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Fünftes Buch
Mazarins Sieg

Siehe Bildunterschrift

Mazarin,
Zeichnung und Stich von Nanteuil aus dem Jahr 1658 im Berliner Kupferstichkabinett.

Erstes Kapitel
Mazarins Rückkehr

Als im Kronrat die Frage erwogen wurde, wohin der Hof gehen sollte, da Condés Partei und seine Truppen im Süden und im Norden drohten, und die Nähe des Königs Führer wie Mannschaften befeuerte, trat die Königin dafür ein, unverzüglich nach dem Norden aufzubrechen. Ihre wirklichen Gründe, die sie nicht mitteilte, waren so einfach und klar, dass wenige sich darüber täuschten: dieser Zug hätte sie in Mazarins Nähe geführt. Ebenderselbe Grund bewog Châteauneuf, sich für den andern Weg zu erklären, und man folgte seiner Meinung, weil im Norden der Marschall von Aumont die Truppen Condés, die der Graf Tavannes führte, geschlagen hatte. Mit heisser Sehnsucht erwartete die Königin den Tag der Reise, auch wenn es nach Süden ging. Noch am 11. August hatte Mazarin geschrieben: »Ich zittere, solange ich den König und die Königin noch in Paris weiss« und: »Die Armeen sind durchaus für Ihre Majestäten.«

Nichts rührte sich in Paris, als der Hof die Stadt verliess.

Ausser sich vor Freude über das kriegerische Erlebnis zog der König mit einer kleinen Armee südwärts. Der Prinz von Conti, der Herzog von Nemours und die Frau von Longueville standen in Bourges und verliessen die Stadt, als der König anrückte. Von dort wurde am 8. Oktober ans Pariser Parlament eine Deklaration geschickt, in der die Prinzen und ihre Anhänger für Majestätsverbrecher erklärt wurden.

In Paris waren für die Regierung La Vieuville und Matthieu Molé geblieben, der nun zugleich Minister und erster Präsident des Parlaments war. Der Herzog von Orléans und die Führer der Fronde waren in ausserordentlicher Verlegenheit. Retz war der erste, der die begangene »Bévue« – es ist sein eigenes Wort – einsah. Scheinbar hatte er sein nächstes Ziel erreicht: am 21. September war er für den Kardinalshut nominiert worden; aber er fühlte irgendwie, dass dieser langersehnte und endlich erreichte Glanz nicht mehr die Bedeutung hatte, die er für ihn hätte haben sollen. Auch der Marquis von La Vieuville sagte ihm, sie wären alle Mazarin aufgesessen. Von Zorn hingerissen, durch Scheinvorteile gelockt, hatten sie den Prinzen gestürzt, waren die Bundesgenossen des Hofes geworden und bestanden eigentlich als Partei nicht mehr. Mazarin schrieb in diesen Tagen nach Rom an den französischen Gesandten, den Bailly von Valençay: »Sie werden den Herrn Koadjutor nicht mehr zu meinen Feinden zählen, denn wir sind sehr gut miteinander. Es ist wohl ausserordentlich, aber in Frankreich hat man solche Fälle schon gesehen.« Er konnte das schreiben: die anderen hatten für ihn die Kastanien aus dem Feuer geholt, und er hatte sie kompromittiert; der Eiertanz des Koadjutors für den Hof und gegen den Kardinal war von zu vielen durchschaut worden. Retz erkannte, plötzlich ins Leere greifend, den Fehler, aber er sah ihn wesentlich darin, dass man den König und die Königin aus Paris gelassen hatte. Niemand kann sagen, ob ein Versuch, diese Abreise zu hindern, noch gelungen wäre. Damals, als er die Königin in jenen geheimen Unterredungen durch Geist und Witz gewonnen zu haben glaubte, da war er, getäuscht, ihr ins Netz gegangen; der Kluge war, wie mancher Kluge vor ihm, durch seine grosse Eitelkeit der im Grunde beschränkten Frau aufgesessen. Während er sie betört zu haben glaubte, hatte sie der Motteville gesagt: »J'ai horreur de cet homme!«

