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Zweites Kapitel
Der Kampf um Paris

Die Stadt Paris endete in jenen Tagen im Westen dort, wo jetzt die Place de la Concorde ist, und reichte im Osten etwa bis zum Pont d'Austerlitz. Wo heute die Grands Boulevards liegen, zogen sich die Mauern um die Stadt, Gras und Windmühlen auf den alten Wällen; auf dem linken Ufer reichte sie, wesentlich die Universität und Unterrichtsanstalten jeder Art und sonst das Quartier der Studenten und Lehrer umschliessend, in weit geringerer Ausdehnung von der Tour de Nesle, dem Louvre gegenüber, bis etwa zum Pont de la Tournelle, gegenüber der Insel Saint-Louis, und im Süden nicht viel über die Sorbonne hinaus. Der Luxembourg, damals der Wohnsitz Gastons von Orléans, lag bereits westlich ausserhalb der Mauern. Den Tuileriengärten gegenüber lagen am andern Ufer Holzplätze und dahinter die Wiesen des »Pré aux Clercs«; erst in einiger Entfernung vom Fluss begannen die Häuser des Faubourg Saint-Germain, die noch unter der Jurisdiktion der mächtigen alten Abtei standen. Ziemlich weit gedehnte Vorstädte mit Häusern und Gärten schlossen sich auf allen Seiten an Mauern und Tore an. Der Montmartre war noch ein öder Hügel mit Wiesen, Äckern und Windmühlen.

Der Louvre war noch lange nicht in der heutigen Gestalt und Grösse ausgebaut: nur seine innersten Gebäude, – darunter an der Ostfront gegen die Rue du Louvre ein turmreicher Bau, der nicht mehr besteht, – und die grosse Galerie dem Fluss entlang standen schon; an sie schlossen sich die Tuilerien, die das Fräulein von Montpensier bewohnte, sie werden in jener Zeit als »Logement de Mademoiselle« bezeichnet; dann zogen sich die königlichen Gärten westwärts bis zur Mauergrenze. Wenn man hier durch die Porte de la Conference an der Seine die Stadt verliess, kam man auf Strassen, die durch Wiesen führten, an den von der verstorbenen Königin-Mutter angelegten, durch Mauern und Gittertore abgeschlossenen Cours la Reine, der mit seinen dreifachen Alleen der Korso der vornehmen Gesellschaft war. Daneben dehnte sich das »wilde Gehölz« der Champs Élysées aus. Rings um den Louvre lagen, mit ihren Höfen und Gärten, Paläste des Adels, an der Seine der »Petit Bourbon«; dahinter die Hotels von Longueville, Créqui, La Force und viele andere, die alle längst verschwunden, dem Ausbau des Louvre oder Miets- und Warenhäusern gewichen sind. Folgte man den Kais, so kam man durch die »Vallée de Misère« beim Pont au Change an das vieltürmige mittelalterliche Châtelet, den Sitz des Lieutenant criminel und der Strafjustiz, mit seinen fürchterlichen Gefängnissen; weiterhin über die Place de Grève, auf der die Hinrichtungen vollzogen wurden, ans Hôtel de Ville mit seiner schönen dreizehnfenstrigen Renaissancefassade, und zuletzt, immer den Kais folgend, an die weiten Gebäude und Gärten des Arsenals, an das sich nördlich mit ihren finsteren und riesenhaften Turmmauern die Bastille schloss.

Auch innerhalb der Mauern lagen damals viele und grosse Gärten, zahlreiche herrlich gebaute Paläste, Kirchen und Klöster; sonst war die Stadt ein verwirrendes Winkelwerk von uralten Häusern, Gassen und Gässchen, selbst die breiteren Strassen meist schlecht oder gar nicht gepflastert, so dass zu Fuss wegen des unendlichen Kotes kaum ein Fortkommen war; Karossen, Sänften, vor allem Reitpferde und Maulesel, auf denen oft Mann und Frau in einem Sattel sassen, waren die Verkehrsmittel. Vier oder fünf Brücken führten über die damals noch nicht regulierten Inseln von einem Ufer zum anderen, ausserdem noch nahe dem Ende der Galerie du Louvre, eine einfache Holzbrücke, der Pont-Rouge. Alle anderen Brücken, mit Ausnahme des Pont-Neuf, waren zu beiden Seiten mit Häusern bebaut, wie heute der Ponte Vecchio in Florenz oder die alten Brücken in Zürich; manche waren festungsartig von getürmten Toren geschlossen. Die Uferkais waren zum Teil gemauert, sonst gingen einfache Grasabhänge zum Fluss hinab, vielfach tauchten die Rückfronten der Häuser, wie man es in Florenz in der Vorstadt San Jacopo sieht, ins Wasser. Mitten aus dem Wasser ragten hölzerne Mühlenbauten mit kreisenden Rädern. Auf dem Fluss fuhren und lagen zahllose Kähne und grosse Boote, die von Pferden auf den Kais bis zu den Anlegestellen den Fluss hinaufgezogen wurden; auf der Wasserstrasse kam Holz aus den Wäldern, Fische vom Meer, Obst aus dem Süden und viel anderes Gut; die Schiffsleute waren eine vielgenannte rauhe Zunft, die in den Unruhen jener Tage ihre Rolle spielte. In den engen Strassen der Stadt wogte das Volk in den bunten Trachten der Zeit; Stutzer und grosse Herren in Spitzen und Seide, Kaufleute in ernsterer Tuch- oder Wollentracht und schwarzen Mänteln, Ratsherren in schwarzen, in roten Mänteln und Baretten, das ungezählte Schreibervolk der »Bazoche«, schwarz gekleidet, das Tintenfass am Gürtel, Studenten, Soldaten, Mönche, Geistliche jeder Art und Tracht; vornehme Damen in schwarzen Halbmasken – die beim Ausgehen zu tragen Sitte war –, Bürgerfrauen, Mägde, fahrendes Volk, Fremde, Provinzler, Bauern, die zur Stadt kamen, Hausierer, die alle möglichen Waren feilboten, Ausrufer aller Art, die damals die Reklame bildeten, kirchliche Prozessionen, amtliche Aufzüge, marschierende Truppen. Auf dem Pont-Neuf mit seinen Buden war das Gedränge gross. Dort wurden die neuesten Pamphlete, fliegende Blätter und Chansons, die damals, von der wöchentlichen »Gazette de France« abgesehen, die Rolle der Presse spielten, verkauft und gierig verlangt; Hanswurste, Bänkelsänger, Quacksalber belustigten die Leute; unbeschreibliches Volk aller Art, Beutelschneider und Raufbolde fanden sich ein.

