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Drittes Kapitel
Nach der Fronde / Geistige Wandlungen

»Einen sauersüssen Geschmack hatte das Ministerium des Kardinal Mazarin für die Franzosen,« schreibt der Marquis von La Fare in seinen Erinnerungen. Der Ausgang der Revolution brachte den Parisern mit der ersehnten Ruhe Demütigungen, die der Glanz und die Beliebtheit ihres Herrschers ihnen erträglich machten. Auf der Place de Grève vor dem Rathause, wo die Aufrührer einen Abend und eine Nacht nach allen königlich Gesinnten geschossen hatten, wurde ein Marmorstandbild des jungen Königs errichtet, der als Halbgott dargestellt war, den Donnerkeil in der Rechten, während er mit dem Fuss ein Schiff niedertrat; das berühmte Schiff – »fluctuat nec mergitur«, – das die Stadt Paris im Wappen führt. Die Inschrift, milder als die Symbolik des Bildes, weihte es dem König, »der die Hochverräter niedergerungen und die Stadt durch seine Gegenwart, seine Autorität und seine Nachsicht beruhigt hatte«.

Im Sommer 1654, als die Unruhen in Frankreich beendet waren, wurde Ludwig XIV. nach den uralten feierlichen Gebräuchen in Reims gekrönt. Am Morgen des 7. Juni, während alle Glocken klangen, begaben sich der Graf-Bischof von Beauvais, durch den Bischof von Châlons, und der von Châlons durch den Erzbischof von Rouen vertreten, während die Domherren des Kapitels voranschritten, durch eine eigens errichtete Galerie von der Kathedrale nach dem erzbischöflichen Palast, in dem der König wohnte. Mit einem silbernen Stabe schlug der Grosskantor des Kapitels an die Türe. Vor der Türe stand der Grosskämmerer, Herzog von Joyeuse, und fragte, wen sie suchten. »Wir suchen den König!« erwidert der Bischof von Beauvais. »Der König schläft.« Dies wird dreimal wiederholt, bis der Bischof sagt: »Wir suchen Ludwig XIV., den Sohn jenes grossen Königs Ludwig XIII., den Gott uns zum König gegeben.« Darauf werden die Türen geöffnet, und der Grosszeremonienmeister, Marquis von Rhodes, führt sie zu einem Ruhebette, auf dem der junge König, mit einer rotseidenen Tunika und einem silbernen Überwurf bekleidet, ein schwarzes Sammetbarett mit Reiherfedern auf dem Haupt, zu schlafen scheint; schweigend stehen im Halbkreis rings um ihn die Inhaber der grossen Kronämter, soweit diese noch bestehen, wie der Kanzler und der Grosskämmerer, während der Konnetable und die andern durch Marschälle von Frankreich vertreten sind. Der Bischof von Beauvais reicht dem König, der zu erwachen scheint, das Weihwasser und spricht ein feierliches Gebet, in dem er den allmächtigen und ewigen Gott bittet, dass er »seinem Knecht Ludwig gewähren möge, das Wohlergehen der Mehrheit seines Volkes zu schaffen und niemals vom Wege der Gerechtigkeit abzuweichen«. Dann richten die beiden geistlichen Pairs den König auf und geleiten ihn unter Glockenläuten zur Kathedrale, deren Schiff von der Schweizergarde und den andern Haustruppen erfüllt ist. Auf einer Tribüne nehmen die Königin und die Damen des Hofes, auf einer andern die fremden Gesandten Platz. Für die Kardinäle Mazarin und Grimaldi, – den Erzbischof von Aix, – war ein besonderer Sitz errichtet.

