Heinrich Federer
Jungfer Therese
Heinrich Federer

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8

Bei der Nachricht vom schlau über die Alpen entwischten Jubilar standen die Lachweiler einen Augenblick steif wie Säulen da. Dann in der Zeit, bis man auf zehn zählt, brachten sie es zu einem Achselzucken. Zuletzt sagten sie unter Händereiben: Das hat der hochwürdige Pfiffikus wieder einmal gut gemacht! . . . Und nun lief alles wieder im ruhigen Ticktack der Lachweiler Uhr.

Johannes hatte den Pfarrer zur Station begleitet. Nun kehrte er stolz wie ein Cäsar, wenn kein Pompejus mehr im Plan steht, in sein Dorf zurück. Alleinherrscher! Ah, wenn es jetzt nur glorreiche Arbeit gab! Er sehnte sich nach nächtlichen Versehgängen, nach Schulbesuchen, Vereinssitzungen, nach Debatten mit einem grauen Kirchenfeind, aber auch nach dem lauten Gesprudel des Taufbronnens, nach Sponsalien braver, inniger Brautleute und konnte, bis diese pfarrherrlichen Genüsse an ihn kämen, sich in Krankenbesuch, Predigt, Beichthören und allerhand anderen seelsorgerlichen Arbeiten nicht genug tun. Er strengte sich an, als müßte er nicht für ein Nest von elfhundert Seelen, sondern für ein ganzes Bistum allein aufkommen.

Bald flog eine farbige Karte von den Domzinnen zu Mailand her, dann eine vom schiefen Turm zu Bologna, eine dritte von der Kuppel von Santa Maria da fiore aus Florenz, auf welche Kirchspitzen samt und sonders Herr Cyrill als tapferer Bergpfarrer gestiegen war. Den nächsten Gruß kündete der Hochwürdige vom Kreuzknopf des Peterdomes an.

Am ersten Samstag, als der Kaplan beim Abendtisch dem Pater Kapuziner im Pfarrhaus Gesellschaft leistete, sagte der alte, etwas derbe, aber seelengute Kuttenmann, nachdem er umsonst nach einer Brissago links und rechts geschielt hatte: »Herr Kaplan, ist es wahr, daß Ihre Köchin einen scharfen Zwicker trägt?«

»Nun, und wenn auch?« machte Johannes ruhig.

»Und hohe Absätze an den Stiefeln hat?«

»Gut! Und weiter?«

»Und hie und da so ein Stiefelchen abzieht und über den Hochwürdigen schwingt?«

»Ja, lieber Pater Prediger, das ist alles wahr!« bekannte der Kaplan mit erzwungener Lustigkeit, denn der Spaß gefiel ihm schlecht. »Aber, daß Sie doch ja morgen nicht etwa predigen: Geliebte! Seid scharfen Auges wie der Zwicker der Jungfer Therese . . . erster Teil! . . . und von hartem Stöcklischuhschritt wie sotane Jungfer . . . davon im zweiten Teil! . . . Und wenn der Satan kommt, so haut ihm so einen Stiefel um die Schnauze . . . davon im dritten Teil! . . .«

Der Pater lachte herzlich. Aber Johannes erzählte den Witz brühwarm seiner Haushälterin und hoffte mit einer leisen Schadenfreude, sie werde nun wohl nicht beim Kapuziner beichten.

Jungfer Therese schimpfte auch wirklich: sie könne es nicht begreifen, wie viele Geistliche und insbesonders die braunzipfeligen Kapuziner oft Späße treiben. Daher komme ganz sicher all das häßliche Bilderzeug und wüste Gespötte über die Patres. Da rede man immer von Waschweibern. Ach, die Herren und die bekutteten nicht zuletzt, klatschen auch gern. Was gehe denn ihr Zwicker irgendeinen Menschen etwas an? – Wolle Pater Expedit lieber Gott danken, daß er so tief in den Sechzigern noch immer ohne Augenglas den feinen Druck seines Breviers lesen könne.