Damals schon hatte diese Stadt ihr eigenartiges, glühendes und geisterfülltes Leben, ihr sinnliches, witzsprühendes, ewig bewegtes Volk, damals schon jene Grazie und jenes Feuer des Daseinsgenusses, damals schon war sie gepriesen vor allen anderen, und ein deutscher Reisender, Abraham Gölnitz, begrüsste sie mit den Worten:

»Urbs orbi similis, toto et celeberrima mundo,
Musarum sedes, regina Lutetia, salve!«

Das war die Stadt, über die jener erste Vorsturm der grossen europäischen Revolution hinbrauste, die in den beiden westlichen Ländern begann und in England auch bereits entschieden ward. In diesen Wintertagen war sie zwiefach erregt; denn auch die Seine war über ihre Ufer getreten, hatte die Holzbrücke beim Louvre weggerissen; viele Strassen waren überschwemmt, so dass man mit Kähnen von Haus zu Haus fahren musste.

Der Pont-Neuf streift die Westspitze der Insel de la Cité. Auf dem in den Fluss hinaus gemauerten »Terreplein« stand die bronzene Reiterstatue Heinrichs IV. – Heinrichs des Grossen, wie man ihn in der Zeit vor Ludwig XIV. zu nennen liebte. Gegenüber dem Terreplein auf der Insel kam man wie heute über die dreieckige Place Dauphine an das »Palais«, dessen Fassaden damals vielfach anders aussahen, dessen wichtigste Teile und Säle aber schon ungefähr wie heute standen. Statt der vornehmen Gitter von heute schlossen den Hof Mauerwerk und kleine Häuser ab, an die von aussen Buden aller Art angebaut waren, mit betürmten Toren dazwischen. Dort tagte in wundervoll getäfelten, gemalten und vergoldeten, reichgeschmückten Sälen das Pariser Parlament und fasste kühne Entschlüsse.

An seiner Spitze stand als erster Präsident seit dem Jahre 1641 Matthieu Molé, aus alter patrizischer Juristenfamilie, einer der besten Männer der Zeit; ein ehrfurchtgebietender Vorsitzender und Richter, kein weitschauender Staatsmann, ganz und gar Beamter, aber ehrenhaft, unbeugsam, von einem Mut, der durch nichts zu erschüttern war. Dem Hof und dem königlichen Hause ergeben, wahrte er dennoch streng die Rechte wie die Pflichten des Parlaments. »Mein Amtssitz ist in Paris,« erwiderte er auf den königlichen Befehl, der das Parlament nach Montargis verlegte. Mit der überlegenen Resignation eines Mannes, der die Menschen, die Hohlheit ihrer Reden, die Erbärmlichkeit ihres Trachtens kennt, suchte er im Sturm seine Pflicht zu tun. Ohne grosse Hoffnungen wollte er stets das allgemeine Beste und mühte sich darum. Aber die grosse Bewegung der Zeit zu leiten, war ihm nicht gegeben. »Sein Geist«, sagt Retz in einem seiner scharfgeprägten und geschliffenen Urteile, »war bei weitem nicht so gross wie sein Herz. Da er sich ganz in die gerichtlichen Formen eingelebt hatte, war alles Ungewöhnliche ihm unangenehm und verdächtig: die gefährlichste Geistesverfassung in einer Lage, für die die gewöhnlichen Regeln nicht mehr passen.«

Begabte Juristen und Redner, ängstliche Leute und Hitzköpfe, rechtschaffene Männer, neben Strebern und Narren, sassen in der grossen Körperschaft beisammen. Noch liegen in der Nationalbibliothek im sogenannten »Tableau du Parlement« die »Fiches« gesammelt, auf denen – schon damals! – die wichtigsten Mitglieder zum Gebrauch des Ministeriums in kurzen Worten gekennzeichnet waren. Sie sind wohl erst einige Jahre später, vermutlich für Foucquet, zusammengestellt worden, aber die Personen waren noch vielfach die gleichen. Da heisst es vom Präsidenten Charton: »Heftig, stürmisch, bildet sich viel auf seinen Verstand, seine Fähigkeiten, seine Gerechtigkeit ein; verlangt, dass man ihm grosse Ehrerbietung zeige, sowie Ehrenstellen; ist leicht herum zu bekommen; ein grosser Frondeur; hat in seiner Kammer eine Clique, die ihn achtet.« Vom Präsidenten Viole: »Tätiger, unruhiger Geist, unternehmend, feurig, rachsüchtig; dem Herrn Prinzen ergeben, ward er einer der Führer der Fronde, mit grossem Einfluss im Parlament … opfert alles seinem Ehrgeiz; redet klar, ist fest in seinen Entschlüssen, besitzt ein grosses Vermögen, das Lambert – der von der Staatskasse – ihm hinterlassen oder verschafft hat; wechselt seine Freunde je nach der Partei, der er sich angeschlossen; hat von seiner Frau, die alt ist, keine Kinder!« Vom Parlamentsrat Barillon-Châtillon: »hat Geist, arbeitet nicht viel, hat keine Interessen, … ist den Gräfinnen Fiesco und Frontenac ein preziöser Freund, verkehrt nur bei grossen Personen, gilt nicht viel in seiner Kammer, weil er eitel ist und Flausen macht.« Deslandes-Payen, Rat der grossen Kammer: »lebte vordem seinen Vergnügungen, besonders denen der Tafel; hat sich ganz geändert, ist fromm geworden, geht selten ins Palais, referiert wenig, verbringt die meiste Zeit in der Priorei der Charité …« Menardeau, Rat der grossen Kammer: »sehr fähig, dem Hof ergeben, wird von einem Fräulein in der Rue Saint-Martin beherrscht, das er aushält …«