Jetzt kam auf einem weissen Zelter unter einem silbernen Baldachin, den vier Mönche des Klosters trugen, der Abt von Saint-Rémi, den vier Herren, darunter Mazarins Neffe, Philippo Mancini, eingeholt hatten. Er brachte das Gefäss mit dem heiligen Öle. Der Bischof von Soissons, als erster Suffraganbischof des Erzbischofs von Reims – dieser selbst hatte damals die Weihen noch nicht erhalten – nahm es, von der Geistlichkeit des Erzbistums umgeben, am Eingang der Kirche in Empfang. Und während die Orgel schallt und wieder verstummt, wenn die feierlichen Worte gesprochen werden, nimmt der Bischof dem König, der umgeben von den Grosswürdenträgern auf einem Stuhl dem Altar gegenüber sitzt, den Eid ab, dass er die Rechte der Kirche verteidigen werde. Dann fragt er die anwesenden Herren, ob sie ihn zum König annehmen. Ehrfürchtiges Schweigen antwortet, niemand mehr ahnt, dass der Zuruf, der nun folgen sollte, ein Symbol der alten freien Königswahl der Franken ist, eine Erinnerung an die Zeit, da der König »misericordia Domini nostri et electione populi« herrschte. Nachdem der Bischof das Schwert, das Szepter, die Sporen, die Handschuhe und die andern Insignien geweiht, und der König sie den einzelnen Kronbeamten übergeben hat, kniet er vor dem Altar nieder und empfängt die Salbung. Hierauf legt er die priesterlichen Krönungsgewande, Hermelin und Purpur an, Ring und Zepter werden ihm überreicht, die zwölf Pairs Karls des Grossen treten um ihn; die sechs weltlichen Pairs freilich durch andere Würdenträger vertreten, denn die alten Herzogtümer Burgund, Aquitanien und Normandie, sowie die Grafschaften Champagne, Flandern und Toulouse sind längst der Krone einverleibt, während die sechs geistlichen Pairs noch alle bestehen und zum Teil anwesend sind. Denn die Kirche, die ihre Namen und Formen nicht ändert, überdauert die weltliche Macht. Und nun setzt der Bischof dem König die Krone Karls des Grossen auf, die von St. Denis nach Reims gebracht worden, und die zwölf Pairs legen sogleich die Hand an sie, um sie auf seinem Haupte zu erhalten. Dann geleiten sie den König zu dem Thron, der ihm auf dem »Jube«, der Galerie zwischen Schiff und Chor, errichtet ist, und huldigen ihm, einer nach dem andern; der Bischof selbst zuerst, indem er, die Mitra abnehmend, sich tief verneigt, den König küsst und ruft: »Vivat rex in aeternum!« »Es lebe der König!« hallt es durch den Raum. Während die Pairs und der Adel dem König huldigen, werden fünfzigmal hintereinander je ein Dutzend Vögel fliegen gelassen. Draussen tönen jetzt Kanonenschüsse; das Volk, dem die Tore geöffnet werden, strömt in die Kirche und die Wappenherolde werfen Krönungsmünzen aus.

Hierauf verrichtet der Bischof von Soissons das Hochamt, und der König empfängt das Abendmahl in beiderlei Gestalten, worauf der ganze feierliche Zug sich nach dem erzbischöflichen Palast bewegt, in dem das Krönungsmahl an fünf Tafeln eingenommen wird. Am 8. folgte ein feierlicher Reiterzug nach der Abtei und andere Festlichkeiten.

Es scheint, dass Mazarin an all der Pracht nur wenig teilnahm und sichtbar wurde. Er unterbrach an diesen Tagen die Arbeit kaum. Aber er hatte die Zeit für die Feier gewählt: Zug um Zug wurde dem Volk gezeigt, wie der König seine Machtfülle an sich nahm; und man weiss, was Prunk und Zeichen den sinnengläubigen Menschen jener Tage bedeuteten. Aber diese Machtfülle blieb tatsächlich in seiner Hand; und er wusste genau, wann er sich des Worts und der Erscheinung des Königs bedienen musste, sowie dieser mit früher Einsicht begriff, wie gut er geleitet wurde.

Im Parlament war der alte Geist noch nicht ganz erloschen. Als im März 1655 neue Finanzedikte erlassen wurden, fürchtete die Regierung Widerstand; um ihm zuvorzukommen, wurde sogleich ein Lit de Justice angeordnet. In seiner Rede bedauerte der Kanzler die Hartnäckigkeit der Spanier, die den Krieg und damit so grosse Ausgaben nötig mache, der Generaladvokat Bignon bat den König, sich des Elends seines Volkes zu erbarmen, erklärte jedoch gleichzeitig die Edikte für notwendig, die auf des Königs Befehl anerkannt und eingetragen wurden. Aber am nächsten Tag versammelten sich, wie zur Zeit der Fronde, die jüngeren Räte und forderten die Nachprüfung durch die vereinigten Kammern. In der Tat begann das Parlament in den nächsten Tagen, unbekümmert um das Lit de Justice, die Edikte zu erörtern, und wie die Haltung der Menschen mit ihrer Umgebung sich zu ändern pflegt, so erklärten der Kanzler Séguier und der Siegelbewahrer Molé jetzt offen, sie hätten die Edikte gar nicht zu Gesicht bekommen. Insbesondere die Stempeltaxe für Notariatsakte bezeichnete der Generaladvokat Bignon als »eine Schmach, einen Eingriff ins Heiligtum der Justiz,« und mit deutlicher Anspielung sagte er, »das Land hoffe, der König werde wie sein unvergleichlicher Grossvater eines Tags die Regierungsgeschäfte in die eigene Hand nehmen.« Mazarin geriet in grosse Sorge, und als die Beratung in die dritte Woche währte, veranlasste er den König, für den 13. April ein neues Lit de Justice anzuordnen.

