Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Buch
Die Fronde

Erstes Kapitel
Das Parlament

Für den Hof, für den Adel, für alle, die Reichtümer besassen, waren diese Jahre eine festliche Zeit. Nie noch hatten Frankreichs Waffen so ununterbrochenen, so glänzenden Ruhm errungen. An der Spitze der siegreichen Heere stand ein jugendlicher, genialer und geistreicher Prinz, zu dessen Schlachten der junge Adel sich drängte, der vom ganzen Land vergöttert wurde. Die Gesellschaft, die sich in langatmigen, abenteuer- und gefühlsreichen Ritterromanen, dem spanischen »Amadis«, der »Astrée« Urfes, dem »Polexandre« Gombrevilles, gespiegelt glaubte, und die dann selbst in idealisierter und parfümierter Ritterlichkeit in den Romanen der Scudéry auftritt, suchte in leichter Selbsttäuschung dem geträumten Ideal zu leben. Der sie wirklich darstellt, stilisiert in seinen Römerdramen, war Corneille. In der wärmeren Jahreszeit zogen die Armeen ins Feld, da sehnten die Damen sich ihren Helden nach; im Winter traf man sich in den Salons; neben dem Dienst und der Liebe widmeten die Offiziere, zum mindesten viele von ihnen, ihre Zeit der Literatur und den Büchern; man gründete galante Ritterorden, machte Liebhaberaufführungen, man stellte Rätsel; die moderne Geselligkeit, die moderne Konversation ist dort und damals entstanden; sowie die französische Tracht des siebzehnten Jahrhunderts die erste ist, die nur reicher, farbiger, künstlerischer in den Linien, sich der unseren auffällig zu nähern beginnt: vielleicht weil sie wesentlich eine Gesellschaftstracht ist und weil, mit der nun einsetzenden Herrschaft französischer Kultur und Mode, die unsere sich aus ihr entwickelt hat. Niemals und nirgend war der Geist so sehr die entscheidende Eigenschaft, die alle Türen öffnete. Obwohl die grösste Stadt der Welt, war Paris doch noch klein genug, dass die Gesellschaft sich wirklich kennen konnte; die Lakaien, die Karossen und Farben der Edelleute waren dem Volk, das den Glanz seiner Herren noch liebte, wohlbekannt; jedes Fest und jeder Skandal erregten die ganze Stadt, und es folgte Fest auf Fest, Skandal auf Skandal. Erst war die Affäre der Frau von Longueville gewesen, der Zorn der Königin, die Abbitte der Frau von Montbazon, und zur Folge ein Duell zwischen den Herren von Guise und von Coligny, in dem der von Coligny fiel; dann kamen die Ehewirrungen und Liebeshändel dieses schönen, tollen Herzogs von Guise, der vorher Erzbischof gewesen war; die Entführung der schönen Isabelle von Montmorency durch den Sohn des Marschalls von Châtillon, die alle Welt, ausser den beiden zornentbrannten Elternpaaren, lachen machte, die kaum minder heitere Entführung der Tochter des Kanzlers durch den Chevalier von Boisdauphin, die Heiratspläne der »grande Mademoiselle«, die grosse traurige Liebe Condés zum Fräulein von Vigean, das ins Kloster ging; die Missheirat der Erbin von Rohan mit dem Grafen Chabot, die das ganze Haus Rohan entrüstete, und der noch schlimmere Skandal, als die alte Herzogin von Rohan, die ungehorsame Tochter zu enterben, plötzlich einen Sohn aus Holland kommen liess, von dem niemand gewusst hatte, und vor dem Parlament einen Prozess um seine Anerkennung führte, bis der junge Tankred – dies war der Name des keineswegs glücklichen jungen Mannes – dem Streit ein Ende machte, indem er sich im Bürgerkrieg totschiessen liess. Wie beschäftigten all diese und unzählige andere Ereignisse, mit ihren tragischen und heiteren Wendungen, den Gerüchten und Anekdoten, die sie umflatterten, den Witzen, die darüber gemacht wurden, wie amüsierten sie die neugierige und spottlustige Gesellschaft. Und die Feste, zur Feier der Siege, zu Ehren fremder Gesandten, und besonders als die Prinzessin Marie Gonzaga, die Tochter jenes Herzogs von Mantua, den König Ladislaus Sigismund von Polen heiratete, und die Pariser den bunten seltsamen Zug polnischer Edelleute mit ihrer wilden Pracht, ihren fetten Körpern, geschorenen Köpfen, ihren Pelzen, den bemalten und federngeschmückten Rossen, bewundern konnten. In den Theatern im Marais und im Hotel de Bourgogne, wo Mondory glänzte, konnte man französische oder italienische Truppen spielen sehen; Corneille, Rotrou, Scarron, Tristan l'Hermite, Boisrobert und viele andere waren erfolgreiche Bühnendichter. In einem Ballspielsaal im Fossé de Nesle – heute die »Rue Mazarine« – und später in der Nähe von Saint-Paul spielte in einer armseligen Truppe, die sich dennoch das »Theatre illustre« nannte, der junge Molière, bis Misserfolg und Not ihn in die Provinz trieben. Die Königin liebte das Schauspiel und ging gerne ins Theater, das damals um zwei Uhr nachmittags begann; selbst im Trauerjahre war sie verschleiert und verborgen dort gewesen; oder es wurde auch eine Truppe in die »petite salle des comédies« im Palais Royal, im Sommer nach dem Schloss von Fontainebleau befohlen; und als ein frommer und besorgter Pfarrer sie in einer von sieben Doktoren der Sorbonne bestätigten Schrift an ihr Seelenheil mahnte, da verschaffte ihr der gewandte Hofmeister des Königs, der Abbé von Beaumont, ein Gutachten von zwölf Doktoren der Sorbonne, in dem der Theaterbesuch für erlaubt erklärt wurde. Der Kardinal hatte italienische Sänger und Musiker nach Frankreich kommen lassen, er hatte die Oper in Frankreich eingeführt, die dort noch unbekannt war, hatte im Jahre 1647 Rossis »Orpheus und Eurydike« aufführen lassen; die dazu nötigen Dekorationen und Maschinen hatten allein über 400 000 Livres gekostet. Die Vorstellung dauerte sechs Stunden und durch zwei Monate wurde sie allwöchentlich dreimal wiederholt: »man langweilte sich dabei« – sagt Monglat – »aber die Königin liess nicht eine aus, dem Kardinal zuliebe und aus Angst, ihn böse zu machen.«

Die Literatur war der bildungsfrohen Gesellschaft, von den Salons des Adels bis zu den Weinkneipen der Literaten, die im alten Paris in vielfacher Verbindung standen, eine persönliche Angelegenheit. Die satirische Verskomödie, die ein spottlustiger Adjutant Condés, der Herr von Saint-Evremond, auf die Mitglieder der kaum gegründeten französischen Akademie geschrieben hatte, ergötzte und erbitterte mit ihrem übermütigen Hohn die intimeren Leserkreise jener Zeit. Um den Wert zweier Sonette, eines, das der alte Voiture, der in diesen Tagen starb, vor fünfundzwanzig Jahren an »Uranie« gerichtet hatte, und des Sonetts »Hiob« des jungen Bensserade, entstand ein Streit, der Paris in zwei Parteien teilte, und so viel wurde darüber gedichtet, geschrieben, disputiert, dass es ernsten Leuten – wie Corneille – zuletzt unerträglich ward. Selbst die Religion war durch den Zwiespalt in der katholischen Kirche ein gefälliges Salongespräch geworden: bei der Prinzessin von Guémenée, der Marquise von Sablé, der von Liancourt, der Gräfin du Plessis-Guénégaud, den »Kirchenmüttern«, wie ihr Freund La Rochefoucauld sie boshaft nannte, konnte man über Prädestination und Gnade entscheidende Worte hören, und grosse, schöne, anregende Intrigen wurden hier wie in den orthodoxen Häusern, in denen die Jesuiten massgebend waren, gesponnen und verfolgt, um einem Anhänger ein Amt, eine Stellung zu schaffen, seine Lehre zu retten, oder einem Gegner sein Wirken zu verleiden.

