Heinrich Federer
Jungfer Therese
Heinrich Federer

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9

Es leben die Ferien! jubelten die Kinder, keine Bücher, keine Tinte mehr!

Es leben die Ferien! jubelte der Kaplan. Endlich wieder einmal was Vernünftiges lesen und schreiben!

An einem recht faulen, warmen Nachmittag nahm Johannes seine alte Flöte aus dem Futteral und spielte ein bißchen in der großen Stube. Er war guter Laune. Eben hatte die Post das längst erwartete, schwere Bücherpaket aus dem städtischen Verlag gebracht. Der Kaplan wollte davon einiges kaufen, Historisches und Literarisches, auf möglichst lange Zahlungsfrist. Dann wollte er einige ganz moderne Kapitelchen vom frischen grünen Tag, vielleicht für das Bezirksblatt schreiben. Die Bände hier sollten ihm dabei solide geschichtliche und ästhetische Fundamente legen. Das herrliche Paket! Er will es erst am Abend öffnen, wenn ihn niemand stört, um dann so recht behaglich in alle Nacht hinein unter den broschierten und gebundenen Büchern zu sitzen und sich von einem Band in den andern listig durchzuklauben und ohne aufzufalzen, möglichst viel zu erschnüffeln. Er freute sich wie ein Kind darauf und flötete sein Vergnügen lustig in einem Stück aus, das wie eine Schalmei begann, dann in einen Hirtentanz und endlich in einen Schlußjodel überging. Bucolicum war sein etwas verdächtiger Titel.

Schon nach wenigen Takten ging leise die Türe auf, setzte sich jemand auf den nächsten Stuhl und horchte zu. Dann aber begann gleich das Klirren großer, schwerer Stricknadeln. Wie nun die melodische Anrufung des Hirten Theokris an die Hirtin Cloë beendet war, blickte der Musikant aufatmend zur Jungfer hinüber, um ein Gesicht voll Staunen und Beifall zu kosten. Statt dessen legte Therese ihre Strickerei auf den Schoß und schüttelte mißbilligend ihren quadratischen Kopf: »Nicht so, Herr Kaplan, nicht so!«

»Gefällt Ihnen das Stück nicht, Jungfer Therese?« fragte Johannes beklommen.

»Nein, gar nicht!«

»Ich hab' doch keine einzige falsche Note gespielt, als einmal das Des . . .«

»Des hin, Des her; aber dieses Holz, diese gelbe . . . diese Pfeife oder Flöte oder wie man sagt, das gefällt mir nicht. Das ist nichts für einen Geistlichen.«

»Warum nicht?« Der Kaplan ward ernst und unmutig.

»So ein süßes Holz? Ich habe geglaubt, so etwas Zuckeriges nehmen nur verliebte – verzeihen, Hochwürden! – verliebte Leute in den Mund. Von Musik versteh' ich nicht viel. Aber was Sie da gespielt haben, ist mir närrisch und wässerig vorgekommen! Ich konnte es gar nicht zusammenreimen, daß Sie mit dem gleichen Mund wieder: »Gloria in excelsis Deo!« am Altar singen. Ach, ich weiß nicht warum, aber so eine Musik dürften Sie doch sicher dem hochwürdigsten Bischof nicht vorspielen.«

»Warum nicht!« trotzte der Geistliche und biß die bleichen Lippen fest. »Ich dürfte!«

»Wahrlich, Sie dürften nicht!« bestand die Köchin.

»Dann wissen Sie also nicht, daß schon im Alten Bunde die Priester Flöte geblasen haben?«

»Hochwürden, im Alten Bunde haben die Priester auch um die Bundeslade getanzt. Aber wir sind jetzt im Neuen Bunde.«

»Wir sind im Neuen Bunde. Aber die Flöte ist darum nicht unheiliger geworden. Ihnen gefiel das tänzige Lied nicht, das ist's. Je nun, es war nur ein antikes Liebeslied. Aber passen Sie auf. Ich spiele Ihnen jetzt einen geistlichen Kantus! Das tönt ganz anders.«

Er setzte an mit seinem dünnen Atem und blies: »Harre meine Seele.« Aber er kam nicht weit. Die Jungfer fing schon beim zweiten Vers an mitzusingen, ward beim dritten kräftiger und beim vierten so schmetternd, daß die Flöte ganz erlosch. Als Johannes unwillig das Rohr niederlegte, fuhr Therese siegreich fort:

»Seid unverzagt,
Bis der Morgen tagt!
Und ein neuer Frühling
Folgt dem Winter nach.«

Der runde Tisch, die Kommode, die Scheiben zitterten vor der jubelnden Unverzagtheit dieser machtvollen Jungfer.

