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23

Sergeant Fyles übernahm sofort die Leitung der Ranch, sowie er auf dem Hof von Mosquito Bend eingeritten war. Dabei erwies er sich als ausgezeichneter Verwalter. Tresler vermochte sich nicht der Überzeugung zu entziehen, daß er eigentlich besser zu einer solchen Tätigkeit als zu einem militärischen Kommando taugte. Leider dauerte das Zwischenspiel nur acht Tage, denn dann erschien ein Beauftragter der Behörden, und Fyles wurde abgelöst, um die Untersuchungen der gefangenen Banditen zu leiten. Auch galt es noch verschiedenes aufzuklären, was sich auf den Tod des Ranchers und seines Vormannes bezog.

Auf Treslers Rat hin hatte sich Diana nach Forks begeben, wo sie im Hause des Dr. Osler gastlich aufgenommen wurde. Die behäbige, ein wenig geschwätzige Frau des Tierarztes nahm sich in geradezu rührender Weise ihrer an. Wenn Diana natürlich der gewaltsame Tod des Mannes, den sie für ihren Vater gehalten hatte und der, wie sich nun herausstellte, ein ganz gemeingefährlicher Verbrecher war, innerlich erschütterte, so vermochte sie ihn andrerseits doch nicht als einen Verwandten zu betrauern. Vor allem atmete sie auf, weil sie das Haus hatte verlassen dürfen, das ihr niemals ein Heim gewesen war.

Zusammen mit dem Sergeanten Fyles war Tresler nach Calford geritten. Die dortigen Verhandlungen zogen sich derartig in die Länge, daß fast ein Monat verging, ehe er wieder in Forks erscheinen konnte. In der Zwischenzeit grübelte Diana viel, und eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich ihrer. Immerhin war Marbolt vor der Welt ihr Vater gewesen. Der Fluch seines Verbrechens mußte sich auch auf sie selbst übertragen. Sie durfte demnach nicht heiraten, denn allein schon ihr Name kam ihr entehrt vor.

Dann erschien Tresler.

Ehe er sich jedoch zum Hause des Dr. Osler begab, ritt er zu dem Ausschank Carneys hinüber. Diesmal brauchte er allerdings weder Rat noch Hilfe. Er warf einfach die Zügel seines Pferdes über einen Pfosten und trat ein. Als erster begrüßte ihn sein alter Freund Slum Ranks, dessen verwegenes Aussehen sich nicht im geringsten geändert hatte, ebensowenig wie alle anderen Dinge und Menschen.

Slums Begrüßung schuf gleich die nötige Stimmung. »Na, den blinden Satan von Skitter Bend hat's also endlich erwischt, wie? … Habe mir gleich gedacht, daß Sie dabei gut wegkommen und von der Polizei anständig behandelt werden würden.«

Shaky, der Zimmermann, der an einem wackeligen Seitentisch saß, blickte von den schmutzigen Karten auf, mit denen er für sich spielte. Einige neue Gesichter wandten sich dem Eintretenden neugierig zu, als dieser von Slum bewillkommnet wurde. Carney selbst hörte mit dem ihm zur zweiten Natur gewordenen Auswischen der Gläser auf, die doch niemals richtig sauber wurden.

Tresler sah ein, daß er den Männern etwas schuldig war, die so regen Anteil an seiner Rückkehr nahmen. Er trat also an die Theke und bestellte eine Runde für alle. Dann wandte er sich an Slum.

»Also für eine Woche oder vierzehn Tage gedenke ich mich hier einzuquartieren.«

»Freut mich riesig«, gab Ranks vergnügt zur Antwort. Er entsann sich, daß ihm dieser Mann schon einmal ziemlich viel Geld eingebracht hatte. »Meiner Frau wird's auch sehr recht sein«, setzte er hinzu. »Am besten, ich gehe gleich 'rüber und sage ihr Bescheid.«

Tresler aber hielt ihn zurück.

»Nur keine Umstände, mein Lieber. Ich denke, daß Carney mich diesmal bei sich unterbringen wird, ja, Carney?«

»Aber selbstredend«, stimmte der Wirt zu und warf dabei dem unterlegenen Nebenbuhler einen triumphierenden Blick zu.

»Na, da schlägt's dreizehn«, wunderte sich der Kleine sichtlich beleidigt. »Wie kann man nur von so einem guten alten Freund abschwenken?«

»Wird wohl seine Gründe haben«, gab der Zimmermann seiner Meinung Ausdruck und mischte von neuem die Karten.

