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Siehe Bildunterschrift

Mazarin,
Porträt von Philippe de Champagne; Stich von T. Morin im Berliner Kupferstichkabinett.

Drittes Kapitel
Die Maitage von 1643

Es drängten sich damals für Frankreich die entscheidenden Ereignisse seiner Geschichte in wenige Tage.

Am 14. Mai war Ludwig XIII. gestorben. Am 15. hielt die Königin mit ihrem Sohn ihren triumphierenden Einzug in Paris. Bis Nanterre standen die Karossen, die ihr entgegen fuhren; die ganze Bevölkerung schien ausgezogen, sie zu empfangen. Die »Maison militaire du Roi« war ausgerückt und kam jetzt von Saint-Germain; voran die französische Garde, dann die Schweizer, unter ihrem Generalobersten, dem Marquis von La Châtre, beides Fusstruppen, die Musketiere auf grauen Pferden mit Scharlachdecken unter ihrem Kapitänleutnant Tréville, die Chevaulegers unter dem Marschall von Schomberg, dann die Stallmeister der Königin, die Gardes du Corps, die »Hundert Schweizer« zu Fuss, in alter spanischer Tracht mit ihren Hellebarden, ein farbiger bewaffneter Zug. Dann kam die königliche Karosse selbst, in der der König, die Königin, der kleine Herzog von Anjou, der Herzog von Orléans und die Prinzessin von Condé sassen, von den Gardekapitänen und dem Ersten Stallmeister Herzog von Saint-Simon geleitet und von der königlichen Dienerschaft gefolgt. Nach ihnen ritten die Gendarmen, die Schottengarde, und wieder Schweizer und französische Garden zum Schluss. Dann folgten die unzähligen Wagen der Herren und Damen des Hofes. Ein Jubelruf »Vive le roi!« erhob sich, als der fünfjährige Ludwig XIV. – schon »di nobile aspetto, che spira grandezza«, schrieb der venezianische Gesandte am selben Tage – in Paris einzog.