»So ist das Lied,« sagte sie dann, sich zufrieden das Bärtlein auf der Oberlippe wischend. »Mit dem Holz da wird der Choral wie Zuckerwasser. Mir ward fast übel dabei. Nichts für ungut, aber mich dünkt, diese Flöte sei wie ein kleines, schwaches, verzärteltes Mädchen, eines, das immer winselt und seufzt: i, i, i! . . . eie, eie, eie! Und wo Sie gespielt haben: alles ihm befehle, hilft er doch so gern! – da habe ich etwas ganz anderes gehört, etwa: sim, sim, dileia! – Nein, Herr Kaplan, man wird Sie auslachen mit dieser Flöte in der Hand.«

Jetzt wurde der Kaplan ernstlich böse und schalt Theresen, sie verstehe absolut nichts von Ästhetik. Sie sei leider gar nicht ein zartes, sinniges, weibliches Wesen, habe viel zu wenig Weichheit, viel zu viel männliche Bronze. Sie sollte die Trommel rühren und Marketenderin werden. Das wäre ihr Beruf. Ihr bedeuten ja Gedichte und Gemälde und Landschaften nichts, sie lache über die vom Mond umspielte, sehnsuchtsvolle Nacht. Und doch habe der liebe Gott solche Dinge gewollt, ausstudiert und prächtig erschaffen und wirke sie von einem Tag zum anderen neu.

Jungfer Therese säbelte ruhig weiter am langen, kaplänlichen Strumpf und fragte am Ende des Sermons bescheiden:

»Was ist eine Marketenderin, Herr Kaplan?«

»So eine Soldatenjungfer, so ein Militärweib, so eine Lagerkrämerin und . . .«

»Das verstehe ich nicht, Hochwürden!«

Da schellte es, und zwischen die entzweiten Leutchen trat ein Bote mit der Meldung, der Remigi Egger im Weiler Sempli liege am Sterben und heische den Geistlichen.

Wie ein Eisstück flog dieses Wort in die heiße und zornige Stube. Ein kalter Schauer fuhr dem Kaplan durch den Leib. Zum erstenmal rief ihn der Tod her. Johannes hatte gehofft, bis der Pfarrer heimkäme, würde jene unheimliche Sense feiern. Flöte, Streit, Zorn, alles war vergessen. Er zog Chorrock und Stola an und ging hinter dem klingelnden Meßmer hurtig das Dorf und die Äcker hinunter nach Sempli. Die heilige Wegzehrung mit dem Krankenöl trug er in einem vergoldeten Kreuz auf der Brust und segnete damit die Landleute, die zwischen den Schollen niederknieten, sich auf die Brust schlugen und danach die Köpfe zusammensteckten und berieten, wem es wohl so eilig gelte?

Dem alten Bauer Remigi, der an der Wassersucht litt, hatte es um Mittag das Wasser plötzlich hoch über Herz und Lunge hinauf geschlagen. Ja, man meinte es oben im Hals gurgeln zu hören. Er war am Ersticken und beichtete mehr mit Zeichen und Händedruck als mit deutlichen Worten. Dann empfing er die heilige Hostie und ließ sich mit dem sakramentalen Öl an seinen fünf Sinnen salben. Nun war er müde, aber horchte doch mit aufgerissenem Mund und verzogenen Lippen den Gebeten des Priesters zu. Johannes hatte sich alles viel grausiger vorgestellt. Jetzt war es wie ein sehr ernster, sehr strenger Gottesdienst. Im Zimmer drängten sich die Angehörigen und Nachbarsleute zum Kranken. Man betete laut, schluchzte, flüsterte. Ein älteres, mageres Weib beugte sich immer wieder über das Bett, studierte neugierig in Remigis Gesicht und spritzte hie und da Weihwasser darauf. Dann betete sie wieder mit einer hohen, singenden, dazu rollenden Stimme: »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt' für uns arrrme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Absterrrbens. Amen.« – Es war ein unleidliches, süßes, surrendes Gewisper, fast wie Flöte, dünkte es den Kaplan.

