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Fünftes Kapitel
Der Koadjutor

Condés Flucht erregte Aufsehen und Bestürzung. Die Königin schickte den Marschall von Gramont, der, ein höflicher und gewandter Mann, mit dem Prinzen wie mit dem Hofe gut stand, nach Saint-Maur, ihm ihr heiliges Wort zu bringen, dass sie nie eine Absicht gegen seine Person gehabt. Condé wollte ihn nur vor Zeugen anhören, was dem Marschall sehr beleidigend schien: vor seinen im Schlosshof versammelten Anhängern und der Dienerschaft erklärte der Prinz mit erhobener Stimme: »er könne im Wort der Königin keine Sicherheit erblicken, sie habe ihn schon einmal getäuscht, sie sei in dem Handwerk erfahren, er könne sich nicht nochmals der Gefangenschaft aussetzen, und er werde nicht zurückkehren, solange er die Bedienten des Kardinals im Amt sähe  …«

Er forderte die Entlassung des Ministers Servien, des Staatsekretärs Le Tellier und die Lionnes, der eine Sekretärstelle im Hofhalt der Königin erhalten hatte. Es scheint, dass Chavigny ihn zu dieser Forderung bewogen hatte, der die anderen Einflüsse, die Partei Mazarins, im Kabinett beseitigen wollte; durch die Liebenswürdigkeit der Königin getäuscht, zweifelte er nicht, dass er ihr entscheidender Ratgeber werden müsste, sobald jene fort wären.

Die Königin berief Molé ins Schloss, und das Parlament beriet über die Lage; der Prinz von Conti erschien für seinen Bruder, der ein Schreiben an die Versammlung richtete; das gleiche tat die Königin: nochmals erklärte sie die persönliche Sicherheit des Prinzen für ungefährdet; hingegen weigerte sie die Entlassung der drei Beamten, mit deren Diensten sie zufrieden sei. Der erste Präsident nahm das Wort: »der Schritt des Herrn Prinzen sei ein sehr ernster,« sagte er, »er bedeute fast eine Gefahr für den Staat; er scheine eine Drohung und könne ein Vorspiel zum Bürgerkrieg sein …« Da wurde er vom Prinzen von Conti unterbrochen, der aufgeregt rief: »Solches dürfe einem Prinzen des Blutes nicht zugemutet werden!« Aber mit seiner ganzen senatorischen Würde bat Molé, ihn nicht zu unterbrechen, das dürfe nicht sein, an dieser Stelle könne nur der König ihn schweigen heissen, und er wiederholte seinen Vorwurf nochmals und verschärfte ihn: »schon manche Prinzen des Hauses Bourbon-Condé hätten Bürgerkriege und Unruhen in Frankreich erregt …« Zwiefach erbittert rief der Prinz zurück: »wenn sie an anderem Ort wären, würde er ihm zeigen, was ein Prinz des Blutes sei!« Das laute Murren der Versammlung bewies ihm, dass sie für ihren Präsidenten Stellung nahm und die eigene Würde wahrte. Trotzdem war das Parlament auf Seiten Condés. In jahrlanger Arbeit war für den Prinzen Stimmung gemacht worden: nun waren die Gemüter für ihn und nicht sogleich umzustimmen. Zudem hatte Condé die Furcht vor der Rückkehr des Kardinals heraufbeschworen, die das Parlament am meisten beunruhigte: der Hass gegen den Minister, wenngleich im Lauf der Monate schwächer geworden, war leicht anzufachen.