Überall, nicht nur bei Hof, in vielen der herrlichen »Hotels«, die in dem engen alten Paris ihre vornehme Pracht zeigten, in den Schlössern, die es umgaben, in den mit Statuen und Brunnen geschmückten Gärten mit ihren Terrassen, ihren kunstreich geschnittenen Laubgängen, ihren Rasenvierecken, ihren Teichen, Grotten und Wasserkünsten, gab es Bälle und Komödien, Feste in Kähnen und auf dem Rasen, – feinste Gespräche, derbe Verführung, und jedenfalls Lustbarkeiten ohne Ende.

Aber nur für die wenigen, die an all den Genüssen teilnehmen konnten, war die Zeit ein Fest. Das Volk erlag den Steuern, den Kosten und dem Elend des Kriegs. Die eigene Armee wie die der Bundesgenossen musste von Frankreich bezahlt werden. Wohl war Frankreich das bevölkertste und reichste Land Europas. Aber die Entwickelung der Organisation und der Verwaltungseinrichtungen hatten mit der Entwickelung des Landes und des Lebens nicht Schritt gehalten. Die Verwaltung, immer und überall schwer zu reorganisieren, – weil die Beamten jeder Art und jeder Zeit ihre Leistungen und die gewohnte Form für richtig und unabänderlich zu halten geneigt sind, weil Interessen der Herrschaft und des Besitzes tief damit verbunden sind, – war vielfach mittelalterlich geblieben. Aber die Ereignisse, die Tatsachen erzwangen beständige Umwälzungen, vor allem in der Finanzwirtschaft; die Theorie bot nur tappende Anfänge; die Erfahrung war gering. In jener Zeit, der die Tradition, das Alter eine Rechtfertigung für alles war, beruhten die staatlichen Einkünfte auf den Einrichtungen uralter Zeiten und auf gelegentlichen Festsetzungen der Not: sie waren von buntverschiedenster Natur und Herkunft, aus Zwang und Verträgen und Beschlüssen jeder Art entstanden; nicht verständige und durchdachte Nutzung war das System, sondern zumeist eine sinnlose Ausbeutung; ihre Erhebung, ihre Verwaltung, ihre Verwendung waren schwerfällig, kostspielig und die Missbräuche ohne Zahl und Ende. Die bittersten, schwersten und härtesten Steuern lasteten auf den Ärmsten, den Bauern – das Elend der Landbevölkerung in den vergangenen Jahrhunderten war selbst in Friedensjahren arg genug, in Kriegszeiten unbeschreiblich. »Ausser ihren Seelen haben sie nichts mehr,« sagte der Generaladvokat Omer Talon am 15. Januar 1648 in einer feierlichen Ansprache im Parlament zur Königin, »und die nur, weil man sie ihnen nicht versteigern kann. Um den Luxus von Paris zu erhalten, müssen Millionen Unschuldiger von Kleien und Haferbrot leben. Denken Sie an das allgemeine Elend, gnädige Frau, in der Einsamkeit Ihrer Gebete!« Tausende starben jährlich in den Steuergefängnissen. Es kam Schlimmeres vor, kam vor, dass das Landvolk Baumrinde ass, Erde, ja Menschenfleisch. Von der »Taille«, der Grundsteuer, »waren fast alle die befreit, die sie zahlen konnten«. Das Salzmonopol – die »Gabelle« – lastete schwer auf einigen Provinzen, in anderen bestand es nicht. Weil das Salz unentbehrlich war und in jedem kleinsten Hause dem Fiskus eine Ausbeutungsgelegenheit bot, wurde es ins unsinnige verteuert; die Steuerbeamten hatten das Recht, Tag und Nacht jedes Haus nach Salzvergehen zu durchsuchen; wer etwas Seewasser in den Suppentopf tat, wer etwa Kochsalz zum Einpökeln verwendete, war strafbar, und die Strafen waren von furchtbarer Härte. Ein Drittel aller Galeerensträflinge in Frankreich büssten Salzvergehen: ein Heer von Schmugglern kämpfte an den Grenzen gegen ein Heer von Zollwächtern und Beamten. Die Innenzölle, an Provinzgrenzen, an den Toren der Städte oder als Weg- und Schiffahrtsgebühren erhoben, lasteten sinnlos auf Handel und Verkehr. So waren auch die unzähligen indirekten Steuern, die sogenannten »Aides«, überall verschieden, da in Geltung, dort nicht.

Da die Ämter käuflich waren, bildete die Ernennung der Beamten eine wesentliche Geldquelle des Staats. In der Not dieser Jahre wurden immer neue Steuern, neue Zölle, neue Ämter geschaffen. Die Ämter waren die bequemste Quelle, weil sich immer Titel- und Machtsüchtige unter den reichen Leuten fanden, die sie gierig kauften; dafür empörten sich die eingesessenen Beamten, die Ansehen und Sporteln nicht mit den Neulingen teilen wollten. Und doch reichte all dies nicht und konnte nicht reichen: der Staat musste Anleihen aufnehmen, und das geschah in der Weise, dass dem Geldmann, der das Kapital vorschoss, dafür der Ertrag einer Steuer auf bestimmte Zeit verpachtet und er mit ihrer Einhebung beauftragt wurde. Man denkt, wie solche gewissenlose Privatunternehmer die Steuern eintrieben, wie ihre Angestellten, ihre »Kommis«, die in dieser Pachtzeit gleichfalls reich zu werden, mindestens reichlich zu verdienen begehrten, die bereits unerträglichen Abgaben durch Gewalt und Betrug für die eigene Tasche steigerten, denn diesen Räubern stand das Gesetz und bewaffnete Mannschaft zur Verfügung. Die Industrie, die Viehzucht, der Obst- und Weinbau ganzer Provinzen wurde durch die unsinnige Art der Besteuerung und die Missbräuche bei der Erhebung vernichtet. Die Reichtümer, die die Steuerpächter erwarben und der furchtbare Hass, der sie traf, sind die Exponenten des Systems auf der anderen Seite. Und auch gegen sie war der Staat nicht ehrlich, brach die Verträge, wenn er sich stark genug fühlte, und raubte ihnen einen Teil ihres Raubes. Die Folge war, dass sie zur Sicherung gegen solche Gefahr immer ungeheuerlichere Zinsen forderten. Schon im ersten Regierungsjahre der Königin und Mazarins hatte man zwölf Millionen zu fünfzehn Prozent aufnehmen müssen.

Auf den Städten wie auf dem flachen Land, auf allen Gewerben lasteten Geisseln genug.

Im Jahre 1644 erinnerte sich in der Not irgendein findiger Mann im Finanzministerium, dass vor hundert Jahren, als Paris von einer Belagerung bedroht war, ein Edikt verboten hatte, in einer bestimmten Zone rings um die Stadtmauern Häuser zu bauen. Die Belagerung war vorbeigegangen, das Edikt vergessen, die Zonen längst verbaut, – da kam auf einmal ein Erlass, der für jede »Toise« bebauten Bodens – etwa vier Quadratmeter – eine beträchtliche Geldbusse vorschrieb, widrigenfalls die Häuser niedergerissen würden. Die Bürger wandten sich ans Parlament, das Parlament befahl den Kommissaren mit der Taxierung innezuhalten, aber der Staatsrat hob den Beschluss des Parlaments auf. Ein Ausschuss des Parlaments wurde, wie es in solchen Konflikten üblich war, zur Königin befohlen. Als der Kanzler von den Staatsnotwendigkeiten sprach, erwiderte Omer Talon: »Armut und Unmöglichkeit sind mächtigere Gottheiten als die Staatsnotwendigkeit!« Im folgenden Jahre wiederholte sich das gleiche. Arme Frauen drangen in die Sitzungssäle, jammernd und weinend: das Parlament schickte Deputierte ins Palais Royal; die Königin wurde heftig: »Schweigen Sie, Sie will ich nicht hören!« sagte sie zum Präsidenten Gayant. Ein Aufruhr brach aus, und fast wäre das Haus des Generalkontrolleurs der Finanzen d'Emery von der Menge niedergebrannt worden. In der Folge wurden der Parlamentspräsident Barillon und einige andere Ratsherrn verbannt. Es waren ältere kränkliche Herren; Barillon starb noch im selben Jahr auf der Festung Pignerol; Gayant, obwohl indessen zurückberufen, ein Jahr später. »Ehrliche Männer, würdig eines besseren Jahrhunderts,« schrieb Guy Patin, »wahrlich ex ultimis Gallorum. Solche gibt's nicht mehr … die Franzosen sind Schafe geworden.« Das war die Stimmung des Bürgers, und da die Finanznot stieg, wuchs diese Stimmung, und die Fröhlichkeit hatte allenthalben ein Ende.