Am 16. empfing die Königin die Deputationen des Parlaments und der anderen »souveränen Körperschaften«. Aber all das war Gepränge und Form. In den Zimmern und Sälen, nicht nur des Königsschlosses fanden unendliche Beratungen statt, mit den Ministern, mit den Prinzen des königlichen Hauses, mit den Grossen, die da standen und warteten, welcher Anteil an Herrschaft und Glanz ihnen nun in den Schoss fallen sollte. Denn die Kraft war dahin, die sie niedergehalten und den Staat geeint hatte. Nun waren sie alle wichtig geworden und gingen mit erwartenden und verheissenden Mienen. Alles drängte sich um Gaston von Orléans, den Generalstatthalter des Reiches. Er war fünfunddreissig Jahre alt, dennoch infolge des Lotterlebens, das er führte, schon von der Gicht gebrochen; hübsch und geistvoll, »ein ewiger Junge«, wie Tallemant sagt, liebenswürdig und feige, ein Mensch, dem nichts schrecklicher war, als ein Entschluss, eine Verantwortung, ein Festhalten an einem Plan; eine wächserne Seele, die jeder beherrschen und aufreizen konnte, und die jeden verriet und im Stiche liess, wenn die Sache schief ging. Lächelnd, mit bereitem Witz, und völlig schamlos ging er durchs Leben: »der gutmütigste und der liederlichste Prinz der Welt« … »er kann hundert der erstaunlichsten Trinklieder auswendig«, heisst es in einem Briefe über ihn. Nach ihm kam, eifersüchtig, der grosse Geschäftsmann des Hauses, der Prinz von Condé, der seinen Köchinnen beim Einkauf nachrechnete. Frau von Motteville hat erzählt, wie man ihn nicht leiden mochte bei Hof, wenn er schmutzig und geizig, mit seinen rotgeränderten Augen, dem schlechtgeschnittenen Bart, die fettigen Haare hinter die Ohren zurückgestrichen, ankam. Seine schöne Frau, die ihn mit unzähligen Liebhabern betrogen hatte, hasste und verspottete ihn, und im Feld hatte er, wie man es höflich ausdrückte, »immer Unglück gehabt«. Nie hatte das Haus Frankreich eine so klägliche Generation hervorgebracht. Dann waren die legitimierten Prinzen, der lasterhafte alte Herzog von Vendôme, und sein zweiter Sohn, der blonde Herzog von Beaufort, der Königin seit langem ergeben, der schon am Sterbetage Ludwigs XIII. einen hohen Ton anschlug. Zurückhaltender, aber nicht minder erwartungsvoll, kam der geistvolle und schwermütige Prinz von Marsillac – La Rochefoucauld –, der, als sie noch eine verfolgte Frau gewesen, ritterlich und tollkühn sich in manche Verschwörung gegen Richelieu für sie eingelassen hatte. Man bemerkte, dass die Königin lange und huldvoll mit ihm sprach. Hinter ihnen drängte die ganze Menge derer, die ihnen anhingen, die sie berieten oder auf sie rechneten, sich ihnen zur Verfügung stellten oder sie benützen wollten … Da war Kommen und Gehen bei Tag und Nacht; geheime Konventikel und Beratungen in allen Palästen. Um Beaufort scharten sich die meisten der aus dem Banne Heimgekehrten und berieten über die Verteilung der Ämter und Rollen. Über die Regentschaft war man rasch einig geworden; aber das Ministerium war neu zu besetzen. Alle fürchteten Chavigny, der unbedingt fallen sollte; desgleichen der Kanzler; der Marquis von Châteauneuf, Charles de l'Aubespine, der vor zehn Jahren Kanzler gewesen und seither in so bitterer Gefangenschaft gesessen, dass nur sein eiserner Körper es ungebrochen überstehen konnte, wartete schon zu Montrouge darauf, seinen Platz wieder einzunehmen. Zwar in diesen ersten Wochen wiedergewonnener Freiheit, hatte er wiederholt an Chavigny geschrieben, »sein einziger Wunsch sei, den Rest seiner Tage in Ruhe und in Gebeten für die gütige Königin zu verbringen«, aber solche Versicherungen galten dem Schreiber wie dem Empfänger soviel, wie heute eine gedruckte Dankkarte. Schon umgab ihn ein ganzer Hof, und er selbst machte wie einst den Frauen eifrig den Hof. Mazarin kannte ihn vom Jahr des Friedenschlusses in Italien her, da war er einer der französischen Kommissare gewesen. Mazarin selbst, den man hier nicht länger brauchen konnte, mochte als Gesandter nach Rom gehen oder auch nach Münster zu den Friedensverhandlungen. Zum ersten Minister hatten sie den Almosenier der Königin, den Bischof von Beauvais Augustin Potier, bestimmt.

Der 17. Mai war ein Sonntag. Der 18. war der Tag der Resultate. Eine feierliche Sitzung des Parlaments in Anwesenheit des Königs, ein »Lit de justice« war angeordnet, die Beschlüsse des Königs anzuhören und anzunehmen. In Pracht und Farben und Federhüten erschienen die Prinzen, die Herzoge und Pairs von Frankreich und die Marschälle; in scharlachroten, hermelinbesetzten Roben, mit Barett und Mütze, die Parlamentspräsidenten und Räte. Auch Damen waren erschienen: die Prinzessin von Condé, ihre Tochter die Herzogin von Longueville und das Fräulein von Vendôme, alle in Trauerschleiern. Um den Bischof von Beauvais, den einzigen geistlichen Pair, der anwesend war, drängte man sich; es fiel auf, dass der Prinz von Condé ihn zwei- oder dreimal anredete.