Siehe Bildunterschrift

Mazarin,
Stich von Nanteuil im Berliner Kupferstichkabinett, nach einem Porträt von Mignard aus dem Jahr 1661 mit der berühmten Devise:
»Hic est monstrorum domator, pacator et orbis.«
»Dieser ist der Bändiger der Ungeheuer und der Friedensbringer für den Erdkreis.«

In dem, was nun folgte, mochte sich das ganz anders geartete Temperament Ludwigs XIV. geltend machen. Denn der junge König, der an diesem Tage jagen wollte, begab sich, im Jagdanzug, rotem Leibrock, grauem Hut und Reitstiefeln, ins Palais, und der Siebzehnjährige sagte strenge: »Jeder weiss, welche Wirren Ihre Versammlungen in meinem Staate erregt und welche Gefahren sie heraufbeschworen haben. Ich höre, Sie wollen sie fortsetzen, unter dem Vorwand, die Edikte, die in meiner Gegenwart verlesen und kundgemacht wurden, zu beraten. Ich bin hierhergekommen, um Ihnen,« – damit zeigte er mit dem Finger auf die Bänke, in denen die jüngeren Räte sassen, – »die Fortsetzung der Beratung zu verbieten, und Ihnen, mein Herr Erster Präsident,« – und er wies auch auf ihn mit dem Finger, – »zu verbieten, dass Sie es dulden oder gestatten.«

Und unter dem Schweigen der Versammlung erhob er sich sofort wieder und begab sich nach dem Louvre und von da nach Vincennes, wo der Kardinal ihn erwartete.

Am nächsten Tag erschienen alle Präsidenten bei dem Kardinal, um sich über den ungewöhnlichen Vorgang zu beschweren. Mazarin, nach seiner Gewohnheit, sagte ihnen liebenswürdige Worte: »Man werde schon sehen …« und der Erste Präsident, wie man in solchen Fällen seinen Erfolg zu betonen pflegt, übertrieb das Entgegenkommen des Ministers noch in seinem Bericht. Damit war man soweit wie vorher: die jüngeren Räte bestanden auf ihrem Recht. Deputationen gingen hin und her. Ludwig XIV. – man hört diesmal Mazarin aus ihm sprechen, – versicherte das Parlament seines königlichen Wohlwollens, versicherte, dass ihm nichts ferner liege, als seine Privilegien antasten zu wollen, aber die Versammlungen verbiete er nach wie vor. In dieser Spannung suchte Turenne, der so oft der Vertrauensmann des Hofes war, den Ersten Präsidenten auf und stellte ihm die Staatsnotwendigkeiten, den unbeendeten Krieg vor Augen. Herr von Pomponne de Bellièvre, der im Rufe eines streng rechtlichen Mannes und unbestechlichen Beamten stand und in Wirklichkeit ein kluger Streber war, gab dem Marschall recht. Er setzte sich wohl im Parlament nach wie vor für die Rechte des Parlaments ein, aber nicht bei Hof; zugleich warnte er seine Amtsgenossen, nicht zu weit zu gehen: er habe erfahren, dass für die Widerspenstigen Karossen bereitstünden, sie ins Exil zu führen; nach Pfingsten werde man sehen … Nicolas Foucquet, der Generalprokurator, der seit 1653 zugleich Finanzminister und doppelt mächtig war, sprach mit den einzelnen Herren; die Regierung gab ihrerseits in einigen unwesentlichen Punkten nach, die Erregung sänftigte sich, Herr von Bellièvre wurde für seine erfolgreiche Vermittelung von allen Seiten beglückwünscht und gefeiert: er empfing vom Hof eine Gratifikation von 300 000 Livres, die ihm bei seiner Liebhaberei für eine grosse Hausführung, für schöne Pferde und Hunde sehr zugute kam, und behielt den Ruf des strengen, unbestechlichen Beamten. Er behielt ihn um so leichter, als er sich zwei Jahre später infolge der Eifersucht, die zwischen ihm und Foucquet bestand, mit dem Kardinal überwarf und die Opposition gegen ihn wieder unterstützte.

Das ist der Vorfall, aus dem die Legende von der Reitpeitsche und dem »l'Etat, c'est moi!« entstanden ist. Das Wort ist nie gesprochen worden. Die meisten Memoiren der Zeit erwähnen das Ereignis gar nicht, nicht einmal der Staatsekretär Brienne hält es der Aufzeichnung wert. Montglat spricht flüchtig davon, noch flüchtiger die Motteville. Montglat, der es als königlicher Garderobemeister wissen musste, unterlässt nicht, den roten Leibrock und den grauen Hut des Königs zu betonen. Loret berichtet kurz darüber und ohne Aufregung und bemerkt: »Wer würde einem so reizenden König nicht gehorchen, der nur die Ruhe seiner Untertanen will?« Die genaueste Darstellung findet sich im Tagebuch eines königlichen Tafelmeisters, namens Jean Vallier. Aber wenn das Wort auch damals nicht gesprochen wurde, so war es eine glückliche Erfindung, in der das geschichtliche Bewusstsein der Menschen zum Ausdruck kam. Manches Jahr später und ohne des vergessenen Vorfalls irgend zu denken, schrieb Bossuet im fünften Bande seiner »Politique, tirée de l'Ecriture Sainte«, vom Fürsten sprechend: »Tout l'état est en lui.« Das ist wörtlich das gleiche, und die politische Theorie des geistlichen Denkers, die er der heiligen Schrift zu entnehmen glaubte, war nichts als ein Niederschlag der Eindrücke, die er aus der Zeit und Regierung Ludwigs XIV. gewann.

