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Fünftes Kapitel
Mazarins Sturz

»Das war einmal ein guter Fischzug: ein Löwe, ein Fuchs und ein Affe in einem Netz!« sagte Gaston von Orléans, der an solchen Ereignissen, wenn sie geglückt waren und er nicht mehr zu zittern brauchte, stets ein schadenfrohes Vergnügen hatte. Condé kannte ihn: »Monsieur freut sich jetzt, dass er mir das eingebrockt hat,« hatte er auf der Fahrt nach Vincennes gesagt. Orléans und Condé mochten sich so wenig vertragen, wie Condé und Vendôme: der Sturz des Hauses Condé war den anderen erwünscht. Die Anhänger der Prinzen flohen aus Paris. Die Herzogin von Longueville war ins Schloss befohlen worden, sie hätte gleichfalls verhaftet werden sollen, war aber eilig geflüchtet. Sie verbarg sich zunächst in Paris in einem Hause der Kurprinzessin von der Pfalz; dann führte La Rochefoucauld sie mit einer Schar von Reitern nach der Normandie. Condés Mutter, die an dem Übermut ihrer Kinder keinen Anteil gehabt, »hatte ihren vollen Teil an ihrem Unglück«. Ihr, wie der jungen Prinzessin von Condé, seiner Gemahlin, wurde ihr Schloss Chantilly zum Aufenthalt angewiesen. Dem Parlament wurde eine sechsundvierzig Seiten umfassende Rechtfertigungsschrift über die Verhaftung der Prinzen vorgelegt. Omer Talon konnte darin den Prinzen keine verbrecherische Handlung zur Last gelegt finden.

Einen Augenblick hatten Condésche Offiziere, die sich im Lauf der Nacht, als die Verhaftung bekannt wurde, in grosser Zahl in den Gärten des Hôtel Condé eingefunden hatten, daran gedacht, sich der Nichten des Kardinals im nahen Val-de-Grâce zu bemächtigen: aber Mazarin hatte die Kinder noch am Abend ins Palais Royal bringen lassen.

Mazarin wuchs in aller Augen. Man liebte ihn nicht mehr als vorher, aber man erkannte, dass »er nicht so schwach war, dass er nicht kraftvoll zu handeln vermocht hätte«. »Gott wird diese Tat segnen,« schrieb er selbst am 19. Januar an den Kardinal Bichi, seinen Vertrauten, nach Rom. Aber wenn er im Augenblick aufatmete, so wusste er doch, dass er einen Teufel nur durch den anderen hatte austreiben können. Mit Sorge hatte er vor anderthalb Jahren Condé gerufen, um die Fronde in Paris niederzuringen: nun hatte er die Fronde rufen müssen, um sich aus der Gewalt Condés zu befreien. Die Bundesgenossen traten noch am Abend »dieses berühmten Tages« auf. »Als ich das Zimmer der Königin betrat,« – es ist immer Frau von Motteville, die spricht, – »war ich erstaunt, so viel neue Gesichter zu sehen. Alle Frondeure, die Feinde unseres Ministers, waren versammelt. Alle hatten die Hand am Degen, der freilich in der Scheide blieb, und schworen, sie wären gute Diener des Königs und würden die Königin und den Staat schützen. Ich fand ihren Stolz lächerlich und ihre Prahlereien etwas stark.« Als die Herzogin von Montbazon, die alte Gegnerin und Verleumderin der Frau von Longueville, der Königin freudig Glück wünschen wollte, da sagte diese kalt, »sie habe sich zu dieser Tat gezwungen gesehen, aber ein Anlass zur Freude und zu Glückwünschen sei sie wahrlich nicht«. Und die Motteville, erfreut über die königliche Antwort, küsste ihr heimlich die Hand.

Beaufort und Retz wurden sogleich von der Anklage freigesprochen, die der Prinz gegen sie erhoben hatte, und auch sie erschienen »im Unschuldskleide« im Schloss, mit ihren Freunden, »alles Leute, denen es nach Wunsch, nicht nach Verdienst erging«. So sah die Hofdame, so sah die Königin die neuen Bundesgenossen: die Parteien blieben im Herzen getrennt wie vorher, die Spannung und die Sorgen waren gross.

Die Finanzen standen immer gleich schlecht; die Königin musste ihre Juwelen verpfänden; die Schweizer drohten immer wieder zu gehen; während der ganzen Zeit innerer Unruhen hatte der Krieg an den Grenzen nicht aufgehört, und wäre Spanien nicht selbst so völlig erschöpft, seine eignen Finanzen ruiniert, seine Heere durch Condés Siege halb vernichtet gewesen, so hätte der Aufruhr im Innern die Niederlage Frankreichs im Krieg zur Folge gehabt. Aber die Kriege schleppten sich damals schwerfällig und langsam hin. Wenn eine moderne Armee gleich einer unerbittlich arbeitenden Präzisionsmaschine mit angespanntester Berechnung und Kraft ihre furchtbare Tätigkeit ohne Pause fortsetzt, bis sie oder der Gegner niedergeworfen ist, so brauchten die verhältnismässig kleinen Heere und Truppenkörper des siebzehnten Jahrhunderts auf schlechten Wegen zunächst lange Zeit, ehe sie aneinander kamen, und ihre Arbeit war Stückwerk; fast nur in der schönen Jahreszeit wurde gekämpft, im Winter bezog man Quartiere; die Feldzüge verliefen in wenigen Schlachten und vielen langwierigen Belagerungen der zahlreichen Festungen, die erobert, verloren und wiedergewonnen wurden, und die Kriege zogen sich durch Jahre hin.

Es ist Mazarins ausserordentliche Leistung, dass er in diesen Nöten nichts versah und nichts versäumte und, während die inneren Gefahren über seinem Haupt zusammenschlugen, mit zäher Kraft und Einsicht jeden Punkt im Auge behielt, immer wieder Geld aufbrachte, Truppen stellte, Instruktionen erteilte und das Notwendigste tat: die Grenzen schützte, während er im Kabinett, im Parlament, in den Konventikeln von Paris um sein Dasein und seine Stellung kämpfte. Die Arbeitskraft des Mannes war eine ungeheure: er schrieb alle Depeschen selbst, leitete alle Ämter, alle Feldzüge, die Verbindungen mit den fremden Höfen, vergass keinen Menschen, der wichtig werden konnte, und hatte noch Zeit, Dankschreiben und Glückwünsche an all die zu senden, bei denen es nötig schien. So gelang es ihm auch jetzt, die Armeen wieder einigermassen instand zu setzen.

