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Zweites Kapitel
Mazarin in Poitiers

Man fürchtete Mazarins Wiederkehr in Paris seit dem Augenblick seiner Flucht. Man fühlte irgendwie, dass sie unvermeidlich war. Darum machte man immer neue Erlässe gegen ihn. Es gab Leute, die behaupteten, er sei gar nicht wirklich fort, er lebe als Nonne verkleidet im Val de Grâce, dem Lieblingskloster der Königin, und singe mit falscher Stimme im Chor mit. Seine wirklichen Bewegungen, seine Rüstungen blieben nicht geheim. Als am 4. Dezember nach langem Widerstand die Erklärung gegen die Prinzen und ihre Anhänger im Parlament registriert wurde, beantragte Fouquet de Croissy als Gegenschlag eine Untersuchung auf Grund der Gerüchte, die über Truppenaushebungen für den Kardinal gingen. Trotz allem Eifer wurde die Sache auf den 9. Vertagt.

»Man muss das Parlament wecken!« sagte Monsieur zu Retz. »Oh, in Worten wird es ohnedies aufwachen«, erwiderte dieser, »und in Taten wird es immer schlafen. Haben Sie nicht bemerkt, dass es Essenzeit war, als der Antrag gestellt wurde?« Monsieur gab in der Tat einem seiner Kammerherrn, Ornano, den Auftrag, einen Volksauflauf zu bestellen, und als die Leute vor seinen Fenstern gegen die Steuern schrien, schickte er sie boshaft zum ersten Präsidenten. Dieser sass eben mit dem Generalobersten der Schweizer, dem Herzog von Schomberg, und anderen Offizieren sowie dem Finanzminister bei einer Beratung über Soldfragen, als Gebrüll von der Strasse heraufscholl und alle Fensterscheiben eingeworfen wurden. Schomberg bot ihm an, die »Kanaille« auseinanderzujagen, aber Molé lehnte seine Hilfe ab. Er liess alle Türen öffnen, und wieder genügte seine Erscheinung und sein senatorisches Auftreten, um die Leute zu beruhigen und sie einzuschüchtern. Aber als der Finanzminister über den Pont Neuf nach Hause fuhr, wurden Steine nach seinem Wagen geworfen und Messerstiche durchs Fenster nach ihm geführt.

Am 15. Dezember kam ein Schreiben des Herzogs von Elboeuf, der Statthalter der Picardie war. Der Kardinal hatte ihm mitgeteilt, er habe Truppen geworben und werde von Freunden aufgefordert zurückzukommen und sie im Dienst des Königs zu verwenden, und ratlos, da er nicht wusste, wie die Sache ausgehen würde, hatte Elboeuf in einem gewundenen Briefe das Vorhaben Sr. Eminenz teils gelobt und teils getadelt, und gleichzeitig dem Herzog von Orléans davon Mitteilung gemacht. Daraufhin rief dieser seine Regimenter aus der königlichen Armee ab. In Paris wusste man nicht, was man erwarten sollte, vermögende Leute begannen die Stadt zu verlassen; Molé und La Vieuville waren nach Poitou berufen worden; Retz und Beaufort gingen hin und her und hatten Besprechungen mit Monsieur, mit dem Generaladvokaten Omer Talon und mit anderen, und andere wieder mit anderen. Endlich am 29. Dezember kam die bestimmte Nachricht, dass Mazarin die Grenze überschritten hätte und auf französischem Boden stehe. Im Parlament waren die Erregung und der Zorn gross: nachdem die geistlichen Räte sich entfernt hatten, die an einem Bluturteil nicht teilnehmen durften, ward ein Antrag des alten Pierre Broussel angenommen und ein Preis von 50 000 Talern auf Mazarins Kopf gesetzt; den Gouverneuren und Bewohnern aller Städte und Provinzen wurde befohlen, sich seinem Marsch zu widersetzen, ihn zu greifen und die Leute, die ihn begleiteten. Als jedoch ein Ratsherr die Meinung aussprach, der Kardinal werde aller Dekrete spotten, die ihm nicht von Gerichtsdienern mit guten Säbeln und Musketen überreicht würden, da erklärte das Parlament einstimmig, Truppen auszuheben sei eine Prärogative Seiner Majestät. Immer noch machte das Parlament »die Revolution nach den Anträgen des Generalprokurator«. »Wir sind nicht mehr in den ›grandes règles‹,« sagte der alte Omer Talon gramvoll zu Retz, und dem Parlament rief er herzbeweglich zu: der König habe den Kardinal gerufen, nur er könne ihn wieder verjagen, man möge sich bittlich an ihn wenden, aber die königliche Autorität vor allem wahren, nur der tue man keinen Schaden! »Meine Herren, nolite tangere puerum meum Absalon!« schloss er, sicherlich glücklich, das Zitat gefunden und angewendet zu haben. Und so wurde der Präsident von Bellièvre mit einer Deputation nach Poitiers geschickt, die neuerliche Verbannung des Kardinals zu erbitten.