Da die Bewegung der Zeit völlig verzerrt und verschoben war, da keine politischen, nur persönliche Fragen die Motive bildeten, und soviel halbe Menschen am Werk waren, wussten die meisten keinen Tag recht, was sie wollten oder wollen sollten, sondern zauderten, warteten, berechneten tausend Einflüsse und Gefahren; vor jeder Sitzung wurde im Palais Royal, im Luxembourg, in Saint-Maur, im Hôtel de Chevreuse oder bei der Kurprinzessin Rat gehalten und verhandelt. Die Königin, die im Grunde nur eines wusste und wollte: dass Mazarin früher oder später zu ihr zurückkommen müsste, – »lieber würde sie alles zugrunde richten als auf diese Rückkehr verzichten,« schrieb Milet an den Kardinal, – war in ihren Entschlüssen und Handlungen von den Briefen abhängig, die sie aus Brühl erhielt; und da die Weisungen Mazarins Tage brauchten, um zu ihr zu gelangen, da oft die nächste die vorhergehende widerrief, weil nach neuen Nachrichten, neuem Bedenken andere Vorschriften ihm richtiger schienen, da man nie wissen konnte, ob er selbst, wenn er alles wüsste, was sich seit der Absendung der Depesche zugetragen, noch der gleichen Meinung wäre, so war die Unsicherheit und Verwirrung am Hofe gross. Da auch er die widersprechendsten Nachrichten, die verschiedensten Anträge und Ratschläge erhielt, nach zwanzig Seiten zugleich verhandelte, die eigenen Korrespondenten belog und täuschte und jeden in der für ihn geeigneten Täuschung erhalten musste, so ist eine verworrenere Geschichte als die dieser Tage kaum denkbar. Er selbst schrieb damals verzweifelt: »Wenn man unter soviel Ränken, soviel Berichten und Treulosigkeiten nicht verrückt wird, so kann man von Glück sagen!« »La quantité des négociateurs me perd!« »Die Überzahl der Vermittler richtet mich zugrunde!«

Noch viel weniger wusste Condé, was er tun sollte. Er fühlte seinen so hoch geführten Bau wanken und war darüber erbittert und aufgeregt; er fühlte sich in einer unbestimmten Gefahr, fühlte, dass er selbst falsch vorgegangen war, und wurde von zahlreichen Ratgebern jetzt dahin und jetzt dorthin gedrängt. Sein Bruder und seine Schwester waren, von eigenen sehr persönlichen Wünschen bewegt, für den Bürgerkrieg, ebenso der Herzog von Nemours; eine Reihe kleinerer Herren waren schon aus Temperament und Prahlerei kriegerisch. Bouillon und Turenne hielten sich in vielsagender Weise zurück; La Rochefoucauld, von dem der witzige Graf Matha sagte, »er arbeite jeden Morgen daran, die Leute zu entzweien, und jeden Abend an ihrer Versöhnung,« vermittelte zwischen allen nach sorgfältig ausgedachten und in ihrem Grunde verfehlten Plänen. Wollte man all die Entwürfe und Absichten niederschreiben, die in diesen Tagen in Saint-Maur erdacht und erwogen, in Paris vermutet oder besprochen wurden, müsste man Bände füllen, sagt Retz. Bei alledem unterhielt man sich auf Condés Schloss vortrefflich bei Bällen und Komödien, Festen und Abenteuern mit schönen Frauen. Die Geschichte der Partei Condés ist die von viel ritterlichem Glanz und sehr schlechter Politik.

Monsieur, dessen sehnlichste Freude es war, wenn Condé im Schatten oder in Ungunst stand, versprach ihm doch aus Angst vor seiner Heftigkeit alles, was er verlangte. Zwischen dem Prinzen und der Königin, den Ratschlägen des Koadjutors und dem Zanken seiner Frau, schwankte er Tag für Tag, purgierte, fuhr aufs Land, um aus dem Wege zu sein, und kam angstvoll zurück, um nichts zu verfehlen, und im Parlament, dessen Sitzungen fortdauerten, gewundene Reden zu halten, in denen er einerseits dem Prinzen recht gab und andererseits der Regentin, und beide erbitterte. Mitte Juli erhielt die Königin aus Brühl die Weisung, Servien, Le Tellier und Lionne zu entlassen. Gewohnt, dem Freunde blind zu gehorchen, tat sie ohne Zögern, was sie so lange und entschieden geweigert hatte. Mazarin war mit diesen Gehilfen damals höchst unzufrieden und opferte sie unbedenklich seinem Spiel.