Schon mit der ersten Fronde auf die Nachricht von der Haltung des Pariser Parlaments hatten sich die Parlamente in mehreren Provinzen erhoben; aber überall hatten die königlichen Statthalter die Bewegung niedergeworfen. Jetzt riefen die Anhänger der Prinzen ihre Statthalterschaften zum Kampf auf, und ein Teil Frankreichs stand alsbald in Waffen gegen den Hof. So entstand die »zweite Fronde« und der zweite Frondenkrieg. War die erste ein oberflächlicher und wenig geschickter Versuch gewesen, Frankreich zu einem konstitutionellen Staat zu machen, so war die zweite ein Kampf des Feudaladels gegen den zentralisierenden Absolutismus; die erste ein Vorstoss der Kräfte der Zukunft, die zweite ein Rückschlag der Mächte der Vergangenheit. In vergangenen Zeiten hatten Prinzen und Herren getan, was sie wollten, bis Richelieu es ihnen verleidet hatte. Condé und seine Anhänger wollten Herren sein im Staate, und wenn sie dafür die Waffen erhoben, so waren sie sich keines besonderen Unrechts bewusst. Es war das alte Chaos, die mühselige Schichtung des Lehenstaats, da jeder Vasall und Diener seinem Herrn näher stand als dem König und ihn nicht im Stich lassen durften. So riefen die La Rochefoucauld, die Bouillon, die La Tremouille, die sich in der Zwischenzeit alle dem Prinzen angeschlossen hatten, jetzt ihre Vasallen für ihn auf; die Provinzen Burgund und Guyenne erhoben sich für ihn; die Herzogin von Longueville hoffte die Normandie zu behaupten. Die beiden Fronden waren sich dieses tiefen Gegensatzes kaum bewusst, weil sie den gleichen Gegner hatten. Was sie trennte, schienen Personenfragen, und sie kämpften bald als Feinde, bald als Verbündete. Eine klare Erkenntnis der Richtung besass niemand, und um das Wirrsal zu mehren, hatte das Wort: »der König« solche Macht, dass beide Parteien, die seine Autorität bekämpften, sich für seine guten Freunde und wahren Diener erklärten.

Noch im Januar führte Mazarin die Königin nach der Normandie, die leicht unterworfen ward. Die Herzogin musste fliehen und entkam unter bitteren und gefährlichen Nöten und Abenteuern nach Stenay in Flandern. Stenay wurde das Hauptquartier der prinzlichen Fronde, die sogleich einen Bund mit den Spaniern schloss und deren General Turenne ward. Die schöne, ein wenig indolente Frau, die bisher nur der Befriedigung ihrer Persönlichkeit in der Gesellschaft, dem siegreichen Glanz ihrer Schönheit, ihres Geistes, ihrer Liebe gelebt hatte, die dann durch Ehrgeiz, Zufall und persönliche Einflüsse in die Politik gerissen, mit törichten Wünschen und Ratschlägen an den törichten Schritten ihres Bruders nicht wenig Schuld trug, zeigte sich jetzt in der Not und im Kampf stark und entschlossen. Auch Condés zarte, kleine, von ihm verachtete Frau, Clémence von Maillé-Brezé, war mit ihrem Knaben durch Gourville, La Rochefoucaulds verwegenen und geschickten Sekretär, mit unglaublicher List aus dem von sechs Kompagnien königlicher Schweizer umstellten und bewachten Schloss von Chantilly entführt worden und trat heroisch für ihren Gatten ein. Flehend erschien sie mit ihrem Sohn vor dem Parlament von Bordeaux, das sich für das Unglück der gefangenen Prinzen entflammte.

Aber die königlichen Truppen blieben überall siegreich. Mazarin begleitete sie mit dem Hof, denn die Gegenwart des schönen kleinen Königs begeisterte die Soldaten und machte die Aufständischen verlegen und betroffen. Von den Wällen des belagerten Bellegarde grüssten ihn die jauchzenden Zurufe der Rebellen: seiner Gegenwart zu Ehren stellten sie für einen ganzen Tag das Feuer ein. Dagegen wäre Mazarin auf einem Ritt ins Quartier beinahe von der Mauer aus niedergeschossen worden. Tags darauf wurde die Festung übergeben.

Er war dort noch einer anderen Gefahr entgangen, deren Grösse er vielleicht nie ganz ermessen hat. Offiziere des Regiments Persan, das zur Belagerungsarmee gehörte, hatten sich von dem Gerichtsrat Pierre Lenet aus Dijon, dessen Familie seit Generationen der Condés treu ergeben war, zu einer Verschwörung bewegen lassen und versprochen, den Kardinal in seinem Quartier im Städtchen Saint-Jean de Losne aufzuheben, ihn als Geisel für die Befreiung des Prinzen fortzuschleppen, bei Gefahr ihn niederzustechen. Aber einer der verschworenen Offiziere verlor den Mut und warnte ihn: das Regiment sei nicht verlässlich, und Mazarin sah sich vor. Glück und Geschick der beteiligten Offiziere bewirkte, dass der Kardinal gerettet und zugleich genasführt wurde; gerade zu den zwei Hauptschuldigen, zwei Südfranzosen, den Brüdern Isaac und Jean Charles von Baas, Zu S. 192. Die beiden Brüder Isaac und Jean Charles von Baas werden immer wieder mit Charles von Batz-Castelmore, dem berühmten Artagnan – s. S. 321 – und dessen zahlreichen Brüdern verwechselt; sowohl weil die Schreibweise der Zeit eine so unsichere ist und auch die Batz sehr oft Baas geschrieben wurden und weil Mitglieder beider Familien mehr oder minder gleichzeitig bei den schwarzen Musketieren dienten. Chéruel, der in einem Anhang zum 2. Band seiner »Histoire de France sous le ministère de Mazarin« zwischen ihnen zu scheiden sucht, hat sie neuerlich verwechselt, indem er Paul de Batz, den älteren Bruder D'Artagnans, für einen Baas und für den Gesandten in England und späteren Gouverneur Philippe Mancinis hält. Nach genauesten Forschungen haben Jean de Jaurgain in »Troisvilles, d'Artagnan et les trois Mousquetaires« und vor allem Ch. Samaran in seinem Buch über D'Artagnan die Identität und Geschichte der sehr zahlreichen Träger der beiden Namen festgestellt. Nicht Paul von Batz sondern Isaac von Baas, einer der ehemaligen Verschwörer von Saint-Jean de Losne, war Gesandter bei Cromwell und Leutnant der Musketiere, als Mancini ihr Kapitänleutnant wurde, sowie eine Zeitlang dessen Gouverneur, bis er aus unbekannten Gründen bei Mazarin in Ungnade fiel und 1660 starb. denen nichts anderes übriggeblieben war, als den Kardinal gleichfalls zu warnen, fasste er ein besonderes Zutrauen, und sie wurden auf diesem seltsamen Weg zu seinen Anhängern und Dienern.

