Heinrich Federer
Jungfer Therese
Heinrich Federer

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26

Wer kennt ein Fest wie den Marthatag von Peraut?

Wie das bimmelt am nächtigfrühen Morgen! Es sind die kleinen Glocken zu oberst im Turm und klingelt wie Kindererwachen: Mutter, Mutter, Mutter Kirche komm, deine Kleinen wollen aufstehen und brauchen dich!

Da kommen sie ja. Nichts als Schritte durch die Dorfstraße, nichts als ein Knarren der vier Portale und in den Kirchenbänken bei den Handkerzlein nichts als ein leises Hüsteln und leises Beten und hie und da auch ein tiefes Aufseufzen.

An den Altären schellt es immerfort zu einem Sanctus oder zu einer Wandlung. Fünf Altäre sind, aber siebenundzwanzig Priester! Und immer hört man ein Dominus vobiscum! oder ein urgewaltiges Per omnia saecula saeculorum! sagen. Und es rauschen durch die drei Gänge gegen den Chor und einen sich an der Kommunionbank zu einem einzigen mächtigen Völkerstrom wohl Tausende, die der Hunger nach dem Ewigen zum Ewigen treibt, wie das Wasser zum Meer. Und zwischenhinein tönt aus einem der Beichtstühle das scharfe Ss oder das breite ischt des Dekans, dem die Stockzähne fehlen, oder vom übereifrigen Pater Kuno das laute, wuchtige: Gelobt sei Jesus Christ!

O Marthatag von Peraut, wo hast du deines gleichen? –

Und was sind das für Perauter! Sie knien auf das harte Beichtschemelchen und schirmen das Gesicht mit dem Hut und fangen tapfer und bescheiden ihre Sünden in einer bäuerlich klaren Übersicht zu erzählen an. Sie haben einen zwei und drei Stunden weiten Weg gehabt bis hieher. Um zwei Uhr sind sie aufgebrochen und haben sich durch feuchte Schluchten und über weiße Bäche aus dem Gebirge hervor gerungen. Sie riechen noch von Harz oder Tann und auch vom Stall und von der Milch. Denn sie haben noch gearbeitet im Tenn, Futter vorgeworfen und Kühe gemolken und haben sogar ihre großen Blechtausen voll von dieser süßen, frischen Milch durch die Nacht ins Festdorf getragen. Und nun beichten und kommunizieren sie mit allen andern. Das ganze heilige Dorf ist auf den Beinen, blüht auf und wirkt, morgens um vier Uhr, bei dämmerigem Himmel, wo sie unten in der Stadt und Ebene noch lang in ihrer dumpfen, feigen Kissenfaulheit trunksüchtig dahindämmern, die Großmäuler des Nachmittags!

Pfarrer Philipp Tur geht auf und nieder an der Kommunionbank mit dem großen Speisekelch und teilt das ewige Brot aus, und jener andere Philippus konnte nicht mehr Freude haben, da er den Viertausenden von den Fischen und Broten gab, und es nie enden wollte, mit den Hungernden nicht und mit dem Vorrat nicht, als dieser Philippus hier bei der Letzung seines Dorfvölkleins. Sieh doch einmal da, der neunundachtzigjährige Franz Müller, vom Weißli herunter, fast gar vom Schnee herab, ist auch da, ein Held! Und alle Buben des Lehrers Giger, ihrer acht, stehen nebeneinander wie eine absteigende Reihe klingender, frischer Orgelpfeifen. Und da sogar der unheimliche Metzgerbursche Faszlo, ein Böhme oder Walach, der wegen einer Stecherei erst aus dem Zuchthaus geschlüpft ist, da kniet er auch. Christus für alle und erst recht für den! – Es trifft ihn just zwischen dem ernsten Doktor Allspach und der alten Präsidentin mit den samtenen Fenstern. Die meisten Österlinge sind da. Ein Lügner, wer sie inskünftig Osterkälber schimpft! Aber einen sucht Philippus umsonst, einen, der ihm Sorge macht, den er hier nie sieht, wo er ihn am liebsten sähe, einen ungewissen, aalglatten, den Laus Tann. Wo ist er nun wieder? Wo will er wieder gebeichtet, wo kommuniziert haben?

