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Viertes Buch
Mazarin in der Verbannung

Erstes Kapitel
Mazarins Flucht

Am 6. Februar 1651 um 11 Uhr nachts verliess Mazarin in grauem Reiteranzug mit zwei oder drei Herren durch eine Hintertüre das Palais Royal: Lakaien hielten gesattelte Pferde bereit. Sie ritten den kurzen Weg bis zur Porte de Richelieu, den ein Jahr vorher Condé geführt worden war. Es war eine helle Mondnacht; auf dem Felde vor der Stadt wartete eine Reiterabteilung von zweihundert Mann; mit dieser Eskorte ritt der Kardinal nach Saint-Germain-en-Laye. Er hielt sich nicht für verloren. Es war verabredet, dass die Königin, wenn die Lage sich nicht sogleich über Erwarten günstig gestaltete, ihm nach Saint-Germain folgen sollte. »Ausserhalb von Paris«, so schrieb er seinen Plan nieder, »sind Ihre Majestäten die Herren. Sie haben die Kriegsleute, die festen Plätze, die gefangenen Prinzen in ihrer Hand, die sich, wenn befreit, mit ihnen vereinigen werden … und nichts wird dann leichter sein, als Paris zittern zu machen …«

An einem geringen Umstand, an dem die Lässigkeit der Königin schuld trug, scheiterte sein Plan.

Als die Nachricht von der Flucht des Ministers die Stadt durchflog, wurde die Erregung gross. Der Herzog von Orléans, den die Königin schon am frühen Morgen verständigen liess, fühlte seinen Triumph; Retz, der den Gegner kannte, war besorgt; ebenso die Anhänger der Prinzen: der Erfolg schien ihnen nicht gesichert. Indessen mehrte sich der freudige Tumult in den Strassen; in den Sälen des Justizpalastes war der Lärm ungeheuer; so aufgeregt war das Parlament, dass alle zugleich redeten; wenn jemand den Kardinal zu verteidigen suchte, begann man zu pfeifen; schon erhoben sich Stimmen in der Menge, dass man das Haus des Ministers plündern, seine Freunde gefangen setzen sollte.

Schliesslich schickte das Parlament eine Deputation an die Königin, an deren Spitze der erste Präsident die Bitte aussprach: Ihre Majestät möchte erklären, dass der Kardinal für immer seines Amtes entsetzt und entfernt sei, die Prinzen dagegen nun wirklich in Freiheit gesetzt würden.

Die Königin entliess sie ohne Bescheid und fragte den Siegelbewahrer Châteauneuf um Rat; der Marquis beeilte sich, den Rat zu geben, der den Wünschen seines Herzens entsprach: »selbstverständlich sollte sie den Kardinal für immer entlassen.« In dem ihren las er nicht: er sah sich bereits als ersten Minister, und mit Heftigkeit drang er in sie, sich zu entschliessen. Sie ward bestürzt und zögerte. Sie hatte auch den Herzog von Orléans wiederholt bitten lassen, zu ihr zu kommen. Monsieur liess antworten: der Kardinal sei noch in Saint-Germain.

In ihrer Verzweiflung versammelte sie die grossen Herren und Marschälle, die zur Hand waren, im Palais und schilderte ihnen ihre Lage, worauf die Herzöge von Vendôme, von Epernon und von Elbœuf sich zu Gaston begaben und ihn aufforderten, seinen Platz im Staatsrat einzunehmen. Elbœuf, der leerste und gesinnungsloseste unter ihnen, drängte zumeist, bis Gaston in Zorn geriet und ihn anschrie: »Sie haben des Not, ausgepichter Mazariner, sich hier aufzuspielen! Glauben Sie, man weiss nicht, dass Sie für Geld und Güter die Jacke gewechselt haben? Sie wollen mir für meine Sicherheit bürgen? Sie, der Sie jeden Morgen hier sein sollten, mir Ihre Aufwartung zu machen?! Wenn ich nicht auf die Herren Rücksicht nähme, mit denen Sie gekommen sind, ich würde Sie Ihre Pflichten gegen mich lehren. Hiermit verbiete ich Ihnen mein Haus: wagen Sie es nicht wieder, sich vor mir zu zeigen!« Es muss für alle, die irgend tiefer sahen, eine groteske Sache gewesen sein, als der schwächste, rückgratloseste aller Menschen den anderen, der gleichfalls ein Hanswurst war, im Zorn des Augenblicks, ein aufkochendes Wassergefäss, so abkanzelte. Vom selben Tage, da er sich so entflammte, schrieb Retz über ihn: »Hätten wir ihn nicht abgehalten, hinzugehen, er wäre sicherlich mit der Königin dem Kardinal nachgereist.«