Noch einmal, im Jahr 1657, als wieder infolge des dauernden Krieges und der Geldnot, das Ministerium eine Verschlechterung der Gold- und Silbermünzen anordnete, machte das Parlament einen erfolglosen Versuch, sich dagegen zu stellen. Acht Jahre später, nach Mazarins Tod, als der Generaladvokat in seiner Rede Entschliessungen des Königs besprach, liess Ludwig XIV. dem Präsidenten durch den Kanzler sagen: »er wünsche Gehorsam ohne Bemerkungen«. Schon vorher, im Oktober 1665, war dem Parlament und den gleichgestellten Körperschaften der Titel »souveräne Höfe« genommen worden; sie durften sich nur mehr »obere Höfe« nennen. Das Schwinden ihrer Bedeutung war in dieser Namensänderung besiegelt.

Alle Selbständigkeit hörte mählig auf. Der Sohn der spanischen Habsburgerin brachte viel vom spanischen Wesen nach Frankreich: eine glänzende Erstarrung, die damals ihren Anfang nahm. Der freie, kühne, überschäumende Geist der ersten Jahrzehnte des Jahrhunderts, der noch vom Wesen der Renaissance war, begann zu erlöschen. Der schlecht geführte, vergebliche Aufstand hatte ihn erschöpft. Nur wenige sahen, was sich vorbereitete, denn noch lebten die grossen Männer, und auch die die Unterdrückung durchführten, der König, Mazarin und seine Mitarbeiter, die sein Werk fortsetzten, waren nicht ohne Grösse; aber bereits das nächste Geschlecht war minderwertig. Vor allem auf dem feineren, dem eigentlichen Gebiet der Geister gingen die Grossen dahin. 1650 war Descartes gestorben. Gassendi, der Professor der Mathematik am Collège de France war, wurde 1655 zu Grabe getragen. Pascal und Fermat lebten, aber nicht mehr lange. Die Dichter und Schriftsteller selbst, die dem Hof Ludwigs XIV. Glanz gaben, sind alle, – bis auf den einen, Racine – vom Geist der früheren Zeit und sterben im ersten Drittel seiner Regierung aus. Voiture war schon 1648 gestorben und die feine, freie, vorbildliche Geselligkeit im Salon der Marquise von Rambouillet löste sich auf. Die »Esprits forts« verschwanden oder verstummten. Bald nach dem Tode des Kardinals musste St. Evremond fliehen, Bussy, der Geistreiche, Freche und Gewissenlose ward verbannt. Eine steifere, kleinlichere, byzantinische Comparserie stieg bereits die Rampe empor.

In jenen Tagen wurde auch ein geistiger Kampf ausgefochten, der unter Richelieu begonnen hatte und immer wieder aufflammend, erst im Anfang des nächsten Jahrhunderts zu einem tragischen Abschluss kam. Es war ein Kirchenstreit, der Frankreich tief aufregte und die politischen Kämpfe streifte, weil die Pfarrer der Pariser Diözese, die für ihren Erzbischof eintraten, in ihn verwickelt waren, und weil der unfromme Retz die frommen Herren von Port-Royal gerne für sich arbeiten liess. Schon vorher hatte Mazarin diese Kämpfe störend empfunden, deren Sinn und innere Glut ihm, der in seiner Kälte noch ungeistlicher war als Retz, fremd blieb. Im Jahre 1643, als er kaum Minister geworden war, hatte der Priester Antoine Arnauld sein Buch »De la fréquente Communion« veröffentlicht, ein dickes Buch von etwa tausend Seiten theologischer Polemik, das einen ausserordentlichen Erfolg hatte. Der Jesuitenorden stand in Blüte. Viel angefochten, oft verleumdet, oft vom Parlament bekämpft, hatte die Gesellschaft Jesu dennoch in Frankreich zahlreiche und vortreffliche Schulen errichten können, in der Seelsorge, bei Hof wie in der Gesellschaft sehr grossen Einfluss gewonnen. So streng der Orden in seiner inneren Einrichtung war, so milde schienen seine Mitglieder, die mehr in die Welt gingen, als die anderer Orden, denen gegenüber zu sein, die in dieser Welt sich ihrer Führung überliessen. Und dagegen erhob sich das Gewissen strenger Männer, die die alte Reinheit der Kirche wiederherstellen wollten. In seinem Buch bekämpfte Arnauld die zu häufige und leichte Gewährung des Abendmahls, für das er eine lange innere Vorbereitung in wahrer Zerknirschung und Busse verlangte. Doch ging der Streit tiefer, um die Lehre selbst, und war uralt, über die Wirkung der göttlichen Gnade und das Mass des freien Willens, wie ihn einst der heilige Augustinus gegen Pelagius, wie ihn nur ein Jahrhundert vorher die Dominikaner gegen die Jesuiten geführt hatten. Der Bischof von Ypern, Jansenius, früher Professor der Theologie in Löwen, hatte ein gelehrtes lateinisches Buch, den »Augustinus« geschrieben, das, wenn es auch nur wenige lasen, der Bewegung den Namen gab. Sie näherte sich durch ihre Lehre von der Gnadenwahl, ihren Glauben an die Prädestination der Calvins, von dem sie durch ihre Auffassung des Buss- und Altarsakraments, sowie der Weihen und der gesamten Kirchenordnung scharf geschieden war. Der Mann, der vom heiligsten Feuer durchdrungen, sie zuerst in Frankreich verfocht, war Jean du Vergier de Hauranne, Abbé von St. Cyran. Sein unbeugsames Wesen hatte ihn Richelieu entgegentreten und gefährlich erscheinen lassen, der ihn für Jahre in die Festung von Vincennes sperrte. Der Doktor Arnauld war sein Schüler. Der war ein unerbittlicher Polemiker, und hat sein ganzes Leben lang mit harter Logik gekämpft. Mit zahllosen Fäden ist die Familie Arnauld mit der jansenistischen Bewegung verbunden und die Geschichte der Bewegung von der ihres Hauses nicht zu trennen. Es war eine jener merkwürdigen Familien, in denen ein bestimmter Geist und grosse Begabung durch mehrere Generationen fortbestehen, Vorzüge und Fehler sich immer wieder verkörpern. Dazu kam die bei den einen bescheiden verhüllte, bei den andern zur Schau getragene Überzeugung, dass die eigene Familie etwas Besonderes und besser als andre sei, und ein starkes Temperament, das die meisten auffällig hervortreten liess. Es ist bemerkenswert, dass sie ursprünglich Hugenotten waren; Zweige des Hauses waren reformiert geblieben.