Zu aller Staunen blieb die Bürgerschaft ruhig, und das Volk regte sich nicht sonderlich auf. In der »Muze historique«, der gereimten Wochenchronik für elegante Leser, verzeichnet Loret am 7. Januar nur, dass man zwar ungeheuer viel darüber rede und stritte, wo der Kardinal an jedem neuen Tage wäre, dass man aber bereits in ganz anderem Ton von ihm spräche: wer früher gereimt »der Mazarin, der Mascarin« – das Wort bedeutet etwa »Fratzengesicht« – »der redet jetzt mit Reverenz – nur von Seiner Eminenz, – wer ihn verwünscht wohl tausendmal, – sagt jetzt: der Herr Kardinal!«

Die Wut hatte sich ausgetobt und man hatte gesehen, dass nichts besser geworden war. Der Kardinal war nicht beliebter geworden, aber die Mehrzahl der Leute nahm an den fruchtlosen Kämpfen keinen Anteil mehr; vielleicht empfand das Volk instinktiv ihre Frivolität. Die Schmähschriften, die in neuer Flut erschienen und verbreitet wurden – zumal, als die königliche Geheimpresse im Louvre eine Schrift ausgab, in der die Erlässe des Parlaments gegen den Kardinal für ungiltig erklärt wurden, – erregten die Leute nicht sonderlich. Heftiger loderte die Empörung in den Provinzen auf.

Indessen war Mazarin am 2. Januar in Epernay eingetroffen, wo alle Personen von Rang und Namen ihm ihre Aufwartung machten. Am 9. stand er in Montereau an der Yonne. Ehe er die Brücke betrat, erschienen hier die Räte Bitaut und Du Caudrai-Geniers und forderten ihn im Namen des Parlaments auf, nicht weiter zu ziehen, sondern umzukehren und sich aus Frankreich zu entfernen. Gelächter der Offiziere antwortete; um die verlegenen Herren drängten sich die Soldaten, ein geflissentliches Schieben und Stossen begann, und als die Abgesandten sich unter Protest zurückzogen, wurde Bitaut von Broglios Dragonern gefangengenommen; Du Caudrai-Geniers entkam nach Sens.