Er machte einen Versuch, Monsieur zur Bildung einer grossen »dritten Partei« zu bewegen; aber das war phantastisch, und er selbst begriff, dass es die Fähigkeiten des kläglichen Prinzen weit überstieg. In ganz anderer Art, wenn Retz ein Mirabeau gewesen wäre, hätte dies möglicherweise gelingen können; denn noch wartete alles auf die Generalstände. Condé forderte sie in Briefen, und Mazarin, der die ganze Gefahr für die Autokratie erkannte, warnte davor, wie er es immer getan; vielleicht in Sorge, Anna von Österreich könnte sich doch verleiten lassen, das so feierlich dem Adel Frankreichs verpfändete Wort zu halten, schrieb er noch am 5. November, die Königin solle nur um Gotteswillen nicht die Versammlung der Generalstände dulden. Denn die Wahlen waren ausgeschrieben, waren in den Provinzen vollzogen, die »Cahiers de doléance« verfasst worden, aber die Deputierten, die am 8. September dem festgesetzten und versprochenen Tage, in Tours erschienen, wurden mit Schimpf nach Hause geschickt.

Da Monsieur sich zu nichts entschloss, fragte ihn Retz eines Tages in den Tuileriengärten, was er tun werde, wenn Mazarin Sieger, der Prinz verjagt oder versöhnt sein würde. »Ich werde immer ein Fils de France sein,« sagte der Herzog »und Sie Kardinal!« »Ja!« erwiderte Retz, »Sie werden Fils de France in Blois sein, und ich Kardinal auf der Festung von Vincennes!«

Mehr als durch Retz liess Monsieur sich in diesen Tagen durch Chavigny beraten, mit dem er sich ausgesöhnt hatte, und der nach wie vor Condés Parteigänger war. Darum forderte er am 7. Oktober vom Parlament Vollmacht, mit Condé Verhandlungen zu führen; aber Molé setzte durch, dass das Parlament diesen Wunsch des Herzogs lediglich dem König zu empfehlen beschloss. Monsieur ward darüber ausserordentlich erbittert, und als die Deklaration von Bourges kam, widersetzte er sich heftig der Registrierung, beklagte sich darüber, dass man einen so wichtigen Akt nicht erst ihm vorgelegt, und verlangte überhaupt mehr Rücksicht und Achtung vor dem königlichen Blut. Aber auch der erste Präsident war nicht in milder Laune und erwiderte, es »sei gewiss ein grosses Unglück, wenn Prinzen vom Geblüt zu solchen Deklarationen Anlass gäben; aber dieses Unglück sei in Frankreich nicht neu: man könne sagen, seit fünf Jahrhunderten seien die Prinzen des königlichen Hauses die Geissel der Völker und die Feinde der Monarchie«. Die Beratungen über die Deklaration zogen sich bis zum 4. Dezember hin, und die Ereignisse gingen indessen weiter.