Der Advokat Arnauld war ein angesehener kinderreicher Mann und ein Feind der Jesuiten gewesen. Seine Tochter Marie-Jacqueline, berühmt als Mèrè Angélique, ein grosser, guter, starker Mensch, ward Äbtissin im Kloster der Bernhardinerinnen von Port-Royal im Tal von Chevreuse, in dem sie eine strenge Reform durchführte. Im Jahr 1626 war das Kloster aus der feuchten Talgegend nach Paris übersiedelt, und 1636 war der Abbé von Saint Cyran der Seelsorger des Klosters geworden. Noch fünf andere Töchter des Advokaten, seine Witwe, drei Nichten und sechs Enkelinnen wurden Nonnen in Port-Royal. Viele Leute, von der neuen Lehre, ihren Predigern und Schriften erschüttert, änderten ihren Wandel, kehrten sich ganz oder doch in einer Weise, die auffiel, von irdischen Dingen und Zielen ab. Dort wo das verlassene Kloster lag, in Port-Royal des Champs, wie es genannt wurde, siedelten sich Männer an, die die Welt verliessen, Offiziere, die ihre Waffen, Beamte, die ihre Karriere aufgaben, Gelehrte, die ihrer Wissenschaft entsagten, der »Concupiscentia sciendi«, die Jansenius als eine der drei Quellen der Sünde genannt hatte. Einige widmeten sich frommeren Arbeiten an Übersetzungen und Schulbüchern, andere trieben Gartenbau oder leisteten im Kloster, in das später wieder Nonnen einzogen, die bescheidensten Dienste. Der Herzog von Luynes, der Descartes-Übersetzer, liess sich in der Einsiedelei ein kleines Schloss erbauen, um im steten Verkehr mit den frommen Männern zu bleiben. Sowie fünfzehn Frauen des Hauses Arnauld in das Kloster eintraten, so lebten zwei Söhne und fünf Enkel des Advokaten in der Einsiedelei. Die vornehmen Anhänger von Port-Royal hielten die wünschenswerte Verbindung mit dem Hof und der Macht aufrecht, so gut und so lange es ging. Diese Verbindung wahrte vor allem auch der älteste Bruder des Doktors und der Äbtissin, Robert Arnauld d'Andilly, ein Mann, der nur zu sehr zwischen höfischer Streberei und frommer Begeisterung schillert. Er hatte sich 1648 nach Port-Royal zurückgezogen, um dort neben literarischen Arbeiten das herrlichste Obst zu ziehen, den umfangreichen Briefwechsel mit seinen zahlreichen Freunden fortzuführen und ihre willkommenen Besuche zu empfangen. Man sieht ihn vor sich, einen schönen weisshaarigen Herrn, gewinnend und imponierend, sehr selbstbewusst und grossartig, ein wenig Schauspieler, immer beschäftigt mit Plänen, Ratschlägen, Diensten für seine Freunde, mit Denkschriften über wichtige Angelegenheiten, die er dem Hof, den Ministern einzureichen hat. Er gab Gedichte, Übersetzungen, Briefe heraus und schrieb Memoiren, in denen er sich, wie im Leben, selbstgefällig in der eigenen Herrlichkeit und in der seines Hauses sonnt. Und wie er einst den tugendhaften Genuss geliebt hatte, führte er bis ins höchste Alter gern intime fromme Gespräche mit schönen Frauen. Die Marquise von Sévigné erzählt, wie er sie als Zweiundachtzigjähriger in Gesellschaft traf und ihr sechs Stunden lang ins Gewissen redete, sie »eine schöne Heidin« nannte, »die ihre eigene Tochter anbete«. Er selbst war ein launischer und tyrannischer Vater, der alles seinem zweiten Sohne, dem Marquis von Pomponne, zuwendete, seine andern Kinder zerbrach.