Die älteren Herren waren zumeist gemässigt, ängstlich und konservativ; die jüngeren, die vornehmlich in der »Chambre des Enquêtes« sassen, zeigten eine lärmende Begeisterung. Hier wurde eine Revolution von dem Stand geleitet, der seiner Natur nach zur politischen Bewegung und zum Schaffen neuer Formen am unfähigsten ist, weil er in der Tradition befangen ist wie kein anderer und die hergebrachte Form am meisten überschätzt: den Beamten. Die Führung entglitt ihnen von selbst. Es war nur dem Wesen der Leute und ihrer formalen juristischen Denkweise gemäss, dass sie gar nicht zugaben, dass sie sich im Zustand der Revolution befanden. Sie erklärten: ihre Pflicht gegen ihr Amt und gegen den König zwinge sie zu ihren Schritten. Der Hof wurde immer wieder untertänigst gebeten, in die treue Stadt Paris zurückzukehren; gleichzeitig wurden Truppen gegen die Regierung ausgehoben. Als die Königin durch einen Herold ihre Befehle schickte, liess man ihn, um den Befehlen nicht ungehorsam werden zu müssen, lieber gar nicht vor und rechtfertigte dies damit, dass »nur Souveränen oder dem Feind eine Botschaft durch Herolde geschickt würde; das Parlament aber wäre weder das eine noch das andere«, nach der dem Juristen so unentbehrlichen und teuren Fiktion, dass, sobald die Worte sich irgend einrenken lassen, die Sache geschlichtet ist. »Sie scheiterten an dem Problem, die königlichen Erlässe und den Bürgerkrieg in Übereinstimmung zu bringen;  … Man macht keine Revolution nach den Anträgen der Generalprokuratur,« schreibt Retz mit der Ironie eines wirklich politischen Kopfes.

Aber sie besteuerten sich diesmal ernstlich selbst, um die Truppen bezahlen zu können. Zwölfhundert Schreiber des Justizpalastes erschienen im Hause des ersten Präsidenten, um sich als Soldaten anwerben zu lassen. Am 16. erschien der Rektor der Universität, Pierre des Châteaux, im Namen des Lehrkörpers 10 000 Livres für die Verteidigung der Stadt zu zeichnen. Überall gingen die Runden der Bürgerwache; unter Trompetentönen wurden die Beschlüsse des Parlaments auf den öffentlichen Plätzen und Kreuzwegen kundgemacht; in allen Kirchen vierzigstündige Gebete um Wiederherstellung des Friedens angeordnet.

Wenn den Herren der Robe die Männer des Schwertes fehlten, um ihre Truppen zu führen, so fanden sie unerwartete Bundesgenossen.

Schon am 7. Januar ritt der Herzog von Elbeuf mit Gefolge zum Tor von Saint-Antoine ein und bot ihnen seinen Degen an. Er hatte viele Kinder und kein Vermögen, ein Mann, in dessen Wesen kein Kern lag und den seine Standesgenossen nicht ernst nahmen, aber er war ein Prinz des Hauses Lothringen und wurde sogleich zum General des Heeres ernannt, das noch nicht vorhanden war. In der Nacht vom 9. auf den 10. verliessen Condés Bruder, der Prinz von Conti, sein Schwager, der Herzog von Longueville, La Rochefoucauld, der damals noch den Titel Prinz von Marsillac führte, und andere Herren des hohen Adels, heimlich den Hof und ritten von Saint-Germain nach Paris zurück. Der blonde Herzog von Beaufort, der Führer der »Importants« von 1643, war schon vor einigen Monaten aus der Festung von Vincennes entflohen und erschien in der Stadt. Es kamen der Herzog von Bouillon, der Marschall von La Mothe. Alle Unzufriedene und Ehrgeizige, die in den Beratungen zu Noisy ihre Aktion vorbereitet hatten. Bouillon wollte sein Fürstentum Sedan wiederhaben; den Marschall von La Mothe hatte Mazarin einsperren lassen; Beaufort trieben alte Pläne und ein alter Groll; der Herzog von Longueville hatte nur ein Ziel und eine Sehnsucht: er wollte das Haus Dunois legitimiert und damit für sich den Titel »Hoheit« haben, und weil er dies nicht erreicht hatte, fiel er vom Hofe ab. Mazarin hatte ihn als Vertreter Frankreichs nach Münster geschickt, aber der Herzog hatte gefühlt, dass er nur als Prunkstück diente, und dass Abel Servien das Vertrauen des Ministers hatte. So war der Eitle noch mehr verärgert zurückgekommen, und er wie der frühere Gesandte d'Avaux, den Mazarin abberufen hatte, erzählten überall, dass, hätte man sie tun lassen, auch mit Spanien der Frieden zustande gekommen wäre, nur der Kardinal hätte dies verhindert. Longuevilles Gattin, Condés schöne Schwester, war bereits für den Aufstand gewonnen: »Ich liebe die unschuldige Vergnügungen nicht!« sagte sie; das bewegte blutige Spiel, in das sie sich mit dem frauenhaften Leichtsinn stürzte, mit dem es die meisten adeligen Damen und Herren taten, lockte sie. Sie hatte sich, als der Hof abreiste, mit ihrer Schwangerschaft entschuldigt und war in Paris geblieben. Nun wurde sie auf dem Rathaus einquartiert, und die Prinzen sagten, »sie sollte den Parisern die Geisel ihrer Treue sein«. La Rochefoucauld war ihr Geliebter. Ritterlich und ehrgeizig, von einer eleganten Kühnheit im Handeln, scharfsichtig in der Beobachtung, aber phantastisch und abenteuerlich in seinen Berechnungen, hatte er seine Politik stets von schönen Frauen bestimmen lassen. Mazarin, der ihn eben darum nicht hoch einschätzte, hatte ihn bei der letzten Pairsernennung übergangen, und so folgte er jetzt dem Ruf der geliebten Prinzessin in den Bürgerkrieg. Sie hatte auch ihren Bruder, den Prinzen von Conti, bestimmt, nach Paris zu kommen und sich für das Parlament zu erklären. Armand von Bourbon-Conti war ein schwacher, unbeherrschter und um so beherrschbarer Mensch, nicht ohne Geist, aber ohne Halt. Er hatte bei den Jesuiten studiert und sollte geistlich werden, hatte fünfzehnjährig, mit dem glänzenden Erfolg aller Prinzen, auf der Sorbonne seine Thesen verteidigt und war Magister artium geworden, und war nun bereits zum Kardinal vorgeschlagen; aber er wollte gar nicht Geistlicher werden, er hatte nur dem Drängen der Mutter und des übermächtigen Bruders nachgegeben; um so rascher folgte er jetzt der Schwester, in die er ohnedies verliebt war oder doch so tat. Als wirklicher Prinz des königlichen Hauses wurde er, nachdem Elbeuf schon General war, zum »Generalissimus der Truppen des Königs unter dem Befehl des Parlaments« ernannt, die anderen Herren sämtlich zu Generalen unter ihm. Er hatte ein hübsches Gesicht, war jedoch zart, klein und ein wenig bucklig. Als Condé hörte, dass sein Bruder zum Feldherrn gegen ihn ernannt sei, brach er in ein Gelächter aus: »Dem Generalissimus der Fronde meine Reverenz,« sagte er und zog vor dem Affen der Königin den Hut. Die Fronde wurde die Erhebung genannt nach einem gefährlichen Spiel der Strassenjungen, die in Banden mit Steinschleudern Kämpfe aufführten. Die Polizei hatte es verboten: im Februar 1642 hatte die »Gazette de France« mitgeteilt, dass ein »gewisser Carmagnol, grosser Schleuderhauptmann (capitaine de frondeurs)«, öffentlich ausgepeitscht und ausgewiesen worden war.

