an ihren Seiten entlangschäumten.

Über das Grab des indianischen Häuptlings breitete die Kaskade eine feuchte Dunstmasse und bildete hinter den durchsichtigen Gebeinen des Schlachtrosses schnell verschwindende Regenbogen. Endlich breitete sich ein enges Tal am Fuß dieser Pyramide aus, auf der das Grabmal stand; es war auf der einen Seite durch senkrechte Felsen, an denen grüne Schlinggewächse lang herunterhingen, auf der anderen durch einen See mit regungslosem Wasser begrenzt. Dieses Tal zwischen den Felsen und dem See, von einem Gürtel von Weiden mit bleichem Laub und Baumwollstauden mit offenen Hülsen umgeben, war das Val d'Or.

Das Auge bemerkte anfänglich nur die düstere, wunderliche Umgebung, diesen mit Tannen und Nebel umkränzten Felsen, auf dessen Gipfel ein bleiches Skelett stand; die gräßlichen Trophäen von menschlichen Skalpen, herabstürzende Wasserfälle und den unter einem Mantel von Wasserpflanzen kaum sichtbaren See. Aber ein Gambusino würde bald einen reelleren Eindruck von diesem Tal gewonnen haben.

Nichts verriet noch an diesem wüsten Ort die Gegenwart beseelter Wesen, als drei Männer, die bis dahin in dem zerrissenen Terrain nicht hatten erblickt werden können, ganz nahe beim Val d'Or zum Vorschein kamen. Alle drei schienen erstaunte, fast furchtsame Blicke um sich zu werfen.

»Wenn der Satan irgendwo auf dieser Welt ein Absteigequartier hat«, sagte Pepe, indem er seine beiden Gefährten zurückhielt und auf die Nebeldecke zeigte, die die Bergkette bedeckte, »so muß es sich ganz gewiß in diesen wilden Schluchten befinden.«

»Wenn es wahr ist – und man kann daran doch nicht wohl zweifeln –, daß des Goldes halber die meisten Verbrechen auf der Erde begangen werden, so sollte man vielmehr glauben, daß der Urheber des Bösen das Val d'Or zum Aufenthalt gewählt hat, da nach deiner Meinung, Fabian, sein Inhalt ein ganzes Geschlecht zugrunde richten kann.«

»Du hast recht«, antwortete Fabian mit feierlicher Haltung und bleichem Gesicht; »die Stelle, die mein Fuß jetzt betritt, ist vielleicht der Ort, wo der unglückliche Marcos Arellanos von dem Mann, der ihn begleitete, ermordet wurde. Ach, wenn diese Gegend sprechen könnte, so würde ich den Namen dessen erfahren, den zu verfolgen ich geschworen habe; aber Sturm und Regen haben die Spur der Schritte des Opfers wie die des Mörders verwischt, und die Stimme der Wildnis ist stumm geblieben.«

»Geduld, mein Kind, Geduld!« erwiderte Bois-Rosé eindringlich. »Ich habe im Verlauf eines langen Lebens noch niemals das Verbrechen ohne Strafe bleiben sehen; oft findet man Spuren wieder, die man schon seit langer Zeit verwischt glaubt; selbst die Stimme der Wildnis erhebt sich zuweilen gegen den Schuldigen. Wenn der Mörder nicht tot ist, so wird die Habgier ihn abermals an diesen Ort führen, und das wird ohne Zweifel nicht mehr lange dauern, denn er befindet sich vielleicht im mexikanischen Lager. Sollen wir jetzt, Fabian, den Feind an dieser Stelle erwarten, oder sollen wir unsere Taschen mit Gold füllen und nach Hause zurückkehren?... Du wirst darüber entscheiden.« Bei diesen Worten seufzte Bois-Rosé.