Mit strafendem Auge sah Johannes die Frau an. Sie wunderte sich, aber ward doch rot und trat einen Schritt zurück. Der Priester fuhr in der Litanei zu allen Heiligen weiter: »Vor deinem Zorne!«

»Erlöse uns, o Herr!« brummelte es dumpf durch die kleine Kammer.

»O süßester Herrr Jesu!« surrte jene hohe Stimme der Frau nach.

Da bemerkte Johannes, über dieses Weib und die Umstehenden hinweg, daß sämtliche Fenster geschlossen waren und ein wahrer Nebel von allen erregten Menschen hier und vom Krankenbett mit seinen Ängsten zur niedern Diele stieg. Dieser warme, dicke Dampf und die flötende Stimme und das Bespritzen mit dem lauen, unsauberen Weihwasser und dieses neugierige Betasten der geschwollenen Hände, der Hände, die der arme, hilflose, entfärbte Mann nicht mehr bewegen konnte, während doch niemand die Fliegen von ihm scheuchte, die sich beständig in seinen nassen, grauen, zerzausten Bart verklebten, das alles reizte Johannes so stark, daß er nicht mehr an sich halten konnte und mitten in der Litanei, bei dem Barmherzigkeitsruf vor Gottes Zorn, mächtig aufschrie: »So öffnet doch die Fenster und verteilt euch auch ein wenig in die Stube hinaus und macht dem Kranken die schwere Stunde nicht noch schwerer!«

Erschreckt, aber ungern gingen einige Frauen in die offene Stube hinaus. Die Magere wich keinen Zoll. Durch das aufgesperrte Fenster floß sogleich eine herrliche, feuchte Wiesenluft herein.

»Vor Blitz und Ungewitter!«

»Erlöse uns, o Herr!« summte es.

»O süßester Herrr Jesu,« surrte es nach.

»Und Ihr, Frau Nannette Peiler, was belästigt Ihr den Patienten immer mit Euerem Weihwasserspritzen und Antupfen! Glaubt Ihr, das nütze was, so oft und so gedankenlos! Wäre es nicht besser, Ihr würdet in aller Stille und Demut mitflehen, als die Kammer durchlärmen mit Euerem übertriebenen ›O süßester Herr Jesu!‹« –

Der Kaplan zitterte vor Aufregung und war totenbleich geworden. Dem Weibe aber stiegen Tränen in die Augen. Es knickte förmlich bei der Anrede zusammen und lief nun tiefgekränkt zur Türe hinaus. Nur der älteste, verheiratete Sohn Remigis und seine Frau blieben beim Bett.

Ein Fristchen lang war dem Kranken leichter. Er wollte aufgestützt werden und lächelte schwach, als er das weiße Chorhemd und die Stola sah. Der Gesandte Gottes war also noch da. Dann deutete er hin und her und keuchte etwas hervor. Sein Sohn beugte sich zu ihm und berichtete: »Herr Kaplan! Ich soll Ihnen Most und Birnenbrot geben. Mein Vater leidet es nicht anders.«

Doch dem Kaplan Johannes schien es jetzt unmöglich, zu essen oder zu trinken. Er dankte. Die Hausleute sollten nur essen gehen. Er wollte hier Wache halten, bis sie wiederkämen.

Darauf blieb er allein am Bett und horchte dem unregelmäßigen, oft endlos lang gezogenen Atem des Kranken zu. Aber Remigi hatte Farbe gewonnen, seine Blicke wurden deutlicher und überflogen den bleichen, jungen Priester neben sich mit sichtlicher Zärtlichkeit. Zuletzt tastete er nach seiner Hand. Johannes schob sie ihm zu und fühlte das Zittern und die Angst und das erlahmende Pulsschlagen des Patienten nun mit, als ginge das von jenen alten Nerven in seine jungen hinüber.

»Mut, lieber Mann, Mut,« sagte er leise. »Ich gehe hier nicht vom Platz, bis Ihnen leichter geworden ist.«

»Dank, Dank!« preßte Remigi hervor. Schöner hatte Johannes noch nie danken gehört.

»Sie können wieder genesen und . . .«

Der Alte schüttelte mit dem Kopf ein bestimmtes Nein. Mit der freien Hand rutschte er an den Hals hinauf.