Diese Veränderung machte Chavigny glücklich, der sich, wie im Februar Châteauneuf, nun als ersten Minister sah. Seine Logik war, dass der Königin nun gar nichts anderes übrigblieb, als ihn dazu zu machen, und um ihre Entscheidung zu beschleunigen, fasste er einen jener »gewaltsamen Entschlüsse«, die seiner Karriere schadeten, wie der Pater Rapin sich über ihn ausdrückt. Er bat die Königin, ihm nun ihr volles Vertrauen zu schenken, widrigenfalls auch er sich auf sein Landhaus zurückziehen müsste. »Ziehen Sie nach Ihrem Landhaus, Herr von Chavigny!« sagte die Königin, und um ihm ja keinen Zweifel an ihrem Willen zu lassen, wiederholte sie dem Bestürzten ihre Worte. Wenige Tage zuvor hatte Mazarin geschrieben: »Chavigny muss entfernt werden.« Vor drei Monaten hatte er ihn eingestellt, nun warf er ihn wieder aus dem Spiel, und der ahnungslose Mann hatte die Schlinge selbst zugezogen. Die Königin berief Molé; aber der bat, sie möge ihn nicht zum zweiten Mal dem gleichen Affront aussetzen, sondern ihm ihr Wohlwollen bewahren: er habe Zeit.

Dem Prinzen schien der letzte Vorwand benommen; aber als er am 23. Juli im Parlament erschien, erklärte er, die Entlassung der »Kreaturen« sei nicht ernst gemeint, und forderte, dass sie vom Parlament als für immer geschehen registriert werde, forderte die Entlassung noch mehrerer ihm missliebiger Personen. Mit grossem und prächtigem Gefolge von Wagen und Reitern rasselte er durch die Stadt, am Palais Royal vorbei, machte seine Besuche oder erschien im Parlament, aber nicht bei der königlichen Familie. Eines Tages begegnete er auf dem Cours-la-Reine dem Wagen des Königs, der aus Saint-Cloud vom Bade kam; der Hofsitte entgegen, liess der Prinz zwar seinen Wagen halten, um zu grüssen, stieg aber nicht aus. Das Selbstgefühl des dreizehnjährigen Monarchen war durch nichts so sehr verletzt wie durch die Haltung des mächtigen Agnaten; aber ein Gedanke, der ihm kam, machte ihn lachen: »Schade, dass ich meine Garden nicht bei mir gehabt,« sagte er, »mein Vetter hätte eine schöne Furcht bekommen!« Der Marschall von Villeroi hatte die Garden den kürzeren Weg dem Seineufer entlang zurückreiten lassen.

Im Parlament griff der erste Präsident den Vorfall auf: »es scheine fast, Seine Hoheit wolle Altar gegen Altar aufrichten,« sagte er. Der Prinz verwahrte sich gegen solche Gedanken. »Er fühle sich nur nicht sicher: zurzeit werde er die Urheber der Anschläge auf ihn namhaft machen,« und er warf grimmige Blicke auf Retz. Alle Augen sahen nach dem Koadjutor, der mit verwegener Geistesgegenwart antwortete: »Diese Sache sei überaus wichtig – die Sicherheit des Herrn Prinzen sei beinahe die des Staates; er verlange, dass der Generalprokurator angewiesen werde, sofort eine Untersuchung einzuleiten, wer zur Verhaftung Seiner Hoheit zu raten gewagt  …« Da musste Condé selbst lachen, und das ganze Parlament lachte mit, während der ernsthafte Komödiant in seiner Rede fortfuhr und ein peinliches Verfahren gegen die Bartet, Brachet, Ondedei beantragte, und wer sonst sich irgend in eine Verbindung mit dem verbannten Kardinal einlassen würde. Zum Schluss ermahnte der erste Präsident den Prinzen nochmals »wie ein Vater und Richter«, den Frieden im königlichen Hause, den Frieden im Lande zu erhalten, seine Pflichten gegen seinen König und Herrn zu erfüllen und vertrauensvoll im Schloss zu erscheinen.

