Heinrich Federer
Jungfer Therese
Heinrich Federer

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2

Noch vor Einbruch der Nacht schellte es am Seminar und eine kleine, aufrechte, viereckige Jungfer mit einer ungewöhnlich steilen Stirne, einer geschwungenen, kühnen Adlernase, einer Hornbrille darauf und mit funkelnden Goldplomben im langen, starken Gebiß, fragte nach dem hochwürdigen Herrn Kaplan Johannes Keng, der eine Haushälterin nach Lachweiler brauche.

Der Hausdiener befahl sie ins Wartezimmer und holte rasch den Kaplan. Verlegen stand Johannes unter der Türe und fühlte einen Schrecken vor dieser energisch auf ihn zurauschenden, kleinen, funkelnden Person durch seine ganze, lange Magerkeit fahren. Ein älteres Raubvogelweibchen, dachte er, oder so was. »Sie wünschen?« fragte er beklommen.

Mit einer lauten, vorblasenden Trompetenstimme sagte das Fräulein bündig: der bischöfliche Diener Joseph habe ihr vor einer halben Stunde gemeldet, daß Hochwürden eine Wirtschafterin brauche. Sie, Therese Legli, sei bereit, diesen Posten zu übernehmen. Großen Lohn verlange sie nicht. Sie habe ein kleines, erspartes Vermögen und sei so weit außer Sorgen. Sie bringe auch eigene Möbel für ihr Zimmer mit und könne allenfalls sogar die Pfarrstube vorläufig mit Vorhängen und einer hübschen, vierfächrigen Kommode ausstatten. Auch einiges Küchengeschirr und einen Petrolapparat besitze sie. Junge Herren seien gewöhnlich mit derlei Dingen nicht sehr praktisch versehen. Sie lächelte bei dieser witzigen Bemerkung. und dieses Lächeln sah aus wie ein Bündel blauer, fröhlich verschossener Raketenblitze. Lange Jahre sei sie Krankenwärterin am Hauptspital gewesen. Nun spüre sie das Alter und wünsche gern ein ruhigeres Leben. Aufs Land zu einem geistlichen Herrn, das wäre ihr das Liebste.

So erzählte sie rasch und mit funkelnden Plomben. Als Johannes nicht gleich ins Gespräch fiel, fuhr sie fort: der Hochwürdige möge sich bis morgen besinnen und ihr dann nach Haslau berichten, wo sie ihren Bruder, einen verheirateten, kinderreichen Bauer besuche. Sie knickste und wollte gehen, da Johannes immer noch stumm blieb. Während sie sprach, hatte sie einen Daumen in den Ledergürtel gesteckt, der hart und breit um ihre steife Hüfte lief. Und sie hatte den jungen Mann vor sich keine Sekunde aus ihren hellen, blauen Blicken entlassen. Wie eine Rechnungsaufgabe, die man lösen soll, hatte sie sein bleiches, knochiges, unschönes Stubengesicht mit den zwei warmen, grauen Augen studiert und dabei war ihre Miene immer milder geworden, je leichter ihr die Lösung dieser Rechnung vorkam. Zuletzt malte sich beinahe etwas Mütterliches in ihrem Gesicht ab. Doch als der Geistliche noch immer kein Wörtlein der Entgegnung fand, klopfte sie energischer mit der Spitze ihres Sonnenschirmes auf das Parkett, knickste nochmals und sagte:

»Überlegen Sie sich's reiflich, Hochwürden, und tun Sie sich keinen Zwang an! Und schreiben Sie mir morgen. Therese Legli, Haslau, . . . das genügt. Und denken Hochwürden ja nicht, daß ich mich aufdrängen will. Nur das nicht! Was heut nicht wird, wird ein andermal. Gelobt sei Jesus Christus!«