Das Parlament nahm für die Verhöhnung seiner Gesandten eine unbesonnene Rache, es ordnete die unverzügliche Versteigerung der Bibliothek Mazarins an, um den auf seinen Kopf gesetzten Preis zu decken. Der Präsident von Bailleul, der mit der Durchführung beauftragt wurde, hätte gerne Rücksichten genommen und das Verfahren gemildert oder verzögert; aber die Räte, die die eigentliche Kommission bildeten, Baron und andere, vor allem die Herren Pithou, Petau und Portail, erklärte Feinde des Kardinals und selbst grosse Bücherliebhaber und Sammler, sorgten dafür, dass der Verkauf wirklich durchgeführt wurde, und in so gehässiger und feindseliger Art, dass die mühsam zusammengebrachte Bücherherrlichkeit schändlich verschleudert wurde. Sehr viel wurde gestohlen, vieles unter der Hand von Buchhändlern und Antiquaren angekauft, manches seltene Werk von den Kommissaren Portail, Petau und Pithou »übernommen«; Herr Portail liess bei der Gelegenheit auch einen Wandteppich und eine Statue, die ihm besonders gefielen, in seine eigene Wohnung bringen. Sogar der Kanzler Séguier, einer der geriebensten Profitmacher, liess unter der Hand durch Strohmänner Bücher billig kaufen. Es wurde so geraubt und verschleudert, dass Doktor Naudé, der Bibliothekar, dem das Herz brach, nicht länger zusehen konnte, und an den Versteigerungstagen nicht mehr hinging; er hatte nur einige hundert Foliobände und wenig anderes in Sicherheit bringen können. Eine Schenkung der ganzen Bibliothek an den König, die Mazarin auf seinen Rat vollzog und brieflich mitteilte, kam zu spät. 50 000 Livres waren das klägliche Resultat der Versteigerung. Die gesamten unschätzbaren Manuskripte, die im Erdgeschoss lagen, wurden einem gewissen Chevalier für 6000 Livres zugesprochen. Selbst das wundervolle Getäfel der Säle, das heute in der Bibliothèque Mazarine im Institut de France wieder angebracht ist, kam fort. »Das war nicht das Werk des Volks, das hat nur die Barbarei des Parlaments vollbracht!« klagt Naudé in der Denkschrift, die er über das Schicksal der Bibliothek verfasst hat. Selbst Feinde des Kardinals, wie der Doktor Guy Patin, schrieben, sie könnten »diese hässliche Zerstörung nicht ansehen.« 54 000 Bände wurden verschleudert und zerstreut.

Siehe Bildunterschrift

Gaston, Herzog von Orléans (Monsieur),
Phot. Ad. Braun nach dem Porträt von Van Dyck in Chantilly.

Es gab auch Leute, die die jungen Neffen des Marschalls Hocquincourt ergreifen wollten, die im Collège de Navarre Schüler waren, aber ihre Verwandten hatten sie bereits in Sicherheit gebracht.

Die Deputation in Poitiers aber erhielt aus dem Munde Mathieu Molés den Bescheid, dass der Herr Kardinal Mazarin vom König zurückberufen worden, auf seinen Befehl Truppen ausgehoben habe und in Frankreich eingerückt sei; übrigens verlange er nur, sich rechtfertigen zu dürfen. Das hätten sie wohl nicht gewusst, drum nehme Seine Majestät ihnen auch nicht übel, was sie getan; hinfort würden sie sicherlich den Völkern ein Beispiel des Gehorsams geben. Sie beugten sich schweigend und brachten die Antwort nach Paris. Dem Parlament sank der Mut. Man donnerte noch eine Zeit lang in Worten gegen den Kardinal; in den Taten beschränkte man sich auf erneuerte Vorstellungen und Bitten bei Seiner Majestät.

Der Herzog von Orléans aber, der durch den Marquis von Ruvigny den Befehl erhielt, seine Regimenter wieder in ihre Garnisonen zurückmarschieren zu lassen, gehorchte nicht, sondern einigte sich, von Chavigny gedrängt, und weil er es seiner Würde schuldig zu sein glaubte, vielleicht für seine Sicherheit nötig hielt, mit Condé. Beide Prinzen verpflichteten sich, die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis der Kardinal verjagt wäre, dann sollten die Generalstände berufen und der allgemeine Friede geschlossen werden. Der Graf von Fiesco unterschrieb für den Prinzen, der Graf von Gaucourt für Orléans.