Der Prinz gab so weit nach und erschien im Schloss; beinahe wäre er wieder umgekehrt, ohne einzutreten, da er hörte, die Gendarmen und die Chevauxlegers des Königs stünden mit gesattelten Pferden im Schlosshof, aber der Herzog von Damville kam und versicherte ihm, der König hätte zur Jagd reiten wollen, bleibe indes zu Hause, da er von seiner Absicht, ihn zu besuchen, gehört. Durch den Besuch änderte sich nichts; der Prinz war kalt empfangen worden und behielt nach wie vor die Haltung eines unzufriedenen Parteiführers und Prätendenten. Seine Stellung war eine so schiefe geworden, dass er keinen Weg zur Versöhnung sah und keinen Vorwand zum Bruch.

Die Bartet, Silhon, Ondedei und, wie die Agenten hiessen, wurden vernommen und rechtfertigten sich, und ritten nach wie vor eifrig hin und her, um dem Kardinal Frankreich durch ihre Depeschen regieren zu helfen. Das war die Zeit, in der auch der Herzog von Mercœur vor dem Parlament erscheinen musste. Die Königin versicherte dem Parlament immer wieder, dass sie mit all diesen Leuten nichts zu tun hätte und den Kardinal nie wieder zu ihrem Minister machen würde, und das Parlament dankte ihr feierlich für ihre Erklärungen. So ward das Spiel nach wie vor in der Weise weitergeführt, dass in der Form alle, in Wirklichkeit niemand befriedigt, alle belogen und niemand getäuscht wurde.

Indessen war die Frucht so vieler Verhandlungen gediehen und der Bund gegen Condé geschlossen worden. Mit geringen Änderungen waren es immer die gleichen Bedingungen, die vorher für seine Verhaftung, dann für des Kardinals Vertreibung gegolten hatten. Châteauneuf sollte erster Minister, der Koadjutor Kardinal und unter bestimmten Bedingungen Staatsminister werden, das Fräulein von Chevreuse statt des Prinzen von Conti nun den jungen Mancini heiraten, der in den Herzogstand erhoben werden sollte. Der Marquis von La Vieuville sollte Finanzminister werden, und dafür dem Kardinal 400 000 Livres, dem »Herrn Bartet, der den Vertrag vermittelt«, 50 000 Livres zahlen. Und alle sollten heimlich für Mazarins Rückkehr tätig sein. Und fast alle diese Bedingungen waren alle zu brechen fest entschlossen; und alle wussten dies; aber da jeder hoffte mit List oder Gewalt oder durch die Gunst der Umstände sein Teil zu erreichen, und da sie in dem nächsten Ziel, dem Sturz des Prinzen einig waren, schlossen sie den Bund.

Ein grotesker Zufall spielte ihnen einen Streich: auf der Landstrasse in der Nähe von Köln wurde ein Paket mit Schriften gefunden, die ein Kurier verloren haben musste: darunter fand sich der vollständige Wortlaut des Vertrags. »Das wäre kein schlechtes Gericht für die nächste Parlamentsitzung,« sagte der Prinz fröhlich und liess ihn sogleich in seiner Druckerei vervielfältigen und in Paris verbreiten. Die Verbündeten mussten die Ausführung verschieben und in anderer Weise vorgehen.