Endlich brachte der Siegelbewahrer die Mitteilung, die er der weinenden Königin abgerungen hatte: »Die Entfernung des Kardinals sei in der Tat endgültig und für alle Zeiten beschlossen.« Darauf hatten die anderen gewartet; diese Erklärung hatten sie erzwingen wollen. Der Herzog von Orléans verkündete es dem Parlament, das, »um den Willen des Königs und der Regentin auszuführen«, den Minister sogleich in Bann tat. Einstimmig wurde am 9. Februar der Beschluss gefasst, dass »der besagte Kardinal Mazarin mit all seinen Verwandten und ausländischen Dienstleuten das Königreich binnen vierzehn Tagen zu räumen hätte«; nach dieser Frist sollte jedermann gestattet sein, sie zu greifen und niederzumachen, allen Statthaltern und Stadtobrigkeiten sollte verboten sein, sie aufzunehmen, die Rückkehr, unter welchem Vorwand immer, ihnen für alle Zeit verwehrt bleiben

Drei Tage hatte Mazarin in Saint-Germain auf die Königin gewartet; am 9. ritt er, offenbar, weil er nach diesem Beschluss für seine Sicherheit fürchtete, nach der Normandie. Am Tage vorher hatte er einen Boten an die Königin geschickt und sie beschworen, seine Nichten und seinen Neffen aus der gefährlichen Stadt zu entfernen. Sie wurden zunächst heimlich nach dem königlichen Schloss gebracht und im Zimmer einer Hofdame, der Frau von Navailles, versteckt.

Überall war Ungewissheit, Unruhe und Besprechungen. Im Palais Royal waren nicht die Minister, nicht die Pairs und Marschälle die wahren Berater der Königin, sondern die, mit denen sie des Nachts ihre Beschlüsse fasste, die Herren von Palluau, von Navailles, von Castelnau-Mauvissière, auch geringere Personen, aber Alle Diener und Vertraute Mazarins. Andere, die vielleicht noch nicht wussten, nach welchem Winde sie sich wenden sollten, die vielleicht wirklich Angst vor den Folgen hatten, bemerkten diese nächtlichen Konventikel und warnten die Gegner. Retz nennt die Marschälle von Aumont und Villeroi, sowie Miossens, die es aus patriotischer Besorgnis getan hätten, um Frankreich nicht von neuem in die Wirren eines Bürgerkrieges gestürzt zu sehen. Die gewichtigste Warnung kam ohne Zweifel von Châteauneuf. Jedenfalls war es seine Freundin, die Frau von Chevreuse, die von den Plänen im Schloss erfuhr, und ihre Tochter, die nach dem Luxembourg eilte und gleichzeitig ihren geistlichen Liebhaber benachrichtigte.

Der Herzog und die Herzogin von Orléans lagen im Bett. Monsieur meinte, dass nichts mehr zu tun wäre, wenn der König und die Königin bereits aus Paris flüchteten. Retz hatte es vom ersten Augenblick gefürchtet. Er drängte, die Frauen bestürmten den Ängstlichen, und da er durchaus zu nichts weiter zu bewegen war, als dass er de Souches, den Hauptmann seiner Schweizer, zur Königin schickte und sie bitten lassen wollte, über die Folgen ihres Schrittes nachzudenken, liess die Herzogin sich ein Tintenfass bringen und schrieb im Bett die nötigen Vollmachten für den Koadjutor, dem Monsieur noch Vorsicht nachrief, »er möge es nicht mit dem Parlament verderben«, worauf Fräulein von Chevreuse sich in der Tür umwandte und zurückrief: »So sehr wie mit mir können Sie sichs mit niemandem mehr verderben!«

Nun wurden Beaufort und der Marschall von La Mothe geweckt, die Freunde des Prinzen alarmiert, die Bürgerwehr unter die Waffen gerufen. Die Frau eines Bürgerobersten Martineau, der vom Hause abwesend war, eilte im Unterrock auf die Gasse und trommelte die Kompagnie auf.