»Ich kann nicht darüber entscheiden«, antwortete Fabian; »ich komme fast wider meinen Willen hierher. Es ist wahr, ich gehorche einem Einfluß; aber ich möchte fast sagen, einem Willen, der stärker ist als meiner und deiner. Ich fühle, daß eine unsichtbare Hand mich vorwärts treibt wie an dem Abend, wo ich zu euch kam und mich an eurem Feuer niederließ. Warum habe ich mein Leben aufs Spiel gesetzt? Um dieses Gold zu gewinnen, mit dem ich doch nichts anzufangen weiß? Ich kenne den Grund davon nicht. Ich weiß nur eines: das ist, daß ich hier bin mit traurigem Herzen und einer Seele, die voll quälender Ungewißheit ist.« »In der Tat ist der Mensch nur das Spielzeug der Vorsehung«, sagte Bois-Rosé; »was aber die Traurigkeit anlangt, die du empfindest, so ist sie hinreichend durch den Anblick dieser Gegenwart gerechtfertigt, und was ...«

Ein rauher Ausruf, eine Art menschlichen Brüllens unterbrach den Kanadier und mischte sich mit dem Grollen des Wasserfalls. Dieser Ausruf schien vom indianischen Grabmal herzuschallen und erhob sich wie eine Stimme, die die in die Wohnung der Toten eindringenden Räuber anklagte.

Die drei Jäger hoben zu gleicher Zeit überrascht den Kopf nach dem Gipfel der Pyramide – aber keine lebendige Kreatur zeigte sich dort. Die Sonne spielte durch die offen daliegenden Rippen des Skeletts, und die Skalpe wehten immer noch im Luftzug an den Stangen, an denen sie befestigt waren, hin und her. Nur das Auge des Raubvogels, der über dem Felsen schwebte, hätte den Mann entdecken können, der durch dieses Geschrei so plötzlich das Echo der Wildnis weckte.

Die düstere Feierlichkeit der Gegend, in der sich die drei Freunde befanden; die blutigen Erinnerungen, die sie in Fabian hervorrief, und die abergläubischen Gedanken, die in Pepes Seele dadurch geweckt wurden, vereinigten sich mit diesem fremdartigen, geheimnisvollen Ausruf, so daß sie ein Gefühl hatten, das dem Schrecken sehr nahe kam. Es war in dem Ton etwas so Unerklärliches, daß sie einen Augenblick zweifelten, ob sie diesen auch wirklich gehört hatten.

»War dies denn die Stimme eines Menschen?« sagte Bois-Rosé ganz leise, indem er Fabian und Pepe zurückhielt. »Oder ist es vielleicht ein sonderbares Echo wie es in dieser Nacht in den Bergen widerhallte?«

»Wenn es eine menschliche Stimme ist, so frage ich, woher sie kommen könnte«, erwiderte Fabian, »denn ich habe ebensogut wie ihr einen Schrei über uns gehört. Er schien vom Gipfel dieses Felsens zu kommen – und doch sehe ich niemand!«

»Gott gebe«, sagte nun der Grenzjäger, sich bekreuzend, »daß wir es in diesen Bergen, wo unerklärliche Töne grollen, wo Blitze am heiteren Himmel leuchten, nur mit Menschen zu tun haben! Aber wenn diese Nebel auch eine Legion von Teufeln verbergen sollten und ihr immer noch behauptet, daß dieses Tal ein mehrfaches Jahreseinkommen des Königs von Spanien enthält, so seid so gut, Don Fabian, und nehmt Eure Erinnerungen zusammen, und sagt uns, ob wir noch weit davon entfernt sind.«

Fabian schien sich zu besinnen, denn er warf abermals einen aufmerksamen Blick um sich – auf den Kamm der Nebelberge, auf den Gipfel der Pyramide und auf den dunsterfüllten Punkt, wo sich der Fluß teilte. Diese sonderbare Landschaft war bestimmt diejenige, die man ihm so genau beschrieben hatte. Er war mit seiner Prüfung zufrieden und beantwortete die Frage des Spaniers: »Ohne Zweifel sind wir da, denn am Fuß des Grabmals des indianischen Häuptlings muß es sein, und diese wilde Verzierung beweist hinreichend, daß dieser Felsblock das Grab ist. Während Ihr mit Bois-Rosé um den Felsen herumgeht, will ich einen Blick durch diese Baumwollstauden und Weiden werfen.«