Der Staat zahlte in Anweisungen auf künftige Eingange, die von dem leeren Schatzamt nicht eingelöst wurden. Im Jahre 1646 war man daran, die Deckungen von 1648 aufzuzehren, im August des Jahres 1647 war man bei denen von 1650 angelangt. Im Sommer 1848 war die Not des Hofes so gross, dass Mazarin seine Diamanten versetzte, um die Schweizer zu zahlen, die gehen wollten, und die verwitwete Prinzessin von Condé der Königin 100 000 Livres für die nötigsten Ausgaben lieh. Mazarin hatte den Generalkontrolleur Michel Particelli von Emery, aus italienischer, aber seit langem in Lyon ansässiger Familie, der seit 1643 in der Finanzverwaltung beschäftigt und in den letzten Jahren ihr wirklicher Leiter gewesen war, einen schlauen und fähigen Menschen von üblem Ruf, zum Oberintendanten der Finanzen ernannt. Er versuchte neue Eingänge durch neue Steuern, neue Ernennungen, Zölle auf alle Nahrungsmittel, die nach Paris eingeführt wurden, und durch Taxen verschiedener Art zu schaffen, die endlich auch die Wohlhabenden trafen; die Folge war, dass das vermögende Bürgertum, das im Parlament seine Vertretung hatte, sich dem Widerstand anschloss.

Die französischen Parlamente waren keine Volksvertretungen, sondern Gerichtshöfe. Es gab in Frankreich acht Parlamente: die sieben von der Krone später erworbenen Provinzen, die Normandie, die Bretagne, Provence, Languedoc, Guyenne, Bourgogne und Dauphiné hatten ihre eigenen Parlamente; das ganze übrige Frankreich, bei weitem der grösste Teil des Reiches, stand unter der Jurisdiktion des Pariser Parlaments, das somit die anderen Parlamente an Rang und Bedeutung wie an wirklicher Macht weit übertraf. Alle Prinzen vom Geblüt, alle weltlichen und geistlichen Pairs hatten darin Sitz und Stimme. Und wenn es zunächst ein Appellgerichtshof und für eine Reihe von Angelegenheiten auch Gericht erster Instanz war, so hatte es doch im Lauf jener Zeiten, in denen die Kompetenzen und Aufgaben der Behörden nicht scharf abgegrenzt wurden, eine ganze Reihe von Befugnissen erhalten, die der Gesetzgebung und Verwaltung angehörten: das Pariser Parlament war kompetent für alles, was die königliche Domäne anging oder die Apanagen und das Heiratsgut der Prinzen und Prinzessinnen betraf, ebenso für die Begründung neuer Lehen und die Gewährung von Adelsbriefen; ihm oblag die Ordnung der Jagd- und Fischereirechte, der Juden- und Fremdenpolizei, der Gefängnisse, Spitäler und Märkte, des Handels, der Zölle, ihm Wagen- und Verkehrswesen, die Statuten der Zünfte, der Schutz des armen Volkes vor Übergriffen der Kriegsleute, Bergwerke, Patente, Renten- und Münzfragen, all dies nicht als gesetzgebendem Körper, sondern weil es ein Rat von Juristen war, dem diese Fragen im Lauf der Zeit vorgelegt oder zugewiesen, irgendwie vor ihn gebracht worden waren. Und wie im Mittelalter systemlos tausenderlei Rechte und Ordnungen nebeneinander erwachsen waren, die sich gegenseitig durchgriffen und durchbrachen, so war auch die Kompetenz dieser Höfe auf vielen Gebieten durchaus keine ausschliessliche und keine unbestrittene. Ihr wichtigstes Recht aber hatte in einer scheinbar formellen Bestimmung den Ursprung: sie hatten als eine Art von Staatsnotariat alle königlichen Erlässe zu registrieren; erst dann hatten diese Erlässe Gültigkeit. Infolge dieser notariellen Befugnis der Parlamente war es vorgekommen – und dadurch in jener Zeit, da alles nach Tradition und Präzedenzfällen entschieden wurde, zu einem Recht geworden –, dass ein Parlament die Registrierung verweigerte. Dann konnte der König durch ein »Lit de Justice«, durch sein persönliches Erscheinen und seinen Befehl, die Registrierung erzwingen. Dies war ursprünglich nur eine feierliche Sitzung gewesen, in der der König erschien, um bei grossen Gelegenheiten dem Parlament besondere Mitteilungen zu machen, die selbstverständlich ohne Debatte angehört und registriert wurden. Erst im letzten Jahrhundert waren sie zu einem Zwang auf das Parlament benutzt worden, und da dies immer häufiger und wesentlich um Geldforderungen durchzusetzen geschah, sah das Parlament seinerseits einen Missbrauch darin. Ein anderes wichtiges Recht, das die Parlamente sich in bewegter Zeit genommen und dadurch erworben hatten, war das »Droit de Remonstrance«, das Recht, der Majestät Vorstellungen zu machen gegen königliche Erlässe und königliche Politik.

In jener Zeit, da die politische Theorie und die Diskussion der politischen Fragen in der Öffentlichkeit begann, gab es Leute, die aus alledem das Recht der Parlamente folgerten, die königlichen Erlässe, die ihm zur Registrierung mitgeteilt wurden, zu diskutieren und abzulehnen. Die wirklichen Machtverhältnisse und das politische Geschick bestimmten die Entwickelung. Schwache Regenten hatten das Parlament angerufen, um ihre Autorität zu stützen, und hatten damit die des Parlaments erhöht; starke hatten es niedergehalten und nur als Werkzeug benützt, so Heinrich IV.; Richelieu hatte es gedemütigt. Zeiten der Minderjährigkeit erhöhten, bei dem Fehlen der unbestrittenen ungeheuren Autorität des Königs, die des Parlaments.

Das Pariser Parlament bestand aus mehreren Kammern mit verschiedenen Aufgaben und verschiedenem Rang. Die jüngsten Räte sassen in den fünf Kammern der »Enquêtes«, fünfzehn in jeder, »Maîtres des Enquêtes« genannt, mit je zwei Präsidenten. Ihnen fielen die Vorarbeiten zu, sie waren die Untersuchungsrichter für Prozesse und Berufungen. Die zwei Kammern der »Requêtes«, mit je drei Präsidenten und fünfzehn Mitgliedern, urteilten in den privilegierten Prozessen, die vor das Parlament als erste Instanz kamen. Die älteste und ranghöchste Kammer mit fünfundzwanzig Mitgliedern und acht Präsidenten war die »Grande Chambre«. In ihr hatten die Pairs von Frankreich und die Grossoffiziere der Krone Sitz und Stimme; ihre Präsidenten waren Mitglieder des Staatsrats. Aus den verschiedenen Kammern zusammengesetzt wurde die »Tournelle«, die für strafrechtliche Angelegenheit zuständig war, und die »Kammer des Edikts« für Rechtsfälle, die die Protestanten als solche betrafen.

Der erste Präsident wurde von der Regierung ernannt; alle anderen Stellen waren käuflich. Die Regierung war direkt durch die »Gens du Roi«, den Generalprokurator, seinen Substituten und die beiden Generaladvokaten, vertreten.