Montglat, damals Grossmeister der königlichen Garderobe, erzählt, wie er mit dem Grafen von Saint-Aignan von einem Ball in der Rue de Tournon kam, wie sie den Lärm hörten, in der Strasse vor dem Luxembourg gesattelte Pferde und bald überall Reitertrupps sahen. Die Mäntel ins Gesicht geschlagen, um nicht erkannt zu werden, erkundigten sie sich, kehrten dann eilig zu ihrem Wagen zurück und fuhren nach dem Schloss. Auf dem Pont-Neuf sahen sie den Herzog von Beaufort mit etwa vierzig Reitern vorübersprengen. Im Palais Royal angekommen, weckten sie den Gardekapitän, Marschall von Aumont, und auf seinen Rat die Königin. Als sie an ihre Tür pochten, kam die erste Kammerfrau, Frau von Beauvais, im Hemde, ihnen zu öffnen und fragte durch die Türspalte, was es denn gäbe. Sie wurden zur Königin geführt. Diese, die weit Schlimmeres befürchtete, liess die Gardes du corps und die Schweizer unter Waffen treten. »Wir zitterten alle,« schreibt die Motteville, »ich sah bereits die entsetzlichsten Dinge im Geiste geschehen, nur die Königin blieb ruhig.« Indessen erschien de Souches. Die Königin versicherte ihm, dass sie an eine Flucht nicht denke. Der Hauptmann verlangte den König zu sehen. »Mit jedem Wort und jeder Bewegung den Schmerz verratend, den sie empfand, sich so vergewaltigt zu sehen, hiess die Königin den Marschall von Villeroi jenen ins Schlafzimmer ihres Sohnes führen.« Der Marschall zog den Vorhang auf und beleuchtete das Gesicht des schlafenden Kindes mit einer Kerze. De Souches betrachtete ihn lange und erklärte sich für befriedigt. Er wollte auch die Leute in den Strassen beruhigen; aber das Volk schrie, es wolle sich selbst überzeugen, und drängte nach dem Schloss. Die Königin hiess alle Türen weit öffnen … aber vor dem Bett des jungen Königs knieten die Meuterer nieder, segneten ihn viel tausendmal und vergingen in Bewunderung des schlummernden Knaben. Nun liess die Königin zwei Hauptleute der Bürgergarde hereinrufen und sagte ihnen, sie vertraue sich und ihr Kind ihrem Schutze an, und als sie einen von ihnen kannte und bei seinem Namen nannte und er ihr erwiderte, es stimme, er sei früher Lakai ihres Küchenmeisters gewesen, und beide, die Königin und der Bürgerhauptmann, in der gefahrvollen Nacht unter andächtigem Staunen der anderen Leute eine herzliche Unterredung führten, da lachten die Hofdamen, jene aber erzählten es draussen weiter, und die Regentin war für einen Augenblick wieder volkstümlich geworden. »Unser Schrecken begann sich zu legen; es war drei Uhr morgens geworden; die Königin wollte die Messe hören, ehe sie wieder zu Bett ging; der Komtur von Souvré, Fräulein von Beaumont und einige andere setzten sich an den Tisch, um bis dahin noch ein Spiel zu machen; ich schlief auf den Fussteppich ein, den Kopf an das Bett der Königin gelehnt, denn ich konnte nicht mehr.«

Und es war dennoch nur eine gut gespielte Komödie gewesen: die Flucht war geplant und auch noch nicht aufgegeben. Montglat musste gegen alle Gepflogenheit jede Nacht einen Anzug des kleinen Königs im Schlafzimmer bereit legen. Und sie hätte in jener Nacht gelingen können, wenn die Königin Mazarin gefolgt und in den Louvre übergesiedelt wäre, von dem sie die Porte de la Conférence in wenigen Minuten hätte erreichen können, und nicht aus Trägheit und Furcht vor den Unbequemlichkeiten der Übersiedlung im Palais Royal geblieben wäre.