»Ich mißtraue allem, was mich an diesem geheimnisvollen Ort umgibt«, erwiderte Bois-Rosé. »Dieser Schrei, den wir eben gehört haben, beweist, daß ein menschliches Wesen gegenwärtig ist; Weißer oder Roter – wir müssen ihn fürchten. Laß mich, ehe wir uns trennen, den Boden in unserer Nähe untersuchen.«

Alle drei richteten ihre Augen, die gewohnt waren, auf dessen Oberfläche wie in einem offenen Buch zu lesen, auf den Boden.

»Was habe ich euch gesagt?« rief der Kanadier zuerst. »Hier ist der Eindruck der Füße eines Weißen, und ich möchte darauf schwören, daß er vor nicht mehr als zehn Minuten hiergewesen ist.«

Wirklich befanden sich die Spuren menschlicher Füße im Sand; einer hatte sogar den Stamm eines wilden Pertulaks niedergetreten, dessen Stengel sich nacheinander langsam wieder aufrichteten. Diese Spuren führten zu der Hecke von Baumwollstauden.

»Auf jeden Fall ist er allein«, sagte Fabian und näherte sich der grünen Einfassung.

Bois-Rosé hielt ihn zurück. »Laß mich hingehen; diese undurchdringliche Hecke kann den Feind verbergen. Doch nein«, fügte er hinzu; »der Mann, dessen Schritte hier sichtbar sind, hat nur die Zaunreben, die sich um die Bäume schlingen, auseinandergebogen, um einen Blick hineinzuwerfen.«

Bois-Rosé bog bei diesen Worten ebenfalls die Zweige und das verschlungene Netz, das sie umwickelt hatte, auseinander; aber nach einer kurzen Prüfung, deren Resultat nichts Merkwürdiges bot, kam er zurück und ließ den grünen Vorhang sich selbst wieder schließen. Der Jäger folgte den Spuren, die von da zum felsigen Hügel mit dem abgestumpften Gipfel führten; weiterhin aber wurde der Boden kalkig, bedeckte sich mit flachen Steinen, den Grabsteinen auf den Kirchhöfen ähnlich, und ließ keine Spur mehr erkennen.

»Wir wollen um diesen Felsen herumgehen«, sagte Bois-Rosé; »vielleicht sagt uns der Boden dort mehr. Komm, Pepe! Fabian, du wartest hier auf uns!«

Die beiden Jäger entfernten sich; Fabian blieb nachdenklich allein. Dieses Val d'Or, von dessen Eroberung er zur Zeit, als sein Herz noch so süße Hoffnungen nährte, geträumt hatte, dieses Val d'Or war ganz in seiner Nähe. Dieser Traum, den er sonst nur als eine Chimäre zu betrachten wagte, war jetzt etwas Wirkliches geworden; und Fabian war viel unglücklicher als damals, wo die hoffende Liebe ihm noch in seiner ersten Armut zulächelte. So ist es aber: Das Glück entflieht immer in dem Augenblick, wo man es zu ergreifen meint.

Zuweilen lauscht der Reisende in der Stille des Waldes auf die melodischen, durch die Entfernung geschwächten Töne des Cenzontlé. Er nähert sich vorsichtig der Stelle, wo, unter den Blättern verborgen, der Vogel der Wildnis nur für diese seine süßen Gesänge singt. Der Reisende hofft, dem geflügelten, menschenscheuen Sänger näher zu kommen und keinen Ton zu verlieren. Vergebliche Hoffnung! Er mag gehen, soviel er will – die Stimme des Cenzontlé bleibt ewig fern, der Vogel selbst ewig unsichtbar.