Am 17. August berief die Königin die Prinzen, die Herzöge und Pairs, die Offiziere der Krone und Grossen des Reichs ins Palais Royal und desgleichen die Vertreter des Parlaments, der Rechnungskammer und des Steuerhofes, sowie den Bürgermeister und die Schöffen der Stadt Paris, und liess ihnen durch den Staatssekretär Grafen Brienne ein merkwürdiges Schriftstück vorlesen: der Marquis von Châteauneuf hatte es verfasst, Retz, der Präsident von Bellièvre, Monsieur, der erste Präsident und die Königin selbst hatten es der Reihe nach in Händen gehabt und Änderungen darin veranlasst oder vorgenommen. Aber diese Vorgeschichte kannten die anderen Hörer nicht; wie auf dem politischen Theater immer dem grössten Teil der Mitspielenden die Regie ein vollkommenes Geheimnis ist. Unterzeichnet war es vom König, vom Staatsekretar von Guénégaud gegengezeichnet.

Zunächst wurde darin, um den »Feinden der Ruhe im Staat« jeden Vorwand zu benehmen, die Ausschliessung des Kardinals für ewige Zeiten nochmals feierlich wiederholt und jeder mit Strafe bedroht, der sich irgendwie in einen Briefwechsel mit ihm einlassen würde. Dann aber, »nach diesen Versicherungen«, hiess es, »können wir nicht länger verheimlichen, was unser Vetter, der Prinz von Condé, vornimmt«. Nun wurden all die Gnaden und Geschenke, die Statthalterschaften und Geldsummen aufgezählt, die der Prinz erhalten, der Zwang, den er an der Regierung geübt, seine Forderungen, sein beleidigendes Benehmen. Offen wurden ihm seine Rüstungen vorgehalten, seine Verbindung mit den Spaniern, die unter Don Estevan de Gamarra bereits an der Maas stünden. Diese »Thronrede« schloss mit den Worten: »Soviel verderblichen Plänen und Unternehmungen sind wir entschlossen, mit allen Mitteln zuvorzukommen und sie zu verhindern, und wir vertrauen dabei auf eure stets bezeugte Liebe und Treue.«

Man hörte mit Staunen und Schweigen, denn alle fühlten die umstürzende Bedeutung des Vorgangs; nur der Prinz von Conti, der anwesend war, sagte laut, sein Bruder werde sich gegen solche Verleumdungen leicht rechtfertigen.

Die weitere Arbeit fiel Retz zu; wenn der Prinz als Kondottiere auftrat, – ihm lag jede ungeistliche Rolle. Klein, schwächlich und überaus kurzsichtig, hatte er in seiner Jugend wilde Duelle gefochten, seine Liebesverhältnisse waren stadtbekannt, und seine Unerschrockenheit kam der des Prinzen gleich. Seine Lebensführung brachte ihn in peinliche Lagen. Es war nicht mehr die Zeit der Kardinäle der Renaissance: die Gesellschaft war gesitteter oder heuchlerischer geworden und verlangte, dass ein Geistlicher den Anstand wahre. Im vergangenen Monat war dem Fräulein von Chevreuse, als sie mit ihrer Mutter aus den Laternen der grossen Kammer – kleinen gezimmerten Logen unter der Decke – kam, in der Halle des Parlaments durch Schreier vom Anhang des Prinzen »Dirne des Koadjutors« und andere Schmähungen nachgerufen worden. Als Retz ins Hôtel de Chevreuse kam, fand »er die Mutter in Wut, ihr Fräulein Tochter in Tränen  …«: »Nur das Blut des Hauses Bourbon könnte den lothringischem Blut angetanen Schimpf abwaschen.« Retz war, da er niemanden fordern konnte, in grosser Verlegenheit; sein Freund Caumartin fand den Ausweg, dass er und die Damen am nächsten Tage mit Tausenden von bewaffneten Begleitern im Justizpalast erschienen, wo dem überraschten Prinzen von Conti nichts übrigblieb, als sie mit tiefen Verbeugungen zu begrüssen, während die Anstifter jener Schreierei, die man sich gemerkt hatte, durchgeprügelt wurden. Grössere Prüfungen standen dem kühnen Prälaten bevor.