Nun hielten die Pariser gute Wacht. Am Morgen des 10. bewaffneten sich die Bürger vollends; die Tore wurden besetzt, alle Wagen durchsucht, alle Koffer geöffnet, um sich zu versichern, dass der kleine König nicht in einem stäke. Die Karosse des Herzogs von Epernon, des hochmütigsten Mannes am Hof, der sich widersetzen wollte, wurde zertrümmert und geplündert. Tag und Nacht gingen Runden ums Schloss. Die Königin hiess Vannes, den Oberstleutnant der Garden, der sie fragte, ob er denn dies dulden sollte, »die Augen schliessen, da sie jetzt nicht die Stärkere sei«.

Noch waren die Prinzen nicht befreit. Ihre Freunde, der General Arnauld, der Präsident Viole, der Herzog von Nemours und andere drängten; die Königin musste der allgemeinen Forderung nachgeben; am 10. wurde dem jubelnden Parlament verkündet, dass die Erlässe in aller Form ausgefertigt seien, dass der Staatssekretär von La Vrillière sich am nächsten Tage, von Comminges begleitet, nach dem Havre begeben werde, um sie in Freiheit zu setzen. Mit einem tiefen Seufzer sagte der erste Präsident: »Ja, die Prinzen sind frei, und der König, der König, unser Herr, ist in Gefangenschaft!«

Am gleichen Tage wurde der Erlass gegen den Kardinal allenthalben angeschlagen und kundgemacht.

Um das eine hatte der fliehende Minister die Königin beschworen: die Prinzen nicht bedingungslos, nicht ohne bestimmte Versprechen und Bürgschaften in Freiheit zu setzen. Als sie es dennoch gewähren musste, rief sie in der Nacht Navailles, der Kapitän der Chevauxlegers des Kardinals war, zu sich, und er sandte dem Kardinal sogleich einen verlässlichen Kurier nach. Dieser war indessen auf gewundenen Wegen, denn die Verfolger waren bereits hinter ihm her, durch die Provinz geritten und am 13. in Lillebonne eingetroffen, wo der Kurier ihn erreichte.

Vor seiner Flucht hatte er sich eine von ihm diktierte, von der Königin eigenhändig geschriebene Vollmacht geben lassen, die den Kommandanten Herrn von Bar anwies, mit den Gefangenen ausschliesslich nach den Befehlen des Kardinals zu verfahren. Dank den geheimen Nachrichten, die er empfangen, kam er den offiziellen Abgesandten der Regierung und des Parlaments zuvor. Aber der Kommandant, obwohl bereit, seine Vollmacht anzuerkennen und danach zu handeln, gestattete ihm, nur mit zwei Begleitern in die Festung einzureiten. Die Herzogin von Aiguillon, Richelieus Nichte, die Statthalterin im Havre war, hatte es so befohlen. So scheiterte sein Plan, sich der Festung und der Gefangenen zu bemächtigen.

Und nun verlor er völlig die Sicherheit seiner Schritte und handelte nicht wie ein flüchtender Kavalier, wie ein Grosser, der sich geschlagen gibt, sondern in der Tat wie ein aufgeregter Handelsmann. Gestiefelt und noch im Reisemantel trat er in das Zimmer des Prinzen, grüsste untertänigst, hiess den Kommandanten die Vollmacht vorlesen und teilte ihm dann mit, dass auf seine Fürbitte die Königin ihm und den anderen Herren bedingungslos die Freiheit wiedergebe. Der Prinz dankte ernst und kurz und versicherte, er sei der Königin nach wie vor ergeben. »Auch Ihnen, mein Herr!« fügte er hinzu, und als der Kardinal ihm die geöffneten Türen wies, verlangte er zunächst zu speisen. Sie luden noch den Marschall von Gramont und Herrn von Lionne ein, die schon früher im Havre angekommen waren, und alle speisten und tranken miteinander, als wäre nichts vorgefallen. »Die Komödie der Welt wollte es so.« Aber der Prinz erzählte später, der Kardinal wäre nicht ganz so heiterer Laune gewesen, wie er. Nach dem Essen begehrte Mazarin ihn allein zu sprechen und wollte ihm versichern, dass er nicht schuld an seiner Einkerkerung gewesen, sondern nur der Herzog von Orléans und die Frondeure; dagegen hätte er an seiner Befreiung den grössten Anteil. Er beschwor ihn, der Königin treu zu dienen und sich gegen die Fronde zu erklären; er selbst reise zwar ab, aber mit Lionne, seinem Sekretär, könne er stets alles wie mit ihm selber besprechen. Der Prinz antwortete kalt und höflich, Redensarten, die zuzustimmen schienen, aber keine Versprechen waren. »Er hätte die Freiheit auch aus den Händen des Teufels angenommen,« sagte er später.