So ist es auch im Leben. Ferne Stimmen besingen das Glück; der Mensch hört es, er nähert sich – und das Glück ist nicht mehr da. Sein Leben entschwindet, indem er unaufhörlich diesen Melodien nachgeht, die stets vor ihm fliehen. Für Fabian war das Glück nicht mehr im Val d'Or; es war nirgends mehr. Keine ferne Stimme sang jetzt noch in der Einöde seines Lebens; der Wanderer hatte kein Ziel mehr zu verfolgen; er konnte nicht mehr hoffen, ein stets fliehendes, aber immer noch geliebtes Bild endlich an die Brust zu drücken.

Fabian durchlebte einen Augenblick, wie ihn Gott glücklicherweise selten im Leben schickt; in solchen Augenblicken ist alles Finsternis wie auf dem Meer, wenn das Feuer des Leuchtturms, das den Seemann leitet, erloschen ist. Fabians Herz war traurig wie das Herz, das nicht mehr hofft. Er näherte sich mechanisch dem dichten Gebüsch, das vor ihm eine fast undurchdringliche Hecke bildete. Doch kaum hatte er mitten durch diese verschlungenen Zweige geblickt, als er starr vor Erstaunen stehenblieb.

Der bläuliche Schatten, der noch die Tiefe der Tals bedeckte, verschwand vor der Sonne und enthüllte nach und nach durch sein Verschwinden eine unzählige Menge geheimnisvoll leuchtender Punkte. Dicht gereiht wie die Steine am flachen Meeresufer, ließen sich die Kiesel, die das Licht ausstrahlten, in einem Tag nicht zählen. Jeder andere als ein Goldsucher hätte sich beim Anblick dieser Kiesel, die ganz den verglasten Steinen am Fuß der Vulkane glichen, getäuscht abgewandt; aber das geübte Auge Fabians brauchte nur halb hinzusehen, um unter seiner tonartigen Hülle das gediegene, ursprüngliche Gold zu erkennen, wie es die Gießbäche von den Bergen in die Ebene tragen. Vor seinen Augen breitete sich der reichste Schatz aus, der sich jemals dem forschenden Blick eines Mannes gezeigt hat.

Und doch – wenn der Windhauch an das Ohr des jungen Grafen von Mediana die Töne von Rosaritas Stimme, als sie ihn einige Tage vorher nach der Hacienda zurückrief, durch die Wildnis getragen hätte, hätte er freudig all diese Schätze liegen lassen, um zu ihr zu eilen. Aber der Wind war stumm, und es liegt ein solcher Zauber im Gold, daß Fabian trotz seiner tiefen Traurigkeit einen Schwindel fühlte, von dem er sich nicht befreien konnte.

Aber es dauerte nicht lange. Die Seele Fabians gehörte zu denen, die vom Glück nicht berauscht werden, und nachdem die Aufregung, von der sich auch das teilnahmsloseste Herz nicht freimachen kann, einige Minuten gewährt hatte, rief er seine beiden Gefährten. Der Jäger und Pepe hatten sich bald eingefunden. »Habt Ihr ihn gefunden?« rief der ehemalige Grenzsoldat.

»Den Schatz, aber nicht den Mann. Seht hier!« sagte Fabian, indem er mit seiner Büchse das Netz von Lianen auseinanderbog, das den Blick in das kleine Tal verwehrte.

»Was?« fragte Pepe. »Diese funkelnden Steine ...?« »... sind reines Gold! Es ist der Schatz, den Gott seit Jahrhunderten hier verbirgt.«

»Gott Jesus!« rief Pepe starr vor Staunen. Dann heftete er seine Augen glühend auf diese schwindelerregende Masse von Reichtümern, die vor ihm ausgebreitet lagen, und fiel auf die Knie. Leidenschaften, die er schon längst unter seine Füße getreten glaubte, schienen bis zu seinem Herzen zurückzuströmen; eine vollständige Umwandlung ging mit ihm vor, und der unheimliche Ausdruck seines Gesichts erinnerte plötzlich an den Banditen, der vor zwanzig Jahren um den Blutpreis gefeilscht hatte.