Ihrer einundzwanzig adelige Herren leisteten und unterschrieben einen schweren Eid, für den König und das Parlament gegen den Minister zu kämpfen: niemals wollten sie einen persönlichen Vorteil für sich begehren und nicht Frieden schliessen, ehe nicht der Mazarin fort wäre  …! Für sie war der Aufstand wirklich ein Spiel vor allem, eine Unterhaltung. So schildert Retz den ersten Waffentag, den 11. Januar: »Als die Sache im Parlament im Gang war, nahm ich Frau von Longueville, Mademoiselle ihre Stieftochter und Frau von Bouillon mit ihren Kindern und führte sie im Triumph aufs Rathaus … Frau von Longueville war im Glanz ihrer Schönheit, Frau von Bouillon, ob ein wenig verblüht, noch immer prachtvoll. Stellen Sie sich die beiden schönen Frauen auf der Rampe des Rathauses vor, schöner noch, weil ihre Toilette vernachlässigt schien, ohne es zu sein. Jede hielt eines ihrer Kinder im Arm, die schön waren wie sie selber. Die Place de Grève war bis zu den Dächern mit Menschen gefüllt, die Freudenrufe ausstiessen; alle Frauen weinten vor Rührung. Ich warf fünfhundert Goldstücke aus den Fenstern des Rathauses …« »Des Abends fand auf dem Rathaus folgende Szene statt: Noirmoutiers, der tags vorher zum Generalleutnant gemacht worden war, war mit fünfhundert Reitern ausgerückt, um mit den Plänklern der Mazarintruppen, die in die Vorstädte drangen, Schüsse zu wechseln. Als er zurückkam, trat er mit Matha, Laigues und La Boulaye, alle noch im Kürass, in das Zimmer der Frau von Longueville, das voll von Damen war. Da sah man blaue Schärpen, Damen, Harnische durcheinander; aus dem grossen Saal tönten die Geigen, unten vom Platz die Trompeten. Es war ein Schauspiel, wie man es sonst nur in Romanen sieht. Noirmoutiers, dessen Lieblingswerk die »Astraea« war, sagte zu mir: ›Ich stelle mir jetzt vor, wir wären die Belagerten von Marcilli.‹ – ›Ja,‹ erwiderte ich, ›Sie haben recht: Frau von Longueville ist ebenso schön wie Galathea, aber Marsillac (Herr von La Rochefoucauld, sein Vater, war damals noch nicht gestorben) ist nicht so fein wie Lindamor.‹«

Dieser fröhliche Leichtsinn kam Frankreich und der Revolution teuer zu stehen. In England richtete sich eine bewusste demokratische Bewegung, von Männern von eisernem Wollen und fanatischem Ernste geführt, ebensosehr gegen den Adel wie gegen die Autokratie des Königtums; die Grafen von Essex und von Manchester, die anfangs an der Spitze des Parlamentsheeres standen, hatten längst ihre Stellen niederlegen müssen; gerade in diesen Tagen wurde der Beschluss gefasst, das Haus der Lords als »überflüssig und gefährlich« abzuschaffen. Die Pariser Bürger freuten sich, elegante, feingekleidete Herren an ihrer Spitze zu sehen: der Prinz von Conti und der Herzog von Longueville fuhren in einer Staatskarosse, mit möglichst vielem Gefolge in Livree, im Schritt durch Paris, um das Volk durch solche Pracht noch mehr zu gewinnen. Es gab im Adel einige Schwärmer und Republikaner, Freigeister und Atheisten, die, wie der Herzog von Brissac, die Marquis von Vitry und von Fontrailles und der Graf von Matha einmal, als sie getrunken hatten und einem Leichenzug begegneten, auf das Kruzifix losstürmten mit dem Ruf: »Dies ist der Feind!« und nur die Pfarrer, die mit dem Volke gingen, damit erbitterten. Eitelkeit und Abenteuerlust, der Wunsch, dem Hof Vorteile abzupressen, lockte die meisten, oder sie folgten einem grossen Herrn, zu dem sie »gehörten« und der um eigener Interessen willen sich gegen den Hof erklärt hatte. Der Aufstand des Adels war eine Frivolität. Bouillon war ein Staatsmann und Retz war ein Genie, aber auch sie kämpften nicht für eine Idee oder ein System, sondern für sich selber, zudem vermochten sie in dem Wirrwar und in der Schlaffheit der ganzen Bewegung nicht viel auszurichten.