Auf dem grossen Platz vor der Zitadelle stand der Wagen des Marschalls von Gramont bereit. Die anderen Herren waren schon fröhlich eingestiegen. Endlich kam auch Condé vom Kardinal gefolgt. »Adieu, Herr Kardinal Mazarin!« rief der Prinz. Mazarin küsste ihm demütig den Fuss und bat alle Herren nochmals, seine Freunde zu bleiben. Der Prinz brach in ein lautes Gelächter aus. »Fahr schnell!« rief er dem Kutscher zu.

Sie übernachteten in Grosmesnil bei einem Verwandten der Frau von Motteville, der solchen Besuch nicht erwartet hatte. Der Prinz war sehr aufgeräumt und sagte lachend, »Lionne sei im Havre zurückgeblieben, um den Kardinal zu trösten«. Am nächsten Tage fuhren sie weiter der Hauptstadt zu.

Alle fanden den Schritt des Kardinals würdelos und lächerlich. Er konnte niemanden täuschen, nichts mehr dadurch gewinnen; höchstens, dass er La Rochefoucauld und die anderen Freunde der Prinzen, die mit dem Staatssekretär aufgebrochen waren, um den grossen Augenblick ihrer Reise brachte.

Es mag ihm auch nicht wohl zumute gewesen sein, als der Wagen fortgefahren war und er allein mit seinem Begleiter, dem Grafen von Palluau, und Lionne auf dem einsamen Platze stand. Vermutlich ging er sofort wieder an die Geschäfte, ohne seiner blassen Hofmannsmiene etwas anmerken zu lassen, und gab Lionne Instruktionen. Zwei Tage später verliess auch er mit de Bar, der sich ihm anschloss, die Stadt und ritt nach Dieppe, wo der Kommandant, der Marquis von Plessis-Bellière, ihn nicht anders aufnahm, als wäre er noch erster Minister gewesen. Aber das Parlament zu Rouen wies ihn aus und gebot ihm, die Provinz zu verlassen. Abbeville schloss ihm die Tore. So setzte er mit den etwa hundert Reitern seines Gefolges den Weg nach Doulens in der Picardie fort, wo Bar Kommandant war. Dort trafen ihn der Stallmeister von Beringhen und der Marquis von Ruvigny, die ihm im Namen der Königin geboten, dem Erlass des Parlaments zu gehorchen und Frankreich zu verlassen. Er antwortete in einem Brief voll ernster Würde, seine Dienste wie seinen vollkommenen Gehorsam betonend, einem Brief, der im Staatsrat verlesen wurde und den alles lobte. Takt und Haltung galten dieser Zeit und den Menschen, die das Leben so mutvoll und künstlerisch lebten, mehr als alles. Aber an Le Tellier schrieb er gleichzeitig: »er wundere sich, dass der Hof nicht mehr für ihn eingetreten sei.«