Indessen war Mazarin ungehindert weiter nach Südwesten gezogen, hatte am 16. bei Gien die Loire übersetzt; hier, wo alles Land von königlichen Truppen besetzt war, ritt er mit 300 Reitern voraus, und erreichte am 29. Januar Poitiers. Der König mit seinem Bruder, dem Herzog von Anjou, und sehr viele Herren des Hofes ritten ihm zwei Meilen weit entgegen; alle, auch der König, trugen Lorbeerzweige in den Händen. Die Königin, die sonst mit gutem Grund vorsichtig war, konnte ihre Ungeduld nicht völlig verbergen; Le Tellier muss sie in Augenblicken gesehen haben, in denen sie die Beherrschung verlor, da er schon damals schrieb, er könne sich ihr Verhalten nur damit erklären, dass sie vom Kardinal behext oder mit ihm verheiratet sei.

Mazarin war gegen alle Welt sehr liebenswürdig. Gegen Abend zog man sich zurück und liess ihn mit der königlichen Familie allein. »Man vermutete,« schreibt Brienne, »dass sie sich viel zu erzählen haben würden.«

Was die Hofleute dachten, die mit neugierigen Augen und geteilten Empfindungen auf die Gruppe sahen, – den Kardinal im Kavaliersanzuge mit schon leicht ergrauendem Haar und Spitzbart vor der stattlichen Königin und ihren zwei schönen Knaben sitzend – was sie sich beim Fortgehen zuflüsterten, was sie an diesem bedeutungsvollen Tag in Scherz und Ernst bemerkten, wissen wir nicht. Le Tellier, der sie gleichfalls sah, der in dem verräterischen Dunstkreis der lebenden Personen sich bewegte, war im Zweifel, welches Empfinden, welches Geheimnis diese Menschen verband. Er stand allerdings auch, wie vor einem Vorhang, der unendlichen Verstellung gegenüber, die den Menschen jener Zeit eine wichtige Kunst, ja, wie Frau von Motteville so hübsch sagt, »eine hässliche aber notwendige Tugend« war, »die die Königin gelernt und geübt hatte«. Die Hofdame selbst wurde gerade in diesen Tagen völlig getäuscht: sie meint »das laue Verhalten der Königin zur Frage seiner Rückkehr habe Mazarin später so undankbar gemacht.«

Dass ihre Herrin an seine überlegene Klugheit glaubte, dass sie keinem Menschen folgte, wenn Mazarin anders riet, das wusste man; dass er immer regiert hatte, dass die Kuriere mit politischen Depeschen während der elf Monate seines Exils zwischen Brühl und Paris hin und hergeritten waren, darüber war öffentlich Klage geführt worden; im Volke wurde geschwatzt, geahnt, geschmäht, gezweifelt: am 19. Oktober waren die Buchdrucker Sapier und Gentil und eine fliegende Buchhändlerin, Frau La Guenette, verhaftet worden, weil sie eine Schrift gedruckt und gehandelt hatten: »Die Heirat, zu wissen, des Kardinals mit der Königin«; dennoch wusste man damals nicht, was wir wissen: welche geheimen Chifferbriefe mit ganz anderem Inhalt von den verlässlichsten der Boten, vornehmlich von Isaac Bartet, auch durch Jobart, Mileti, Ondedei, hin und hergetragen oder befördert wurden.