Condé hatte in der Tat Verhandlungen angeknüpft, auch mit Mazarin – durch eine Dame, Frau von Puizieux, eine intime Freundin der Königin und eine der geistvollsten Frauen der Zeit. Es ist schwer zu erkennen, wer bei diesen Verhandlungen den anderen täuschen und hinhalten wollte; vermutlich Mazarin den Prinzen; vielleicht geschah es nur, weil bei den halben Gesinnungen und halben Leidenschaften dieser Tage eben immer verhandelt wurde, und weil die Damen die Politik, die sie so durchaus persönlich behandelten, viel zu interessant fanden, um sich nicht irgendwie einzumischen. Aber der Prinz hatte einen Grund mehr: ihm war bei diesem leichtfertig heraufbeschworenen Bürgerkrieg nicht wohl zu Mut. Trotzdem waren seine Vorbereitungen energisch und umfassend. Sein treuer Rat Lenet war schon seit dem 2. Oktober in Spanien und schloss dort die Verträge ab, die nachmals in seinen Memoiren veröffentlicht wurden. Und da den schamlosesten Staatsaktionen immer ein erlogener sittlicher Zweck vorgeschoben wird, weil alle Mächte der Welt mit dem Eindruck des Worts rechnen, und die Wahrheit fast immer furchtbar wäre, so war auch nach diesen Verträgen nicht der Aufruhr sondern nur »der Wunsch, der Welt den Frieden zu geben«, für Seine Hoheit wie für Seine katholische Majestät die Veranlassung ihres Bundes: nur für »dieses hohe Ziel« ward weiter gekämpft und verwüstet. Die Herren von Barrière und Cugnac verhandelten für den Prinzen in England mit Cromwell, der schon im Vorjahr Sir Henry Vane nach Frankreich geschickt hatte, um mit den Führern der Fronde Fühlung zu nehmen. Er schickte später einen gewissen Stoope als Vertrauensmann zu Condé. Die Engländer und ebenso die Spanier sollten einen französischen Hafen eingeräumt bekommen; phantastische und unpatriotische Pläne wurden entworfen; und wenn er die Wirrsal und Aufregung des leidenschaftlichen Prinzen und seiner Umgebung sah und all ihre unüberlegten und hochfliegenden Reden hörte, mag der nüchterne Engländer in der Tat über den Politiker Condé das harte Urteil ausgesprochen haben, das der Bischof Burnet berichtet: »Stultus est et garrulus et venditur a suis Cardinali«. So mochte auch Mazarin über den Prinzen denken.

Im Süden ging der Statthalter von Katalonien, der Graf von Marsin, von jeher sein Anhänger, mit vier Regimentern zu dem Prinzen über. Der Oberst eines dieser Regimenter war der Deutsche Balthazar von Simmern – dem Ursprung seines Hauses nach ein Prager – der in der Guyenne ein gefürchteter Reiterführer war und die Kämpfe dort in seinen Memoiren geschildert hat. Condé hatte in diesen Kämpfen kein Glück. Eine spanische Flotte nahm wohl einige Küstenplätze, der Baron von Wattenwyl, einer der tüchtigsten spanischen Offiziere, brachte 400 000 Livres und reichliche Munition nach Bordeaux, aber die neu ausgehobenen Truppen hielten nicht stand; der dicke Graf von Harcourt, der Mann mit der Perle im Haar, über den er in seinen Briefen spottete, schlug an der Spitze derselben alten Regimenter, die Condé so oft geführt hatte, jetzt den grösseren Feldherrn vor Cognac, das er belagerte, und am 30. November entscheidend bei Tonnay-Charente. La Rochefoucaulds Oheim, der Baron von Estissac, der auf königlicher Seite kämpfte, entsetzte La Rochelle, das Daugnon bedrohte. Bis tief in den Winter dauerten die Kämpfe; ob Condé weit kühner und genialer operierte als die königlichen Führer, er musste im Norden von Harcourt, im Südwesten von Saint-Luc bedrängt, nach halben Erfolgen sich unter bitteren Verlusten auf ein immer engeres Gebiet um Bordeaux zurückziehen.