Er ritt nach der Grenzfestung Peronne, die der Marschall von Hocquincourt ihm zur Verfügung stellte, und wo Zongo Ondedei bereits in heimlicher Flucht seinen Neffen und seine Nichten hingebracht hatte. Immer noch hoffte und wähnte er, von Paris Günstiges zu hören. Aber die erwarteten Nachrichten kamen nicht, sondern stets schlimmere an ihrer Stelle. Am 27. Februar schrieb er von Peronne an den Marschall von Gramont: »Ich kann Ihnen nicht sagen, wohin ich gehen werde, denn ich weiss es nicht. Da ich als Franzose leben und sterben will, wäre bei den Spaniern für mich nicht gut sein. Die Freunde Frankreichs sind fast alle Ketzer. Durch Frankreich nach Piemont zu reiten darf ich nicht wagen; man hat ein zu grosses Wetter gegen alle Mazariner heraufbeschworen, und Sie wissen, wie sehr ich es mit meiner ganzen Familie bin … An Rom denke ich nicht: ich hasse den Papst nicht, aber der Papst hasst mich. Aber ich werde das Königreich ohne Zögern verlassen … Ich bin auf alles gefasst und fürchte nichts  …« Ein falscher Ton klingt immer durch. Am gleichen Tage schreibt er an Beringhen: »Es möge jemand verrechnen kommen, was der König ihm schulde; er habe sein Silberzeug, seine Juwelen, seine schönen Wandteppiche verpfändet, um die Nachschübe für die Armeen in Flandern und Deutschland zu bezahlen … seine Pfründen in der Picardie und in der Champagne seien durch den Krieg verwüstet; sein Besitz in Paris geplündert; man hat mir für 600 000 Livres Möbel versteigert,  … man möge ihm wenigstens Geld schicken, seine Garden zu bezahlen, sonst sei er seines Lebens nicht mehr sicher; man möge ihm Kleider schicken, denn er habe keine.« Und ebenso am 1. März von La Fère an Le Tellier: er habe 50 000 Livres für die Truppen in Katalonien, 17 000 für die in der Guyenne ausgelegt; … »ich habe keinen Wagen, habe hundert Meilen zu Pferde zurückgelegt … ich kann nicht mehr … ich bitte um Feldbetten für mich und meine Nichten; für mich wenigstens um einen Anzug und Leibwäsche: das würde man doch selbst einem Feinde des Staats nicht versagen …«

Eine Zeitlang irrte er in Lothringen umher; die Mitreise der Nichten verlangsamte seinen Weg. Am 10. März traf er in Sedan ein, wo einer seiner Getreuesten, Fabert, Kommandant war. Von dort schreibt er am selben Tage: »Ich will gar nicht mehr zurück; ich will nur meine Ehre wiederherstellen, die vor ganz Europa blossgestellt ist.« Dort traten zum erstenmal seine Anhänger zusammen: der Marschall von Hocquincourt, die Grafen von Navailles, von Mondejeu, von Broglie und andere, sämtlich Generale und Kommandanten von festen Plätzen, vor allem auch Fabert selbst, und erklärten sich bereit, für seine Sache zu kämpfen. Sei es, dass er nicht wollte, dass er es für aussichtslos hielt, er nahm ihr Anerbieten nicht an und begab sich nach Bouillon im Bistum Lüttich, das zum Erzbistum von Köln gehörte. Dort fühlte er sich vor den streifenden Truppen der Spanier und Turennes nicht sicher. In seiner Begleitung befand sich ein Musketier des Königs, der seit der zeitweiligen Aufhebung der Kompagnie im Jahre 1646 in seine Dienste getreten war: Charles von Batz-Castelmore, genannt Herr von Artagnan. Ihn schickte er nach Bonn zum Kurfürsten von Köln, Maximilian Heinrich von Bayern-Leuchtenberg, um ihn zu bitten, er möge ihm irgendein Schloss im Kurfürstentum zur Verfügung stellen, »denn«, schreibt er der Königin, »der Nunzius habe ihm abgeraten, nach Köln selbst zu gehen, wo die Bevölkerung ausserordentlich brutal wäre.« Endlich erhielt er einen Pass vom Erzherzog Leopold Wilhelm, der Statthalter der spanischen Niederlande war, und eine Eskorte unter Don Antonio Pimentel, die ihn nach Jülich geleitete, wo er mit dreifachem Salut aller Kanonen der Festung begrüsst wurde und eine spanische Ehrenkompagnie zur Wache erhielt. »Die Spanier,« schreibt er an Lionne, »denen ich immer zu schaden gesucht, behandeln mich mit äusserster Liebenswürdigkeit: von den Franzosen werde ich beschimpft und verfolgt. Als ich mich beschämt erklärte, antwortete mir Herr von Pimentel, solche Ehren gebührten mir immer und überall; die Spanier aber seien sie mir ganz besonders schuldig, wenn ich Frankreich verliesse.« In Jülich traf ihn ein Kammerherr des Kurfürsten von Köln, der ihm das Lustschloss Brühl, zwischen Köln und Bonn, zum Wohnsitz anbot. Dort traf er am 11. April mit seiner Eskorte über Aachen ein, fand »das Haus wohl möbliert und eine Person von Stande, die mir im Namen Seiner Hoheit viele Höflichkeiten sagte und verschiedene Geschenke, Wein, Fische und anderes überbrachte«. Dort auf deutschem Boden nahm der verbannte Minister seinen Aufenthalt.


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