Am 3. Mai kehrte der Hof aus dem unterworfenen Burgund nach Paris zurück. Dort lagen die wirklichen Schwierigkeiten. Schon damals entschied die Hauptstadt das Schicksal Frankreichs. In ihr war das Chaos am grössten. Der Absolutismus ist keine Organisation. Da der König ein Kind war, ging der Staat aus den Fugen. Weil die Regentin in ihrem Minister aufging und keine Autorität mehr besass, der Kardinal aber nur Feinde hatte, mussten sie, nachdem der Prinz, der gleichsam eine sinnlose Kraft gewesen, abgetan war, die Autorität bei dem suchen, der sie als Generalstatthalter des Reiches offiziell hatte, dem Herzog von Orléans. Er war der Bruder des verstorbenen Königs, ein »fils de France«, das bedeutete dem Volke viel, und der Hof hätte ihm gern die Verantwortung aufgelastet, der lenksam war, nur zu lenksam und der bei aller Gier nach der Macht vor jeder Verantwortung erschrak. Er hatte Witz und Bildung, er sprach vortrefflich, aber eine unüberwindliche Trägheit und Feigheit hemmte jeden Entschluss. Wenn eine Entscheidung drängte, legte er sich zu Bett und bekam Koliken. Er musste immer geschoben werden, war leicht aufzuregen und nach der Art schwacher Menschen, unter stetem Geschrei und Widerspruch, zu allem zu bestimmen, fiel aber sogleich ab, wenn Gefahr drohte oder andere ihn anders zu schieben wussten. Condé hatte ihn völlig in den Schatten gedrängt, nun stand er wieder als das Haupt des Hauses Frankreichs im Vordergrund, und obwohl keine Kraft in seiner Zustimmung lag, suchten doch alle diese Zustimmung, um des Schattens der Autorität willen, den sie gab, und schmeichelten ihm. Mazarin schrieb ihm über jeden Schritt des Hofs und über jeden Erfolg in den Provinzen lange Briefe. Er hatte ihm auch seine kostbarsten Werte, seine Nichten, anvertraut, die aus dem Val-de-Grâce in den Luxembourg übersiedelt waren. Aber er konnte nicht verhindern, dass andere Leute dort aus und ein gingen und redeten. Und er ahnte, was sie wollten, hatte auch Mittel und Wege, es zu erfahren. Während er im Lande siegte, arbeitete man in Paris gegen ihn. Er kannte die Personen und die Gründe. Er konnte Leute nicht versöhnen, deren Ziel war, ihn zu beseitigen und an seine Stelle zu treten. Aber er hatte auch selbst aus den Gründen seines Doppelspiels dazu beigetragen, den Bund zu lockern und jene zu erbittern. Die Belohnungen, die er den Führern der Fronde zugesagt, waren ihm nachträglich zu hoch erschienen. Er hatte Beaufort viel für die Admiralschaft geboten, aber Beaufort verzichtete nicht. Retz war noch nicht für den versprochenen Kardinalshut vorgeschlagen. Durch ein paar Tage hatten sich diese beiden überschlauen gierigen Priester, die keine Priester waren, in eine Freundschaft hineingelogen, aber nur durch ein paar Tage. Der Kardinal wollte Retz eine reiche Pfründe geben, die jährlich 60 000 Livres trug. Retz war schwer verschuldet. Aber im letzten Augenblick kam es Mazarin zu hart an, so viel Geld fahren zu lassen; er nahm die Pfründe für sich selbst und bot Retz eine andere, die Abtei von Orcamp, die nur halb so viel trug, und die Retz verächtlich ausschlug. Auch von einer Verlobung seines fünfzehnjährigen Neffen, Paolo Mancini, mit dem Fräulein von Retz, der Nichte des Koadjutors, war die Rede gewesen. Aber die Bande zwischen den beiden Feinden wurde nicht enge; in der Tat empfanden sie, wie Montglat in seinen Memoiren schreibt, gegeneinander eine unüberwindliche Antipathie. Von den vier Männern, die Mazarin stürzen wollten, um selbst Minister zu werden, fühlte er in Retz den gefährlichsten, der der überlegenste Geist war und über Mazarins eigenste Waffe, die gleissende lügnerische Rede, weniger instinktiv vielleicht, aber noch genialer und wirkungsvoller verfügte. Er war nur zu genial, mit einer künstlerischen Freude an Kampf und Intrigen, nicht nüchtern praktisch wie der Italiener. Beaufort, der König der Markthallen, war eine Null, der Strohmann für Retz, nach dessen eigenen Worten »zum Regieren so begabt wie sein Kammerdiener«. Den Grafen von Chavigny hatte Mazarin auf seine Güter verwiesen. Den vierten, den siebzigjährigen Marquis von Châteauneuf, der immer noch rüstig, glanzvoll, imponierend auftrat, hatte er, der Frau von Chevreuse zuliebe, ins Ministerium berufen müssen. Er war zum Siegelbewahrer ernannt worden. So sassen seine Feinde im Kabinett selbst; aber vielleicht zog er in Rechnung, dass auch Châteauneuf und Retz Feinde waren und nach dem gleichen Platze rangen. Und er hatte zwei ihm völlig ergebene Minister, Le Tellier und Abel Servien in Paris gelassen, hoffte vielleicht, sie würden die Führung behaupten.