»Christus hat den Lazarus aus dem Sarg erweckt und den Knecht des Hauptmanns im äußersten Augenblick gerettet. Auch . . .«

»Hier,« lallte der Greis, »hier sitzt . . . es . . . schon . . .«

»Haben Sie keine Furcht. Der wahre, lebendige Christus ist mit uns im Leben und im . . . und . . . und . . . ist« . . . Johannes suchte dem harten Wort zu entrinnen und stotterte undeutliches Zeug.

»Und im Sterben!« . . . vollendete der Alte ruhig. »O ich . . . fürchte mich . . . nicht,« fuhr er langsam fort. Dann schloß er die Augen. Es ward so stille, daß man neben dem Atmen im Zimmer das Gras draußen flüstern und eine Fliege hinter dem Vorhang surren hörte. Tiefer im Feld sah man zwei erwachsene Söhne des Sterbenden das Heu in Maden rechen. Sie gingen ihre Zeilen eifrig auf und ab und sahen beim Umkehren gegen das Gehöfte kein einziges Mal nach dem Fensterchen des Sterbezimmers. Jetzt stand der eine still und zündete den Tabak in der Pfeife wieder an. Wenn der Vater in die letzten Züge fällt, wird man sie ans Bett rufen. Jetzt dürfen sie keine Minute verlieren. Ein Gewitter sammelt sich an den Bergen. Wenn der Vater nur noch zwei Stunden lebt, dann bringen sie das Heu trocken unter Dach. O das Sterben ist leicht, aber das Leben ist schwer!

Welche Menschen! dachte Johannes böse. Hier innen will sich das Wichtigste ereignen, was es auf Erden gibt; seine Majestät der Tod klopft an; die Tore der Ewigkeit donnern auf und Himmel und Erde lauschen, wie sich die Seele da losmacht und davonfliegt. Und da draußen legen sie gemütlich die Heuschochen an und der Große stopft sich den Pfeifenkopf wieder voll. Welche gleichgültige, rohe Menschen! Der Pfarrer merkt das nicht mehr, er sitzt schon zu lang mitten drin. O ich werde hier viel Arbeit haben. Diese Menschen besitzen Verstand und Ehre und tapfere Knochen, aber wenig Herz. Das ist's! –

Aber, spann er fort, auch sie werden einmal zwischen Matratze und Decke sich langhin strecken und wie angenagelt liegen bleiben und sich des Todes nicht mehr erwehren können. Und draußen wird man auch Pfeifen rauchen und mähen und schöcheln und ein Lied summen, während sie in unendlicher Not ringen . . . Doch was ist das?

Remigi Egger hatte die Hand des Johannes gedrückt. Mit schönen, großen, runden Augen sah er ihm nun ins Gesicht empor und lispelte abgebrochen, aber freier:

»Wenn unser Herrgott es nur nicht gar . . . so . . . genau nimmt! . . . Ich hab's immer . . . gut gemeint . . . Jawohl, gut!«

Müde schloß er nach diesem Bekenntnis seine Augen wieder.

Gewiß, er hatte sechzig Jahre hier auf diesen Matten gearbeitet und beim Schnee im Walde geholzt. Von der Welt hatte er kaum zwanzig Dörfer und eine kleine Stadt gesehen. Nie hatte er ein Theater oder ein Konzert gehört, wohl aber eine große Familie durch harte Martinizinsen und teure Zeiten hindurch klug zu einigem Wohlstand gerungen, brave Kinder aufgezogen und alles in allem seine Tage gemütlich, trotz schwieliger Arbeit, verlebt. Auch der Feierabend war hell und die bisherige Krankheit nicht besonders schmerzhaft gewesen. Daß unsereinen das Sterben schwitzen macht, das hat er sein Lebtag geglaubt. Aber es geht vorbei wie das Zahnausziehen und tut sicher nicht einmal so stark weh. Und dann ist einem nach so einer gewaltigen Operation auch doppelt wohl. Dann weiß man erst, was Gesundheit und Ruhe und Seligkeit ist.

