Heinrich Federer
Jungfer Therese
Heinrich Federer

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13

»Wenn Sie aus der Schule kommen, sind Sie immer so hübsch anzuschauen,« lobte Therese eines Tages und rückte dem heimkehrenden Kaplan den Armstuhl ans Tischchen. »So jung! Ich wollte, Sie sähen immer so aus!«

»Aber davon sagen Sie nichts,« schalt der Geistliche und warf sich mit mühsamem Atem und brennenden Lippen in den Sitz, »daß ich jedesmal nach diesen drei Stunden Unterricht zugrunde gerichtet bin.«

»Nehmen Sie jetzt den Kaffee recht heiß und trinken Sie die zwei Eier aus. Das hilft Ihnen schon wieder auf die Beine! Dieses große kommt von der welschen Henne und hat einen Dotter wie Gold.«

»Während des Unterrichts merke ich nichts vom Staub und der elenden Zimmerluft. Aber nachher, wenn ich . . .« er suchte umsonst den aufsteigenden Hustenreiz niederzuwürgen. »O diese Bande von vertakelten alten Schulräten aus Noahs Archenzeit! Meinen, man solle nun immer so eingeschachelt leben können, wie man damals zur Zeit der Flut mußte. Denen zünd' ich einmal eine helle Kerze an!« – Er hustete dünn und heiser.

»Aber nachher – was wollten Sie sagen, nachher, wenn Sie . . .?«

»Aber nachher, wenn die lieben Schalkgesichter weg und die vielen schönen glänzenden Äuglein mir verloschen sind, dann fühl' ich wieder, wie ich mich überangestrengt habe . . . und . . . und . . . ach, dieser Husten! . . . und ich kann sie zu allem doch nicht in Ruhe halten. Sie lachen, sie laufen um mich herum, wirbeln Staub auf, zupfen mich am Frack und tuscheln sich was über mich ins Ohr. Sie haben keine Disziplin. Aber sie passen wie Tausendäugler auf, wenn ich etwas erkläre, und sie wissen alles!«

»Ja, die Lachweiler!« rühmte Therese und schaute so großartig zum Fenster gegen das Dorf hinaus, als hätte sie es eigenhändig gestern abend nach dem Nachtessen noch schnell erschaffen.

»Der Friedli Zeipel hat beim Abfragen alles fein gekonnt. Dann aber klob er die anderen Buben und zog die vorderen Mädchen an den Zöpfen und riß ihnen die Schleifen auf, kurz, er tat wie ein junges Böcklein!«

»Dem hätt' ich mal einen Hosenspanner nach Noten aufgespielt!« sagte die Jungfer mit einem gefährlichen Blitzen der Gläser. »Sie sind zu gut, zu weich, zu . . .«

»Ich rief ihn vor und wollte ihm eine Tatze aufs samtweiche Pfötchen schwingen. Aber beim ersten Hieb duckte er sich wie ein Kätzlein und der Strich ging daneben. Da ich zum zweiten aushole, stellt sich der Knirps mir lustig vors Gesicht und sagt: ›Sie können mich doch nicht schlagen!‹ – ›Warum etwa nicht?‹ frag' ich. – ›Bin ich doch an der Weihnacht der Engel gsi. –‹

»Na, na, na, na!« machte Therese wunderlich.

»Ich war entwaffnet. Das Bübel stand da wie ein schönes Engelteufelchen. Ich konnt' nicht schlagen, weil ich zum Teufelchen auch den Engel getroffen hätte.«

»Na, na!« brummte Therese weiter.

»Auf einmal ruft ein Mädchen: ›Kapellan, Kapellan!‹

›Was gibt's schon wieder‹

›Der Friedli hat mir Wachs ins Haar gestrichen.‹

›Mir auch, mir auch!‹ zwitschern andere Mädchen hinzu.

›Jetzt stehst du mir da in den Gang hinaus, Kerl!‹ befehl' ich.