Nach jedem Erfolg in den Provinzen kehrte der Hof nach Paris zurück, im Februar, im Mai, im Juli, im Oktober, und jedesmal war die Lage wirrer und schlimmer geworden. Die Spannung wuchs. Die Anhänger der Prinzen warteten auf ihre Stunde. Am 27. April erschien die verwitwete Prinzessin von Condé entgegen dem Verbot der Königin in Paris. Einst die gefeierteste Schönheit Frankreichs – Heinrich IV. hatte sie glühend geliebt – die Mutter herrlicher Kinder, kam sie jetzt in grauem Haar, in Trauer und Tränen, von ihrer schönen Nichte, der Herzogin von Châtillon, und vom Marquis von Saint-Simon begleitet, ins Parlament und schleppte sich von Kammer zu Kammer, warf sich Monsieur zu Füssen, der aufgeregt herbeigeeilt war, bat den verwirrten Beaufort um seinen Schutz, umfasste die Knie des Koadjutors und berief sich auf die Ehre, mit ihm verschwägert zu sein. »Ich verging vor Scham,« sagt Retz in seinen Memoiren. »Nein, so weit hätte eine Mutter von solchem Rang sich nicht erniedrigen dürfen,« schrieb Guy Joli, »wie verzweifelt sie sein mag!«

Lange wollte kein Richter ihre Klageschrift annehmen; Monsieur hiess sie zunächst dem Gebot der Königin folgen und Paris verlassen; aber zuletzt siegte das Mitleid, vielleicht auch das Gewissen des Parlaments: denn das war die auffällige Grundsatzlosigkeit dieser schlechten Politiker und unkorrekten Juristen: der wichtigste Artikel der Oktober-Deklaration, um den man so lange gekämpft hatte, war durch die willkürliche Verhaftung der Prinzen verletzt worden, und sie hatten es gut geheissen. Die Klageschrift wurde angenommen, der armen Dame im Schutz des Parlaments eine Wohnung angewiesen. Das war Ende April gewesen. Seither ward die Agitation unaufhörlich geschürt und gesteigert, und Anfang August forderten bereits viele Stimmen die Freilassung der Prinzen und die Entlassung des Kardinals. Condés Vertrauensmann im Parlament, der Präsident Viole, leitete die Bewegung. Condésche Offiziere, als Maurer verkleidet, drangen mit vielem Volk unter dem Geschrei: »Nieder mit Mazarin! Es leben die Prinzen!« ins Palais de Justice. Es fielen Schüsse; Monsieur war nicht zu halten und flüchtete in einen der inneren Säle; Beaufort und die Wache drängten die Leute zurück.

Viele heimliche Hände trieben das Spiel, und immer unruhiger wurde das Volk, immer stürmischer in seinen Sitzungen das Parlament. Im August konnte man dem Portal von Notre-Dame gegenüber und an anderen Stellen Maueranschläge mit der Überschrift: »Erlass des himmlischen Gerichts« lesen, in denen alle Leute aufgefordert wurden, den Kardinal Mazarin zu greifen und ihn gebunden nach Rom zu liefern, wo er vom geistlichen Gericht seine Strafe erhalten sollte. Im September durfte der Rat Coulon, derselbe, der durch einige Jahre die junge Ninon de l'Enclos aushielt, den Kardinal in offener Sitzung ungestraft einen »Scharlatan«, einen »infamen Schurken« nennen; Zeichen der Stimmung und des Schwindens der Autorität. Indessen sassen die Prinzen im Turm von Vincennes; und wenn die Pariser hinauswanderten oder fuhren, konnten sie Condé auf der Plattform spazierengehen sehen. Grüssen oder mit dem Taschentuch winken, war ihm streng untersagt. Der Prinz las und beschäftigte sich mit Blumenzucht. Comminges war längst von dem Mazarin völlig ergebenen, soldatisch strengen Kommandanten Guy de Bar abgelöst, der nicht einmal die Messe lateinisch zu lesen gestattete, weil er selbst kein Latein verstand und Mitteilungen durch die Geistlichen fürchtete. Dennoch war der Postverkehr mit den Gefangenen so regelmässig wie »der zwischen Paris und Lyon«. Der ihn sicher vermittelte, war der ahnungslose Kommandant selbst. Der Sekretär des Prinzen von Conti, Montreuil, einer der hübschesten und gewitztesten Jungen von Paris, übergab ihm von Zeit zu Zeit Geld für die Prinzen, und in hohlen Talerstücken, die mit geheimen Schräubchen zu öffnen waren, erhielten und sendeten sie die nötigen Nachrichten. Welche Wege des Zorns Condés Gedanken gehen mochten, seine Laune blieb immer die gleiche: als sein Bruder Conti, der fromm war, ein Exemplar der »Nachfolge Christi« zum Lesen begehrte, sagte er: »Für mich, bitte, die Nachfolge Herrn von Beauforts!« Beaufort war es gelungen, aus Vincennes zu entfliehen.

Die ihn dort im Turm wussten, wussten auch, was für Möglichkeiten seine Gefangenschaft bot: jede Partei sah in ihm ein Pfand, mit dem sie wuchern konnte: der Kardinal konnte der Fronde drohen: »Ich lasse die Prinzen frei!« und die Fronde dem Kardinal: »Wir befreien die Prinzen!« Jeder Teil rechnete, mit dem Gefürchteten einen Pakt zu schliessen.

Indessen versuchten ihre eigenen Anhänger, sie mit List oder Gewalt schon jetzt frei zu bekommen. Der verwegene Gourville liess sich von der Prinzessin-Mutter das nötige Geld geben und bestach Soldaten der Besatzung, aber der Plan wurde verraten und Gourville entfloh, so schnell Pferde ihn tragen konnten, nach La Rochefoucauld. Als Turenne im August den Marschall von Hocquincourt bei Fismes geschlagen hatte, drang Condés Vetter, Montmorency-Boutteville, der spätere Marschall von Luxembourg, mit dreihundert Reitern bis La Ferté-Milon, wo er nur zehn Meilen von Vincennes entfernt war. Die Aufregung war gross: Retz verlangte die Überführung der Gefangenen in die Bastille, wo sie in der Macht der Fronde gewesen waren; aber die Regierung liess sie unter starker Bedeckung nach dem Schloss Marcoussis bei Limours im Süden von Paris bringen – in dem man in Eile die Mauerungen ergänzt und Gitter eingesetzt hatte –, so dass beide Flüsse, Seine und Marne, zwischen ihnen und den Spaniern lagen. In Paris war Schrecken über die Nähe der Feinde. Alle möglichen Putsche wurden in diesen Tagen versucht. Die Anhänger der Prinzen schlugen an allen Ecken der Stadt Zettel an, in denen das Volk gegen Mazarin und die Führer der Fronde aufgerufen wurde; der Erzherzog schickte einen Abgesandten und liess Gaston von Orléans einladen, mit ihm zusammenzukommen und den Frieden ohne Mazarin zu schliessen; ja, ein spanischer Trompeter ritt in Paris ein und forderte, nachdem er eine Schamade geblasen, das Volk auf, den Frieden gewaltsam zu erzwingen. Und all dies hatte den gleichen Zweck.