Diese prachtvolle Schneidigkeit der Jungfer, so etwas wie famose Überrumpelung und doch voll feiner Taktik, das packte Johannes, wie alles, was seiner mehr defensiven Natur wie eine fremde Größe gegenübertrat. Und wie sie sich nun flink drehte und mit drei festen Schritten schon an der Klinke war! Und wie ihre Stimme noch immer lebendig in den Fenstern, Porträts und Blumenvasen des Wartzimmers nachzuklingen und nachzuzittern schien! Ha, die würde im Dörfchen mit Tellern und Pfannen klirren, die Betten lüften, daß es über die Gassen dampft und rauscht, die Vorhänge knüpfen, daß kein Föhn sie löst, die Stiegen fegen, den Garten pickeln, die Briefe und Pakete von der Post bringen, die würde die dumpfe Ruhe dieser Winkelgemeinde aufscheuchen und in die Plumpheit eines solchen Hinterwäldlerlebens ihre ganze merkwürdige, großstädtische Flinkheit werfen! Die kommt mir wie gerufen. Wie lustig blitzen ihre Augengläser und wie funkelt das Gold an ihren weißen Zähnen. Und welch ein gutes, fließendes Deutsch sie spricht! Sie hat wohl viel Literatur gelesen. Man kann mit ihr an den langen Winterabenden vielleicht über Theater und Oper reden und neben der Legende auch etwas Storm und Gottfried Keller lesen. Dazu hat sie etwas Unabhängiges, Forsches, wie man es wohl im Dorf gegen die Magnaten brauchen kann. Sie schmeichelt nicht. Aber schüttelt einem fest die Rechte. Sie ist einfach großartig.

Nach solchen heftigen und bunten Erwägungen reckte Johannes den Arm und vermochte zu sagen:

»Bitte, noch einen Augenblick, Fräulein Legli!«

»Zu dienen, Hochwürden!«

»Sie verstehen zu kochen . . . und wohl auch zu nähen?« – Es war nur, um doch etwas zu sagen.

»Ich koche alles, wenn Hochwürden mir Geld und Butter dazu geben,« versetzte Therese Legli schlagfertig. »Und meine Kleider mache ich alle selber.«

»Ich bin ein kränklicher Mensch, Fräulein Legli, . . . ich bekomme so Anfälle, hier . . . auf der Brust, und habe dann Mühe zu atmen und . . .«

»Emphysem mit Bronchialkatarrh!« entschied das Fräulein keck und sicher.

»Mag sein, aber es wirft mich für etliche Tage elend nieder und tut sehr weh!«

»Natürlich, der nervus constrictus und rheumatische Konherenzen!« betonte Therese. Ihre Brille glänzte mit unfehlbarer Schärfe.

»Kurz und gut, es dürfte Ihnen am Ende zuviel sein, schon wieder in Spitaldienst zu geraten.«

»Im Gegenteil, Herr Kaplan, ich werde ohnehin Heimweh nach meinen Spitalkranken haben. Sie sind bei mir in guten Händen!«

Ich sollte also wohl krank werden, um ihr das Heimweh zu vertreiben, dachte Johannes. Das muß man sagen, sie redet frisch von der Leber. Aber es ist wertvoll, wenn eine Haushälterin mir in der Atemnot wie ein Doktor helfen kann. Die Lachweiler müssen ja anderthalbstundweit gehen bis zum nächsten Arzt. Vielleicht werden sie darum so alt.

Die Jungfer machte während dieser Betrachtung des Neupriesters eine ungeduldige Bewegung gegen die Türe.

»Ich denke,« sagte nun Johannes laut und entschlossen, »wir könnten uns gleich hier verständigen. Wollen Sie bis Samstag vormittag in Lachweiler sein. Wir werden uns schnell im neuen Heim eingerichtet und ein bißchen aneinander gewöhnt haben. Eins muß dem andern immer ein wenig beistehen, nicht wahr?«

»Hochwürden nehmen mir das Wort von der Zunge,« entgegnete Therese und schloß mit einem mütterlichen Blick auf den Neupriester nochmals die Türe.