Habt ihr schon gesehen einen Sommermorgen langsam durch die Kirchenfenster hereinbrechen? Durch gemalte Kirchenfenster ist es besonders schön. Dann kommt nach Peraut hinauf! Wie die Heiligen leise erstrahlen gleich Sternen, blutrot die Märtyrer und schneeweiß die Agnes und Cäcilia. Habt ihr gesehen, wie die Sonne auf die Fliesen Millionen goldene Flocken wirft, und sahet ihr, wie die Bogen und das Gewölbe sich feierlich erhellen, die Altäre erglitzern, die Seidenfahnen sich leise blähen und das aufgeputzte hübsche Kirchenvolk sich immer dichter in die Stühle drückt? Habt ihr gesehen, wie rotrockige Ministranten immer zahlreicher, als wäre ein Bischof irgendwo nahe, aus den Türen gucken? Habt ihr den Duft des Weihrauchs leise aus der Sakristei quirlen sehen, blaue, sonnenflimmernde Fäden, und droben auf der Empore, habt ihr gehört, wie die Musikanten die ungeduldigen Geigen stimmen, den Ansatz auf der Klarinette schüchtern probieren, und wie es von Notenblättern rauscht?

Immer stolzer entfaltet sich der Marthatag. Jetzt über dem Dach, wie ein Sturm, brechen die großen Glocken mit den kleinen in einen Hymnus aus. San–k–t–aa Marth–aa! rufen die Großen langsam und schwer. Heiliges Marthelchen! gispeln die Kleinen heraus. Aber sie bringen es so ehrerbietig als die Alten. Ein Böllerschuß kracht vom Bruggberg und ein anderer antwortet vom Kronenhügel. Und von fern, fern hört man eine schreitende, sich rasch nähernde Blechmusik. Nun sind auch alle Kerzen am Hochaltar lebendig geworden, die Kanzel prangt in weißer Seide, die Ministranten mit Kerzenstöcken und dem Pfarrer zuhinterst ziehen in langer Zeile durchs Schiff hinunter, den amtierenden Ehrengästen entgegen. Fast unmöglich ist's, sich durch den Menschenknäuel zu winden. Alle Leute blicken jetzt zum Portal hinunter. Da kommen sie, da kommen sie, zuerst die vielen Geistlichen im langen Rock, die Kapuziner mit männlichen Bärten und einem eisgrauen Strick, junge flinke Kapläne, sehr steif und sehr rituell im Gehaben, und altersgraue Herren, die sich bequemer gehen lassen. Aber alle die läßt der Pfarrer mit seinen Ministranten vorbei. Jetzt kommen drei Männer in demütiger und doch sehr feiner Kirchenpracht. Zuerst die zwei Leviten, beides Perauterkapläne, mit langen schwarzen Soutanen und darüber ein fließend weißes, flatterndes Chorhemd, das ihnen die geistlichen Bräute gestickt haben, Spitzen fast bis unter die Ärmel. Nun kommt ein bleicher Jüngling mit roten, übernächtigen Augenlidern und weißen Lippen. Das Haar klebt ihm an der Stirne, die Augen sind fast geschlossen. Er trägt zum Talar und Chorhemd noch eine breite, mit schweren Goldschnörkeln durchspielte, weiße Stola. Er blickt gen Boden und geht müde voran. An seine Linke tritt der Pfarrer, zum Ehrengeleit bis hinauf ins Chor.

Der Ehrenprediger Johannes Keng.

Nur noch einer folgt, der hinterste und würdigste und höchste Kirchenmann, Dekan Bächtold. Er hat das schöne, lilaseidene Domherrenmäntelchen über die magere Schulter und das weiße Hemd geschlagen und schaut mit einer heiligen Lustigkeit aus seinen Knallkirschenaugen ins Volk. Alle Glieder regt er vor Leben beim Marsch. Wie ein Kind ist ihm wohl. Und da nun die Orgel von oben und über dem Dach das gesamte Volk der Glocken einherstürmt und die Böllerschüsse krachen, da erwacht jene Begeisterung in ihm, mit der er einst als Bauernknabe und selbst noch als angehender vaterländischer Rekrut einen Kreuzzug oder einen Türkenkrieg oder auch eine tapfere Mission im obersten Tibet wünschte. Jetzt ist er alt. Alles hat sich in seinem Leben anders verwickelt und gelöst und zuletzt zum Gang an den Perauter Hochaltar verebnet. Aber es freut ihn nun doch, daß man sich bang und mühselig durchs Volk fechten muß, – doch ein wenig Krieg, doch ein bißchen Kreuzfahrermühe, doch ein Gramm Tibetbeschwerde. Aber dann neigt er gleich wieder in so heiligschönem Augenblick sein soldatisches Haupt und betet laut und mit Demut seinen Lieblingsspruch aus dem neunzehnten Psalm: »Hi in curribus et hi in equis, nos autem in nomine Domini Dei nostri invocabimus!«