Der stärkste Teil der französischen Armee lag vor Bordeaux: der Süden schien Mazarin gefährdeter als der Norden. Die Belagerung dauerte länger, als er gedacht; die Leute von Bordeaux waren durch ihren Statthalter, den Herzog von Epernon, den eingebildetsten Mann des Hofes, in törichter und rücksichtsloser Weise gereizt und erbittert worden; sie hatten schon in der ersten Fronde den schärfsten Widerstand geleistet. Mazarin verlor vor Bordeaux sechstausend Mann. Der Herzog von Orléans und das Pariser Parlament schickten den Marquis Du Coudray-Montpensier, den Frieden zu vermitteln, was die Königin und ihren Minister tief beleidigte. Aber als im Herbst die Weinlese verloren zu gehen drohte, wurden die Bürger von Bordeaux, die sich die Vermittlung gleichfalls verbeten hatten, friedlicher gesinnt: in den Weinbergen lag ihr Vermögen. Da es beiden Teilen schlecht ging, wurde eine Amnestie gewährt; die Prinzessin von Condé warf sich mit dem kleinen Herzog von Enghien der Königin zu Füssen und bat um die Freiheit ihres Gatten; die Königin hiess sie gütig aufstehen und versprach ihr nichts. Der Hof hielt seinen Einzug auf einer mit Teppichen geschmückten Prachtgaleere, aber die Stimmung des Volkes war kühl und feindselig, und kein Deputierter wollte den Minister begrüssen, niemand ihm Höflichkeit erweisen, die Königin ward tief verstimmt, und sie kam krank nach Paris zurück.

Noch immer war der Koadjutor nicht für den versprochenen Kardinalshut vorgeschlagen. Er zog dafür sein Gespinst gegen den Minister heimlich und rachsüchtig zusammen und vergab seinem Stolze nichts. Als der Marquis von Piennes ihn in Mazarins Auftrag fragen kam, was er denn begehre, antwortete er nur. »Weiss er es nicht? Und weiss er nicht, was ich ihm antun kann?« Aber Mazarin wollte ihn nicht neben sich als Purpurträger sehen; dazu fürchtete er ihn zu sehr und wusste zu gut, dass der Purpur für Retz, wie einst für ihn selbst, nur die Stufe zur höchsten Stelle bedeutete. Als jetzt nach seiner Rückkehr Frau von Chevreuse, die Vermittlerin des Vertrages, die Kardinalswürde für ihren Freund fordern kam, da erklärte er den Staatsrat befragen zu müssen, in dem Châteauneuf, der die Nomination aus dem gleichen Grunde für sich selbst begehrte, sonst aber Mazarins Kreaturen sassen. Der Staatsrat erklärte sich gegen die Verleihung; aber Gondi war nicht zu täuschen und verzieh ihm nicht. Der Kardinal bot ihm Pfründen, die Bezahlung all seiner Schulden, andere geistliche Stellen an: er lehnte alles ab. Er hatte den Herzog von Orléans völlig umsponnen und leitete ihn, wie er Beaufort so lange geleitet hatte. Dem ängstlichen Manne wurde methodisch bange gemacht und gleichzeitig seine Meinung von seiner eigenen Bedeutung und von seinen Befugnissen als Generalstatthalter des Königreichs genährt und gesteigert, bis er, der so lange nichtssagend gewesen, in jeder wichtigen Sache befragt sein und entscheiden wollte. Aus dem schwachseligsten aller Menschen hatten Gondi und die Weiber, die für ihn arbeiteten, ein Werkzeug geschaffen, durch das sie alle Räder im Staat nach ihrem Willen drehen und die Regierung lähmen konnten. Aber sie hatten ihn nur, solange sie um ihn waren. Darum ängstigten sie ihn und sagten, er könnte verhaftet werden wie Condé, wenn er nach Fontainebleau ginge, wo der Hof indessen aus Bordeaux angekommen war.

Als er endlich auf feierliche Verbürgungen hin dennoch ging, umarmte er den Kardinal; sie hatten eine Unterredung; nach kleinen Poltereien wurde der Herzog weich und freundlich, und als Mazarin, der sein klares Programm hatte und sich vor allem die lebendigen Pfänder seiner Macht sichern wollte, ihm vorschlug, die Prinzen nach dem Havre zu überführen, wo sie in starker Festung ganz in der Macht des Hofes waren, sagte er nicht ja und nicht nein.

Bar erhielt sogleich die nötigen Befehle. Der Graf von Harcourt sicherte die Eskorte mit zwölfhundert Mann, die er selbst führte. Man nahm es ihm als einem Prinzen des Hauses Lothringen sehr übel, dass er sich zu diesem Dienst bereit gefunden hatte; er war ein tapferer Mann, der wenig dachte. Condé rächte sich, indem er unterwegs ein Spottlied auf ihn verfasste, das dem kurzen dicken Harcourt für Lebenszeit anhing und ihm durch die Geschichte folgte. Aber in der Seefestung angekommen, sanken alle drei Gefangene in tiefe Niedergeschlagenheit: sie wussten, dass ihre Freunde alles zu einem Handstreich auf Marcoussis oder doch für einen Fluchtversuch vorbereitet hatten: hier war keine Hoffnung. In Paris aber waren in allen Buden und auf dem Pont-Neuf Bilder zu sehen, auf denen Harcourt als Büttel die Prinzen abführte; Bilder Mazarins hatte man schon lange an den Galgen gehängt.

Durch diesen Zug schienen Mazarins Gegner geschlagen; die »Freiheit der Prinzen« war das Losungswort des Kampfes geworden, und der Hof hatte die Prinzen jetzt in seiner Gewalt. Aber die Politik ist ein Schachspiel auf einem Brett mit unendlich vielen Feldern, Figuren und Kombinationen. In diesen Tagen und Wochen und Monaten war Kommen und Gehen in den grossen Häusern von Paris, Verhandlungen ohne Ende; da hielten Wagen nächtlich vor den Toren der Paläste, in denen vermummte Leute sitzenblieben, die nicht gesehen werden wollten, und zu denen der Hausherr heimlich herauskam; da fuhren Damen maskiert nach dem Louvre, nach dem Luxembourg, nach dem Hôtel de Bellièvre, dem Hôtel de Montbazon, da gingen Männer verkleidet, nicht nur auf Liebeswegen, wie der Koadjutor allabendlich in die Rue Saint-Thomas du Louvre zu dem Fräulein von Chevreuse; und auch die Liebeswege hingen eng mit der Politik zusammen. Da hatte jeder Aufträge oder heckte einen Plan aus auf eigene Hand, wie denn auch in den Memoiren und Briefen, menschlich, allzu menschlich fast jeder die Rolle, die er spielte, wichtig erscheinen lässt, seine Kritik, seine Ideen ausspinnt, und wie ganz anders es gegangen wäre, wenn man danach gehandelt hätte, und dabei doch jeder ahnungslos naive Bekenntnisse macht, die uns dies blutige und lächerliche Spiel der Fronde, diese wahnwitzige Verfälschung einer grossen Revolutionsbewegung erst verständlich werden lassen. Da sind vor allem die Weiber, die von den politischen Fragen der Zeit gar nichts begreifen, auch nichts begreifen wollen, aber jede ihr Interesse, einen Freund, einen Gatten, einen Geliebten, einen Sohn zu fördern, eine Tochter zu verheiraten haben, und die viele kleine, aber wichtige Räderchen zu drehen wissen.