Indessen tat Mazarin den Schritt, der bewies, wie zäh und gierig er sich an die ihm genommene Macht klammerte, der aber jedenfalls einer der kühnsten und energischesten seines Lebens war. Schon seit längerer Zeit hatte er seine Vorbereitungen getroffen, hatte Gelder flüssig gemacht; sein stetes Jammern war ein Mittel mehr gewesen, möglichst viel in die Hände zu bekommen; Agenten waren mehr als je, Offiziere waren verkleidet auf Schloss Brühl gewesen, das Mazarin im Oktober verliess, um sich nach Huy an der Maas zu begeben, wo er der französischen Grenze näher war. Von da schrieb er am 22. Oktober dem General Fabert, der wohl schon vorher darum gewusst, sein Geheimnis: seit Wochen hatte er Verhandlungen mit dem Grafen Waldeck geführt, der in brandenburgischen Diensten stand, und einen Vertrag mit ihm geschlossen, und dieser hatte mit Zustimmung des Kurfürsten Truppen für ihn in Sold genommen, die der Kurfürst eben entliess: fünf Infanterieregimenter von je 800 und drei Kavallerieregimenter von zusammen 1000 Mann; er bemerkt, dass diese acht Regimenter ihn 110 000 Taler kosteten. Auch nach anderen Seiten wies er grosse Summen an; einer seiner Agenten, ein Herr von Gravelle, führte ihm aus den Rheingegenden Leute zu: »Gravelle sagt, es sind alte Truppen, Hessen und Schweden,« schreibt er am 30. Oktober, »schönere gibt es nicht. Aber teuer! Man muss jedem Reiter täglich einen halben Reichstaler geben und jedem Fussoldaten monatlich einen Reichstaler.«

Mit den ihm ergebenen Kommandanten der Grenzfestungen war er die ganze Zeit hindurch in Verbindung gestanden; er benachrichtigte sie von gefährlichen Bewegungen der spanischen Truppen, die er in Erfahrung gebracht, so dass sie ihre Vorkehrungen treffen konnten. Er wusste, dass er bei ihnen nicht Widerstand, sondern Hilfe finden würde. Von Fabert bat er sich Kanonen aus. Der Marschall von Hocquincourt in Peronne, der neben La Ferté zum Anführer seines Heeres bestimmt war, konnte sich vor Freuden nicht lassen, dass es endlich »losgehen« sollte; der wilde Marquis war so laut in seiner Freude, dass Mazarin ihn warnen musste. Weislich wollte der Kardinal durch einen Befehl gedeckt sein, ehe er die Grenze überschritt; und er brauchte den Wunsch nur auszusprechen: am 6. November überbrachte ihm der Leutnant seiner Gendarmen, Balthasar de la Cardonnière, aus Poitiers, wo der Hof sich befand, ein Schreiben des Königs und der Königin, in dem ihm befohlen wurde, so rasch als möglich zurückzukehren.

Dieser geheime Befehl und andere, die dank der Ungeduld der Königin in rascher Folge durch die Agenten Bartet und Milet geschrieben oder überbracht wurden, erfreuten den Kardinal, aber sie genügten ihm nicht. In Briefen an seine Freunde berief er sich darauf, aber vor dem Lande und vor dem Parlament wollte er durch einen förmlicheren, von einem Staatsekretär gegengezeichneten Befehl gerechtfertigt sein. Während Gerüchte von seiner nahen Rückkehr Paris bereits in Aufregung setzten, beriet die Königin mit ihren Ministern über den Schritt, den sie in ihrem Herzen längst entschieden hatte. Dem alten Châteauneuf konnte sie keine vernichtendere Mitteilung machen. »Die Rückkehr des Kardinals würde alles Erreichte umstürzen,« sagte er, »würde den ganzen Hass wieder aufbrechen lassen, Aufruhr und Blutvergiessen würden die Folge sein; man müsse Zeit verstreichen lassen, bis das Volk sich völlig beruhigt, die Macht der Krone fester begründet sei.« Viele, die den Mantel nach dem Winde hängten, wie der Marschall von Villeroi, stimmten ihm bei. Der Stallmeister von Beringhen stand mit Chavigny in Verbindung, der gleichfalls noch immer hoffte, durch irgendeine unberechenbare Umwälzung erster Minister zu werden. Andere waren alte Gegner des Kardinals. Manche mochten ehrliche Furcht vor den Folgen hegen. Der Abbé von Beaumont, der Lehrer des Königs, der indessen Bischof von Rodez geworden war, sprach sich gegen seine Rückkehr aus; es hätte ihn beinahe seine Stellung gekostet. Des Königs Beichtvater, der Jesuitenpater Paulin, war vorsichtiger. »Sunt qui adventum tuum volebant aliquanto serius,« schrieb er im Januar, als Mazarin wirklich kam, »eos noli damnare: vicere qui maturius.« Der ganze Hof erörterte die eine grosse Frage: die Königin wendete sich an alle, und man mag denken, da sie sich gut verstellte und nur das Staatswohl zu erwägen schien, in welchen Nöten sich alte und junge Höflinge befanden, wieviel Rücksichten sie zu bedenken, wieviel verborgene Absichten sie zu erraten suchten. Der Marschall du Plessis-Praslin sagte ihr, was sie gern hörte: vielleicht würde es Unruhen infolge der Rückkehr des Kardinals geben, aber in vier Monaten werde es damit vorbei sein; sie möge nur fest nach ihrem Willen handeln. Du Plessis-Praslin war einer der loyalen, der Königin unbedingt ergebenen, der Regierung unbedingt gehorsamen Offiziere, die sich um die Politik nicht kümmerten; zudem hatte er seine Karriere an den Erfolg des Kardinals geknüpft; wetterwendisch zu sein, lag nicht in seiner Art, wenn er auch in der Schmeichelei weit ging. »Kommen Sie!« schrieb er dem Kardinal, »alle Ihre Freunde werden eher sterben, als Sie im Stich lassen!« und: »Wir zählen die Stunden: sie scheinen mir lang wie einem Liebenden, der seine Geliebte erwartet!« Er erwartete eine Statthalterschaft.