Doch so prächtig der hohe Greis aussieht, das Volk schaut nicht auf ihn, sondern auf den Bleichen neben dem Seelsorger, den Ehrenprediger. Wie schön das Haar! wie weiß die Stirne! aber wie krank sieht er aus! wie schwach! Doch so sind sie alle, wenn sie durch unsere berühmte Kirche gehen. Sie haben Angst. So ein Gotteshaus, so ein Volk, wer sollte sich da nicht fürchten? Aber wenn sie einmal auf der Kanzel stehen und mit der Hand das Gesimse umfassen und die ersten großen Worte des Evangeliums reden, dann werden aus den scheuen Lämmern brüllende Löwen, und die stillsten sind die gewaltigsten! Wir kennen das, wir Perauter!

In der hinteren Sakristei, wohin nur hier und da ein schriller Trompetenstoß oder ein gar zu starkes Orgeldonnern vom Hochamt von der Kirche draußen noch leis hereindringt, wurde Johannes etwas ruhiger und errang nach und nach eine kleine Sammlung und Herrschaft über sein Gedächtnis. Aber er fühlte einen großen Schrecken vor dem Augenblick, wo der Meßner hereinrufen wird: »Kommen Sie, das Evangeli wird schon gesungen!«

Sein Blick fiel auf den schweren, klotzigen Taufstein. Denn die tief in den Turmsockel gebaute, hintere Sakristei diente als Taufkapelle für die zappeligen Perauter. Auf dem schweren Tonnendeckel stand Johannes der Täufer mit jenem großen, merkwürdigen Finger, der auf das Lamm Gottes zeigt. Unten um die Füße stand: »Illum oportet crescere, me autem minui.« Joh. 3, 30.

Da ward es dem irdischen Johannes hier, als gingen auf einmal diese gedrückten Felswände des Turmes, aber damit auch etwas noch Felsigeres in seinem Innern krachend auseinander und als strömte eine große, weite Helligkeit herein, von oben, von unten, von allen Seiten. O das ist es ja, ich wollte zunehmen und Christus wäre dabei kleiner geworden. Ich Tor! Dem Johannes nach! Ich muß abnehmen, jener muß wachsen! Das heißt wohl, der Prediger muß abnehmen, um den Gepredigten, den heiligen Christ wachsen zu lassen. Der Mensch auf der Kanzel und überall, wo er sonst predigt und lehrt, auch auf dem Papier, o er muß ganz verschwinden hinter dem Logos. Man soll vom Redner nichts mehr, aber dafür den ganzen Christus spüren. Was will ich jetzt verzagt sein, nun da ich anfange, Christum und nichts anderes mehr zu predigen? – – Da ist er ja auch, der Große, der zuerst gesagt hat: Es sei fern von uns, etwas anderes zu predigen als Christum, den Gekreuzigten! – Sei mir gegrüßt, größter aller Prediger, o heiliger Paulus! – –

An den feuchten Wänden waren aus den halberloschenen uralten Bildern der Apostel und großen Kirchenlehrer des Abendlandes nur noch spärliche Reste zu entziffern. So der Bart und die mächtige Glatze des Völkerapostels, der Knauf einer Inful, der rote Hut des heiligen Hieronymus, dann sehr hell und leuchtend eine weiße Taube, wohl über dem Haupt des nicht mehr sichtbaren heiligen Gregorius.

Da kam über den erregten Johannes die ganze Begeisterung seiner Studienjahre, wenn er von den großen Kämpen und Rednern der altchristlichen Tage gelesen und dann über das alte Buch hinausschwärmend nicht mehr sein Elternhaus hinterm Garten und nicht mehr Salat und Rübenbeete um sich und nicht mehr die gewöhnlichen Menschen in der Straße daneben, sondern die Thebais und Alexandrien und die Kanzel von Cäsarea und Konstantinopel erblickte. So sah er jetzt wieder den großen Athanasius, von der lybischen Wüste bis zu den Eichen von Trier sich heroisch mit seinem Christus durchkämpfen. Er hörte den klassisch feinen und warmen Basilius und den hochgemuten, stürmischen Gregor, jenen auf seinem Bischofstuhl mit melodischer Fülle das Sechstagewerk erläutern, diesen in der ersten Patriarchenkirche des Morgenlandes den Gottessohn verteidigen. Er hörte den jungen Chrysostomus von der Nachfolge Christi dem Priester wunderbar rührende Worte sagen. – Christus, Christus! rief es von allen Wänden, aus allen Stukkaturen und aus jedem noch so vergilbten Pinselstrich. Christus, Christus, rief es nun auch aus seinem von altem Schutt und neuem Aufbau bedrängten, heißen Herzen. Christus mein alles!