Die Herzogin von Chevreuse verhält sich geschickt mit allen; die von Montbazon schirmt Beaufort, ein Bund der Torheiten; Frau von Rhodes ist mit halbem Herzen für Châteauneuf, halb aber wieder für den Koadjutor, weil ihr Châteauneuf zu alt geworden ist; die Prinzessin von Rohan-Guémenée, des Koadjutors frühere Geliebte, ist rasend auf ihn und auf ihre Nichte, das Fräulein von Chevreuse, die ihre Nachfolgerin geworden war, die Kurprinzessin arbeitet für Condé, ebenso seine schöne Kusine Châtillon, die nicht nur ihre Weiberlist, sondern auch ihren schönen Leib in den Dienst seiner Politik und ihrer Geldinteressen stellt.

Was da vorsichtig versucht, listig ausgehandelt, zögernd versprochen wird, was für Fäden gezogen, Chiffrebriefe geschrieben werden, was da an falschem und doppeltem Spiel, Trug jeder Art in Szene gesetzt wird, das ist nicht zu übersehen noch darzustellen. Mazarins Briefe oder Gondis von lebendigstem Leben sprühende Memoiren, in denen das Paris der Fronde und sein Treiben aufersteht, geben eine Vorstellung davon.

Welche Szenen im Luxembourg, wo Retz und die beiden Chevreuse, Mutter und Tochter, und die eigene Frau, Margarete von Lothringen, den furchtsamen Gaston von der einen Seite beraten, bestürmen, dass er Schritte gegen den Hof tue, wo aber auch Mazarin so viel Leute als möglich bestochen hat, um von allen Vorgängen Nachricht zu haben, vor allem einen Karmelitermönch, den Pater Léon, unterhält, der als guter Mann jenes tugendhafte Ehrenfräulein von Saujeon wieder aus dem Kloster geholt und dem liebenden Herrn zugeführt hat, um, da es ohne Weiber nun einmal nicht geht, seinen sicheren Einfluss auf ihn zu haben. Der Pater und das Fräulein vertreten – vorsichtig und ohne dass Monsieur es ahnt – die Regierung im Hause Orléans.

Oder Retz, der im Augenblick Gründe hat, sich mit Châteauneuf gut zu stellen, lässt sich durch die Damen von Chevreuse bei ihm einladen, und sie verbringen einen köstlichen Abend bei Kerzenlicht und Schmausereien und Wein, der olivbraune kurzsichtige tückische kleine Prälat und der mächtige alte wollüstige Marquis mit den vielen kleinen edelsteinbesetzten Ringen an allen Fingern, den Fräulein von Chevreuse »Papa« nennt. »Er spielte gut, ich spielte nicht schlecht,« sagt Retz. Er weiss, dass Châteauneuf wenige Tage vorher im Staatsrat nicht nur gegen seine Promotion gestimmt, sondern seine Verhaftung beantragt hat: nun sitzen sie in höflicher und herzlicher Unterhaltung, und jeder hält den anderen für den Gefoppten.

So waren hundertfältig die Vorgänge hinter den Kulissen: die grosse Bühne, auf der man wirkte, war das Parlament, das von den in seiner Psychologie Erfahrenen leicht zu bewegen und zu lenken war. Und auf die Vorgänge auf dieser Bühne lauschte das Volk von Paris. Die Politik der Feinde Mazarins war, das Parlament für die Freiheit der Prinzen eintreten zu lassen; so geschickt wurde das gemacht, dass die Gegner der Fronde es ihr zum Verdruss zu tun glaubten, während sie doch für sie arbeiteten, und als am 2. Dezember 1650 der Referent Deslandes-Payen beantragte, Beweise für die Schuld der Prinzen zu fordern, anderenfalls sie in Freiheit zu setzen, sagte der ehrliche alte Mathieu Molé gerührt: »Das lob' ich mir, das heisst den Prinzen auf dem Wege Rechtens helfen und nicht mit ungebührlichen Mitteln!« Er ahnte nicht, dass alles abgekartet und selbst seine eigene Rolle und Haltung vorgesehen und in Rechnung gezogen war. Es war eine »Komödie in der Komödie«, wie Retz schreibt, »mit tausend Possen, die eines Molière würdig waren«. Die Komödie war noch vollständiger als Retz glaubte, denn zuletzt war auch er ein betrogener Betrüger.

Zwar eine reine Komödie war es nie: an demselben Tag, an dem dieser Antrag gestellt wurde, starb auf dem Schlosse von Châtillon-sur-Loing, vom Kummer gebrochen, Condés Mutter, ohne ihre Söhne wiedergesehen, ohne von dem Beschluss des Parlaments noch vernommen zu haben.

Am Tage vorher hatte Mazarin Paris wieder verlassen, um den drängenden Krieg in den Provinzen weiterzuführen. Die Königin, die noch immer krank lag – sie litt an einem Darmabszess –, blieb diesmal in Paris. Der Kardinal ging nach der Grenze, um die Festung Rethel in der Champagne zu nehmen. Der Marschall du Plessis-Praslin befehligte das Heer; Turenne rückte zum Entsatz an. Rethel wurde genommen, Turenne völlig geschlagen. Es war ein grosser Sieg, und Mazarin hatte den Plan des Feldzugs entworfen, war, obwohl von Gicht gequält, im Lager und im Feld tätig gewesen. Der wider Willen Geistlicher, dann durch sein Talent geführt, Diplomat geworden war, hatte stets Verlangen nach militärischen Erfolgen und konnte eine Eitelkeit in dieser Richtung nicht verbergen. Man mochte ihn in der Armee nicht leiden: »die Wirkung seiner Anwesenheit«, hatte sein Verwalter Colbert am 23. Juni an den Kriegsminister geschrieben, »ist, dass er alle Generale verstimmt und ihnen der Dienst verleidet.« Höhnisch schreibt Retz in seinen Memoiren: »Er war eingebildet auf sein Feldherrntalent, und hat mir wohl zehnmal im Leben davon gesprochen, und mir einen Galimatias vorgeredet, dass er einen grossen Unterschied zwischen der Eignung zur Staatsregierung und zur Führung einer Armee mache«; aber Mazarins ausserordentliche Intelligenz bewährte sich auf jedem Gebiet. Am 31. Dezember 1650 kehrte er triumphierend nach Paris zurück. Am Tage vorher hatte das Parlament dem Antrag des Referenten Deslandes-Payen zugestimmt: die Prinzen sollten in Freiheit gesetzt oder vor dem Parlament und ihren Pairs gerichtet werden. Retz hatte offen den Kardinal als den »Urheber alles Übels« bezeichnet.