Die Zusammensetzung einer öffentlichen Körperschaft bedeutet für ihre Macht und ihr Wirken mehr, als ihre gesetzlichen Befugnisse. Da Titel und Stellung eines Parlamentsrats, mehr noch die eines Präsidenten oder etwa Generaladvokaten, sehr viel kosteten, so blieben sie im Besitz der reichsten Familien Frankreichs, und die Parlamente vertraten das vermögende Bürgertum. Juristische Vorkenntnisse waren nötig, und die Bestätigung erforderlich; um Präsident zu werden, musste man zehn Jahre als Rat tätig gewesen sein; aber das Geld blieb wesentlich, und gegen eine bestimmte Abgabe, die ein Sechzigstel des Amtswertes betrug, das sogenannte »Droit annuel«, wurden den Söhnen die Stellen ihrer Väter zugesichert. Für die Stelle eines Parlamentsrats wurden bis zu 100 000 Livres gezahlt, das bedeutet zum mindesten eine halbe Million Francs nach des Geldes heutigem Wert. Sie bot ein nicht sehr beträchtliches Einkommen in den Sporteln: Machtlust und Eitelkeit zahlten zumeist. Der Besitz eines Amtes ward das Kapital einer Familie. Da zu den verschiedensten anderen amtlichen Stellungen und Kommissionen stets Mitglieder der Parlamente berufen wurden, so waren Justiz und Verwaltung in Frankreich des siebzehnten Jahrhunderts durchaus im Besitz des reichen Bürgertums – der Adel focht und beanspruchte nur die militärischen Stellen. Aber die Amtstitel genügten der Bürgereitelkeit nicht. Mit gewissen Ämtern war der Adel verbunden, und die reichsten Familien hatten Güter gekauft, die zu Baronien, zu Grafschaften, zu Marquisaten erhoben wurden; so entstand die »Noblesse de la Robe«, die in ihrem Ursprung ein Geldadel war. Der alte ritterbürtige Adel sah auf den neuen mit Verachtung: ein Chevalier von Gramont oder La Rochefoucauld stand an »Qualité« hoch über einem Marquis von Maisons, einem Grafen von Chavigny, die trotz ihren Titeln als bürgerlich galten. Der Abbé von Choisy erzählt in seinen Memoiren, wie seine Mutter ihm oft gesagt, er möge bedenken, dass er trotz allen Titeln des Hauses ein Bürgerlicher sei, in Frankreich werde nur der Schwertadel anerkannt. Darum trachteten die Söhne dieser geadelten Häuser alle zum Militär, damit Kriegstaten sie den anderen gleichstellten, während die Töchter in die altadeligen Häuser ihre begehrten Mitgiften trugen; und so waren der alte Adel und der Geldadel aufs innigste verschwägert und standen einander doch als Klassen gegenüber.

Die neuen Steuern hatten die Erbitterung allgemein gemacht; aber während das Volk um sein letztes kämpfte, wehrten sich die reichen Bürger, die als Beamte von fast allen allgemeinen Steuern befreit waren, selbst gegen verhältnismässig billige Abgaben. Im Januar 1648 kam es zu Aufständen in den Strassen von Paris, bei denen geschossen wurde. Frauen knieten in den Strassen und schrien, als die Königin zur Messe fuhr, und wurden von der Polizei entfernt. In einem »Lit de Justice« befahl der kleine König, von seiner Mutter geführt, die Annahme der Edikte, aber der Generaladvokat, der alte würdige Omer Talon, hielt jene kühne Rede über das Elend des Volkes, »die die Königin erschütterte und den Ministern missfiel«. »Von Lorbeern kann man nicht leben,« erwiderte er dem Kanzler, der den Siegesruhm und die Lorbeern der Regentschaft gepriesen hatte. Und in den folgenden Tagen begann das Parlament, unbekümmert um das »Lit de Justice«, die anbefohlenen Erlässe zu erörtern, zu verbessern, zu verwerfen. Omer Talons Rede wurde gedruckt und in der Provinz verbreitet, wurde auch im Ausland gedruckt und mit Bemerkungen versehen. Der Kardinal hielt es Talon vor. Es war im Grunde das gleiche Problem, der gleiche üble Zirkel wie heute: »Nur wenn ihr alles bewilligt, was wir für das Heer fordern,« sagte der Minister, »können wir Frankreich schützen und die Spanier zum Frieden zwingen, die ja nur auf eure Opposition hoffen.« Das Parlament erwiderte: »Die Forderungen für das Heer richten das Land zugrunde!« Die Königin liess die Mitglieder einer Kammer, die »Maîtres des Requêtes«, die die Errichtung neuer Stellen nicht zulassen wollten, ins Palais Royal kommen und hielt ihnen eine Strafrede. »Ihr seid mir schöne Leute,« sagte sie, »an meiner Autorität zu zweifeln!«

Viel kam damals zusammen: der Geist der Kritik war seit mehr als einem Jahrhundert mächtig gewesen; Reformation und Humanismus hatten antike Ideale und neue Theorien gängig gemacht; die Niederlande waren unter bitteren Kämpfen gegen ihren König zur Republik geworden. In England hatten sich Parlament und Volk gegen den König erhoben und ihn nach langen Kämpfen gefangen gesetzt. »Im Jahre 1648 waren die Gestirne schrecklich gegen die Könige,« schrieb Frau von Motteville. Der mittelalterliche Staat war in voller Auflösung und Umbildung; in England wie in Frankreich war der Versuch gemacht worden, die absolute Macht des Königtums an seine Stelle zu setzen; in England wie in Frankreich wurde auch der Versuch gemacht, den modernen Verfassungsstaat zu begründen.

Frankreich hatte, so wie England, in der Tat eine alte Verfassung, eine Ständevertretung, wie es auch die beiden Häuser des englischen Parlaments ursprünglich waren: die Generalstände. Aber diese Verfassung war immer gleichsam eine fakultative gewesen und schien veraltet. Seit 1614 waren die Generalstände nicht berufen worden und diese letzte Zusammenkunft hatte zu nichts geführt und ruhmlos geschlossen. Auch im Verlauf der beginnenden Unruhen wurde oft nach ihnen gerufen, sie wurden sogar beschlossen, die Wahlen ausgeschrieben, aber wirklich traten sie nicht wieder zusammen bis zum Jahre 1789.

Damals machte das Pariser Parlament einen Versuch, sich an ihre Stelle zu setzen. Der Anlass schien gering; der Geist der Tage trieb die Menschen zu grösseren Entschlüssen, als sie zunächst selbst beabsichtigt hatten. Unter vielen Versuchen, den Finanzen aufzuhelfen, das nötige Geld für die Armee zu bekommen, hatte die Regierung den Beamten des Grossen Rats, des Rechnungshofes und des Steuerhofes, die mit dem Parlament die vier »Compagnies souveraines« bildeten, vier Jahre ihres Einkommens abverlangt, dafür sollten sie durch neun Jahre das »Droit annuel« nicht zu bezahlen brauchen: eine Art Zwangsanleihe, die in ihrem ganzen Ertrag nicht bedeutend, viele, obschon reiche Personen empfindlich traf: das Pariser Parlament wurde ausgenommen, aber es nahm diese Gunst nicht an und erklärte sich mit den betroffenen Körperschaften solidarisch. Die Unruhe unter den Bürgern war gross. Sämtliche Kammern versammelten sich zu gemeinsamer Sitzung und beschlossen, aus Abgeordneten der vier Körperschaften eine Kommission zu wählen, die in der Chambre Saint-Louis zusammentreten sollten, um über die Edikte zu beraten. Dieser Beschluss vom 13. Mai 1648 wurde vom Staatsrat aufgehoben; zwei Mitglieder des Grossen Rats wurden verhaftet. Der Grosse Rat beschwerte sich beim Parlament, das die Befreiung der Verhafteten begehrte. »Prinzen des Bluts sind verhaftet worden,« sagte die Königin, »und weil ich zwei Ratsherren festnehmen lasse, will man mir ja wohl den Prozess machen.« Immer wieder wurden die »Gens du Roi«, das Präsidium, und am 16. Juni das ganze Parlament ins Schloss befohlen. Es kamen etwa hundert Räte in ihren Karossen; ihrer zwanzig blieben fern, weil sie gleichfalls verhaftet zu werden fürchteten. Die Königin empfing sie mit »ausserordentlich gereiztem Gesicht«. Sie hatte befohlen, dass ihr das Blatt aus den Registern gebracht werde, auf dem der Beschluss vom 13. Mai verzeichnet stand, damit sie es vor allen Räten zerreissen könnte. Da es nicht geschehen war, gebot sie das Blatt zu holen und hiess das Parlament so lange warten: früher werde sie die Audienz nicht beginnen.

»Nota,« schreibt Omer Talon, »dass wir hundert Personen in dem Saal waren, in dem die Gesandten empfangen werden; es war Mittag, keine Stühle da und wir hatten nicht gegessen; es wäre sehr unbequem für uns gewesen, wenn es dabei geblieben wäre; aber man liess uns dann doch in den Saal hinauf zum König kommen. Er sass neben seiner Mutter auf einer zwei Fuss hohen Estrade, neben ihm der Herzog von Orléans und was es an Grossen in Paris gab.« Der Kanzler erklärte den Willen der Königin; der erste Präsident, Molé, wollte antworten, die Königin wollte ihn nicht hören; sie sagte, sie kenne ihre guten Diener; aber diejenigen, die sich auflehnten, werde sie so exemplarisch bestrafen, dass die Nachwelt davon sprechen sollte. Die Räte gingen nach Hause und nichts war anders geworden.