Nun war Johannes fast sicher, daß Therese für dies eine Mal bei ihm beichten würde. Er hätte es einerseits ungern. Er wäre befangen. Und doch freute es ihn, seiner Haushälterin einmal in der Gewalt eines Richters und Ratgebers gegenübertreten zu dürfen. Er wollte ihr ein ergreifendes, rührendes Sätzlein über die stille, bescheidene, leise Tugend der Demut und wortlosen Mädchenhaftigkeit stiften und ihr dann als Buße das Stabat mater aufgeben, so eine heilige, herzliche Poesie. Ob das nicht wirkte?

Aber als Johannes die heilige Kommunion ausspendete, da kniete Therese schon an der Bank und klopfte mit Innigkeit an ihre Brust und empfing die schimmernd weiße Hostie mit einer unsagbar einfachen und kunstlosen Andacht. Sie hatte sich also doch verdemütigt und beim Kapuziner gebeichtet. Und mit Ehrfurcht lauschte sie seiner Predigt und zeigte bei seinem Segen tief und dankbar ihr eckiges Haupt. Johannes bewunderte sie. – – –

Nach einigen schweren Regentagen trat eine sengende Hitze ein, und sogleich gab es Husten, Fieber, Kinderkrankheiten, und die alten Bettlägrigen fühlten sich alle zweimal elender als sonst. Der Kaplan lief täglich die ganze Gemeinde ab. Denn er hatte noch keinen erfahrenen Blick, ob der Anfall harmlos oder gefährlich sei. Und den Arzt holte man hierzulande immer viel zu spät. Kam Johannes dann schwitzend und keuchend heim, so gab es Unterricht, Beichten, Predigtstudium und Breviergebet, kurz keine Minute war er ohne Arbeit.

In dieser Zeit berührte der Kaplan keines der klassischen Bücher, die mit welkem Schnitt auf seinem Regal standen. Er machte keine Verse und schlief sich in den goldigsten Sternenschein und in den schwermütigsten Mond so tief und fest wie ein Murmeltierchen. Das alles freute Therese mächtig. Sie bat nun eher, Hochwürden möchten sich schonen, briet ihm zum Abendkaffee die braunsten Kartoffelschnitzel, die man nur sehen kann, schneiderte ihm auch ein seidenes Hauskäppi zuweg und strickte ihm für den hiesigen harten Bergwinter ein ganzes Dutzend doppelmaschiger, wollener Kniestrümpfe.

Sie schien sehr glücklich und immer zufrieden. Wenigstens ihre Brillengläser leuchteten wie zwei Fensterchen an einem Festhäuschen. Alles paßte ihr, wie es kam und ging. Sie fand sich fröhlich in jede Verfügung und war mit allem zufrieden. Wenn nur der Kaplan nicht so eigentümliche Verse machte, wie letzthin auf dem Papierschnitzel, den sie zum Glück abfing und sogleich ins Feuer warf. Was sollte dieser Anfang besagen:

»Die Zeit ist eine alte, süße Marter,
Mit stetem Ammenruf: belieb' er, wart er,
Gedulde sich der kleine Erdensohn – – –?«

Und wenn Johannes ihr nur nichts von Theater und Goethe und den Briefen seines verliebten und verlobten Freundes in der Stadt vorlas! Da hustete und knurrte sie und bog sich tief über ihre Stricknadeln und kehrte ihm den Rücken und sagte schließlich, da der arglose Johannes immer noch nichts merkte: »Ach so, ich muß ja noch den Hühnern Futter geben.«

Jungfer Therese kochte sehr einfach, aber gut und kräftig. Jedesmal, wenn Jungfer Ottilie aus dem Pfarrhof in der Kaplanei gespeist und sich den spitzen Mund abgewischt und allerhöflichst bedankt hatte, sagte sie noch eigens zum Kaplan hinüber: »Hochwürden, Ihre Köchin würde sich bei einem Kardinal als Wirtschafterin Ehre einlegen, ich wette.« Und unter der Türe wandte sie sich nochmals:

»Geben Sie recht acht, daß Ihnen niemand diese goldene Seele wegkapert! – So ein Gleichschwer, wie das vom Sonntag, bringt Ihnen von Zürich bis Basel kein Küchenchef fertig.«

»Gleichschwer? . . . Was ist denn das?« fragte Johannes. Er war am Sonntag leidend gewesen und hatte darum nicht mit dem Kapuziner getafelt.