Der kleine Hof zu Poitiers war in grösster Aufregung, und als die Ereignisse sich zu verdichten schienen, ward den Ministern, die sich lau gezeigt hatten, bange. »Wenn ihr glaubt, die Rückkehr des Kardinals sei gegen des Königs Interesse, so sagt es; wenn ihr andere Gründe habt, warum verstellt ihr euch?« sagte Loménie de Brienne zu Châteauneuf und Villeroy; wenigstens behauptet er so gesprochen zu haben; die anderen beiden hätten gelacht, und er hätte ihnen weiter gesagt: »Zuletzt werdet doch ihr die Gefoppten sein, für wie fein ihr euch haltet, ihr werdet ihn nicht hindern: eines Tages wird die Königin mich rufen lassen, und mit meiner Feder werde ich die Rückberufungsorder schreiben!« Brienne war damals sehr unbehaglich zumute, wenn er seines dringenden Rats und des königlichen Befehls, nach Rom zu gehen, gedachte, den er dem Kardinal im Sommer geschickt hatte. »Ich musste es doch tun, da die Königin es befahl,« schreibt er in seinen Memoiren, »und er hat es mir bis zum Tode nicht verziehen.« Mazarin erfuhr alles; und er schrieb genau vor, was man jedem einzelnen sagen und was man tun sollte. Du Plessis-Praslin, der Herzog von Mercœur, der seine Nichte geheiratet hatte, und der sehr unbedeutende Prinz Thomas von Savoyen-Carignan wurden zu Mitgliedern des Staatsrats ernannt. Und da der entlassene Le Tellier, der damals in grosser Angst lebte, Bartet könnte an seiner Stelle Staatsekretär werden, ihm gerade einen leidenschaftlich ergebenen und schmerzbewegten Märtyrerbrief schrieb, wurde auch er wieder ins Ministerium berufen. Damit war die Mehrheit für die Rückberufung im Konseil geschaffen. Der junge Herzog von Mercœur, mit dem Mazarin nicht durchaus zufrieden war – »Herrn von Mercœur ist es nicht eingefallen, mich zu besuchen,« schreibt er in einem Brief – und der sich jetzt aus vollkommener Bedeutungslosigkeit, aus bitterer Not des Herzens und der Tasche plötzlich in den Kronrat berufen sah, weil Mazarin eine Stimme brauchte, war überstolz; naiv und treu gesinnt, wie er war, erklärte er allem Widerstand gegenüber laut, dass »Seine Eminenz Freunde hätte, die einen Degen führten!« Brienne, dem die Bemerkung galt oder der sie auf sich bezog, und der im Leben, wie in seinen Memoiren, einen verdrossenen Stolz zeigte und, wenn man ihm nahetrat, gleichfalls gern an den Degen schlug, antwortete: »Drohungen fürchte er nicht, und er habe sein Glück nicht durch den Kardinal gemacht.« »Aber,« fährt er fort, »Herr von Mercœur verstand mich nicht oder wollte mich nicht verstehen.«