Um halb zehn erschien der Hof. Der Grosskammerherr, Herzog von Chevreuse, trug den kleinen Ludwig XIV. in den Saal und setzte ihn auf den Thronsessel; seine Gouvernante Frau von Lansac blieb neben ihm stehen. Als alles Platz genommen und Stille eingetreten war, richtete die Königin ihn auf und er sollte reden, aber das Büblein im violetten Trauerornat mit dem Sabberlätzchen darüber setzte sich vergnügt lachend wieder nieder und wollte nicht. So sagte denn die Königin dem Parlament einige liebenswürdige Worte; dann standen der Herzog von Orleans und nach ihm der Prinz von Condé auf und verzichteten auf ihre Regentschaftsrechte; der Kanzler in violetter, karminrot gefütterter Samtrobe, das blaue Band des Heiligen Geistordens um die Brust, redete schlecht und stotternd; er fühlte sich gehasst und missachtet, zudem musste er widerrufen, was er vor vier kurzen Wochen begründet hatte; dann sprach der Generaladvokat Omer Talon: der Schluss war, dass die Deklaration Ludwigs XIII. als dem geltenden Recht und Gesetz widersprechend aufgehoben wurde: der verstorbene König konnte den Künftigen nicht binden, und dieser nun gegenwärtige übertrug – der Kanzler sprach für ihn – die »volle, ungeteilte und absolute Macht« der Regentin, seiner Mutter. Der Herzog von Orléans blieb Generalstatthalter unter ihr.

Das Parlament, erfreut in die Staatsangelegenheiten wieder eingreifen zu können, stimmte zu; die Präsidenten Gayant und Barillon hielten kühne Reden, die missbilligt wurden.

Die Minister Le Bouthillier, Chavigny und Mazarin waren nicht erschienen. Man fand es begreiflich. Nun regierte Anna von Osterreich, die lange zurückgesetzte, und ihre Freunde!

Erst am Abend des Tages erfuhren sie, dass die Königin den Kardinal Mazarin zu ihrem ersten Minister und bei Abwesenheit der Prinzen auch zum Vorsitzenden des Regentschaftsrats ernannt hatte! Der schlaue Italiener, der so bescheiden zurückgetreten war und niemanden in seinen Plänen gestört hatte, hatte alle überlistet.