Im Bürgertum gab es Männer, die von alten Rechten und Freiheiten sprachen und viel von Waffen und Widerstand, aber sie fanden die Revolution sehr bald zu unbequem und zu teuer. Das Volk war noch viel zu dumpf und gebändigt; es erhob sich von Hunger und Hass gereizt, aber seine Gesinnung war im Grunde durchaus nicht revolutionär. »Es lebe der König und Herr Broussel!« oder »Es lebe der König ganz allein! Fort mit Mazarin!« hatten sie in den Augusttagen gerufen. Auf den Fahnen des Parlamentsheeres waren die Jungfrau und der heilige Joseph abgebildet, die das Jesuskind suchen, und darunterstand der Wahlspruch: »Regem nostrum quaerimus!«

Diese so verschieden gearteten und verschieden bewegten Schichten, die von bunt verworrenen Interessen und Leidenschaften getriebenen Personen waren nur in dem gemeinsamen Hass gegen den Minister einig. Gegen Mazarin, über dessen Eleganz, dessen Milde und Liebenswürdigkeit nur eine Stimme war, hatte sich in Frankreich ein wütender Hass gehäuft. Er war der Sündenbock für alles geworden. Die Herren am Hofe durchschauten die hohle Freundlichkeit, mit der er viel versprach und wenig hielt, aus Sparsamkeit und vielleicht in Befolgung der Regel des Gracian, dass ein »Hofmann die Leute am Seile der Hoffnung halten müsste«, weil der Befriedigte nicht mehr abhängig ist. Die vollkommene innere Kälte, über der die gewinnende Maske lag, entfernte jene Liebe, die man für den schrecklichen Richelieu hatte empfinden können. Der hatte bewundernde Freunde und Diener gehabt; und die andern hatten seine Grösse knirschend ertragen. Auch war er durch seinen Vater, der Gardekapitän und Grossprofoss von Frankreich war, von gutem Adel – die Mutter war bürgerlich –, vor allem war er Franzose gewesen. Mazarin war ein Fremder, seine Herkunft gering, seine Milde erschien verächtlich; seine Art und die Mittel, die er anwendete, imponierten den heissblütigen und kriegerischen französischen Herren nicht. Es sind Worte des Hasses, die Retz über ihn schreibt: »Im Purpur blieb er Kammerdiener … er hatte die Unverschämtheit, Richelieu nachzuahmen … er liebte sich zu sehr, wie alle Feiglinge, und achtete sich zu wenig, wie alle, die nicht um ihre Ehre besorgt sind … er hatte Geist, eine gewinnende Art, Heiterkeit und Manieren, doch die gemeine Seele schien immer durch«; aber diese Worte zeigen, wie der Adel ihm gegenüber empfand. Die französischen Bischöfe waren mit dem Krieg gegen die katholischen Mächte auf Seiten der Protestanten nicht einverstanden, die strengen jansenistischen Geistlichen sprachen von der »Prostitution der Benefizien« durch den Kardinal. Die Herren der Robe ärgerten sich und spotteten über seine Unkenntnis der französischen Bräuche und Gesetze. Dem genialen Geschäftsmann erschienen ihre juristischen Wortbedenken, ihre bureaukratische Weitschweifigkeit sinnlos; wenn das Parlament bei einer wichtigen und dringenden Finanzlage erst beriet, ob irgendeine alte Verordnung nicht im Wege sei, dann begriff er nicht, dass sie mit solchen Kleinigkeiten die Zeit verloren. Und wenn er einem Deputierten des Parlaments, der das Recht der Körperschaften verfocht, über die Staatsangelegenheiten zu beraten, erwiderte: »Herr von Roucqueval, Sie tragen Quasten am Kragen; wenn die Königin es Ihnen verböte, dürften Sie sie dann noch tragen?« so bot der Vergleich den Juristen Stoff zu endlosem Gelächter über die staatsrechtliche Weisheit des ersten Ministers. Das Volk, das wenig von ihm wusste, sah in ihm den verantwortlichen Mann, den Günstling, den Urheber seiner Not. Man glaubte, und nicht nur im Volke, dass er den ersehnten Frieden mit Spanien absichtlich hinausschöbe, um unentbehrlich zu bleiben. Seine ganze Stellung missfiel. Das Wort »Günstling« ist ein in den Schriften und Reden der Zeit, in Briefen, Diskussionen und Aphorismen immer wiederkehrendes Wort. Man sah, dass seit dem Tode Heinrichs IV., dessen Zeit dem Volk nicht mit Unrecht als die gute und grosse Zeit erschien, nicht mehr der gekrönte Regent, sondern ein ungekrönter Minister regierte. Ob dies ein aufgeblasener Abenteurer war, wie Concino Concini, der Liebling der Maria von Medici, dessen Leichnam das wütende Volk in Stücke riss, oder ein schwächlicher Höfling wie Luynes, der erste Gatte der Frau von Chevreuse, oder der eiserne Wille und das Genie Richelieus, die zähe Geschicklichkeit Mazarins: die Menge, die nur die oberflächlichen Merkmale sieht, machte keinen Unterschied. Und Mazarin war gleich Concini ein Fremder, ein Italiener, der für das französische Volk kein Herz haben konnte, und den sie hassten mit dem ganzen erbitterten Fremdenhass, des die Franzosen fähig sind, wie kaum ein Volk. »Sie nehmen die Fremden auf, aber sie lieben sie nicht,« sagte schon ein Schriftsteller jener Tage. Die Leute behaupteten und glaubten, dass er Millionen heimlich nach Italien schickte, um sie dort für sich zurückzulegen, während die Steuern in Frankreich unerschwinglich waren. Die herrlichen Stallungen mit ihren drei Riesenportalen, den Pfeilern und Krippen aus Eichenholz, die er für seine Pferde hatte erbauen lassen, Stallungen, wie man sie in Paris noch nicht gesehen hatte, erregten Wut gegen ihn. Ebenso der Aufzug, den er, um sich das lästige Treppensteigen zu sparen, in seinem Palaste hatte anlegen lassen, eine in Frankreich noch unbekannte Erfindung. Zu alledem kam die geheime und doch nicht geheime, dem Volk schimpflich erscheinende Beziehung zur Königin. Böse Dinge wurden geflüstert und gesprochen über Anna von Österreich, die nicht mehr beliebt war; schon seit Weihnachten fand man auf allen Strassen und Plätzen höhnische Maueranschläge gegen »Madame Anne« und den Kardinal, denen bald ausführliche und schändliche Druckschriften folgten.