»Man nimmt gleichviel Butter, gleichviel Eier und Mehl und Zucker und backt das zusammen. Darum heißt die Torte Gleichschwer. Das scheint einfach! Aber es ist doch sehr schwierig. Fräulein Therese freilich . . .«

»Warum nicht gar,« lärmte Therese aufgeräumt, »sie sind mir auch schon völlig mißlungen.«

Dem Kaplan gefiel der Name Gleichschwer. Gleichschwer! Gleichgewicht! Haben wir da nicht das ganze Rezept für ein Musterleben? Soviel Mehl als Zucker, will sagen: soviel Ernst als Humor! . . . Soviel Butter wie Eier, will heißen: soviel Herz als Verstand!

Ecce equilibrum spirituale!

Ist das nicht auch das Ideal meiner Theologie: mich und die anderen ins Gleichgewicht zu bringen? Mit der Dogmatik vom Himmel herab und mit der hilfreichen, menschenfreundlichen Moral von der Erde herauf . . . Und diese Therese macht Gleichschwer! Und ist wohl schon selber eines! So etwas nach allen Teilen Abgewogenes, Kluges, Bestimmtes! . . . So sicher, wie sie durch ihre Gemüsebeete geht, marschiert sie durch die gefüllte Kirche an ihren Kaplaneiplatz. Dann liest und betet und bedenkt sie sich durch zwanzig Blättlein ihres »Himmlischen Vergißmeinnicht!« Schaut sie dann auf . . . von ihrem gekrausten Blumenkohl im Garten . . . oder von den kräftig gedruckten Gebeten ihres Büchleins, so ist es immer der gleiche, helle, zufriedene Blick, weil unser Herrgott unter ihrer Köchinnenhand die Kohlhäupter so fett und blattreich aufwachsen oder weil er sie aus diesen vergilbten Buchseiten eine so fruchtbare und immer so herzstärkende Kost schöpfen läßt.

Öfter beobachtete nun der Kaplan diese Jungfer Gleichschwer, wenn sie vor dem Beichtstuhl des Kapuziners kniete und wartete, bis sie an die Reihe käme. Viele werden dann aufgeregt und sehr unruhig. Andere senken das Gesicht in beide hohle Hände und suchen auf diese Art gesammelt zu bleiben. Und welche möchten am liebsten aus der Bank weit fort ins Getümmel der Menschen entfliehen. In diesem Gelispel und Geflüster und schweren Atmen vor dem Beichtstuhl wird mancher Riese klein wie ein Kind und beneidet den Meßmer am Altar, der so seelenruhig die Blumenstöcke abstäubt und frische lange Kerzen für das Hochamt ansteckt.

Aber Jungfer Therese kniet bolzgerade, legt keine Hand vors Auge, windet, wenn sie mit Erforschung, Reue und Vorsatz fertig ist, einen dickkugeligen Rosenkranz um die Finger und betet fleißig ein Ave nach dem andern ab, bis ihr Nachbar mit rotem Kopf aus dem Beichtstuhl kommt und nun sie hinter dem Vorhängchen verschwindet. Unbeweglich kniet sie dort, und wie sie nach wenigen Minuten herauskommt, ist ihr Gesicht um kein Färblein dunkler, ihr Auge ruhig, ihre Miene voll offener, fester Dankbarkeit. Mit dem üblichen, tapferen, knarrenden Stöcklistiefelschritt, der ihr immer etwas Soldatisches gibt, geht sie geradeswegs auf ihren Köchinnenplatz zu, um dort die auferlegte Buße zu verrichten. Und kehrt sie von da in die Kaplanei zurück, so hat sie keineswegs vergessen, beim Schuhmacher eine Büchse Wichse und beim Krämer Ilsig Zündhölzchen, Sunlightseife und zwei Pfund Nudeln für den Sonntagstisch einzukaufen.

O die hat Gleichgewicht! Begreiflich, daß sie tadellose Gleichschwer bäckt!


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