Er hatte längst mit gewohnter Geschicklichkeit für sich gearbeitet. In den letzten Wochen, als Ludwig XIII. noch am Leben war, hatte er sich bereits mit Personen aus der Umgebung der Königin gutgestellt, hatte durch Chavigny und im Bunde mit ihm die Prinzessin von Condé, mit der die Königin sehr befreundet war, sich geneigt zu machen gewusst. Als Kardinal standen ihm geistliche Wege offen. Der Pater Vincenz von Paula, der selbe, der um seiner liebreichen Wohltätigkeit willen später heilig gesprochen wurde und den die Königin schätzte, soll eifrig für ihn geredet haben. Ausserdem hatte Mazarin dem Bischof von Beauvais selbst durch den Nunzius Kardinal Grimaldi sagen lassen: er brenne darauf, der Königin zu dienen, und der Bischof hatte es hocherfreut der Königin berichtet. »Ob Sie dies nicht einmal bereuen werden?« sagte dem Grossalmosenier der Staatssekretär von Brienne, der Mazarins grosse Schlauheit und des Bischofs grosse Torheit erkannte. Schlaueste Berechnung, mit der er seine Gegner selbst zu seinen ahnungslosen Werkzeugen machte, Glück und Geistesgegenwart spielten für ihn. Die Königin, offenbar noch unsicher und doch schon beeinflusst zugunsten eines Mannes, dessen persönlicher Reiz sicherlich auf sie wirkte, hatte, um ihre eigenen Absichten zu erklären und wohl auch, frauenhaft, um sich in ihrem geheimen Wunsche bestärken zu lassen, Brienne und den Präsidenten von Bailleul, dem sie die Ernennung zum Siegelbewahrer versprochen, um Rat gefragt. Nicht sehr bedachtsam erklärte Bailleul »den Mazarini« für vollkommen unmöglich, da er eine Kreatur Richelieus wäre. Die Königin schwieg. »Wenn es schon ein Kardinal sein müsste,« fuhr der Präsident fort, »dann möge sie sich lieber an den von La Rochefoucauld wenden.« Der Kardinal von La Rochefoucauld war ein frommer altersschwacher Mann. »Um die Königin aus ihrer Verlegenheit zu befreien,« schlug Brienne nun einen »von Richelieu ungerecht verfolgten, treuen und sehr fähigen Mann« zum ersten Minister vor. Er meinte Châteauneuf. Die Königin erwiderte, sie schätze Châteauneuf sehr, aber seine Zeit sei noch nicht gekommen, und das Haus Condé sei zu sehr gegen ihn. Das »hiess sich deutlich genug erklären«. Der Sohn des Staatssekretärs, Graf Henri Louis von Brienne, erzählt in seinen Memoiren, dass die Königin sofort nach diesem Gespräch ihren ersten Kammerdiener Henri von Beringhen zu dem Kardinal schickte, der an diesem Tage beim Komtur von Souvré speiste und dort mit Chavigny und anderen beim Kartenspiel sass, jetzt aber seine Karten sofort Bautru übergab und mit Beringhen im Nebenzimmer eine zweistündige Unterredung hatte. Aber auf alles, was Beringhen erzählte, gab Mazarin nur ausweichende Antworten, bis jener gestand, dass er im Auftrage der Königin komme: da veränderte sich seine Miene völlig und er übersandte ihr mit Bleistift auf Beringhens Notiztafeln geschrieben, die willkommene Erklärung: »Ich werde nie einen anderen Willen haben als den der Königin. Ich verzichte schon heute von ganzem Herzen auf die Vorzugsstellung, die mir in der Königlichen Deklaration eingeräumt ist und stelle mein ganzes Geschick der grenzenlosen Güte Ihrer Majestät anheim. Geschrieben und gezeichnet mit eigener Hand: Ihrer Majestät demütigster, gehorsamster und getreuester Untertan und dankbarste Kreatur Jules Kardinal Mazarini.« Als Beringhen den Bleistift beanstandete, erwiderte der Kardinal, er werde, was er geschrieben, jederzeit auf Pergament mit seinem Blute unterschreiben. Brienne selbst hatte das Täfelchen mit den bedeutsamen Zeilen zur Aufbewahrung erhalten und hatte es ihr heute am Tage, an der die Deklaration Ludwigs XIII. tatsächlich aufgehoben wurde, wieder überreicht. Am Abend war Mazarin erster Minister.

Der Marquis von Chouppes, der ihn im Laufe des Tages besuchte, hatte ihn sehr aufgeregt gefunden, und damit beschäftigt, seine Möbel einpacken zu lassen. Als der andere ihn beruhigen wollte und ihm voraussagte, dass die Königin ihn halten werde, erklärte er: »wenn er bleiben sollte, müsse man ihn darum bitten – um den Preis einer Erniedrigung bleibe er nicht!«

An diesem selben 18. Mai, an dem Anna von Osterreich, die Spanierin, Regentin von Frankreich geworden war, und Giulio Mazarini, der Italiener, die Stellung erhalten hatte, die vor ihm Richelieu innegehabt, an dem selben Tage hatte der einundzwanzigjährige Herzog von Enghien, der Sohn des Prinzen von Condé, die Spanier bei Rocroy völlig geschlagen und ihre unbesiegbare Infanterie, die damals einen Ruhm trug, wie heute die preussische Garde, vernichtet und aufgerieben.

Die Schlacht von Rocroy bedeutete den militärischen Umschwung der Weltgeschichte zugunsten Frankreichs, zu Ungunsten Spaniens, der dann im pyrenäischen Frieden politisch zum Ausdruck kam. Der genialste, der wildeste Draufgänger unter den französischen Prinzen – denn der kläglichen Generation des Hauses Bourbon folgten seltsamerweise bedeutende Kinder – überschüttete, nach den Worten des Kardinals von Retz, »die Wiege Ludwigs XIV. mit Lorbeeren«.


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