In seiner Sitzung vom 8. Januar erklärte das Parlament mit allen Stimmen gegen eine den Kardinal für einen öffentlichen Ruhestörer und Reichsfeind und verwies ihn binnen acht Tagen des Landes, widrigenfalls er vogelfrei sei und jeder ihn greifen und niedermachen sollte.

Mazarins Biograph Aubéry untersucht die Nullitätsgründe des Erlasses! Dem Kardinal selbst machten damals, obschon er sich des Dekrets gewiss nicht freute, andere Dinge mehr Sorge: dass das Parlament am 25. Januar sein Vermögen für eingezogen erklärte und die Versteigerung seiner Möbel anordnete, war ihm zweifellos empfindlicher. Sein Licht war im Erblassen; ihm seine Stellung abzunehmen, fühlten sich viele bereit, und auch in der Hofpartei hatte er nicht viele Freunde. Er traute nicht einmal der Königin und hatte sie daran erinnert, dass Karl I. seinen Minister umsonst geopfert, dass, als er das Todesurteil Lord Straffords unterschrieb, dies der Anfang vom Ende wurde. Und die Königin wiederholte, ein treues Echo, wenn man ihr gegen den Kardinal sprach, als käme der Gedanke aus ihrem eigenen Kopf: »sie wolle nicht den Fehler Karls I. wiederholen«. Sie war sein verlässlichster Freund; seine wichtigsten Helfer im Augenblick, Condé und den Herzog von Orléans, musste er fast ebenso fürchten wie seine Feinde.

Der Respekt schwand völlig. In Paris war sein Name ein Schimpfwort geworden, man konnte die Kutscher in der Strasse ihre Pferde »Schweine von Mazarins« schimpfen hören, und die Gerichte gestatteten die Klage, wenn ein Mensch einen anderen »Mazarin« nannte. »Dieser unglückselige und verfluchte Schwindler« nennt ihn Guy Patin, der Dekan der medizinischen Fakultät von Paris, in seinen Briefen; »Der sizilianische Lump« nannte ihn Condé, wenn er im intimen Kreise von ihm sprach; »Erlass des Parlaments gegen den Mazarin!« brüllten übermütige Edelleute, der junge Herzog von Châtillon und der Chevalier von Rivière, im Ton von Zeitungsverkäufern vor der Türe des Ministers zu Saint-Germain. Der Kardinal zog es vor nicht zu hören. Er hatte grössere Sorgen und arbeitete.

In der Stadt waren indessen Beratungen, Lärm, Gerüchte ohne Ende. Hausdurchsuchungen, gelegentliche Plünderungen erregten die Leute. Vornehme Damen entflohen verkleidet aus der Stadt. Die Brot- und Mehlpreise stiegen. Wir sehen die Ereignisse der Vergangenheit als ein fertiges Gewebe, obschon wir, wie in einem wirklichen Teppich, die grosse Zeichnung, aber nicht die viel tausend einzelnen Fäden erkennen. Aber damals war, was für uns heute als Vergangenheit feststeht, den Menschen ungewisse Zukunft, in die jedes Hirn seine Bilder warf. Keiner sicherlich konnte voraussehen, was kommen würde. Jeder hatte in jedem Augenblick einen anderen Traum, und dieser Traum liess die Menschen handeln. Sahen sie hinter sich, so sahen sie Richelieus drückende Herrschaft oder die Schreckenstage der Liga, der Bartholomäusnacht, der Religionskriege. Jenseits des Kanals sahen sie, die meisten mit Wut und Abscheu, die englische Revolution, die Hinrichtung Karls I. An den Grenzen stand der Feind. Welche Fülle ungeheuerlicher phantastischer Bilder, aus Erinnerungen, aus Furcht und Hoffnungen, aus Hirngespinsten und Narrheit geboren, müssten sich den Politikern wie den beschränkten einfachen Leuten des Volks, in den jede Woche kaleidoskopartig wechselnden und sich immer neu verwirrenden Situationen dieser vier Jahre gestalten!

In jenem Augenblick fürchteten die Pariser eine schreckliche Rache von Seiten der beleidigten Königin und die Plünderung von Paris durch die Truppen. Sie und der Mazarin hatten den König entführt. Mazarin und die Königin, die sonst wenig fürchtete, lebten in Sorge, der Herzog von Orléans oder ein anderer Prinz könnte ihnen den König rauben und dann in seinem Namen die Macht ausüben. Alle bebten vor allem, was nie traf. Mazarin fürchtete für seine Macht und sein Leben, Condé fühlte sich in einer schiefen Stellung, der Herzog von Orléans zitterte vor allem und jedem und freute sich doch, wenn die Dinge bunt wurden. Zugleich mit diesen Bildern erregter Phantasien und der Furcht kam das Gelächter der Menschen auf seine Kosten wie nie. Die Satire im Gespräch wie in der Schrift ward eine wesentliche Waffe im Kampf und die Erholung im Schrecken der Tage.

Der Krieg selbst war eine tragische Posse wie die ganze Revolution. »In vierzehn Tagen würde man mit Paris fertig werden,« hatte der Kriegsminister Le Tellier gesagt. Es wäre beinahe so gekommen. Zwar die Bastille, die nur zweiundzwanzig Mann zur Besatzung hatte, wurde von ihrem Gouverneur Du Tremblay, dem Bruder des Pater Joseph, am zweiten Tag übergeben. Aber die Truppen, die für das Parlament ausgehoben wurden, waren den Schrecken und dem Ernst der Gefechte nicht gewachsen; sie rückten aus, jammerten über die schlechten kotigen Wege und liefen wieder davon, wenn Condés kriegsgewohnte Reiter anstürmten. Hüben und drüben verlor manch ein tüchtiger Mann sein Leben, und auf dem Lande wurden von den königlichen Truppen, namentlich den polnischen Regimentern, furchtbare Grausamkeiten begangen; aber die Pariser amüsierten sich ungeheuer. Retz hatte auf eigene Kosten ein Regiment ausgerüstet, das er nach seinem erzbischöflichen Sitz in partibus das Regiment Korinth nannte; als auch dieses Korps beim Anblick der Feinde ausriss und ein königlicher Reiter ihrer dreissig Mann gefangen nahm, da nannten die Pariser die Waffentat: »Korinther I«, »La première aux Corinthiens«. Den heiteren Franzosen wurde alles zum Witz, wie denn auch Witze und wundervolle Schilderungen in den Memoiren die eigentliche Frucht, eine reiche, künstlerische Ausbeute jener Tage sind.