In diesen Briefen sind alle wichtigeren Personen durch Chiffern oder Decknamen bezeichnet und zwar, wo es nötig schien, durch zahlreiche und wechselnde Chiffern, um den unberufenen Leser, dem etwa solch ein Schreiben in die Hände fallen konnte, ganz sicher zu täuschen. Einige dieser Namen sind heute noch nicht ganz klar, die meisten jedoch durch einen Schlüssel, der sich unter Mazarins Papieren fand, gedeutet. Manche sind dem Bezeichneten im Gegensatz gegeben oder um irrezuführen, so wenn Retz der »Feigling«, Monsieur »die Kraft«, »der Krieg« genannt wird, oder Bouillon »der Kardinal«; andere deuten an, was die Schreiber von dem bezeichneten dachten, und es verrät Humor, wenn der Finanzminister den Chiffernamen »die Fülle« erhält, der alte einäugige Servien »die Mumie« oder »das Orakel« genannt wird. Mazarin selbst heisst »das Meer«, »der Himmel«, »der Freund«, »der Waldmann«, »der Ehrgeiz«, »Gonorit« oder »Sedan«, oder er wird durch die Ziffern 16, 26, 43, 46 und 200 oder den griechischen Buchstaben Π bezeichnet. Die Königin heisst zumeist »Seraphin« oder »Zabaoth« oder »die Engel«, auch »der Spanier«, »der Belagerte« oder »Amiens«, und ihre Ziffern sind 15, 22, 37, 41, 44 oder der Buchstabe P. Der König wird persönlich »der Vertraute« genannt, auch »der Patron« oder »die Barke«, »die Galeeren«, »die Schiffe«; seine Nummern sind 21 und 40. Der Prinz von Condé heisst »der Mann in Verlegenheit«, »der Leichtgläubige«, »der Ungewisse«, auch »die Tapferkeit« oder 23; Frau von Longueville wird »Brüssel« genannt, Frau von Chevreuse »der Geist«, »das Blut« oder 103; Châteauneuf »Perpignan« oder »Narbonne«; Laigue »der alte Sünder«; La Rochefoucauld »der Fels«; die Kurprinzessin »Gabriel«, »der Engel« oder 49; der Koadjutor auch »der Doktor« oder »der Stumme« oder 41; Fräulein von Chevreuse »das Vergnügen«; Matthieu Molé »das Kind«; das Parlament »die Verwirrung« wie »die Ordnung« oder auch in offenbarer Ironie »das Schweigen«; der getreue Bote Bartet »der Liebe«, »der Weinberg«, »der Präsident« oder 18. Mercœur ist »der gute Gatte«; Chavigny »der Pole«; Turenne »der Galgen« oder »der Flüchtling«. Ein Stern bedeutet Mazarins Empfindungen für die Königin, ein Kreuz mit drei Querbalken ihre Liebe zum Kardinal, »der zweite Band« sowie »Neues aus Spanien« ihre Briefe. Nur Bartet und die Kurprinzessin scheinen im Geheimnis der Chiffern gewesen zu sein. Mazarins Briefe sind im schlechten Französisch des Italieners, die der Königin in dem noch viel schlimmeren, dank der erstaunlichen Orthographie oft kaum verstehbaren Französisch einer ungebildeten Spanierin geschrieben.

Der erste der Geheimbriefe des verbannten Ministers an die Königin ist aus Brühl vom 16. Mai 1651 datiert. Sicherlich sind ihm andre vorausgegangen, die verloren sind. Dieser Brief beginnt:

»Mein Gott, wäre ich glücklich und Sie zufrieden, wenn Sie mein Herz sehen könnten, oder wenn ich Ihnen nur schreiben könnte, wie es darin aussieht, oder nur die Hälfte der Dinge, die ich sagen möchte: es würde Ihnen leicht fallen mir zuzustimmen, wenn ich sage, dass es nie eine Freundschaft gegeben hat, die der nahekommt, die ich für Sie empfinde« … er bemerkt dann, dass Vorsicht geboten sei, sonst würde er »kühne Wege finden, sie wiederzusehen«,  … »und doch so grosse Vorsicht, wie ich sie bisher geübt, verträgt sich nicht mit einer Leidenschaft, wie die meinige« … »Schreibe mir,« – er fällt in diesen Briefen oft ins du, halb mag es Sprachfehler sein, halb heimliche Gewohnheit – »schreibe mir, ich bitte Sie, ob ich Sie wiedersehen werde und wann, denn das kann nicht so fortgehen. Ja, ich versichere Sie, es wird sein, und müsste ich darüber zugrunde gehen …« und mit leidenschaftlichem Dank für ihre zärtlichen Worte, beschwört er die Königin, ihm nicht so viel Liebes zu schreiben, »denn besser wäre es vielleicht für meine Ruhe, wenn Sie gar nicht schrieben oder in kälterem Ton! Sagen Sie mir lieber, Sie denken meiner nicht mehr – das würde mich heilen, stolz wie ich bin – aber nein, tun Sie es nicht – lieber den Tod als solches Unglück!« und mit gewandter Schmeichelei: »die Briefe der Spanier, die Sie kennen, sind schöner als die von Balzac und Voiture, mich wenigstens ergreifen sie mehr!« … »Ich schliesse, trotz der Wonne, die mir das Schreiben bereitet, aus Furcht, Sie zu langweilen, aber, ich sage nur bis morgen Lebewohl – bleiben Sie immer symbol, der Freund wird Symbol bis zum Tode sein!«