Und in diesem kleinen Weilchen warf er auch noch das letzte, was er aus der Prunkpredigt hatte behalten wollen, von sich und schuf zum drittenmal eine Marthapredigt. Blitzschnell arbeitete jetzt sein Geist. Ein Plan, eine allgemeine Gliederung lag im Nu klar, und ungezwungen strömte das gläubige, ergriffene Herz sich in die drei Teile aus. Marthas Christentum wäre kein Christentum, wenn es nur an der Geschäftigkeit der Hände und Füße haftete . . . und Marias Christentum wäre auch keines, wenn es nur verstohlen im Herzen steckte. Beides wäre Halbheit. Aber Christus warnt nur vor der einen Halbheit, weil die uns vor allem Tag für Tag im kleinen, staubigen Sorgen der Woche bedroht. Wer aber das Christentum im Herzen trägt, gleich Marien, für den ist keine Not. Er kann es nicht verbergen, so wenig als ein Feuer in hohler Hand. Er muß es zeigen. Es spielt in sein Äußeres hinaus, es brennt ihn an Lippe und Hand, das Evangelium nicht nur zu glauben und inwendig zu fühlen, sondern auch zu reden, zu tun. Ja, seinen Christum zu tun, nicht bloß zu beten. Und darum fürchtet der Herr für Maria mit ihrem Christusherzen nichts, er fürchtet nur für Martha mit ihren Christushänden und Christusfüßen und ihrer ganzen äußern Geschäftigkeit um Christus herum . . . er fürchtet, daß vor lauter äußerer Christlichkeit die innere, wahre . . .

In diesem Moment winkte der Meßner an der Türe: Herr Ehrenprediger! Und Johannes hörte im offenen Chor den Diakon eben singen: »Martha, Martha, sollicita es et turbaris erga plurima . . .« Da ordnete er die Stola und setzte sich das Birett auf und trat ergeben in die weite, gefüllte Kirche hinaus.

Noch einmal befiel ihn die große alte Angst, als er über das Kanzelgesimse in das unermeßliche Volk mit seinen unruhig bewegten Köpfen und seinen tausend zu ihm aufblitzenden Augen hinabsah. Er hob rasch den Blick, aber da glänzten Hunderte und Hunderte von gespannten Gesichtern auf den Seitengalerien und von der Orgelempore auf ihn nieder. Und an den Altarstufen saßen die siebenundzwanzig Priester, und auf seinem Throne, inmitten der Leviten und schimmernd in der goldschweren Kasel, funkelte der Dekan zu ihm auf, und alles wartete und wartete auf das erste Wort dieses bleichen, unbekannten, jungen Mundes.

Da flüchtete sich Johannes ins große Evangelienbuch hinein, grad wie ein zaghafter Vogel in sein Nest, in diese ruhigen und schönen Buchstaben und in diese göttliche Einfalt der bethanischen Episode. Man verstand ihn fast nicht, so leise fing er an. Da hustete er sich die Schwächlichkeit mit einem kräftigen Schuß weg, und jetzt füllte sich die Stimme, Leben und Mut fluteten in sein Gesicht, er ward sicherer, und da er im Exordium das traute Zweijungfernstüblein zu Bethanien schilderte, – er vergaß im Eifer ganz, daß der heilige Lazarus auch sein Bruderteil daran hatte, – und plötzlich Christum von Jerusalem her groß und feierlich und doch gar freundschaftlich eintreten ließ, da fühlte Johannes bestimmt, wie sein Satz sich ins weite Schiff hinausschwang, wie er Melodie gewann und in diese gedrängten Menschen hineintraf und von da einen Widerhall gab; ja, er merkte immer frischer, wie er verstanden wurde und alle Augen und Lippen sich an seinen Mund hefteten. Und da ward er nicht etwa stolz und kam in einen unfrommen Dünkel, sondern in dieser Gesichertheit blühten seine Begeisterung und Poesie auf, wie sie es von einem dürren Papier heraus nie vermocht hätten. Und jetzt war Johannes, ohne es zu wissen, ein wahrhaft großer Prediger auf seine Art. Da ward die brutale Geschäftigkeit eines rein äußerlichen Christentums, ja, eines katholischen Maulheldentums, wie er es keck nannte, mit aller nervösen Heftigkeit, die von gestern und vorgestern in ihm lag, und mit aller Bitterkeit der vergangenen Nacht in ihrer schamlosen Nacktheit enthüllt und totgegeißelt. Da ward der Friede gemalt, wie ihn nur das echte Christentum des Herzens gebe, und es riß alle mit, als Johannes an vielen historischen Größen, aber auch an tagtäglichen Kleinigkeiten zeigte, daß dieser Christus des Herzens aus der stillen Maria heraustritt, heraustreten muß und alles Große unserer Religion vollbringt. Und wie es außer diesem Christus keinen anderen geben kann. –