Unter den in Paris Eingeschlossenen war eine schöne Jungverheiratete Frau, die Marquise von Sévigné; ihre Familie war mit Retz verschwägert, ein Oheim ihres Mannes, der Chevalier von Sévigné kommandierte das Regiment Korinth. Im Heer vor Paris focht als Adjutant Condés ihr Vetter, der Graf von Bussy-Rabutin; sie wechselten Briefe, aus denen der ganze fröhliche Leichtsinn der Zeit spricht: »Wenn Ihr nicht bald Hungers sterbt, sterben wir vor Langeweile,« schreibt Bussy am 15. Februar, »aber ich rechne auf die Plünderung und hoffe sehr, Sie werden mir zur Beute fallen. Diese Aussicht lindert meinen Kummer!« Er ärgert sich sehr, weil man seine Wagenpferde erbeutet hatte, und schickt einen Lakaien in die Stadt, denn er hofft, »man wird die Höflichkeit haben, sie ihm zurückzustellen.« Am 25. März schreibt er: »Wenn der Kardinal Mazarin in Paris eine Cousine hätte, so schön wie Sie, ich glaube mich nicht zu täuschen, er schlösse den Frieden um jeden Preis.«

Bänkel, »Triolets«, entstanden ohne Zahl. In Saint-Germain sang man auf einen der Frondeure, den Grafen von Maure; einen gutmütigen Sonderling, berühmt durch seine Unordnung und sein spätes Aufstehen:

»Ich bin dafür, Ernst zu machen,
Sprach der tapfre Graf von Maure,
Es ist nicht mehr Zeit, zu lachen,
Ich bin dafür, Ernst zu machen:
Alles soll zu Stücken krachen!
Donnerwetter! Türk und Mohr!
Ich bin dafür, Ernst zu machen,
Sprach der tapfre Graf von Maure.

Koller und Ärmel von schwarzem Samt
Trug der grosse Graf von Maure;
Herrlich war er und scharmant
In Koller und Ärmel von schwarzem Samt.
Condé, Condé, sieh dich vor!
Sonst verschlingt er dich zusamt,
In Koller und Ärmel von schwarzem Samt,
Dieser grosse Graf von Maure.«

Der Prinz selbst dichtete das Lied weiter:

»Denn kein Tiger lechzt nach Blut
Wie der tapfre Graf von Maure,
Wenn er kämpft in der ersten Reih
Wie ein Tiger, der lechzt nach Blut –
Leider ist er nie dabei,
Darum geht's Condé noch gut,
Obgleich kein Tiger lechzt nach Blut
Wie dieser grosse Graf von Maure.«

Als die Verhandlungen begannen, kam noch eine Strophe hinzu.

»Ich hoffe, ihr werdet Hungers sterben,« hatte Bussy geschrieben. Und wenn auch die königliche Armee nicht stark genug war, die Blockade vollständig durchzuführen, so trat doch Not in der Stadt ein, und die reichen Bürger sahen mit Verzweiflung ihre Landhäuser in Flammen aufgehen, ihre Gärten von den königlichen Truppen verwüstet.

Zwei Dinge hatten Mazarin mit Besorgnis erfüllt: dass der Herzog von Longueville, da er auch im Parlament sich den königlichen Prinzen nicht gleichgestellt sah, Paris verliess und sich in seine Statthalterschaft, die Normandie, begab, um dort ein Heer zu rüsten: der Hof lief Gefahr, zu Saint-Germain mit seinen geringen Truppen von Norden und Süden angegriffen und selbst eingeschlossen zu werden. Das Unternehmen des Herzogs scheiterte an seiner Unfähigkeit, und Saint-Evremond schrieb eine Satire über seine Taten, die den Kardinal noch auf seinem Sterbebette lachen machte. Mehr noch fürchtete er den Abfall Turennes, der die Rheinarmee kommandierte. Der Herzog von Bouillon, Turennes älterer Bruder, mahnte den Marschall in dringenden Briefen, für sein eigenes Haus und nicht für das Haus Frankreich zu kämpfen. Mazarin, der dies wusste, schrieb ihm seinerseits die herzlichsten Briefe, ihn seines vollen Vertrauens versichernd. Von Turennes Armee hing das Schicksal Frankreichs ab: der schweigsame Mann mit dem düsteren Gesicht gab keine befriedigende Antwort, und viel Kuriere gingen hin und her. Mazarin ging so weit, am 12. Januar zu schreiben: »Ich sollte es Ihnen nicht sagen, aber als der Herzog von Modena und der Prinz Kasimir von Polen mich um die Hand meiner ältesten Nichte baten, da weigerte ich es, um sie Ihnen zu geben!« Aber während er ihn so zu ködern suchte, baute er vor.

Bouillon und Retz, die in Paris ständig miteinander und mit Bouillons kluger Frau berieten, hatten einen kühn angelegten Plan: mit der Armee Turennes, die einst die Bernhards von Weimar gewesen war, schlachtgewohnten Kerntruppen des Dreissigjährigen Krieges, und mit den spanischen Truppen an der niederländischen Grenze, wollten sie den Hof erdrücken und den Frieden diktieren. Sie hofften die Spanier zu nützen und durch die eigene Armee von ihnen unabhängig zu bleiben. Spanische Unterhändler waren schon in Paris. Ein Bernhardinermönch, der sich Don José Illescas Arnolfini nannte, kam mit einem Schreiben des Erzherzogs Leopold Wilhelm und erklärte, mit einem Mazarin habe man trotz den vorteilhaftesten Angeboten – dies war Lüge – keinen Frieden schliessen wollen, die legitime Autorität des Parlaments wolle man gerne zu Schiedsrichtern machen, oder auch auf Wunsch der Herren zu ihrem Schutze vorrücken. Aber da ging das Parlament nicht mit. Die Spanier waren damals für jeden gutgesinnten Franzosen die verhassten Erbfeinde; eine Verbindung mit ihnen Hochverrat. »Wie?« sagte der Präsident von Mesmes zum Prinzen von Conti, »Sie, ein Prinz des Hauses Frankreich, wollen hier auf den Lilien einen Vertreter ihres grausamsten Feindes Platz nehmen lassen und ihn anhören?« Man beschloss, Deputierte an die Königin zu schicken und ihr das spanische Friedensangebot zur Entscheidung vorzulegen.