Am 18. August erschien der Prinz im Parlament und forderte Gerechtigkeit; Strafe, wenn er schuldig, Strafe für seine Verleumder, wenn er unschuldig befunden würde. Er berief sich auf das Zeugnis Monsieurs, des Generalstatthalters des Königreichs. Der hatte sich wegen »schweren Durchfalls« entschuldigen lassen, dem Prinzen jedoch, nachdem er vorher die königliche Anklage gegen ihn gutgeheissen, ein Schreiben zur Verfügung gestellt, in dem er ihn gegen diese Anklage rechtfertigte. Die Sitzung wurde auf den 19. vertagt. Der Prinz legte eine vortrefflich geschriebene Verteidigungsschrift auf den Tisch der Kammer nieder; sie ist erhalten, wir wissen nicht, wer sie verfasst hat. Dann sprach er selbst mit heftigen Angriffen gegen den Koadjutor, der mit solcher Kühnheit antwortete, seine geheimen Zusammenkünfte beim Grafen von Montrésor mit solcher Stirn leugnete, dass »man nicht wusste, was man denken sollte«. Retz schloss mit der herausfordernden Erklärung, »ihm zum mindesten könne niemand nachsagen, dass er sein Wort gebrochen!«

Er selbst erzählt, dass der Prinz von Conti bei diesen Worten seinen Bruder anstiess, und er gibt zu, dass er verloren gewesen wäre, wenn Condé die Beleidigung auf der Stelle hätte rächen wollen; war es Schuldbewusstsein, war es Grossherzigkeit, oder der Wunsch, kein Blut im Gerichtssaal zu vergiessen, oder vielleicht nur eine matte Stimmung an diesem Tag: Condé tat nichts.

Aber für die nächste Sitzung, die, weil der 20. ein Sonntag war, am 21. sein sollte, wurden nicht Vorbereitungen zu Reden, sondern zu Taten getroffen. Tag und Nacht wurde agitiert. Retz erzählt, wie er seine Edelleute und mit Pistolen und Dolchen bewaffnete Bürger in dem riesigen Gebäude verteilte, wie an allen Büfetts seine Leute aufgestellt waren, wie sie den Schrank im Büfett der vierten Kammer mit Handgranaten anfüllten. Die Königin selbst schickte ihm Leute von ihren Garden und Chevauxlegers, die sich verkleidet einfanden, das Kennwort sollte »Notre-Dame« sein. In gleicher Weise bestellten die Prinzen ihre Anhänger hin, und ihr Losungswort war »Saint-Louis«.

»Mein guter Onkel,« sagte der König am Sonntag zum Herzog von Orléans, »Sie müssen mir erklären, ob Sie bei meiner Partei sein wollen oder bei der des Herrn Prinzen!« Und da Monsieur antwortete, der König dürfe an seiner guten Gesinnung nicht zweifeln, erwiderte der Dreizehnjährige: »Mein guter Onkel, da Sie bei meiner Partei bleiben wollen, so handeln Sie derart, dass ich nicht daran zweifeln kann!«

Monsieur blieb sich selber treu. Am Tage der Sitzung hielt er sich zitternd zu Hause; aber er hiess drei seiner Edelleute den Prinzen begleiten und schickte drei andere dem Koadjutor. Ein berüchtigter Sonderling, der Marquis von Rouillac, der in jener Zeit der Locken und Spitzbärte stets glattrasiert und geschoren ging, sonst ein tapferer Mann, stellte sich Gondi zur Verfügung. Ein anderer Südfranzose von ähnlicher Art, Herr von Canillac, kam im selben Augenblick, sah den anderen und machte seine Reverenz. »Ich wollte Ihnen meine Dienste anbieten, mein Herr,« sagte er zu Retz, »aber es wäre nicht gerecht, wenn die beiden grössten Narren von Frankreich auf Ihrer Seite fechten würden. Ich gehe zu Condé.« Die Pointe stand immer am höchsten.