In ganz Frankreich war infolge der ewigen Kämpfe und Heereszüge solches Elend, solche tiefe Missstimmung, die Einkerkerung der Prinzen schien jetzt allen ein solcher Fehler zu sein, dass auch der erste Präsident bei einer Audienz von einer »unglücklichen Politik und Führung« sprach, »die an allen Übeln schuld sei«.

Mazarin sah einen sicheren Weg: abermals mit dem Hof Paris zu verlassen und mit der siegreichen Armee wiederzukehren. Er hatte eben fünf neue Marschälle ernannt, auf die er sich verlassen konnte, und war in diesem Augenblick in der Armee weniger unbeliebt. Die Prinzen waren im Havre in seiner Hand. »Es ist das Verhängnis,« schrieb damals Servien, »dass dieser Weg wegen der Krankheit der Königin unausführbar und, ehe ein Monat vergeht, nicht daran zu denken ist.« Es wurden ihm auch andere Wege geboten. La Rochefoucauld, der schon in Bordeaux mit ihm unterhandelt hatte, war heimlich nach Paris gekommen und bei der Kurprinzessin von der Pfalz, die im Hôtel de Luynes auf dem Quai des Augustins wohnte, abgestiegen. Anna Gonzaga, die Tochter jenes alten Herzogs von Nevers, für dessen Einsetzung in Mantua Mazarin als junger Mann so heiss gearbeitet hatte, und die mit dem Kurprinzen Eduard, dem Sohn des Winterkönigs, verheiratet war, eine schöne und kluge Person, arbeitete aus Gründen für die Befreiung der Prinzen. Sie hatte La Rochefoucauld nach Paris gerufen. Er erschien des Nachts im Palais Royal, wo der Kardinal selbst ihm die Tür öffnete, ihn durch den dunklen Hof und die Gänge führte, bis die beiden allein in einem Saal einander gegenüberstanden. La Rochefoucaulds erster Gedanke war, wie leicht er jetzt den Minister töten, sein zweiter, wie leicht dieser ihn verhaften lassen konnte. Aber sie verhandelten ungefährdet miteinander. Er forderte den Kardinal auf, die Prinzen zu befreien und sich mit ihnen gegen die Fronde zu verbinden. War es, dass Mazarin fürchtete, dass alles sich wiederholen würde, wie es nach der ersten Fronde gekommen, glaubte er, dass mit Condé nichts zu machen war, rechnete er mit der Unentschlossenheit des Herzogs von Orléans, oder mit anderen Erwägungen, die wir nicht kennen: er ging nicht darauf ein. Das heisst, er sagte nicht nein, das war nicht seine Art: im Gegenteil, er versprach es, sogar bedingungslos, sagte, La Rochefoucaulds Wort und das der Frau von Longueville würde ihm genügen – er verlangte nur Zeit. La Rochefoucauld selbst sagte er jede Liebenswürdigkeit, wünschte ihn zum Verwandten, wollte seine Nichten nur nach La Rochefoucaulds Rat und Wunsch verheiraten. Der hörte sehr wohl das Nein heraus; er kannte den Wert dieser windigen italienischen Süssigkeiten. Der Kardinal schien ihm nicht auf der Höhe.

Als die Kurprinzessin von ihrem Gast vernahm, dass sein Versuch gescheitert war, schlossen sie die Verbindung mit der anderen Seite. Die Fäden waren längst gezogen, die Interessen klar, es fehlte nur der Abschluss. Als kluge Rechnerin hätte sie lieber mit dem Hofe abgeschlossen, der ihr die sicherere Seite schien; darum hatte sie es in letzter Stunde nochmals versucht: das ahnten die anderen nicht. Beinahe die gleichen Personen, die vor einem Jahr den Bund gegen Condé geschlossen, schlossen ihn jetzt gegen Mazarin für seine Befreiung.

Es unterzeichneten den Vertrag für die Prinzen: die Kurprinzessin, der Herzog von Nemours, der Graf von Maure, der Präsident Viole, der Karabinergeneral Arnauld von Corbeville, der Parlamentsrat Foucquet-Croissy; für die Fronde: Beaufort, Retz, der Herzog von Brissac und der Marquis von Fosseuse.

Der Staatsrat Louis Le Fèvre de Caumartin, des Koadjutors kluger Freund und Ratgeber, der mit Foucquet-Croissy den Vertrag ausgearbeitet hatte, fand ihn Jahre später zu Joigny – einem Schlosse des Kardinals von Retz – in einem alten Kleiderschrank wieder. Er nahm ihn an sich, und so ist er, in ein Manuskript der Memoiren des Kardinals eingeschoben, auf uns gekommen.

Wie im Vorjahr wurden noch eine Reihe anderer persönlicher Abmachungen getroffen, die in vier Sonderverträgen niedergelegt und nur von den besonders Beteiligten unterzeichnet wurden: es waren sehr wichtige Beschlüsse: Châteauneuf sollte erster Minister, Retz Kardinal werden, der Prinz von Conti verpflichtete sich, das Fräulein von Chevreuse zu heiraten, sowie der achtjährige Herzog von Enghien dereinst eine Tochter des Herzogs von Orléans freien sollte; dies zur Belohnung der einzelnen und zur dauernden Verbindung der Häuser Bourbon-Condé, Orléans und Lothringen-Chevreuse. Der Herzogin von Montbazon wurden für sie selbst und für ihren Sohn, den Grafen von Rochefort, grosse Renten zugesichert: dagegen bürgte sie für Beaufort. Und auch hier wurde im vorhinein Trug geübt: als der Herzog von Nemours, der für die Prinzen zeichnete, seinem Schwager Beaufort die Verträge vorlas, liess er Stellen, die man vorher angestrichen hatte, wie die Stelle über die Ehe Conti-Chevreuse aus. Gerade diese Abmachung erwies sich als eine der folgenreichsten. Sie ist unterzeichnet: »Gaston, Anne de Gonzague, Marie de Rohan.«