Slum überhörte die Bemerkung. Er richtete sein Wort an Carney, dem er eine Zehndollarnote zuschob. »Du, dafür kannst du mir Chips geben, ja? Möchte nachher ein Spielchen machen. Rück' auch ein neues Spiel Karten heraus; aus denen, die Shaky da hat, kann man Schweinefutter machen.«

Darauf entfernte sich der kleine Mann. In seinem zerknitterten, mahagonybraunen Gesicht geisterte ein nachdenkliches Lächeln.

Tresler sah zu, wie sich diese Menschen zum Spiel anschickten. Und was für ein Spiel das war! Obwohl sie unwissend und geradezu erschreckend kulturlos waren, mußte man doch jeden einzelnen als erstklassigen Meister des Pokerns bezeichnen, als Künstler in seinem Fach. Das Spiel entsprach so ganz ihrer Gemütsart. Einer suchte den anderen auf jede erdenkliche Weise hereinzulegen. Jeder wußte das von seinen Mitspielern und nahm es als ganz naturgemäß hin. Wehe nur, wenn jemand bei unlauteren Machenschaften ertappt wurde; dann war der Teufel los.

Bald aber entfernte sich Tresler vom Tisch, denn Fyles, den er erwartet hatte, betrat die Gaststube. Nur wunderte es ihn, daß er allein kam, Er stellte eine entsprechende Frage.

»Nelson ist draußen«, schmunzelte der untersetzte Mann. »Er wollte nicht mit hereinkommen. Wollen wir zu ihm gehen?«

Tresler stimmte sofort zu. Joe saß noch auf dem Rücken seines ziemlich kleinen Pferdes und schaute sehnsüchtig zu der Kneipe hinüber.

»Warum sitzt du denn nicht ab?« entfuhr es Tresler, doch bereute er sofort, die Frage gestellt zu haben.

»Das solltest du doch allmählich wissen«, klang es etwas ärgerlich. »Übrigens will ich noch den Dr. Osler besuchen.«

»Tut mir leid, daß ich etwas taktlos war, Joe«, erwiderte der Jüngere schnell. »Wie du richtig sagst, ich hätte es wissen sollen. Also Schwamm drüber. Ich möchte dich um eine Gefälligkeit bitten.«

»Nur heraus mit der Sprache.«

Der kleine Kerl strahlte geradezu bei der Aussicht, etwas für seinen jugendlichen Freund tun zu können. »Ja, weißt du, ich brauche jemanden, der mir mit seiner Erfahrung zu Hilfe kommt. Ich habe da nämlich einen hübschen Besitz gekauft, weil ich nun selbst auf eigene Faust das Geschäft eines Ranchers betreiben will, und da sollst du mir zur Seite stehen; weiter nichts.«

Joe blickte schweigend über den Marktplatz hinweg zu den fernen Bergen. Von dort aus wandte er die Augen dem Hause des Dr. Osler zu. Dann räusperte er sich geräuschvoll, schluckte ein paarmal und streckte Tresler in plötzlicher Aufwallung die Rechte hin, in die jener kräftig einschlug.

»Und nun, Fyles«, richtete der angehende Rancher das Wort an den Sergeanten, der die Szene mit heimlicher Genugtuung beobachtet hatte, »haben Sie Neuigkeiten für Miss Marbolt?«

»Ja; die Sache ist erledigt. Die Urkunde trage ich bei mir in der Tasche.«

»Schön; aber erzählen Sie mir jetzt keine Einzelheiten. Geben Sie mir eine Stunde Vorsprung. Ich werde selbst die Dame aufsuchen. Und Joe … willst du dich bitte dem Sergeanten anschließen, wenn er zu Miss Marbolt geht?«

»All right, Tresler«, nickte der Alte, und seine Stimme klang seltsam belegt.

Diana sah der ihrer Meinung nach letzten Besprechung mit dem Mann entgegen, dem ihre ganze Liebe gehörte. Frau Osler hatte sich verständnisvoll zurückgezogen. Die beiden jungen Menschen saßen in dem winzigen Besuchszimmer des Hauses, und Tresler machte ein verschlossenes Gesicht. Es fiel ihm gleich auf, daß Diana sehr angegriffen aussah. Unter ihren an sich schon etwas schwermütig dreinblickenden Augen befanden sich bläuliche Schatten, die in starkem Gegensatz zu den fieberisch glänzenden Augen standen.

»Du hast dich schon früher einmal über meinen Entschluß hinweggesetzt«, sagte sie; »diesmal aber darf es nicht sein.«

»Paß mal auf, Danny, ich stelle dir eine Stunde zur Verfügung, damit du mir dein Herz ausschütten kannst. Ich erkläre dir aber von vornherein, daß du zum Schluß ungeachtet aller deiner Einwendungen ja sagen wirst. Also nun los! Hier liegt die Uhr. Ich werde darauf achten, daß du die Frist nicht überschreitest.«

Tresler sprach mit heiterem Tonfall und schloß sogar lachend. Dabei war es ihm jedoch alles andere als lächerlich zumute. Dianas Haltung beunruhigte ihn aufs tiefste, denn er hatte einen ganz anderen Empfang erwartet.