Molé, der seine gesetzlichen Pflichten, die Kollegialität und die Rücksicht auf den Hof nach Möglichkeit vereinigen wollte, suchte zu vermitteln. Die Aufregung der älteren Herren war gross. »Ich litt in meiner Seele,« sagt Omer Talon, »da es meine natürliche Neigung ist, die ich immer gehabt, und die, wie ich hoffe, Gott mir weiter erhalten wird, beide, das Königtum und das Parlament zu lieben, fürchte ich für beide … denn ich bin der Ansicht, dass das Parlament mit seiner Autorität immer dazwischen stehen müsse, um die Übergriffe der absoluten Gewalt zu mässigen.« Er hatte eine mahnende, an Floskeln, Bildern und Zitaten reiche Rede gehalten, die mit den Worten schloss, die er in diesen Tagen gern wiederholte: »Videat senatus, ne quid detrimenti respublica capiat!« und die jüngeren Räte hatten ihn wiederholt unterbrochen und ausgelacht.

Der Kardinal versuchte es mit der Korruption einzelner Mitglieder: Omer Talon, dem er eine reiche Pfründe für seinen Bruder anbot, und der in ruhigeren Zeiten eine ihm verliehene Zulage sehr gern angenommen hatte, bat jetzt, sie ablehnen zu dürfen: er habe bei allem, was er getan, nur den Dienst des Königs und sein Gewissen vor Augen gehabt, er wünsche nicht, dass das Publikum auf andere Gedanken käme. Das Parlament blieb fest. »Die Versammlung wird stattfinden,« sagte selbst der erste Präsident, wie schon der Präsident von Blancmesnil am 16. Juni auf den Befehl der Regierung erwidert hatte: »Nec debemus nec possumus.«

Da gab das Ministerium nach und verzichtete auf seine Edikte, liess aber das Parlament nochmals bitten, zu bedenken, »dass die Armee an der Grenze vor dem Feinde stünde, dass es in jedem Augenblick zur Schlacht kommen, dass man ohne Geld die Truppen nicht erhalten könnte«.

Die Kommission trat in der Chambre Saint-Louis zusammen, und nachdem sie erst den Rangstreit erledigt, die Mitglieder welcher Körperschaft zuerst reden dürften, berieten die Delegierten, von den in Frage stehenden Mitteln zu den Zielen der Regierung und den Ursachen ihrer Not fortschreitend, das ganze Problem und die Lage. Sie rechneten der Regierung die bodenlose Unordnung in den Finanzen vor, wies ihr nach, dass bei vernünftiger Wirtschaft die regelmässigen Einkünfte für alle Bedürfnisse ausreichen könnten. Sie hielten ihr vor, dass seit dem Jahre 1630 um 15 Millionen königlicher Domänen verkauft worden, und nur ein Sechstel des Betrages in die königlichen Kassen gekommen war. Sie sahen vielleicht noch nicht klar, dass diese Missbräuche notwendig, als natürliche Folge, mit der Unverantwortlichkeit der Regierung verbunden waren; aber sie verlangten doch die Errichtung einer eigenen und unabsetzbaren Justizkammer, die alle Unterschleife und Missbräuche in der Verwaltung zu richten hätte, mit der Bestimmung, dass die von ihr verfügten Konfiskationen nicht wie sonst einzelnen Personen, sondern nur der Staatskasse zufliessen dürften. Sie bekämpften vor allem die ohne Titel in Rechnung gestellten Beträge, die etwa dem, was man heute den Dispositionsfonds nennt, entsprachen, und die ursprünglich für besondere geheime Ausgaben diplomatischer Natur – Bezahlung geheimer Agenten, Bestechungen an fremden Höfen – bestimmt, missbräuchlich auf alle erdenklichen Vorkommnisse ausgedehnt wurden und von drei Millionen im Jahre 1609, dem letzten Regierungsjahre Heinrichs IV., auf mehr als 60 Millionen angeschwollen waren; sie verlangten, dass im Ministerium über jeden Titel genau Rechnung geführt und die Rechnungen dem Kanzler mitgeteilt, dem König oder dem Regenten auf Verlangen jederzeit vorweisbar sein sollten, bei persönlicher Haftung der drei höchsten Beamten der Finanzverwaltung, des Oberintendanten, des Generalkontrolleurs und des Schatzmeisters der Sparkasse.

So schuf die Kommission in den Sitzungen vom 2. zum 29. Juli 1648 einen merkwürdigen, noch sehr verworrenen Verfassungsentwurf, in dem Erörterungen des Vergangenen mit Geboten und Verboten für die Zukunft abwechselten. Ein Artikel gab dem Parlament das Recht der Steuerbewilligung; ein Viertel der Grundsteuer und alle Rückstände bis zum Jahre 1646 sollten dem Volke erlassen sein; ein anderer bestimmte, dass neue Beamtenstellen nur mit seiner Zustimmung geschaffen werden dürften; die üblichen Kommissionen: die Entsendung von Intendanten, die den Beginn einer unzünftigen, nur von der Regierung bestellten und abhängigen Verwaltungsbehörde bildeten, sollten für immer verboten sein. Die Kaste sollte geschlossen, die Beamtenstellen in der Tat erblich und das Parlament ein erblicher Senat werden, Gerichtshof und gesetzgebender Körper zugleich. Welch ein Unwesen sie damit geschaffen hätten, ahnten sie nicht. Am 17. Juli wurde die Erhöhung der Postgebühren und allerlei Monopole verboten, die Königin gebeten, den Kaufleuten die Einführung holländischen und englischen Tuches zu verwehren, durch die die französischen Tuchwebereien geschädigt würden, die Strassenreinigung sollte anders werden – neben den allgemeinsten Bestimmungen wurden die kleinsten Einzelheiten geregelt. In demselben Artikel, in dem über Postgebühren, Handelsmonopole und Marktpreise bestimmt wurde, war der in die Geschichte der Völker einschneidende Grundsatz ausgesprochen, der sich heute, die persönliche Freiheit des einzelnen zu sichern, in jeder Verfassung findet, der Satz, dass »jeder Verhaftete binnen vierundzwanzig Stunden vor seinen natürlichen Richter gestellt werden musste«. Das Parlament hatte in allem recht, nur nicht in dem, was es über sich selbst und im eigenen Interesse beschloss.

Verhandlungen ohne Ende wurden geführt; der Herzog von Orléans, seiner Natur nach der geborene Vermittler, erschien in den Sitzungen; der Hof schwankte zwischen Gewalt und Milde; auf Mazarins Rat entschloss sich die Regentin, den »Langbärten«, die man am Hof als komische und schwierige Sonderlinge betrachtete, »Rosen an den Kopf zu werfen«. »Er ist viel zu gut,« pflegte sie von ihrem Minister zu sagen, »die Canaille will die Autorität meines Sohnes antasten!«

Bei einer Sitzung, die im Luxembourg, beim Herzog von Orléans, stattfand, dankte Mazarin der Kommission, dass sie die Abschaffung der Missbräuche anregte; »die Regierung allein hätte es nicht gewagt; es sei ja leider wahr, dass die Zinsen der Staatsschulden die Einkünfte auffrässen; aber sie müssten bedenken, dass man jetzt in Kriegszeiten nicht alles mit einem Schlage ändern und alte Einrichtungen abschaffen könnte; allein die in ihren Artikeln angeordneten Prozesse und Rückerstattungen aller ungerechtfertigten Bereicherungen aus den Staatsfinanzen müssten allen Bestand erschüttern und den Kredit des Staates vollkommen vernichten …«

Sie merkten seine Ironie nicht, vielleicht seine Unehrlichkeit. Die Deputierten bestanden auf ihren Beschlüssen. Der Präsident von Novion sprach heftig gegen die Finanzleute, die bei niedrigster Herkunft ungeheure Vermögen besässen. »Nota,« sagt Omer Talon, »er besass selbst ein ungeheures Vermögen, das ihm von seinem Schwiegervater Galard, einem ehemaligen Lakaien, kam und das dieser als Steuerpächter erworben hatte.« Darum sprach der Mann stets am lautesten gegen übel erworbenes oder übel verwendetes Gut. Die ineinander verwickelte Verlogenheit der Menschen und Zustände machte, wie immer, jede wirkliche Lösung unmöglich.