Es kam, wie Brienne vorausgesagt hatte: mit seiner Feder fertigte er den Befehl aus und gegenzeichnete ihn. Mazarin selbst hatte ihn entworfen, und vor allem die letzte »erzwungene« Deklaration vom 5. September wurde darin widerrufen und bedauert.

Aber die notwendigen Vorbereitungen und all die Hindernisse, die sich immer und überall ergeben, hielten den Kardinal noch mehrere Wochen auf. Immer noch gingen wichtige Sendungen verloren: am 3.Dezember, inmitten seiner frohen Erwartungen, schreibt er an Fabert: »Die ganze Wäsche meiner Nichte von Mercœur ist verloren gegangen, die vor zwei oder drei Jahren angefertigt wurde und über 12 000 Taler gekostet hat!« Noch betrübter als ihr rechnender Oheim war Laura Victoria selbst.

Endlich war der Tag da, an dem die kleine Armee zum Einmarsch in Frankreich bereit war. Von Anfang an war es sein begreiflicher Wunsch gewesen, seine Rückkehr durch irgend eine unerwartete und glänzende Leistung dem französischen Volk genehm zu machen; er hatte Vollmacht begehrt, mit den Spaniern Frieden zu schliessen, und da diese Aussicht sich gering erwies, wäre er gern als Feldherr nach einer siegreichen Schlacht gekommen. Dass überhaupt eine Armee in grünen Schärpen durch die Ardennen südwärts rückte – Schärpen unterschieden damals, da es noch wenig feste Uniformen gab, Regimenter und Parteien: die königlichen Truppen führten weisse, die Spanier rote, Orléans blaue, die Anhänger Condés isabellenfarbene Feldbinden –, dass ein Heer unter seinen Zeichen – grün war die Livree seiner Dienerschaft – im Felde stand, erfüllte sein ehrgieriges Herz mit stolzer Freude. Von Bouillon, hart an der Grenze, sandte der Kardinal am 23. Dezember ein Schreiben an den König: »Sire, bei den Wohltaten, die ich dem seligen König glorreichen Angedenkens und Ihnen schulde,« begann es, »bei den Sorgen, die Ew. Majestät durch zwei grosse Kriege auf sich lasten hat, müsste ich mich schämen, wenn ich müssig in der Einsamkeit bliebe, während das Reich von innen und aussen erschüttert ist … Ich weiss, mein Bann war ein erzwungener, aber ich ging ans andere Rheinufer, um zu sehen, ob nach meiner Entfernung Frieden und Glück einkehren, in den Finanzen Überfluss herrschen, das königliche Haus geeint sein würde … Nichts war mir so angenehm, wie diese grosse Hoffnung! Denn ich war immer bereit, mein Interesse dem des Landes zu opfern. Ich habe mich Dieb und Räuber, Geissel der Christenheit, Feind des Staats nennen hören; mein Leben war in Gefahr, und ich habe nicht gemurrt. Ich sehe indessen, wie es wirklich gekommen ist … und jetzt, da die Aufständigen Majestätsverbrecher sind, zwingt meine Leidenschaft für das Wohl des Staats, für die Ehre Ew. Majestät, für die Gerechtigkeit Ihrer Sache, die die Sache Gottes ist, mich zum Handeln … es wäre mir als ein Verbrechen erschienen, wenn ich anders vorginge.