Der Zeipel marschiert hinaus lachend vor Unschuld und Liebenswürdigkeit. Aber die Rache der Zöpfe ist damit nicht befriedigt und einer klatscht weiter: ›Herr Kapellan, der Friedli hat meinem Bruder gesagt, er solle nicht beim Pfarrer, er solle immer bei Euch beichten!‹

›Nun, und was gibt es da Böses dabei?‹

›Besonders wenn er Euch Rübli ausgerissen und Johannisbeeren gestohlen habe! Der Pfarrer schimpfe stark. Aber Ihr bleibt lustig und saget nur: Geh und sei fröhlich im Herrn!‹

›Hast du das gesagt?‹ frag' ich den Knirps.

›Jawohl, warum durft' ich etwa nicht?‹ trotzt der Bub mit den blauesten Augen der Welt. Wie ein Ritter stand er da.

Und wieder konnt' ich nicht prügeln. Aber ich hab' mir vorgenommen, nicht mehr zu sagen: Geh und sei fröhlich im Herrn! Die Schlingel übersetzen: Geh und reiß mir wieder ein paar Büschel Johannisbeeren aus!«

»Sie sind zu schwach,« warf jetzt Therese ein. »Ihr Nervus constrictus leidet's nicht. Schicken Sie die Bengel zu mir herauf. Ich bleu' sie durch, daß sie das Feuer im Elsaß sehen.«

»'s ist völlig ein Völklein zum Lachen und Weinen. Sie wissen alle, daß ich nicht schreien kann. Darum schreien nun sie. Dieses heillose Spitzbubenpack! Nun, nun, was wäre die Seelsorge für ein Verdienst, wenn es dabei keine Dornen gäbe!«

Fräulein Legli nickte beifällig zu diesem letzten Worte Johannes'. Ja, sie freute sich insgeheim an seiner müden Stimme, an seinem fiebrigen Kaffeedurst und an dem pfeifenden Husten. Denn das war eben priesterlich. Leiden, sich opfern, ein bißchen Märtyrer sein! Das riß ihn wieder zurück zur Stola, wenn er mit seinen Gedichten und Zeitungen und seinem sonderbaren Quartblattschreiben ihr oft fast aus dem Theologenfrack zu entschlüpfen drohte. Da hatte sie ihn wieder! Und wie herrlich hatte sie ihn!

Der Briefbote klingelte.

»Nein, so auf offener Karte,« schimpfte Therese schon auf der Stiege. »Einem geistlichen Herrn! Ich würde sie handkehrum refüsieren! Gar nicht erst lesen!« wetterte sie zur Tür herein. »Nichts als splitternackte Kinder an einem Haufen, fast wie die Wurstkränze beim Metzger vor dem Fenster!«

Johannes mußte köstlich lachen. »Das ist ja ein großartiges Kunstwerk von Rubens.«

»Ein schönes Kunstwerk, so ein wildes Gofenwesen!«

»Das sind doch die heiligen unschuldigen Kinder.«

»Was?«

»Die unschuldigen Kinder, die hundert und hundert, die Herodes ermordet hat. Da wirbeln sie also lustig um Maria und das göttliche Kind, wie ein frischer Windstoß. Der große Meister hat sie in ihrem zappeligen, kecken, jungen Übermut gemalt, so recht, als wollten sie sich jetzt auskobolden, weil sie auf Erden, mitten im Springen und Lustigsein, so plötzlich vom Messer daran gestört worden sind.«

»Herr Kaplan! Hat dieser Robert . . . oder Ruperts . . .«

»Peter Paul Rubens!«

»Hat er auch etwas geglaubt?«

»Oho! Der war ein guter Katholik, hat bei den Jesuiten gebeichtet und wohl hundert Altarbilder gemalt.«

»Nu, nu,« machte Therese einlenkend, »aber die unschuldigen Kinder kennt er sowenig als unsere Katze da. Ich hab' sie anders gemalt gesehen. Am Hochaltar zu Haslau. Da gehen Sie einmal hin und schauen die Kinder an! Potztausend! Alle in einem weißen Rock! der geht ihnen sauber bis an den Boden. Alle haben eine weiße Rose in der Hand und steigen langsam, langsam, eins hinter dem anderen, mit singendem Mund und die Flügel eng zusammengeschlagen wie die Schmetterlinge, wenn sie auf einer Blume sitzen, – so eng!« – sie schloß ihre groben Handflächen fest gegeneinander, – »so eng zusammen. So stiegen die Kinder von einem Wölklein zum anderen empor, immer höher, und schauten andächtig zum obersten. Das war pures Gold. Und das Christkind winkte ihnen von da mit der Hand: Kommt! Kommt! – Und sie kamen gern. Aber keines wagte rechts oder links vorzulaufen oder auch nur herumzuschielen oder gar das Hemdlein auch nur über die große Zehe aufzulüpfen . . . O sapperlot, das war gemalt! . . . Herr Kaplan! so was sollten Sie sehen! Man könnte meinen, der Maler sei damals dabei gewesen oder Sankt Lukas selbsteigen hätt' es ihm an den blauen Himmel vorgemacht.«