Der Kardinal, »bedrängt, aufgeregt, von allen Seiten bestürmt und belästigt,« gab schliesslich in allen Stücken nach. D'Emery war bereits, dem Hass ein Opfer zu bringen, entlassen worden und der alte gichtbrüchige Marschall von La Meilleraye zum Finanzminister ernannt, ein verdienter Soldat von galligem Wesen, der von seinem neuen Fach nichts verstand, so dass das Geld bald völlig fehlte. Und dann, Schritt für Schritt nachgebend, wurden in wiederholten königlichen Deklarationen – als kämen sie aus eigener Entschliessung – die Forderungen der Kommission eine nach der anderen bewilligt, nur jener Artikel, der die persönliche Freiheit bringen sollte, nicht. Dieser Artikel schien damals die königliche Autorität besonders zu verletzen und das Regieren vollkommen unmöglich zu machen. »Mein Sohn würde ein schöner Kartenkönig werden,« sagte die Königin.

Im ganzen fürchtete Mazarin, aus der Vergangenheit schliessend, damals nur die versteckte Gegnerschaft der Prinzen, die die unsichere Lage gegen ihn und die Regentin ausnützen konnten; die neue, vom Volke drohende Gefahr erkannte er nicht. Der Grund seiner versöhnlichen Haltung war, dass man im Feld in diesem Jahre nur Misserfolge gehabt hatte. Aber im Juli eroberte der Marschall von Schomberg Tortosa in Spanien, Turenne und Wrangel besetzten ganz Bayern, und Königsmarck nahm durch einen Handstreich die Kleinseite von Prag. Endlich, am 20. August, schlug Condé die Spanier und Österreicher unter dem Erzherzog Leopold Wilhelm bei Lens. Es war einer der wichtigsten und auf die genialste Weise erfochtenen Siege des Prinzen. Hundertundzwanzig Fahnen fielen in die Hände der Franzosen. Der österreichische General Beck, der gefangen ward, wies aus Schmerz über die Niederlage, vielleicht auch, weil er dem Erzherzog am meisten zur Schlacht geraten, jede Pflege zurück und starb an seinen Wunden. Französische Dichter feierten seinen Trotz.

Allezeit machten äussere Siege den Regierungen Mut zu Gewalttätigkeiten im Innern. Chavigny vor allem sprach sich im Ministerrat dafür aus. Er mahnte an Richelieus Strenge und Energie; aber sein Spiel war doppelt: Gewalt steigerte den Hass gegen Mazarin, und Chavigny fand seit langem, dass ihm selber die erste Stelle gebührte. Die Königin hatte schon früher erklärt, dass die Furcht vor Aufständen sie nur lachen mache, und als sie mit dem kleinen Ludwig XIV. durch die Strassen fuhr, und zum ersten Male keine Zurufe erschollen, wurde sie nur erbittert. Am 26. August beim Tedeum für den Sieg, da die Garden in den Strassen vom Louvre bis Notre-Dame standen, um dem Weg der königlichen Familie Spalier zu bilden, sollten drei Führer der Opposition im Parlament, Broussel, Blancmesnil und Charton verhaftet werden. Charton entkam, Broussel wurde in seinem Hause, das an der Seine stand, festgenommen. Der Mann war alt, ein eigensinniger beschränkter Demokrat der Schlagworte, aber unbestechlich und arm, um seiner Tugenden wie um seiner Fehler willen besonders beliebt. In seiner Gegend kannte man ihn und grüsste, wenn er mager und knochig, mit weissem Bart und Schnurrbart vorüberging. Er sass eben bei Tische, in Strümpfen und Pantoffeln; der Leutnant der königlichen Garden, Comminges, liess ihm nicht Zeit, Schuhe anzuziehen. Aber seine alte Magd schlug Lärm, das Volk lief zusammen, die Garden hatten es nicht leicht, mit dem Gefangenen durchzukommen, besonders da der Wagen brach. Comminges hiess eine vorbeifahrende Dame aus dem ihren steigen und setzte Broussel hinein. Mit der Nachricht verbreitete sich die Erregung durch die Stadt. Wie in London, als Karl I. vor wenigen Jahren den gleichen Versuch gemacht hatte, erhob sich in Paris in einem Tage die ganze Bürgerschaft in Waffen, Barrikaden wurden errichtet, die alten Eisenketten, die damals am Ende jeder Strasse zu diesem Zwecke bereit hingen, wurden geschlossen. Drohend verlangte das Volk die Freilassung der Verhafteten. Der erste Präsident begab sich zur Königin und bat sie darum; sie erwiderte: wenn er amtlich gekommen wäre, würde sie ihm die nötige Antwort geben; gegen ihn persönlich wolle sie nicht böse werden.

Während man bei Hof noch über den Aufwiegler in Strümpfen und seine plärrende Magd lachte, erschien im Schloss der Koadjutor des Erzbischofs von Paris, Paul von Gondi, aus dem Hause der Herzöge von Retz, selbst Erzbischof von Korinth in partibus. Kein Mann in Frankreich war so ungern Geistlicher geworden, keiner brannte so vom Ehrgeiz, eine politische Rolle zu spielen. Er selbst erzählt, wie berechnend er schon als junger Abbé sich im Volke beliebt gemacht, indem er seine fromme Tante, die Marquise von Maignelais, auf ihren Almosengängen durch die armen Quartiere von Paris begleitet hatte. Er erzählt auch, dass er selbst in den letzten Tagen vor den Unruhen 36 000 Taler an Almosen verteilt hatte. Der kleine, kurzsichtige, ein wenig krummbeinige Mann, mit dem geistreichen verschlagenen Mund und den tiefen funkelnden Augen in dem olivbraunen Gesicht, kam im vollen Ornat, in Gold und Spitzen und weisser Seide; er schilderte die Gefahr und bot sich zum Friedensvermittler an. »Es ist bereits Rebellion,« sagte die Königin, »wenn man glaubt und sagt, dass eine Rebellion möglich sei. So lächerliche Geschichten erzählen, die sie wünschen.« Einige Herren spotteten, die Offiziere redeten ernst oder kriegerisch: der Koadjutor griff aus den Worten eines der Gardekapitäne heraus, dass die Freilassung Broussels das Volk beruhigen könnte. Die Königin wurde rot vor Zorn: »Lieber würde ich ihn mit diesen Händen erwürgen,« rief sie, »und die, welche  …« und ihre Hände kamen dem Gesicht des Koadjutors ganz nahe. Der Kardinal, der bitter lächelnd daneben stand, sagte ihr etwas ins Ohr, und sie wurde milder. In diesem Augenblick trat der »Lieutenant Civil« von Paris, Graf Dreux d'Aubray, der etwa das Amt eines Polizeichefs hatte, ein, bleichen Schrecken im Gesicht. Seine Angst wirkte ansteckend auf die Ängstlichen wie Mazarin selbst. Retz erhielt den Auftrag, dem Volk zu sagen: die Königin würde Broussel freigeben, wenn die Leute sich zerstreuten. Zugleich rückte der Marschall von La Meilleraye an der Spitze der leichten Gardereiter aus. Laut rief er: »Es lebe der König! Freiheit für Broussel!« Aber wenige hörten seine Worte, viele sahen die Bewegung der Truppen; die Menge staute sich, ein Lastträger schwang zuerst einen Säbel: der Marschall schoss ihn nieder. Der Koadjutor beugte sich über den Gefallenen und nahm ihm die Beichte ab. Von allen Seiten wurden die Truppen zurückgedrängt. Retz behauptet in seinen Memoiren, nur durch seine übermenschlichen Anstrengungen sei Schlimmeres vermieden worden, und als sie ins Schloss zurückkehrten, habe der Marschall ihn der Königin gepriesen; aber diese erwiderte schneidend: »Gehen Sie sich ausruhen, Monsieur, Sie haben gut gearbeitet.«

Als Retz sich ehrfurchtsvoll, aber Wut im Herzen, zurückzog, sah er den Herzog von Orléans, der eben noch im Kabinett der Königin voll Eifer und Besorgnis gewesen, »im kleinen grauen Zimmer vergnügt vor sich hinpfeifen«. Das aufständische Volk übernachtete in den Strassen. Wilde Gerüchte liefen durch die Stadt. Als die Königin am nächsten Tage die Bürgerwehr unter Waffen rief, nahm diese für das Volk Partei. Schon am frühen Morgen fuhr der Kanzler nach dem Parlament, um ihm jede politische Beratung zu verbieten; aber auf dem Pont-Neuf wurde er angegriffen, seine Tochter, die Herzogin von Sully, die mit ihm im Wagen sass, an der Schulter verwundet, er selbst musste ängstliche Stunden, in einem Bretterverschlag im Palast des Herzogs von Luynes versteckt, zubringen, bis der Marschall von La Meilleraye mit einigen Gardekompagnien ausrückte und ihn befreite. Aber die Menge, die den Palast geplündert hatte, wogte dem langsam zurückweichenden Militär drohend nach, Schüsse fielen, es gab Verwundete, eine alte Frau mit einem Tragkorb wurde von einer Kugel getötet.