Der Prinz erschien, wie es dem Generalissimus zukam, mit grossem militärischem Gefolge. Und es kam sogleich zum Streit. Die Präsidenten warfen sich dazwischen, beschworen den Prinzen, »den Tempel der Gerechtigkeit nicht zu beflecken«; man lärmte im Saal, Stimmen wurden laut, dass unter so viel Schwertern keine Sitzung möglich sei. Der Prinz stand auf und erklärte, er werde seine Freunde bitten, sich zurückzuziehen, und er ersuchte Herrn von La Rochefoucauld, dafür zu sorgen, dass es geschehe. Darauf erklärte der Koadjutor, er wolle das gleiche tun. »Wie, Sie kommen bewaffnet?!« rief ein Herr von Avaux ihm zu. »Gewiss!« rief er zurück. »Das war eine Torheit,« gesteht er selbst, »man darf tun, was mit dem Beruf unvereinbar ist, aber man darf es nicht sagen.« Kaum erschien er in der Salle des Pas Perdus, der riesigen Vorhalle, die mit geringen Veränderungen heute noch die gleiche geblieben ist, als der Ruf: »Zu den Waffen!« erscholl und die Menge in Bewegung geriet. Erst war es nur ein Stossen und Drängen, die Anhänger des Prinzen wurden in die Mitte des Saales geschoben; aber jetzt flogen die Degen aus den Scheiden, und es wäre Blut geflossen, wenn nicht der Kommandeur der Gendarmen des Prinzen von Conti, ein Marquis von Crenan, laut gerufen hätte: »Sollen die bravsten Leute und Herren sich um einen Schuft wie den Mazarin die Hälse abschneiden? Ein Schelm,« – er gebrauchte das deutsche Wort, das deutsche Reiter eingebürgert hatten, – »ein Schelm, wer nicht den Degen in die Scheide steckt!« Damit tat er es selbst, und erst die Nächsten, dann die Ferneren folgten seinem Beispiel.

Der Koadjutor war indessen durch den Vorraum, in dem sonst die Gerichtsdiener sich aufhielten, nach der grossen Kammer zurückgekehrt: als er den Lärm vernahm, wendete er sich in der Türe um, da schlug die schwere Türe zu, und er war mit dem Körper drinnen, mit dem Kopfe draussen eingeklemmt. Es war La Rochefoucauld, der sie zugeschlagen hatte und ihn so festhielt und seinen Leuten rief, dass sie ihn niederstechen sollten. Die Edelleute weigerten sich, aber wüstes Gesindel drängte an, das Retz suchte; ein Herr von Argenteuil stellte sich vor und deckte ihn; ein Pariser Bürger namens Noblet suchte den Türflügel zurückzustossen, den La Rochefoucauld zuhielt: immer noch war Retz festgeklemmt und in höchster Gefahr, bis Herr von Champlâtreux, der Sohn des ersten Präsidenten, hinzukam und mit den Worten: »Das ist ja eine Schande und Schmach!« den Koadjutor befreite.

Retz, der, so tückisch er im Kampf sein konnte, jedem grossherzigen Gefühl zugänglich war, schwor dem ersten Präsidenten und seinem Hause ewige Freundschaft, und jenen Mann Noblet nahm er zu sich und versorgte ihn bis an sein Lebensende.

Im Saal aber stritten sie mit Worten weiter über den ungeheuerlichen Vorfall; Gondis Vetter, der Herzog von Brissac, und La Rochefoucauld trugen einander Schläge und Fusstritte an; unter grossem Tumult ward die Sitzung aufgehoben.