Der Bischof hat da die Hand im Spiel, dachte Johannes, es kann also mit dieser Jungfer kaum fehlen.

»Wenn es dem Herrn Kaplan beliebt, so werd' ich schon am Donnerstag im Dorf sein,« erbot sich die Jungfer. Darauf ward abgemacht, daß jeder Teil am Freitag nachmittag mit seinen Siebensachen in Lachweiler einrücken müsse. Bis Abend sei man dann schon zur Not einquartiert und am Sonntag sitze man bereits wie angenagelt fest.

»Kaufen Sie ja nur nicht zu viele Möbel,« warnte Therese, »und alles Nußbaum! Das Holz ist nicht umzubringen.« Sie stand selber da in ihrem soliden Quadrat wie ein nicht durch Pulver und Blei um zubringendes Geschöpf Gottes.

»Schon recht, schon recht,« antwortete der Kaplan. »Also am Freitag nachmittag ins Dorf!«

»Des bestimmtesten!«

Das scholl nun wieder so entschieden, daß der junge Mann eine leise Angst vor dem Pantoffel bekam, von dem man so böse Lieder in neuen Ehestuben, aber auch in jungen Kaplaneien singen hört. Dabei kam ihm ein spaßiger Einfall. Und obwohl er durchaus ernst bleiben wollte, konnte er den Witz doch nicht unterdrücken. So war er einmal.

»Sie heißen Therese, – Fräulein Therese, – haben Sie nicht so gesagt?«

»Jawohl, Herr Kaplan.«

»Dann behüt' mich Gott, wenn Sie nach ihrer berühmten heiligen Kollegin ausschlagen. Diese Frau hat ein Männerkloster nach dem andern umgestaltet und überhaupt ein ziemlich starkes Regiment geführt.«

»Ei, Hochwürden, das war doch einmal in Spanien!«

»Ich mein' eben, es liegt nicht am Land, es liege vielmehr an der scharfen – – Rasse aller dieser Theresien!«

»Keine Furcht,« fiel die Jungfer fröhlich trompetend ein, »ich heiße Theresia Pia Franziska.«

»Nun wird mir um vieles leichter. Wenn die Theresia zu stark werden will, ruf' ich aus Leibeskräften der Pia, nicht wahr?«

»Ich merke, Sie sind ein Spaßvogel.«

Der Kaplan geleitete die neue Köchin zum Seminar hinaus und bis zum Gartentor. Er ging links. Oben zwischen den Geranienstöcken ihrer kleinen Zellenfenster hervor guckten und witzelten die Kameraden über diesen frühen, allzu großen Respekt ihres Johannes vor seinem künftigen Hauskreuz.

Aber am Gitter konnte der Kaplan nicht länger an sich halten und fragte die Jungfer:

»Haben Sie auch etwas Schiller und Goethe gelesen?«

Fräulein Therese machte die Miene von etwas unendlich Überflüssigem.

»Die Braut von Messina,« gestand sie und errötete flüchtig, »habe ich einmal im Theater gesehen, weil man mir sagte, es komme darin ein Kloster vor. Aber dieser Goethe soll ja gar nicht katholisch gewesen sein . . . Also, Hochwürden, auf ein schönes, einträchtiges Leben in Lachweiler! Gelobt sei Jesus Christus!«

Eben läutete man die Tischglocke. Johannes begab sich verwirrt in den Speisesaal. Es war das letzte gemeinsame Nachtessen der Fünfe mit ihrem lieben, sorglichen Regens. Zwei Winter und zwei Sommer hatten sie hier in den Hügeln oberhalb der Stadt gelebt, ohne anders als aus den Büchern zu wissen, was Sorge, Verdruß und Reue sei. Das Tosen der Residenz hatte durch die Buchen und Tannen nicht bis zu ihnen dringen und das kleine Paradies nie verwirren können. Jetzt war es um das heilige Idyll geschehen, jetzt kamen Staub und Lärm und Prosa der Welt!