Sein zweiter Bruder war der treffliche und gute Bischof von Angers; der Reitergeneral Arnauld de Corbeville, der Anhänger Condés, der in den Salons glänzte, war sein Vetter; er hatte seinerzeit Verhandlungen mit Wallenstein geführt, ihn zum Übertritt in französische Dienste zu bringen, kurz bevor er in Eger ermordet wurde. Jener so geliebte jüngere Sohn, Pomponne, wurde Gesandter, zuletzt Minister des Äussern, ein tüchtiger und liebenswürdiger Mann, aber auch ein so ängstlicher Höfling, dass der Kardinal von Noailles über den kriechenden Gehorsam lachen musste, mit dem er die jansenistische Vergangenheit der Familie verleugnete. Sein älterer, vom Vater lieblos und ungerecht behandelter Bruder, der Abbé Arnauld, war erst Offizier und Diplomat, dann Geistlicher und hat wertvolle Memoiren geschrieben.

Mannigfach und schwer entwirrbar sind die Beweggründe der Menschen. Meinungstolz und Eifersucht in der Seelsorge, der Kampf um den Einfluss auf dem gemeinsamen Boden von Welt und Kirche mögen in der Bewegung und in dem Streit, den sie hervorrief, ihre Rolle gespielt haben. »Rein wie Engel und stolz wie Dämonen« nannte der Bischof Péréfixe von Rodez, der Lehrer des Königs, die Nonnen von Port-Royal. Die harte asketische Strenge, die freudlose Auffassung des Lebens musste die zu Gegnern machen, die noch vom genuss- und schönheitsfreudigen Geist der Renaissance in sich trugen.

Der Kirche, wie den Staatsmännern war die Erneuerung des Streits um den freien Willen und die Gnade, den Clemens VIII. auf den Rat des heiligen Franz von Sales unentschieden gelassen hatte, störend und unwillkommen. Wie Richelieu sahen sie in diesen Männern eine unbotmässige und bedenkliche Eigenart. Die Jesuiten, gegen die sich das Buch des Doktor Arnauld, besonders in den weiteren Auflagen offen, wendete, waren erbittert und boten ihren weitreichenden Einfluss gegen Port-Royal auf. Aus dem, was die Jansenisten mit den Calvinisten gemein hatten, wurde die Anklage geschöpft, dass ihre Lehre nur eine Vorstufe zu der Calvins sei. Bei einer Schüleraufführung im Jesuitengymnasium von Macon sah man vier schwarze Teufel den verstorbenen Bischof von Ypern zur Hölle schleifen. Da man einmal auf jenem Welt und Kirche gemeinsamen Boden um die Macht kämpfte, wurden nicht nur reine Waffen verwendet.