Im Juli schreibt er: »wenn er 22 wiedersehen könnte, würde er gern auf alles verzichten.« »Seien Sie gewiss: 26 wird sich rächen und wird Zabaot wiedersehen, und sollte er in tausend Stücke zerrissen werden!« Sobald er »in seinen Qualen und Sorgen, wenn sie am heftigsten sind, irgend einen der Briefe von 22. die er absichtlich beiseite gelegt, vornimmt, und gewisse Stellen kaum liest, so ist augenblicklich alles gut.« »Sehen Sie, welche Kraft ein Stück Papier hat, und was man von der Hand erwarten muss, die es beschrieben, und auch nur vom kleinen Finger!« In dem gleichen Brief findet er es »grausam von Seraphin, ihm von einem bestimmten Ort zu sprechen, an dem er die Personen, die im Dienst von 26 stehen, empfängt, ohne ihm zugleich die Mittel anzugeben, dass er ihn an diesem Orte treffe … denn das sind Dinge, über die man sterben könnte!«

Mit den Liebesbeteuerungen wechseln Vorwürfe. Schon im ersten Brief: »Ich habe vielleicht unrecht, und dann bitte ich um Verzeihung, aber ich glaube, an Ihrer Stelle hätte ich schon viel getan, um dem Freund die Möglichkeit zu geben, mich wiederzusehen …« um freilich auf der nächsten Seite zu widerrufen: »Ah! wie ungerecht bin ich, zu sagen, dass Ihre Neigung der meinen nicht vergleichbar sei! Ich bitte um Verzeihung und beteuere, dass Sie in einem Augenblick mehr für mich tun, als ich für Sie in hundert Jahren tun könnte!« Bisweilen bricht die gereizte Heftigkeit des schwer kämpfenden überarbeiteten Mannes durch: am 12. Mai, dem Tag darauf, schreibt er zornig: »Sie antworten mir nie auf meine Fragen; Sie überlassen das dem »Korrespondenten« (vermutlich ist Lionne gemeint), der mir nur sagt, was ihm gut dünkt und mich offenbar für ein Kind hält.« Er beschwert sich darüber, »dass zwei Worte von 68 (Lyonne) und 58 (Servien) alles verderben, was er anordnet; und er dürfte doch der Fähigere sein!«

Aber solche Stellen, die die Frau unglücklich machten, sind selten. Mazarin traute niemandem und er schreibt einmal, er sei in Sorge über ein Wort, das 27 (die Chevreuse) gesprochen, und das er durch »Gabriel« (die Kurprinzessin) erfahren: dass die Neigungen »Zabaots« (der Königin), also auch die für »den Himmel« (Mazarin), den achtzehnten Monat nicht überdauern würden. Er bittet sie, »ihm zu schreiben, was sie von der Ansicht von 27 hält«.

Die Antworten der Königin aus diesem Jahr sind uns nicht erhalten. Aber wir haben elf Briefe aus etwas späterer Zeit, und sie sagen genug.