In seinen Memoiren spricht La Rochefoucauld sich gewunden aus, ohne zu leugnen; ja, er tadelt die Anhänger des Prinzen, die den Augenblick nicht ergriffen hätten, ihrem Herrn solch einen Dienst zu erweisen, denn er selbst war sich zu gut, den Mord zu vollziehen. Es dient zur Zeichnung dieser barocken Zeit, dass der zurückhaltende, elegante Mann von hoher Bildung so grimmigen Tuns fähig war. Die Erklärung findet man vielleicht, wenn man eine Anzahl Seiten in seinen Erinnerungen zurückblättert; dort erzählt er, dass er dreimal bei Nacht in seinem Wagen von unbekannten Leuten angefallen worden, und bemerkt dazu, »der Koadjutor habe eine eigentümliche Art gehabt, sich an seinen Feinden zu rächen«.

Die Stadt war an diesem Tage in grosser Angst, die Handwerker hatten die geladenen Musketen in ihrer Werkstatt neben sich; die Frauen beteten in den Kirchen. Die Agenten des Kardinals hielten sich in den Dachböden des Palais Royal versteckt. Condé liess sich bewegen, am nächsten Tage mit nur fünf Begleitern ins Parlament zu kommen; dem Koadjutor wurde von der Königin befohlen, ganz fernzubleiben. Er hatte an diesem Tage – dies bot ihm, der vor allem fürchtete, Furcht zu zeigen, den Vorwand dennoch auszugehen, – eine Prozession von der Madelaine nach dem Kloster der Cordeliers, das an der Stadtmauer lag, etwa dort, wo sich heute die Ecole de Médecine am Boulevard Saint-Germain befindet, und wieder nach der Madelaine zurückzuführen. Da er so in vollem Ornat dem Zug der Brüder und des Volks voranschritt, begegnete er in enger Strasse dem Wagen Condés, der eben aus dem Parlament nach Hause fuhr. Schon brachen die bewaffneten Begleiter des Prinzen in drohende Rufe aus; aber Condé hiess sie schweigen, stieg aus und kniete auf der Strasse nieder; der Koadjutor erteilte ihm vor allem Volk erbaulich seinen Segen, dann trat er einen Schritt zurück, nahm sein Barett ab und machte Seiner Hoheit eine tiefe Verbeugung. Sie waren Todfeinde, sie waren beide, Prinz und Prälat, völlig ungläubig, aber sie waren elegante Franzosen und grosse Schauspieler.

Die Verhandlungen im Parlament gingen weiter und verliefen im Sand; der Hof und der erste Präsident zogen sie trotz dem Drängen des Prinzen in die Länge, bis plötzlich am 5. September die Königin alle Anklagen gegen ihn fallen liess und ihn für gerechtfertigt erklärte! Da kaum glaublich ist, dass eine Staatsaktion, wie die feierliche Versammlung, in der die Königin den ersten Prinzen des Blutes des Hochverrats beschuldigt hatte, nur Schein und Spiel gewesen, so muss Mazarin, der ihre Schritte leitete, seine Meinung von der Lage geändert haben, und es schien ihm offenbar gut, den Prinzen zu »amüsieren«, wie man damals für das höhnische Spiel mit einem Getäuschten sagte. Der Kardinal selbst hatte sicherlich seine Freude daran. Aber alles ging in jenen Tagen in einem grösseren und wichtigeren Ereignis unter. Denn der 6. September, an dem die Königin den Prinzen für gerechtfertigt und schuldlos erklärte, war der Tag, an dem der König sein dreizehntes Jahr vollendete und grossjährig wurde. So lange hatte sie gezögert und Condé hingehalten. Die Feinde des Kardinals schienen zu triumphieren; denn am selben Tage erklärte Ludwig XIV. den Kardinal der schwersten Verbrechen: Verschleuderung der Staatsgelder, Verzögerung der Friedens, des Ruins des französischen Handels, der Verhaftung der Prinzen, der Verleumdung des Parlaments schuldig, und »auf den Rat seiner Mutter der Königin« wiederholte und bestätigte er dem Parlament nochmals, dass seine Verbannung eine Verbannung für immer sei. Gleichzeitig liess die Königin Mazarin durch Milet schreiben, dass er über ihre Absichten beruhigt sein könnte.


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