Und nun ging es in einen dritten, abschließenden Teil über, in ein ergreifendes Lobsingen dieses Christus mitten unter uns allen bethanischen Geschwistern, in eine Hymne auf das tätige Evangelium. Wie ein Zweikampf ward es geschildert: das Unchristliche, das wir immer noch in uns vielleicht aus einer alten Heidenzeit dieser Gaue, vielleicht aus irgendeiner Schuld unseres eigenen Fleisches und ach, auch vom alten Adam her, noch in uns tragen und das sich immer und immer gegen das Ewige sträubt, dieses wahrhaftige Marthateil, das immer schreit: Fürs Irdische! – – Und dann sein gewaltiger Widerpart, das Marienteil, dieser echte, innerliche Christus, dieser himmlische Mensch, der den irdischen in uns nie ausruhen läßt. Welch ein Zweikampf ist das, in jedem anders und in jedem doch der gleiche Streit zwischen dem Marthateil und dem Marienteil. Und er bleibt nicht in der bethanischen Stube, sondern wirbelt sich hinaus ins Öffentliche, ans Amtspult und ins Gewerbe, in die Familiensorgen und in die bürgerlichen Verrichtungen. Und da wird das Idyll gar oft eine große Tragödie. Aber der Kampf muß ausgefochten werden, und nicht anders als mit dem Evangeliumwort von heute.

Und nun kam das letzte Sätzlein vom Abnehmen und Zunehmen, und mit dem Finger gegen das goldene Tabernakeltürchen weisend, rief der Kaplan das Schlußwort: »Wohlan, nehmen wir ab, wir Marthamenschen des Werktags, damit in uns zunimmt die sonntägliche Maria! . . . Nimm ab in uns, o Mensch, der du vom Staub kommst und zum Staub gehst, und nimm zu in uns, o du schönerer, die Himmel erobernder Mensch, der du von dorther bist und dorthin zurück willst, zu Christus in Ewigkeit. Amen!«

Haben wir es nicht gesagt, hieß es unter den alten, erfahrenen Kirchengängern: zuerst schwach zum Umblasen und hernach ein Riese!

Einige Geistliche schoben die Köpfe zusammen und meinten: Nicht üble Stimme, aber schlechter Gestus und im Tropus ein wenig zu frech. Und nichts als Adjektive! Aber begabt, recht hübsch begabt! Weniger Poet wäre mehr Prediger! – – Und der Doktor aus Innsbruck auf dem Diakonsessel dachte: Logik: Note drei, Theologie: Note zwei, Herz: Note eins! Er muß mein Freund werden. Ich verdorre vor Logik. – Aber Dekan Bächtold sagte am Mittagstisch in seinem launigen Toast auf den jungen Ehrenprediger: »Lieber Johannes, diese Predigt vergess' ich nicht. Gestern hab' ich leider den neuen Stil verschimpft. Ich lob' ihn heut. Er ist besser als der alte. Er langweilt nicht. Er trifft das Herz. Er zieht, reißt und wirkt wie etwas Neues! Ich glaub' beinah, daß ich ihn selber schon ein bißchen rede. Und doch ist auch der währschafte, alte Geist in diesem neuen Kleide . . . Ach, wir Alten von Anno 30 und 40, auch du, mein Philippus, sieh, wir müssen in Gottes Namen mit unsern alten Knochen uns auch noch diesen neuen Stil angewöhnen. Sonst wirft uns, wenn noch zwei, drei solcher Johannes am Kanzelgesims auftauchen, der Gnädige Herr ohne Gnade in die Rumpelkammer zu den alten Kerzenstöcken und Karsamstagbildern . . .

Und nun will ich hoffen, daß es recht viele bethanische Stüblein in Peraut gibt . . . in Lachweiler drüben werden sie alle schon evangelisch eingerichtet sein, das ist sonnenklar bei solchem Pfarrer und solchem Kaplan . . .«


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