Fabian blickte mit melancholischem Antlitz auf das in den Kieseln spielende Licht. Er dachte daran, daß all diese Reichtümer für ihn nicht soviel Wert besaßen wie ein Lächeln, ein Blick von der, die ihn verschmäht hatte.

»Jetzt kann ich mir erklären«, fuhr Fabian fort, »wie die beiden Ströme bei ihrem jährlichen Steigen und die Gießbäche, die von den Nebelbergen herabstürzen, dieses enge Tal bedecken und hier, jeder von seiner Seite her, das Gold der Minen und der Hügel aufhäufen; die Lage dieses Tals ist vielleicht einzig in der Welt.«

Aber der Spanier hörte die Stimme Fabians nicht; die Reichtümer gewannen in seinen Augen wieder ihren zauberischen Einfluß, obgleich die rauhe Lektion, die er bekommen hatte – das unabhängige Leben, das wilde Glück, das er seit zehn Jahren genoß –, ihn hätte lehren sollen, sie zu verachten. Wie eine unglückbringende Leidenschaft, die in dem Herzen, das sie zerrissen hat, nur schlecht gedämpft ist und bei einem Wort, einer zufälligen Erinnerung heftiger als jemals wieder erwacht, so erhob sich plötzlich die Goldgier beim Anblick dieser Schätze in der Seele des Jägers mit neuer Kraft.

»Nicht wahr, Pepe, Ihr konntet nicht ahnen«, sagte Fabian immer noch gedankenvoll, »daß soviel Gold an einem Ort aufgehäuft gefunden werden könnte? Ich glaube es wohl. Ich selbst, dessen erstes Gewerbe doch

das eines Goldsuchers gewesen ist, würde es nicht zu träumen gewagt haben, obgleich man mir davon erzählt hatte.«

Pepe antwortete immer noch nicht. Seine Augen irrten immer noch über die Goldklumpen; er warf nur auf Fabian und Bois-Rosé einen unheimlichen Blick, der diejenigen nicht mehr zu sehen schien, die neben ihr standen. Der alte Jäger hatte unbeweglich seine Lieblingsstellung angenommen – den Arm auf der Mündung seiner Büchse – und sah von all diesen Schätzen nur den an, der ihm der teuerste war: den jungen Mann. den der Himmel ihm zurückgegeben hatte.

Der eine von ihnen war der alte Begleiter des Spaniers in allen Gefahren; in hundert Kämpfen hatten sie zusammen ihr Kriegsgeschrei ausgestoßen wie jene Waffenbrüder der alten Ritterzeit, die stets unter demselben Banner kämpften; Kälte, Hunger und Durst – alles hatten sie gemeinsam ertragen; ihre Tage waren unter derselben Sonne, ihre Nächte unter demselben Sternenhimmel vorübergegangen.

Der andere war ein durch seine Schuld verwaistes Kind – zwanzig Jahre hindurch hatte sein Gewissen ihm dies vorgeworfen; dieses Kind war das Leben, die Liebe seines einzigen Freundes in dieser Welt. Aber der Teufel der Habgier, die sein Herz zernagte, wischte all diese Erinnerungen der Vergangenheit aus: Diese beiden Männer waren heute zuviel in seinen Augen. Ein Schauder des Schreckens ließ den Körper des Spaniers erzittern, als diese Gedanken durch seine Seele fuhren. Ein heftiger Kampf entstand in seinem Innern; ein Kampf der Gefühle seiner Jugend gegen die viel edleren Gefühle, die der Anblick der wilden Natur, in der sich der Mensch Gott näher fühlt, in ihm entwickelt hatte. Aber dieser so schreckliche Kampf war nur kurz; der Grenzjäger von ehemals war plötzlich verschwunden, und als Pepe seine gehässigen Gedanken zum Bewußtsein kamen, trug die edle Natur, die er wiedergewonnen hatte, den Sieg davon – der alte Mensch war auf immer besiegt, es blieb nur noch der Waldläufer da, der durch die Reue und durch die Wildnis gereinigt war.