Die Pfarrer waren vielfach für die neue Lehre, die Bischöfe zumeist dagegen. Der Streit ward nach Rom gebracht, und eine Kommission von fünf Kardinälen und dreizehn Theologen eingesetzt, die Frage zu prüfen. Der riesige Abbé von Saint-Amour, ein Sohn des Leibkutschers des verstorbenen Königs, vertrat die Sache der Jansenisten mit mächtigem Pathos. Man liess die gelehrten Franzosen sich wissenschaftlich ergehen und beglückwünschte sie zu ihren rednerischen Leistungen, aber in der Bulle »Cum occasione« vom 31. Mai 1653 wurden fünf Sätze aus dem »Augustinus« verurteilt. Da sie nicht in der gleichen Wortfassung im Buche des Jansenius standen, leugneten die Jansenisten, dass sie überhaupt darin enthalten wären. »Der heilige Vater habe doch nicht Lehren des heiligen Augustinus verdammen wollen?« fragte einer der französischen Geistlichen bei der Abschiedsaudienz. »Oh, das natürlich nicht, des können Sie sicher sein,« erwiderte der Papst italienisch liebenswürdig. Worte sind biegsam und gefährlich; an die Texte lassen sich vielfache Folgerungen ketten. »Unsere Lehre von der Gnade schöpfen wir aus den Schriften des Heiligen selbst,« wiederholten die Jansenisten, »nicht aus dem Buch des Bischofs von Ypern.« Darüber wie über das Wesen der Gnade selbst wurde mit viel Spitzfindigkeit weitergestritten. In der Tat handelte es sich um eine Geistesrichtung, die der Kirche nicht genehm war; nicht auf ihre Begründung, auf ihre Ziele kam es an. Pascals Ironie: »Dieselben Worte sind ketzerisch im Munde Arnaulds, die es in einem andern Munde nicht sind,« blieb an der Oberfläche: sie bedeuteten auch anderes in seinem Munde. Die wenigen Strengen, die keine Konzessionen machen wollten, hatten die Tausende von Erfahrenen gegen sich, die den Bau der sichtbaren Kirche auf Kompromisse stützten. Sie aber, von ihrer unerbittlichen Doktrin erfüllt, ihrer reinen Absicht bewusst, nicht kühn genug, weiter zu gehen, wohl auch von grosser Liebe zu den seelerregenden Mysterien, dem herrlichen Ritus, den teuren Traditionen bewegt, wollten gleichsam mit Gewalt in der Kirche bleiben und die Anerkennung ihrer Richtung erzwingen. In der Sorbonne schrien die Doktoren einander nieder. Die Redezeit wurde verkürzt und nach dem im Glase laufenden Sand gemessen. »Domine mi, impono tibi silentium!« rief der Syndikus heftig, wenn einer über seine Zeit sprechen wollte. Hardouin de Péréfixe, der Bischof von Rodez, verliess im Zorn den Saal und mit solchem Ungestüm, dass er dabei den Bischof von Chartres umrannte, während ihm selber das Barett vom Haupte flog. »Unverschämtes Volk!« schrie er den lachenden jansenistischen Theologen zu. »Non vult apostolus episcopum esse iracundum!« »ein Bischof soll nicht jähzornig sein!« rief einer von ihnen zurück. Ganz Paris nahm gespanntesten, aufgeregtesten Anteil. Die Kommissionen wurden sehr parteiisch zusammengesetzt, sechzig Doktoren protestierten, die Sache ward vors Parlament gebracht und kam wieder an die Fakultät zurück. Der Kanzler selbst wohnte den Sitzungen bei. In violetter Robe, die hohe goldne Mütze auf dem Haupt, von Gerichtsdienern und Hellebardieren umgeben, sass der finstere, schwarzbärtige Mann voreingenommen und verärgert da, denn die ganze Richtung gefiel dem Hof nicht. Die Königin war von den Jesuiten beeinflusst. »Pfui, pfui, wer wird von der Gnade reden?!« pflegte sie zu sagen. Die Beichtväter des Königs, früher der Père Paulin, dann der Père Dinet, jetzt der Père Annat, gehörten der Gesellschaft Jesu an; auch ihre Nachfolger wurden stets aus dem Orden gewählt. Mazarin, wenn ihm die Sache an sich gleichgültig war, legte Wert darauf, mit den Jesuiten gut zu stehen, und die Jansenisten hatten ihn geärgert, da sie für Retz Partei genommen hatten. Dem Minister war der Satz des heiligen Petrus, dass man den Vorgesetzten zu gehorchen habe, der einleuchtendste und wichtigste der ganzen heiligen Schrift. »Er müsse bedauern,« schrieb er am 22. Februar 1660 an die Mère Angelique, »dass Nonnen, die bisher als die bravsten und gescheitesten der Kirche betrachtet wurden, sich in so seltsamer Weise absonderten: sie sollten dem heiligen Stuhle gehorsam sein.« Und er fand, dass zuviel von der Sache geredet werde: »selbst die Frauen bei Hof reden unaufhörlich darüber, obschon sie nicht mehr davon verstehen als ich«. Wie hätte er, dessen ganzes Wesen Opportunismus war, dem der Erfolg über alles ging, für die strengen Lehrer eintreten können, die nur auf den Tod und das Gericht sahen? »Es ist doch merkwürdig,« sagte er einmal, »dass die Frommen immer stören; wenn der heilige Franz an meiner Stelle wäre, er könnte es ihnen auch nicht recht machen, so seraphisch er war.« »Der Minister,« schreibt der Père Rapin, der selbst dem Jesuitenorden angehörte, »konnte von allem trefflich reden, auch von Gott so gut wie einer, aber im Grunde war er nur Politiker.«