Jetzt erschien das Parlament, die ganze Körperschaft im Schloss, die Freiheit seiner Mitglieder zu fordern. Die Königin antwortete sehr zornig und stellte Bedingungen; der erste Präsident erneuerte seine Vorstellungen; das ganze Parlament sank auf die Knie; aber es war umsonst, sie wollten daher nach dem »Palais« zurückkehren, um zu beraten. Aber kaum war der lange Zug der Räte wieder auf der Strasse, als eine brüllende und drohende Menge sie anhielt; ein Mensch fasste den ersten Präsidenten am Arm, nach anderen Berichten sogar an seinem langen weissen Bart. Molé war kein Mann, den man einschüchtern konnte, er drohte den Leuten ruhig, er würde sie hängen lassen, aber es blieb ihm nichts übrig, und er hielt es für klüger, die Königin nochmals zu warnen; alle kehrten um, aber nicht alle kamen ins Schloss zurück; einer ganzen Anzahl war bange geworden, und sie verloren sich lieber in der Menge; die zurückkamen, versammelten sich in einer Galerie und berieten zunächst über die Frage, ob sie hier beraten könnten, und erst, als sich hierfür eine Majorität fand, über die Sache selbst.

Unter denen, die um die Königin waren, befand sich auch ihre Schwägerin, die entthronte und geflüchtete Henriette Marie von England, die sagte: »In London hätte es nicht so schlimm begonnen.« Mazarin wusste und schrieb es in sein geheimes Tagebuch, dass die Prinzen des Hauses Guise und ebenso der Herzog von Longueville sich bereits in den Strassen zeigten und dem Volk schmeichelten. Er fand die Lage zu gefährlich; und die Königin gab nach. Broussel, der nach Sedan hätte gebracht werden sollen, war schon weit und kam erst am 28. um zehn Uhr vormittags wieder in Paris an. Das Volk hatte den Liebling des Tages wieder, in allen Schaufenstern sah man sein Bild; das Parlament befahl, die Barrikaden einzureissen, und mählich wurden die Strassen wieder ruhig.

Mazarin hatte die letzte Nacht in einfacher grauer Kleidung, die Sporenstiefel an den Beinen, gesattelte Pferde im Hof, sich zur Flucht bereit gehalten. Und er hatte einen Brief an Condé geschrieben, er möge dem bedrängten Thron zu Hilfe kommen.

Am folgenden Tag schrieb er einen langen Verhaltungsplan für die Königin nieder: sie sollte jetzt scheinbar nachgeben, um später zu strafen. Sobald Paris ruhiger ward, tat es ihm leid, Condé gerufen zu haben, denn er fürchtete die Prinzen mehr als das Volk, für die Autorität der Königin wie für seine eigene Stellung. Er schrieb ihm daher, es sei alles ruhig; aber Condé antwortete, »ein Volk, das seine Herrscher zwinge, ihm den Willen zu tun, und das Steine nach den Truppen werfe, sei nichts weniger als ruhig«, und kam. Indessen hatte sich der Hof am 13. September nach Ruel, und da dieses Schloss, das jetzt der Herzogin von Aiguillon, der Nichte Richelieus, gehörte, zu klein war, nach Saint-Germain begeben. In denselben Tagen liess Mazarin, sich vor denen zu sichern, die ihn persönlich verdrängen wollten, Chavigny verhaften und Châteauneuf verbannen. Sie wühlten gegen ihn und waren ihm in so gespannter Zeit zu gefährlich. In sein Notizbuch schrieb er bitter über den einstigen Freund, gegen den er viel auf den Herzen hatte: Chavignys Schwiegervater, Herr von Villesavin, hatte in der Stadt erzählt, dass Chavigny den Kardinal vergeblich von seinen Attentaten auf das Parlament abzuhalten versucht hätte.

Das Parlament, in dem beide Männer ihre Anhänger hatten, wurde noch mehr aufgebracht. Deputationen gingen nach Saint-Germain; Konferenzen fanden statt; und es war ein Zeichen der Stimmung und der Lage, dass Mazarin selbst an diesen Besprechungen lieber nicht teilnahm. In der Parlamentssitzung vom 22. September hatte der Präsident von Novion zum ersten Male bestimmte schwere Anklagen gegen ihn persönlich erhoben, und in denselben Tagen wurden Möbelwagen in Paris geplündert, weil man aus den roten Decken schliessen wollte, dass sie sein Eigentum wären, und ein Wagen mit Silber, der einer Frau von Bretonvilliers gehörte, ausgeraubt.

Mazarins Geheimpapiere sind von seinen Sorgen erfüllt. Mit dem Parlament glaubt er leicht fertig zu werden: »Breves populi amores, und wenn der König erst strafen wird, dann wird das Volk seine Wut gegen die kehren, die es verführt haben.« Bitter war ihm die Störung, die die Kriegführung und damit das Gewicht seiner auswärtigen Politik, seine jahrelange Arbeit erlitt. »Die Spanier trinken auf die Gesundheit des Herrn Broussel, der sie für die Schlacht von Lens entschädigt habe.« Zugleich verdächtigt er jeden Gegner persönlicher Gründe und hat vermutlich in den meisten Fällen recht. Vor allem aber war er mit dem Verhalten der königlichen Prinzen unzufrieden. Noch war der Hof Condés nicht sicher. Sein erster Besuch war im erzbischöflichen Palast bei Retz gewesen. Jetzt leiteten er und der Herzog von Orléans die Besprechungen in Saint-Germain; sein hochfahrendes Wesen machte ihn für Verhandlungen wenig geeignet; die langatmigen Reden der Abgeordneten und ihre juristischen Förmlichkeiten reizten seine Galle; er wiederum erbitterte sie durch drohende Worte. Aber er hatte auch Freunde im Parlament; und viele Einflüsse waren tätig. Im Augenblick war er aus Gründen, die in seiner leidenschaftlichen, von Impulsen und Begierden beherrschten Seele die Übermacht hatten, nicht für die äussersten Mittel, sondern für eine Versöhnung der Parteien. In der Tat war niemand der Lage gewachsen. Um den Artikel über die persönliche Freiheit wurde weiter gestritten und um einige Einfuhrzölle gefeilscht, die die Pariser Bevölkerung erbitterten. Die Logik der Regierung setzte der Herzog von Orléans den Deputierten auseinander, als er ihnen sagte, dass ja solch eine willkürliche Verhaftung keine Strafe sei, und wenn im Privatleben besser hundert Schuldige entkommen, als ein Unschuldiger leiden dürfe, so sei es im öffentlichen Leben nötig, dass eher hundert Unschuldige litten, als dass ein Schuldiger entkommen dürfte. Er hielt ihnen auch vor, dass sie sehr auf das Wohl der Bürger und Bauern, aber nicht auf das Heil des Staates bedacht seien. Bei ihren Fahrten zwischen Paris und Saint-Germain hatten die Abgeordneten auch allerlei Menschliches zu verzeichnen: am 25. September gab ihnen der kleine König ein Diner; dafür wurden sie am 14. Oktober vom Volk, das des Wartens müde war, – Kneipwirten, Küfern, Dienern, Frauen und Kindern – beschimpft. Am 15. Oktober fehlten der Herzog von Orléans und der Marschall von La Meilleraye in der Sitzung, weil der Generalstatthalter purgiert hatte, und der Finanzminister ihm an diesem schweren Tage Gesellschaft leisten und mit ihm Karten spielen musste  … So waren zwei Monate seit den Barrikaden vergangen.