Und das Andenken an seine Erde wird schön bleiben. Nach hundert Jahren werden seine gepflanzten Birnbäume noch Obst geben, seine Kindeskinder prahlen mit den Äckern drunten im Bruch noch, die er Stück um Stück schlau und zäh in ein rundes Ganze gebracht hat. Sie werden da eggen und pflügen und Häufchen schichten und die größten Rosenkartoffeln des Bezirks herausschaufeln. Und seine breite Stube wird nie aufhören, aus dem grünen Kachelofen heraus von frischem Roggenbrot und von gedörrten Äpfelschnitzen zu duften. Dazu von bäuerlicher Genüge und Gesichertheit! Er aber wird mit den müden, ausgemergelten Gebeinen droben auf dem Lachweiler Friedhof unter einem der dunklen, würzigen Nußbäume liegen und seine derbe, ungebrochene Bauernseele wird droben in den sieben Himmeln mit den Erzengeln und den großen Heiligen, besonders mit seinem starken, ring- und stabgeschmückten Frankenbischof Remigius, am gleichen ewigen Gottesglanz sich nie genug sättigen und jedenfalls keinem Prälaten und heiligen Doktor, allerhöchstens etwa irgendwo auf den himmlischen Straßen einem der unschuldigen Kindlein ausweichen. Und er wird hinunterschauen auf das Klümplein Erde und beten, daß sein Nachwuchs auf dem Eggerhof so mutig leben, so schwielig bauern und so tröstlich sterben möge, wie er.

Das fährt dem Sterbenden wie ein Sonntag voll fernen lieben Geläutes durch den Sinn und breitet eine lichte Feierlichkeit über seinem Gesichte aus. Im Kaplan wächst die Bewunderung und Ehrfurcht für diesen Bauersmann, und er vergißt die frühere Angst, den letzten, brechenden Augenblicken eines Lebendigen beistehen zu müssen.

Drei Bücher sieht er auf der Wandlade über dem Tischchen liegen, den Kalender, das Gebetbuch und einen alten Band des »Bauernfreund«. Also mit drei Büchern ist der Mann so großartig durchs Leben gefahren, sagte sich Johannes. Bücher! auch so ein Luxus! Der Tod und unser Herrgott machen es ohne Bücher mit den Menschen aus. In dieser gewaltigen, an die Ewigkeit streifenden Minute kamen dem leidenschaftlichen Bücherschmecker Johannes sogar die kalbsledernen Bände der Kirchenväter, Kuhns klassisches Opus mit zehntausend Bildern und Rankes Historien, drei Werke der Seminarbibliothek, die er immer mit den Augen eines Verdurstenden angeschaut hatte, wie verblaßte, unnötige, hinderliche Dinge vor. Und nach seiner heißen und hastigen Art nahm er sich vor, das Bücherpaket noch heut abend uneröffnet auf die Post zurückzubringen.

Überhaupt, schwärmte Johannes, was ist doch alles Musizieren und Verseklecksen und Farbenstreichen für ein Schwindel! Und war ich noch eben ein Flötleinblaser! Ei wohl, Therese hat recht. Ich werde das läppische Instrument ins Feuer werfen. Das ist doch alles Luxus und Gekünstel und dummes, geistiges Gigerltum vor diesem einen dunklen Stündlein da und seiner Abrechnung. Wieviel gescheiter ist doch meine Therese! Aber sie sah wohl eben schon viele Menschen sterben.

Der Bauer trat ein. Er kaute noch Brot im Munde und nahm den Geistlichen zutraulich am schwarzen Ärmel.

»Wollt Ihr jetzt nicht auch etwas zu Vesper essen? Es ist schon auf den Tisch gestellt. Wir haben ein frisches Faß Most angezapft. Das schäumt wie Champagner.«

Johannes wehrte ab. Diese entsetzlichen Menschen!

»Man könnte ihn als Ehrenwein aufstellen, nicht wahr, Vater!« lobte der Bauer fort.

Der Kranke antwortete nicht. Er lag auf dem Rücken und sah sinnend und suchend sozusagen durch die Diele hindurch.

»Sag', Vater,« plagte der Sohn, »der Most im Bruderfäßli von den Weinäpfeln . . . weißt!«

Jetzt verstand Remigi. Most, Birnen, Faß – das brach sich durch, und schon fast im furchtbaren Riß zwischen Zeit und Ewigkeit stehend, blickte er noch einmal mühselig zurück ins alte Leben und sprach beschwerlich: »Von den . . . Weinäpfeln, der . . . ja, den müssen Sie . . . versuchen . . . Kaplan . . .«

Und zum Sohn hingewandt, stammelte er noch schwieriger: »Trinkt . . . langsam . . . lang . . . sam . . . daß ihr davon . . . genug . . . am . . . Leichenmahl . . .«

Dann fiel er wieder zurück in sein wunderbares, großäugiges Grübeln gegen die Diele hinauf.


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