Pepe kniete immer noch auf dem Boden, er hatte die Augen geschlossen; eine verstohlene Träne – eine Träne, die von seinen beiden Gefährten ebensowenig bemerkt wurde wie der Kampf, aus dem er als Sieger hervorgegangen war – drang durch seine Augenlider und rollte über seine bronzene Wange. »Señor Graf von Mediana«, sagte er, sich erhebend, »Ihr seid von heute an ein reicher und mächtiger Herr, denn all dieses Gold gehört Euch allein!« Bei diesen Worten entblößte er seine Stirn und verbeugte sich mit einer erhabenen Anstrengung ehrerbietig vor dem, der ihm von jetzt an nichts mehr zu verzeihen hatte. »Das wolle Gott nicht«, sagte Fabian lebhaft, »daß ihr nicht mit mir dieses Gold teilt, nachdem ihr meine Gefahren geteilt habt. Was sagst du dazu, Bois-Rosé? Freust du dich nicht, daß du ebenfalls in deinem Alter noch ein reicher und mächtiger Herr wirst?«

Aber Bois-Rosé beharrte immer noch in seiner Stellung und stützte ruhig den Arm auf den Lauf seiner Büchse. So großen Reichtümern gegenüber unerschütterlich wie der Felsen, der sich über ihnen erhob, begnügte er sich damit, den Kopf zu schütteln, während ein Lächeln unaussprechlicher Liebe für Fabian von dem einzigen Interesse zeugte, das er an diesem wunderbaren Anblick nahm. »Ich denke wie mein Freund Pepe«, sagte der Kanadier. »Was sollte ich mit diesen Reichtümern machen, nach denen jedermann so begierig ist? Wenn dieses Gold für uns einen unschätzbaren Wert hat, so liegt der Grund davon darin, daß er dir gehören soll; der Besitz des kleinsten Kiesels würde in seinen und in meinen Augen den Wert des Dienstes schmälern, den wir dir haben leisten können. Aber der Augenblick ist da, zu handeln und nicht zu sprechen; gewiß sind wir in dieser Einöde nicht allein.«

Dieser letzte Gedanke erinnerte die drei Freunde daran, daß die Zeit wirklich kostbar war. Pepe bog zuerst die Zweige der Baumwollstauden auseinander und drang durch die grüne Einfassung; aber kaum hatte er das Val d'Or betreten, als ein Schuß im Berg widerhallte. Nach einigen Sekunden der Angst um das Schicksal ihres Gefährten beruhigte sie seine Stimme. »Das ist der Teufel«, rief der Jäger, »der uns verwehren will, Eingriffe in sein Eigentum zu tun; aber auf jeden Fall ist es ein Teufel, dessen Auge nicht untrüglich ist.«

Der Kanadier und Fabian hoben, ehe sie ebenfalls das Tal betraten, ihre Augen zum zweitenmal zum Gipfel der Pyramide, von der der Schuß und die Stimme, die sie gehört hatten, herzukommen schienen. Aber ein dicker Nebel, den der Wind vom Gipfel der Berge abgelöst hatte, entzog ihrem Blick gerade die Plattform des Felsens und seine phantastische Ausschmückung.

Bois-Rosé und Fabian hatten den Spanier bald erreicht, und alle drei wandten sich ganz von selbst nach dem alleinstehenden Felsen. Dort mußte ohne Zweifel der Feind verborgen sein, der sie bedrohte. Die Seitenflächen der Pyramide waren, wenn auch abschüssig, doch mit Gesträuch besetzt, weshalb man sie auch ersteigen konnte. Dennoch war es immer ein gefährliches Unternehmen, denn im Nebel konnte man gar nicht ahnen, mit wie vielen Feinden sie zu tun haben würden.