Indessen las Johannes halblaut die Karte:

»Altes Haus! Warum kommst Du denn nie über das Tobel zu mir herauf? Ich hab' Dir doch gesagt, daß ich schon anderthalb Jahr mich hier oben im großen Dorf Peraut mit Nasen- und Ohrenabschneiden, pardon, mit den ehrlichen und heilsamen Hantierungen Äskulaps abgebe, ein Wohltäter des ganzen Landes! Bist immer willkommen, auch wenn Dir der schwarze Rock bis an die Fersen geht. Aber warte nicht erst, bis Du mir ohnehin verfallen bist, sonst sollst Du' s beim ersten Stockzahn, den ich Dir ziehen muß, gehörig büßen. Es wäre ja freilich prachtvoll! Aber auch ein unblutiges Wiedersehen freut Deinen alten Budenkönig Albert Allspach, Arzt und ruhig gewordenen Philister.« –

»Aha, ein Doktor!« sagte Therese mit viel mehr Wohlwollen. »Es tönt zwar auch nicht wie ein Choral, aber so reden nun die Herren Doktoren einmal! Nur sollte er nie so eine offene Karte an einen Geistl . . .«

»Das ist nicht so schlimm!« beruhigte der Kaplan. »Sie müssen denken, daß wir sechs Jahre am gleichen Gymnasium studiert und mit einem Dritten, dem Willy, das gleiche Zimmer, und wenn gar noch ein Besuch kam, sogar das gleiche Bett geteilt haben. Er ist ein geschickter Mensch und meint es mit allen gut. Etwas hart, ja, und ein wenig herrisch, wir nannten ihn nur den Regierhafen. Aber er hat gut regiert . . . schneidig. Wir liebten einander wie Brüder, wir drei. Willy war hitzig, ich zaghaft, da hat er uns beide richtig in die Mitte gedrillt!«

Therese liebte diesen Allspach schon ein bißchen. Er war Arzt, und Ärzte kannte sie vom Spital her gut genug. Sie fürchtete keinen, aber respektierte jeden und schwärmte sogar für zwei, drei Fanatiker, die sich ihrem Amt mit der Leidenschaft eines Bräutigams hingaben. Viele unter den Doktoren waren ungläubig. Das hatte sie bald bemerkt. Aber sie spotteten nicht, sondern trugen etwas Ernstes und Gewiegtes im Wesen und achteten fremde Anschauungen. »Fräulein Legli . . . der Kranke in Nummer fünf könnte wohl den Pfarrer brauchen,« sagten sie gewöhnlich zu ihr, wenn es sich um einen katholischen Patienten in kritischer Lage handelte. Dieser Allspach war wohl auch ein etwas kecker Vogel, wenn er einmal aus dem Amtskäfig entrann. Aber so sind alle Ärzte, wenn sie für ein Stündchen den Karbolgeruch aus ihrem Gefieder schütteln.

»Gehen Sie doch nur einmal hin,« munterte Therese den Kaplan auf. »Und lassen Sie sich untersuchen . . . auf der Brust, auf der Lunge . . . aber besonders im Kehlkopf. Im Kehlkopf scheint mir der Nervus constrictus . . .«

»Welcher Nerv?« fragte der Kaplan lachend und schrieb schon an der Antwort: daß er bald einmal kommen werde, und zwar so schwarz als möglich, und daß Albert nur schnell alles Heidnische aus seiner Wohnung schaffe. Denn er werde kommen wie ein heiliges Hagelwetter, mit Blitz und Zorn und freilich auch mit Husten und einem Nervus constris –

»Was für ein Nerv, Therese, was für ein vertrackter Nerv?« neckte er.


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