Am 31. Januar wurde Antoine Arnauld verurteilt. Acht Tage vorher war der erste »Brief Louis de Montalte's an einen Freund in der Provinz« erschienen, in dem die Sophistik der verbündeten Jesuiten und Dominikaner mit Klarheit und feiner Ironie dargelegt wurde. Von da an erschienen in steter Folge die weiteren Blätter mit immer furchtbareren Anklagen gegen den Jesuitenorden. Von verfolgten Buchdruckern wurden sie in Heimlichkeit gesetzt und gedruckt, so geschickt, dass ein Polizeileutnant, der in einer Druckerei vergeblich Haussuchung gehalten, heraustretend in seinem Wagen die frischen Nummern fand, die man ihm hineingeworfen. Ein andermal trug die Frau des Buchdruckers Petit, während der Kommissar die Werkstatt durchsuchte, die schweren Setzkästen unter ihrer Schürze ins Nachbarhaus, wo 1500 Exemplare abgezogen wurden. Dieselben Personen, die die Verbreitung zu unterdrücken hatten, vom Ersten Präsidenten angefangen, freuten sich, die Briefe zu bekommen. Der Kanzler, der keinen Humor hatte, erlitt fast einen Schlaganfall, als er den ersten las; Mazarin lachte herzlich über sie; aber er änderte seine Politik nicht. Die Einnahmen der Post stiegen merkbar durch ihre Versendung. Niemand wusste damals, wenn es auch bald vermutet wurde, dass Herr Blaise Pascal, der Mathematiker, der unter dem Namen eines Herrn von Mons im Gasthause »zum König David« hinter der Sorbonne, dem Jesuitenkollegium gerade gegenüber, wohnte, der Verfasser war. Der Sohn eines höheren Beamten, der selbst bereits den Herren von Port-Royal nahegestanden, hatte er sich in jugendlichstem Alter als grosser Mathematiker und Naturforscher offenbart; hatte sich bald überanstrengt und wurde früh leidend. Er war einem weltlich eleganten Leben nicht abgeneigt, als er ähnlich wie Luther durch eine nahe Todesgefahr erschüttert wurde. An der Brücke von Neuilly scheuten bei einer Spazierfahrt die zwei Vorderpferde seines Wagens und stürzten in die Seine; nur dadurch, dass die Stränge rissen, war er gerettet worden. Seine Schwester Jacqueline, die als Kind den Kardinal von Richelieu durch ihre improvisierten Verse entzückt hatte, war bereits Nonne. Von ihr gemahnt, entsagte auch er bald darauf allem irdischen Wissen. Streng entweltlicht, krank und dennoch geistesmächtig, liebenswürdig und genial erscheint er uns, eine seltsam zarte und heroische Gestalt in der Geschichte der ernstesten Literatur. Die »Lettres Provinciales« stehen noch heute als ein Meisterwerk klaren und anmutigen Stils da; anmutig selbst da, wo sie vernichtend sind; für die Entwicklung der französischen Prosa haben sie eine ähnliche Bedeutung wie hundert Jahre später Lessings polemische Schriften für die der deutschen. Sie waren, wie es im Wesen aller Kampfschriften liegt, die ganze Gruppen von Menschen angreifen, ungerecht, trotz dem Wahren, das sie enthielten. Was Pascal ein »badinage« nennt, »où l'esprit de l'homme se joue insolemment de l'amour de Dieu,« das traf nicht nur die jesuitische Kasuistik. Einige wenige sind rein, aber Parteien und Organisationen, die ein gerechtes oder gar heiliges Ziel zu verfolgen glaubten, haben kaum jemals Bedenken über die Mittel gehabt. Wie dem sei, die kunstvolle Verhöhnung der »Provinciales« hat dem Jesuitenorden in der Meinung der Welt ein Stigma gegeben, das nicht mehr geschwunden ist. Damals entschieden sie den Kampf in der öffentlichen Meinung; an seinem amtlichen Ausgang änderten sie nichts. Antoine Arnauld verschwand. Er hat die meisten Jahre seines langen, schreibetätigen Lebens gleichsam unterirdisch, von Freunden verborgen, verbracht. Die »Lettres Provinciales« kamen auf den Index und wurden öffentlich verbrannt. Das Kloster wurde aufgelöst trotz einem – sicherlich aufrichtig geglaubten – Wunder, das sich in ihm ereignete: eine kleine Nichte Pascals, Marguerite Perier, die später sein Leben beschrieb, wurde durch Berührung eines heiligen Dorns aus der Krone Christi von einer Augenfistel geheilt. Es half nichts, und auch die Herren von Port-Royal mussten ihre geliebte Einsiedelei verlassen. Der schöne weisshaarige Robert Arnauld d'Andilly schrieb an den Kardinal, mit dem er befreundet war, und erlangte einen Aufschub, der die Räumung erleichterte. Mazarin suchte wie immer die mildeste Form; die Königin selbst liess ihn fragen, ob er ihr Freund nicht bleiben wolle, sie hoffe noch oft von den schönen Pfirsichen zu erhalten, die er gezogen und von denen er ihr alljährlich geschickt hatte. Er hat den Fall des Klosters, ein ewig frischer Greis, noch lange überlebt. Ernste, ins Herz getroffene Frauen, wie Pascals Schwester, sind darüber gestorben und haben die ruhigeren Zeiten, die durch die Vermittelung der Herzogin von Longueville, für sie kommen sollten, um nach dem Tode der Herzogin neuen und grausameren Verfolgungen zu weichen, nicht mehr erlebt.

All diese Ereignisse, so tiefe Aufmerksamkeit sie erregten, gingen doch, wie immer, gleichsam neben den täglichen Beschäftigungen und der Geselligkeit der Menschen einher, die stets erst unter den wellenförmig sich ausbreitenden Nachwirkungen der historischen Vorgänge sich mählig ändern. Der Krieg blieb an der Grenze, die Beratungen des Parlaments, die der König untersagte, spielten sich in den Sälen des Palais de Justice ab, der religiöse Kampf in der Sorbonne und in Port-Royal. Alles andere waren Worte. Liest man Lorets gereimte Chronik, die allwöchentlich erschien, so stehen sie unter den Tagesneuigkeiten, neben endlosen Kriegs-, Fest- und Ballberichten, Wohltätigkeitslotterien, Konzerten, Hochzeiten, Todesfällen, Verordnungen, Verbrechen und Anekdoten verzeichnet, und die Nachricht, dass die Meerkatze der Frau von Guébriant gestorben ist, nimmt genau soviel Raum ein, wie der Bericht über jene weltberühmte Sitzung des Pariser Parlaments.


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