Zuerst herrschte eine beklommene Feierlichkeit am Tische, besonders als man sah, daß zwei-, dreimal eine verstohlene Träne dem frommen, weichen Regens in die Suppe tropfte. Man redete festtäglich, gelobte sich Besuche, sprach von gothischen Kaseln, neuen praktischen Versehgefäßen, Pfrundbriefen, Kaplanrechten und vom Abonnement der Linzer Quartalschrift. Man lud einander schon als Ehrenprediger auf stattliche Pfarrkanzeln ein, gebärdete sich als Präses eines strammen Vereins, als Täufer nicht eines nackten, roten Kinderköpfleins, sondern eines zum katholischen Glauben bekehrten dreißigjährigen Katechumenen. Immer lebendiger ward das Gespräch und immer heller seine Farbe. Man würde kräftig in Zeitungen schreiben, ein Tagebuch führen, wer weiß, mit später recht druckwerten Kapiteln; in den Ferien einmal wohl an den deutschen Katholikentag oder nach Sankt Peter reisen und darüber vielleicht ein Broschürchen fliegen lassen. Kurzum es stehen wichtige Jahre vor der Türe. Das Leben ist groß, der Mensch stark, alles wird möglich, selbst einmal ein violettes Mäntelchen. – Immer reger und kühner werden die Zungen. Nur Anton mit seinen dicken Lippen ißt gemütlich einen Berg langer, gelber Makkaroni auf und wirft nur selten einen hausbackenen Brocken in die Luftschlösser hinein. Jetzt steigen Toaste. Der erste auf den Regens, der zweite auf die brave Seminarköchin und ihre sparsamen Zückerlein beim Morgenkaffee. Nun auf den Portier und seine zehntausend blank gewichsten, theologischen Stiefel, dann auf die noch unbekannten, aber schon wie nahe, feierliche Wolken drohenden Prinzipale. Zuletzt brachte der kleine Wilhelm Schädler noch einen famosen Spruch auf die neue Haushälterin des Kaplans von Lachweiler aus. Es lebe Theresia, die große Reformerin der Kapläne!

»Es lebe ihr Gespan, Johannes Keng . . . nein, nein . . . Johannes vom Kreuz!« setzte Peter Schorno hinzu.

»Pst, pst!« wehrte der Regens. »Nicht so ungeistlich!«

»Aber sie war doch seine Ratgeberin!« warf man doppelsinnig ein.

»Studieren Sie die Kirchengeschichte besser!« rügte der Regens heiter.

»Und wohl auch sein Hauskreuz!« beendete man unbeirrt.

»Darum sagen wir Johannes vom Kreuz!« sang der Chorus.

»Meine Herren, wollen wir nicht lieber die Komplett beten?« bat der Regens fein.

Und er winkte dem Vorbeter dieser letzten Woche, Michael Feldler, unverzüglich zu beginnen.

»Jube Domne benedicere!«

»Noctem quietam et finem perfectum« – psalmodierte es wie eine leise, heilige Melodie durch die Seele des Kaplans Johannes Keng. »O ja, du lieber Gott, finem perfectum! eine ruhige Nacht und ein seliges Ende!« wiederholte er. »Aber zuerst einen schönen Anfang und eine lange reiche Mitte!«

Der Vorbeter aber rief warnend: »Fratres, sobrii estote et vigilate, quia adversarius vester diabolus tamquam leo rugiens circuit . . .Brüder, seid nüchtern und wachet, weil euer Wiedersacher, der böse Feind, umhergeht wie ein brüllender Löwe . . .«

»Eine lange reiche Mitte, lieber Gott!« lispelte Johannes noch einmal und hörte keinen biblischen Löwen brüllen, sondern etwas wie Vogel- und Kindergezwitscher, wohl fern aus den Nußbäumen von Lachweiler.


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