Fabian wollte vorangehen, aber der kräftige Arm des Kanadiers hielt ihn zurück, während Pepe die Anhöhe schon halb erstiegen hatte. Bois-Rosé bildete nun einen Schild für sein zärtlich geliebtes Kind und folgte Pepe, nachdem er Fabian inständig gebeten hatte, nur seinen Fußstapfen zu folgen.

Indessen wogte der Nebel immer noch wie ein Helmbusch auf dem Gipfel des Felsens; zwar schwankte er unter dem Wehen des Windes unregelmäßig von einer Seite zur anderen, war aber undurchdringlich wie der Wolkenschleier, der den Blitz verbirgt. Der unerschrockene Grenzjäger jedoch stieg immer vorwärts, ohne vor dem Hinterhalt zu erschrecken, der hinter dieser Dunstmasse, die von der Luft traurig auf den Höhen hin und her wallte, verborgen sein konnte. Er verschwand bald selbst mitten im Nebel.

Fabian und Bois-Rosé verloren ihn im selben Augenblick aus dem Gesicht, wo sie ein wenig anhielten, um Atem zu schöpfen; dann klimmten sie ihren gefährlichen Pfad mit einem Herzen voll peinlicher Ungewißheit weiter hinauf. Ein Triumphgeschrei Pepes bewies, daß er glücklich und wohlbehalten oben angelangt war. Seine beiden Gefährten beantworteten seinen Ruf und setzten bald selbst ihren Fuß auf die Plattform – sie war verlassen!

In dem Augenblick, wo sie, unmutig über den geringen Erfolg und in dem dichten Nebel kaum füreinander sichtbar, sich anschickten, wieder in die Ebene hinabzusteigen, vertrieb ein plötzlicher Windstoß, der über die öden Gipfel der Hügel fegte, ungestüm den Nebel, und die drei Freunde konnten die Ebene überschauen. Rechts und links war sie das vollständige Bild der Steppe in ihrer ganzen düsteren Pracht: dürre Flächen, auf denen wirbelnde Sandsäulen einen traurigen Anblick gewährten; eine sonnenverbrannte, trockene Ebene; überall Schweigen, überall Regungslosigkeit – ausgenommen auf einem Punkt. Ziemlich weit noch von der Einfassung von Weiden und Baumwollstauden, die von der Ebene her den Zugang zum Val d'Or verdeckten, schienen vier Reiter aus dem Nebel des Flusses hervorzukommen, von dem sie fast noch ganz eingehüllt waren. Sie näherten sich, fest aneinandergeschlossen, die Büchse in der Faust; doch war die Entfernung zwischen den Neuangekommenen und dem Val d'Or noch zu groß, als daß diejenigen, die sich auf der Plattform des Felsens befanden, ihren Anzug und ihre Hautfarbe hätten unterscheiden können.

»Müssen wir etwa hier noch eine Belagerung aushalten?« sagte Bois-Rosé. »Sind es Weiße, sind es Rothäute?«

»Rothäute oder Weiße – jedenfalls sind es Feinde«, sagte Pepe.

Während die drei Abenteurer sich niederbückten, um nicht bemerkt zu werden, ging ein Mann, der für beide Parteien bis jetzt unsichtbar gewesen war, leise in den See hinein. Er bog vorsichtig die schwimmenden Blätter der Seerosen auseinander, machte aus ihren glänzenden Kelchen ein Dach über seinem Kopf und blieb unbeweglich. Der See beherbergte einen unerwarteten Gast, aber seine Oberfläche hatte ihr Aussehen nicht verändert.

Dieser Mann war Cuchillo, der schmutzige Schakal, der, schlecht beraten von seinem Geschick, auf dem Grund und Boden der Löwen jagen wollte.


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