Der Hof gab zuletzt nach: am 22. Oktober wurden alle Wünsche des Parlaments, fünfzehn Artikel, auch jener wichtigste darunter, in einer Deklaration genehmigt, die vom König gezeichnet, vom Staatssekretär von Guénégaud gegengezeichnet war und »gesiegelt mit dem grossen Siegel in grünem Wachs auf Schnüren von grüner und roter Seide«. Am 24. Oktober wurde diese Deklaration, die mit den Juli-Deklarationen den Torso einer Verfassung bildet, vom Parlament registriert.

Am selben 24. Oktober 1648 unterzeichnete der französische Gesandte Abel Servien zu Münster den Westfälischen Frieden. Dieses ausserordentliche Ereignis, Mazarins diplomatischer Triumph, der Frankreich ganze Provinzen gab und ihm eine neue Machtstellung in Europa sicherte, fand in dem Lärm jener Tage überhaupt keine Beachtung. Man fühlte nur, dass der Krieg mit seinen Lasten und seinem Elend fortdauerte, weil mit Spanien nicht Frieden geschlossen war.

Am Tage vor Allerheiligen kehrte der Hof nach Paris zurück. Aber kein Teil hielt seine Versprechen. Der Hof und die Regierung hatten die Deklarationen keinen Augenblick ernst genommen. Der Geist der Stadt und des Parlaments erfüllte Personen, die von ihrer Autorität eine so ungeheure Vorstellung hatten, mit Entrüstung und Schrecken; in Paris aber wurde dieser Geist genährt, und das Parlament, das sich siegreich fühlte, beriet weiter über die politische Lage. Die Aufregung stieg. Immer deutlicher zeigte es sich, dass die Opposition, die Erbitterung sich vor allem gegen die Person des ersten Ministers richtete, da man ihm an allen Schwierigkeiten und Leiden des Landes schuld gab. Endlos waren die Intrigen am Hof, die geheimen Beratungen und Versammlungen in der Stadt, Beratungen des unzufriedenen Adels zu Noisy, einem Landhaus der Herzogin von Longueville bei Versailles. Während Omer Talon nach der Oktober-Deklaration hoffnungsvoll in sein Tagebuch geschrieben hatte: »Nun sind alle Schwierigkeiten mit mehr Glück als Verstand geschlichtet und beruhigt«, sahen andere blutige Wirren voraus. Beide Parteien bemühten sich, Condé und damit die Armee zu gewinnen. Der Prinz schwankte wirklich. Dem Koadjutor sagte er, er halte es für seine Pflicht, als Prinz vom Geblüt den Thron zu stützen, wie sehr er auch Mazarin verachtete, den man damals für eine Null hielt, die nur durch die Gunst der Königin emporgekommen war. Aber es scheint, dass er in seinem Pflichtgefühl bestärkt werden musste. In Condés Seele waren das Edle und Unedle so gemengt, und er war sich über seine eigenen Regungen so wenig klar, dass er wirklich geglaubt haben mag, sich für seine Pflicht zu entscheiden, während nur ein grosser Vorteil, den der kluge Italiener ihm bot, das Entscheidende war. Der Prinz wünschte, dass die Krone seinen Bruder Conti, der geistliche Studien gemacht hatte, zum Kardinal vorschlage, damit dessen grosse Güter ihm zufielen, obschon diese Nominierung bereits dem Herzog von Orléans für seinen Sekretär, den Abbé de la Rivière, versprochen war. Da der Generalissimus jetzt wichtiger war als der Statthalter des Königreichs, erhielt er das Versprechen. Monsieur war sehr beleidigt und ging sogleich zur Opposition über. Er selbst wollte jetzt im Parlament gegen den Kardinal sprechen; doch es gelang, ihn irgendwie zu versöhnen.

Das war im November; in den folgenden Wochen zog Condé Truppen um Paris zusammen. Die Unruhe in der Stadt wuchs, und man begann Vorräte anzuhäufen. Der Plan des Prinzen, mit dem Militär sogleich in Paris einzudringen, die Rue Saint-Antoine und die Kais mit Kanonen zu bestreichen und, was sich widersetzte, zusammenzuschiessen, wurde vom Ministerium nicht gebilligt.

In der Dreikönigsnacht des Jahres 1649 verliess der Hof, diesmal heimlich und in aller Stille, die Stadt. Seine Nichten hatte der Kardinal schon vorher in der Hut eines wackeren, ihm loyal ergebenen Mannes, des Generals Fabert, nach Sedan geschickt. Die Königin feierte, wie es in allen Häusern von Paris in dieser Nacht geschah, mit ihren Damen das Bohnenfest. Sie schien besonders vergnügt; es fiel nur auf, dass der erste Stallmeister von Beringhen wiederholt im Saal erschien und die Königin leise mit ihm sprach. Um Mitternacht zog sie sich zurück. Die Prinzen und der Kardinal hatten indessen das Fest bei dem Marschall von Gramont gefeiert, der im Geheimnis war. Um drei Uhr morgens trafen sich die Wagen auf dem Cours-la-Reine, verliessen Paris und fuhren nach Saint-Germain. Fräulein von Montpensier, die Tochter des Herzogs von Orléans, die im Wagen der Königin fuhr, sagt in ihren Memoiren, sie hätte sie nie so heiter gesehen, obwohl man in ein ödes Schloss ohne Möbel, vielfach ohne Fensterscheiben kam, denn damals war es nicht üblich, in den Landsitzen Möbel über den Winter zu lassen. Für die Königin und den König hatte der Kardinal einige Tage vorher ein paar kleine Betten hinschaffen lassen. Die meisten anderen schliefen auf Stroh.

In Paris herrschte Bestürzung und Aufregung. Das Parlament, das zu einer eiligen Sitzung zusammentrat, schickte einerseits Abgeordnete an die Regentin, um sie zur Rückkehr zu bewegen; gleichzeitig aber beschloss es, Truppen auszurüsten, die ein Parlamentsheer bilden sollten. Den ganzen winterlichen Dreikönigstag war das Treiben gross. Die Beamten der Krone und die Offiziere der »Maison du roi« hatten geheime Befehle erhalten, nachzukommen; die Anhänger des Hofes verliessen eiligst die Stadt. Das Volk lief in den Strassen durcheinander, jammerte und schalt, dann geriet es in Wut und plünderte die hinausziehenden Gepäckwagen; die Tore wurden geschlossen, die Strassen gesperrt. Der Staatssekretär von Brienne wurde, obwohl er einen vom Bürgermeister ausgestellten Pass vorwies, aufgehalten und bedroht – er und die Herren mit ihm retteten sich nur dadurch, dass sie mit ihren Pferden über die Ketten wegsetzten. Schlimmer erging es der Frau von Motteville, »als arme Witwe wollte sie nicht mit nach Saint-Germain, wo sie gar keine Bequemlichkeit gehabt hätte,« sondern gleich nach der Normandie zu Verwandten reisen, aber in dem Getümmel des ersten Tages wagte sie sich nicht auf die Strasse; als sie einige Tage später mit ihrer Schwester und einem anderen alten Fräulein, das bei ihr wohnte, Paris verlassen wollte, wurden sie an der Porte Saint-Honoré vom Volk mit Steinen bedroht; da die erschrockenen Frauen ins Hôtel de Vendôme flüchten wollten, liess der Schweizer sie nicht ein; so flohen sie in die Kirche von Saint-Roch, die Leute hinter ihnen her; eine Frau riss der Hofdame die Maske ab; der Pfarrer und ein Edelmann, der sie kannte, befreiten sie endlich. »Ich bin nicht tapfer, und nie im Leben habe ich so grosse Furcht ausgestanden.« – Sie wagte nicht mehr an Flucht zu denken und bat die entthronte Königin von England, die im Louvre geblieben war, sie dort aufzunehmen. So war alles in Verwirrung und Sorge und in Erwartung grosser Gefahren und Nöte.


 << zurück weiter >>