Im März kam die Nachricht, dass auch Turenne keine Armee mehr hatte. Mazarin hatte, als er an dem Abfall des Marschalls nicht zweifeln konnte, an die deutsche Treue der Truppen appelliert und, immer vorsichtig, durch seinen Bankier Herwarth 300 000 Livres an die Offiziere und Soldaten verteilen lassen: da liessen sie, obschon alle Obersten bis auf zwei, Erlach und Rosen, ihm zu folgen versprochen, ihren Feldherrn im Stich und blieben königstreu. Turenne floh nach Holland.

Damit war der innerere Krieg entschieden. Aber noch waren die Spanier an der nahen Grenze zu fürchten, und auf beiden Seiten hielt man es für besser, Verhandlungen anzuknüpfen. Auch der Tod Karls I. hatte die Revolutionäre erschreckt: mit den Königsmördern wollten sie nicht in einem Atem genannt werden. Deputierte gingen nach Ruel. Am 12. März wurden die Feindseligkeiten eingestellt. Aber die Deputierten erklärten, mit Mazarin, dem Geächteten, nicht verhandeln zu können. Die Schwierigkeit wurde gelöst, indem der Herzog von Orléans als Generalstatthalter des Reichs mit den Ministern in einem Zimmer blieb, die Abgesandten im anderen, wo der Kanzler und der Staatssekretär Le Tellier mit ihnen unterhandelten. Die Verhandlungen waren langwierig und über die Massen kompliziert, mit immer neuen Zwischenfällen, Berichten und Beschwerden, Form- und Rangschwierigkeiten, aber viel gutem Willen auf beiden Seiten. Deputierte des Parlaments der Normandie schlossen sich an. Man kam zu einem Kompromiss, das in Wahrheit ein Sieg des Hofes war. Die Deklaration vom Oktober wurde genehmigt, alle späteren Beschlüsse des Parlaments aufgehoben, ebenso die seitherigen Erlässe der Regierung; die Aufständischen legten die Waffen nieder und erhielten vollständige Amnestie.

Damit war auch das Dekret gegen Mazarin kassiert.

Aber die »Generale« der Fronde waren unzufrieden und erregten einen Aufruhr, obwohl sie selbst mit dem Hof verhandelten. Das Volk drang ins Parlament, Rufe: »Die Republik!« ertönten, der erste Präsident, der die Verhandlungen geführt hatte, leitete die Sitzung weiter, ohne vor den tobenden Massen auch nur seine Haltung oder Miene zu ändern. Man riet ihm, des Abends durch eine Seitentür das Palais zu verlassen: »Der Gerichtshof versteckt sich nicht!« sagte Molé. Retz hielt ihn fest und bat ihn zu warten, bis er das Volk beruhigt hatte: »Ja, mein guter Herr, sagen Sie nur Ihr Stichwort!« gab jener zur Antwort. Der Koadjutor war grosszügig genug, um Bewunderung für die »übernatürliche Furchtlosigkeit« des Mannes zu empfinden.

Der »Friede von Ruel« wurde genehmigt und am 1. April vom Parlament registriert. Die Bürger von Paris illuminierten und sangen ein Tedeum.

Die adeligen Herren, die am Aufstande teilgenommen hatten, verlangten jeder eine Entschädigung, eine Belohnung dafür, dass sie nun nicht weiter rebellieren wollten. Der Prinz von Conti wollte Rat der Regentschaft, der Herzog von Beaufort Admiral und Statthalter der Bretagne werden, der Herzog von La Tremouille verlangte Prinzenrang und eine Reihe von Grafschaften und Baronien, Ansprüche, die aus der Zeit Ludwigs XI. stammten, und so jeder, der eine Geld, der andere einen Orden, jener ein Kommando bei der Garde, dieser ein Schloss. Erst zwar hatten sie, weil sie es geschworen, die Vertreibung Mazarins gefordert; der Graf von Maure hatte bei Beginn der Verhandlungen die Schrift überreicht; da der Kanzler sie nicht annahm, hatte der Graf seine Brille aufgesetzt und die Schrift verlesen: die Forderung wurde, als für die Königin höchst beleidigend, zurückgewiesen. Darum sang man das Triolet auf den Grafen nun mit einer vierten Strophe:

»Maure nimmt selbst den Frieden an,
Unterzeichnet ihn sogar:
Wenn Mazarin geht in den Bann,
Nimmt Graf Maure den Frieden an!
Verbietet man die Liedchen gar,
Und bleibt der Koller ihm, fürwahr,
Dann nimmt Graf Maure den Frieden an,
Unterzeichnet ihn sogar!«

Da die Herren so die eine Hälfte ihres Eides nicht halten konnten, hielten sie sich in gutem Gewissen auch des anderen Schwures entbunden, nichts für sich zu verlangen. Der ganze Hof lachte, als der Herzog von Brissac die Forderungen seiner Standesgenossen nach Saint-Germain überbrachte, aber soweit darunter irgend begründete und mögliche Ansprüche waren, wurden sie bewilligt, und manches darüber. »Es war das possenhafte Nachspiel der ernsthaften Komödie, die wir erlebt hatten,« schreibt Frau von Motteville. So sehr fühlte man schon damals die Ironie der Ereignisse. Nur den wahren Opfern des Kampfes, den unglücklichen Bauern, deren Häuser verbrannt, die Felder verwüstet, Frauen und Töchter vergewaltigt waren, bot niemand einen Ersatz.


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