Die Königin schreibt ihm am 26. Januar 1653, – der Kardinal war bei der Armee –: »Ich weiss nicht, wann ich Ihre Rückkehr erwarten kann … aber ich ertrage die Verspätung mit Ungeduld, und wenn 16« – das ist Mazarin – »wüsste, was ich darunter leide, es würde ihn rühren. Ich leide im Augenblick so sehr, dass ich nicht die Kraft habe, mehr zu schreiben und nicht weiss, was ich rede …« Sie schreibt ihm oft mehrmals am selben Tag und versichert ihm am 28., dass »15«, – sie, die Königin – »keine andern Wünsche hat, noch haben kann, als 16 zu gefallen und ihm zu beweisen, dass die Freundschaft, die 22« – wiederum sie selbst – »für 16 empfindet, auf der Welt nicht ihresgleichen hat, und dass 15 keine Ruhe finden wird, bevor sie nicht weiss, dass 16 mit dem, was sie getan, nicht unzufrieden ist«. Mazarin hatte einen politischen Schritt, den sie dem Parlament gegenüber getan, missbilligt. Die ganze Zerknirschung einer liebenden und verliebten Frau liegt in ihren Worten. Und sie schliesst den Brief mit der Versicherung: »Alles, was 15 jemals haben und besitzen kann, wird immer mehr 16 gehören als ihm selber. Sie müssen das glauben, da Sie wissen, wie stark symbol ist. Ich würde noch mehr sagen, aber ich fürchte, Sie durch einen so langen Brief zu belästigen, und obschon es mich froh macht, Ihnen zu schreiben, quält es mich doch so, dass dies noch immer andauert, dass ich lieber anders mit Ihnen verkehren möchte. Darüber sage ich nichts, denn ich fürchte, über dieses Thema würde ich nicht allzu vernünftig reden!«

Ob, was Mazarin schrieb, Liebe war, oder nur Mittel, sich die der Königin zu erhalten, wird nie jemand entscheiden können. Aber die Königin war aufrichtig. Sie war vierundfünfzig Jahre alt, als sie diese Briefe schrieb, der Kardinal ein Jahr jünger.

Wunderlich wirken die Stellen, in denen vom König die Rede ist. Schon in jenem ersten Brief vom 11. Mai 1651 schrieb Mazarin: »Alles, was Sie mir von ›dem Vertrauten‹ schreiben, entzückt mich, und ich glaube fest, er wird uns Freude machen.« Im Juli bittet er die Königin: »sie möge mit dem ›Vertrauten‹ ein Viertelstündchen von 26 sprechen und ihn tausendmal küssen!« Er »weiss wohl, dass er Geduld haben muss, dass die Interessen der ›Barke‹ nicht gestatten, Schritte für ihn zu tun«. In einem Brief vom 8. August hatte er geschrieben: »Wenn es zum Vorteil des ›Vaters‹ von 21« – das ist der König – »nötig ist, H.« – Mazarin – »zu opfern, so müsste man es tun, und er wäre entzückt davon.« Der Deckname ›Vater‹ hat einen noch ungeklärten Sinn, aber er kann hier wohl nur das Königreich, wahrscheinlicher noch die Königin bedeuten. Dies scheint mir aus einer Stelle in jenem Brief vom 8. Juli hervorzugehen, in dem es heisst:

»Sagen Sie dem ›Vater‹, 26 wäre entzückt, drei Tage mit ihm zusammen sein zu dürfen, dürfte er gleich in dieser Zeit weder essen noch trinken, noch schlafen; der Arme würde wohl daran sterben, denn seine Gesundheit ist schwach; der Geist jedoch ist in sehr guter Verfassung.«

Als er die Grenze überschritten hatte, schrieb er der Königin: »Entweder geht alles zu Grunde, oder ich sehe Sie in vierzehn Tagen. Ich bin ausser mir, indem ich das schreibe. Denken Sie doch daran, ich bitte Sie, was geschehen wird, wenn 26 22 wiedersieht!«

Die Hofleute hatten recht, sich an jenem Abend in Poitiers zurückzuziehen, denn eine lang getrennte Familie war wieder vereinigt.


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