Ich klage gegen niemanden, vielleicht habe ich unschuldig Anlass zum Hasse gegeben  … Mein einziges Ziel ist, mein Leben für Frankreich in die Schanze schlagen zu dürfen, meine einzige Bitte, nachdem man mich solcher Verbrechen bezichtigt, gehört zu werden und das Recht in allen Formen zu finden! … Dann, wenn alles glücklich zu Ende geführt ist, bitte ich in Demut schon jetzt, möge Ew. Majestät einen Ort nennen, an dem ich meine Tage in Ruhe beschliessen und sie damit hinbringen kann, Gott um Segen und Glück für Ew. Majestät anzuflehen!«

Am selben Tage überschritt er mit seinen Regimentern die französische Grenze und rückte am 24. Dezember 1651 in Sedan ein, wo er mit dreifachem Salut aus allen Geschützen empfangen wurde. Von hier sandte er ähnliche Schreiben an alle Parlamente Frankreichs, alle Erzbischöfe und Bischöfe, sowie an viele hervorragende Personen und gab ihnen sein Kommen bekannt. In den folgenden Tagen trafen der Marschall von Hocquincourt, die Generale von Navailles, von Broglie und andere mit ihren Truppen in Sedan ein. Auf die Kunde von seinem Einmarsch boten ihm bald viele Leute ihre Dienste an, so Bussy, der damals im Nivernois kommandierte. Er, Bussy, wie andere Offiziere erhielten auch sehr bald ein Rundschreiben des Königs: »Herr von Bussy-Rabutin: Da mein Vetter, der Kardinal Mazarin, mir angeboten hat, auf seine Kosten eine gute Zahl von Kriegsleuten anzuwerben, um mir in meinen gegenwärtigen Kämpfen zu dienen, und dies Angebot mir sehr willkommen war, habe ich meinem Vetter, dem Herrn von Hocquincourt, Marschall von Frankreich, und einigen Generalen meiner Armee befohlen, ihn auf seinem Marsche zu begleiten und diese Truppen zu kommandieren  … Ich wünsche, dass Sie meine Absichten allen, die unter Ihrem Befehl stehen, bekanntgeben; wollen Sie dafür sorgen, dass keine Aufstände noch Ansammlungen zum Schaden meines Dienstes oder der öffentlichen Ruhe stattfinden und mir über Ihre Vorkehrungen und alles, was sich sonst Bedeutsames ereignet, Bericht erstatten. Sohin bitte ich Gott, Herr von Bussy-Rabutin, dass er Sie in seinem heiligen Schutz behalte! Poitiers, den 14. Januar 1652. Louis-Phélippeaux.« Die letzten Worte sind die übliche Schlussformel aller königlichen Briefe. Wenn also jene Offiziere eigenmächtig gehandelt hatten, so sahen sie sich schnell gerechtfertigt.

Nur eine bedeutsame, damals sicherlich nicht geahnte Unrichtigkeit enthielt das Rundschreiben: während der Kardinal sich am Anblick seines Heeres erfreute, entsetzte sich sein sparsamer Vermögensverwalter Colbert über die ungeheuren Ausgaben. Mazarin lächelte über den kleinlich kaufmännischen Standpunkt des Mannes; er kannte den Wert seiner Unternehmung und wusste, dass es »manchmal nötig und nützlich ist, das Geld zum Fenster hinauszuwerfen«, aber vielleicht kam er dadurch auf den glänzenden geschäftlichen Gedanken, den er durchführte: er beschloss, dass sein Stolz und seine Begeisterung für die königliche Sache ihn keinen Pfennig kosten sollten: alle Ausgaben für seine Armee wurden als ein Darlehen an den französischen Staat betrachtet, und während er seine hochtönenden Manifeste erliess, sass Colbert in Paris damit beschäftigt, das genaue Verzeichnis der Kosten für den Finanzminister zusammenzustellen.

Fünf Tage war Mazarin in Sedan geblieben. In der Festung unter Faberts verlässlichem Schutz liess er seine Nichten sowie Paolo Mancini zurück; er selbst setzte am 29. Dezember seinen Marsch fort, und die grünen Schärpen, sechs- bis achttausend Mann, erschienen in der Champagne.


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