Das Schwierigste war, Monsieur zum Unterschreiben der ihn angehenden Verträge und dann zu den entscheidenden Schritten zu bewegen. Retz schildert, wie Caumartin den Herzog zwischen zwei Türen einfing, den Vertrag und ein Tintenfass aus der Tasche zog, ihm eine Feder in die Hand drückte, und er unterschrieb, wie Fräulein von Chevreuse sagte: »als ob er seine Seele dem Bösen verschriebe und Angst hätte, von seinem guten Engel dabei erwischt zu werden.« Das war am 31. Januar 1651. Monsieur war nochmals bei der Königin gewesen und hatte mit ihr und dem Kardinal gesprochen; beide waren ziemlich aufgeregt und die Königin heftig geworden, so dass Monsieur im Wagen zu seinem Kammerherrn sagte: »nie mehr im Leben würde er sich mit diesem Verrückten und dieser Furie einlassen.«

Am folgenden Tage erklärte Retz im Parlament, dass der Herzog von Orléans, Beaufort und er die Befreiung der Prinzen für eine Staatsnotwendigkeit hielten. Orléans, zur Königin gerufen, sprach sehr bitter. Dann wurde er wieder schwach. »Er brauchte«, wie seine Frau sagte, »die ganze Nacht, um mit seinem Entschluss niederzukommen: es sei ihm dabei schwerer gegangen als ihr mit allen ihren Kindern!« Endlich am Morgen des 2. Februar befahl er die Minister zu sich und erklärte ihnen, er werde weder ins Schloss noch in den Staatsrat kommen, solange der Kardinal von Mazarin da sei. Gleichzeitig befahl er dem Vorsteher der Kaufmannschaft, den Schöffen und den Anführern der Miliz, ums Schloss Wache zu halten, dass die königliche Familie sich nicht daraus entferne.

Mazarin sah die Flut steigen und schickte den Marschall von Gramont und Lionne, seinen Sekretär, nach dem Havre, mit den Prinzen zu verhandeln. Ernst war es ihm damit nicht. Er scheint in diesen Tagen in der Tat schwächer, und über die Lage minder klar als sonst.

Am 3. Februar teilte Retz im Parlament mit, dass der Kardinal in jenem Gespräch mit Monsieur ihn und Beaufort mit Fairfax und Cromwell und das Parlament selbst mit dem englischen Unterhause verglichen hätte. Der kluge Schauspieler, der jeden Schritt erwog, hatte sich diese Mitteilung für die letzte Wirkung aufgespart. Er, der diese bewegliche Masse von unpolitischen Köpfen und frondierenden Beamtenseelen so tief verachtete und so genau kannte, wusste die Folgen voraus. Bei dieser tödlichen Beleidigung schäumten sie auf. Unter dem Toben der Entrüstung beantragte der Präsident Viole, den Kardinal persönlich vorzuladen und wegen seiner Finanzgebarung zur Verantwortung zu ziehen; das bedeutete, was man heute die Ministeranklage nennen würde. Es war ein »Donnerschlag« für den Hof.

So tief fühlte die Königin die Gefahr und ihre Not, dass sie ihren Schwager bitten liess, sie und den Kardinal, und als er erwiderte, er könne für dessen Sicherheit nicht bürgen, sie denn allein zu empfangen; ob krank, werde sie zu ihm kommen, da er nicht mehr ins Schloss kommen wolle. Gaston lehnte auch dies ab. Der schwache Mann war wie aufgepeitscht und steigerte sich selbst in seiner künstlichen Energie und Wut, die in jedem Augenblick niederbrechen konnte. Der Beifall des Parlaments hatte ihn berauscht; er war ein Gefäss des stärkeren Willens geworden, der sich seiner bemächtigt hatte.

Am folgenden Tage wurde eine Deputation des Parlaments ins Schloss befohlen, wo ihnen der Siegelbewahrer eine Erklärung vorlas, die den Koadjutor Lügen strafte und die »beleidigenden« Worte Mazarins leugnete. Châteauneuf las leise und stockend: er hatte seinen Chef bereits verraten.

Es folgte noch eine grosse Szene im Parlament, da der Staatssekretär Graf Brienne erschien und den Herzog beschwor, zur Königin zu kommen; der erste Präsident bat ihn gleichfalls darum, mit Tränen in den Augen rief er: »Herr, richten Sie das Land nicht zugrunde! Sie haben den König immer geliebt!«

Eine grosse Stille entstand; bis der Koadjutor, geistesgegenwärtig, eine Beratung darüber verlangte, was Monsieur tun sollte, und sie gewandt in die Wege leitete. Jetzt hielt Monsieur, der majestätisch auftreten konnte und ein trefflicher Sprecher war, die Rede, die Retz von ihm wünschte: der Schluss war, dass die Königin untertänigst ersucht wurde, den Kardinal zu entlassen und die Prinzen zu befreien. Brausende Rufe: »Es lebe der König! Nieder mit Mazarin!« erschollen, als Monsieur den Saal verliess.

Eine Adelsversammlung, die beim Marquis de la Vieuville, später im Hause des Herzogs von Nemours tagte, stellte die gleichen Forderungen; eine Versammlung des Klerus forderte die Freiheit des Prinzen von Conti, der damals noch Pfründen besass und als geistlich galt, aus Standesrecht; alles war vortrefflich in Szene gesetzt, alle Mittel ausgenützt. Die Bürger begannen sich zu bewaffnen und die Tore zu besetzen. Mazarin sah die Gefahr und beschloss ihr auszuweichen. Er hatte, wie gedrückt er sich fühlte, manche Pläne, und er beriet eben mit der Königin, als, am Abend des 6. Februar, sein Kammervorsteher, der Abbé von Palluau, eintrat und ihn auf die Bewegung und das Geschrei in den Strassen aufmerksam machte. Reiter, die er an die Porte de la Conférence geschickt hatte, um sie für sich freizuhalten, waren von den Seineschiffern angegriffen, die Herren von Estrades und von Roncherolles gefangengenommen worden. Er sah, dass keine Zeit zu verlieren war. Seine Vorbereitungen waren getroffen; er verabschiedete sich unauffällig von der Königin und floh noch in derselben Nacht aus Paris.


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