Sie schüttelte den Kopf. »Das, was ich dir zu sagen habe, bedarf keiner so langen Zeit. Wie ich für dich empfinde, das weißt du … aber … ich habe beim Verhör nicht alles gesagt …«

Sie schwieg, aber da Tresler ihr nicht zu Hilfe kam, fuhr sie gleich darauf fort:

»Ich wußte, daß Vater bei Nacht zu sehen vermochte. Er war das, was Dr. Osler einen Nyctalops nannte. Es handelt sich um eine merkwürdige Krankheit, die man nicht als völlige Blindheit bezeichnen kann. Offenbar lassen die Pupillen eines solchen Menschen zu viel Licht eindringen, was dann zu unerträglichen Schmerzen und Entzündungserscheinungen führt. Hingegen sah er bei Dämmerlicht oder im Mondschein sogar besonders gut. Wieso es ihm gelang, sein Geheimnis so viele Jahre für sich zu behalten, bleibt mir unverständlich. Noch viel unbegreiflicher aber sind mir die furchtbaren Verbrechen, die er als reicher Mann beging.

Daß er bei Nacht zu sehen vermochte, das erkannte ich erst damals, als du krank warst; und zwar kurz vor deinem Erwachen aus tiefster Bewußtlosigkeit.

Nur mit genauer Not entgingst du dem Schicksal, ermordet zu werden …«

Der Bericht fiel dem Mädchen sichtlich schwer.

»Ich … ich empfand schon von Anfang an eine unbestimmte Furcht. Sein Verhalten dir gegenüber, als man dich ins Haus trug, machte mich stutzig. Ich fühlte, daß ihm deine Anwesenheit zuwider war; ganz abgesehen von meiner eigenen Einstellung zu dir. Darum paßte ich scharf auf, und eines Nachts, als ich mich kaum noch wach zu halten vermochte, da baute ich am oberen Ende der Treppe so etwas wie eine Barrikade auf. Törichterweise begab ich mich dann vorübergehend in mein Zimmer, wo ich mich für einen Augenblick auf mein Bett niederließ und sofort einschlief. Ich erwachte jählings. Noch heute weiß ich nicht, was mein Erwachen veranlaßte. Jedenfalls erfüllte mich das Bewußtsein, geschlafen zu haben, mit großem Schrecken. Ich ergriff die Lampe, die ich mitgenommen hatte, und trat auf den Flur hinaus, wo ich zu meinem Befremden feststellen mußte, daß die Barrikade auseinander geschoben worden war …«

»Ja, und daß dein Vater neben meinem Bett stand und mich am Halse zu packen suchte.«

»Er lockerte bereits den Verband.«

»Wozu?«

»Um die Wunde zu öffnen und dich zu Tode bluten zu lassen.«

»Ach so … ich verstehe. Entsinne mich nun auch, denn ich träumte den ganzen Auftritt mit Ausnahme des Zerrens am Verband. Du aber …«

»Ich trug die Lampe in der Hand, und im Augenblick, da ihn der Lichtschein traf, war er geblendet wie eine Fledermaus. Seine Hand tastete unsicher umher. Vermutlich würde er sich auf mich gestürzt haben, wenn er es vermocht hätte. Ich drohte ihm aber zudem, um Hilfe zu rufen.«

»Tapferes, kleines Mädel … richtig, auch an deine Worte erinnere ich mich. Daher also wußtest du, was du zu tun hattest, als er später mit Jake …«

Sie nickte.

»Also hat Fyles doch recht. Du wußtest um den Zustand Julian Marbolts.«

»Handelte ich falsch, als ich es bei der Vernehmung verschwieg. Er ist tot, und …«

»Im Gegenteil, du handeltest durchaus richtig. Es hätte gar keinen Zweck gehabt, anders zu sprechen. Mir allerdings hättest du eigentlich die volle Wahrheit sagen können.«

»Vergiß nicht, daß mich das alles sehr verwirrte, John«, stotterte Diana etwas verlegen. »Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, daß er sich mit Viehräubereien befaßte und in Wirklichkeit der gesuchte Red Mask war. Ich betrachtete das Ganze nur als einen verbrecherischen Angriff auf dein Leben, der nicht so leicht eine Wiederholung finden würde und den dir zu erzählen …«

»Schon gut. Vielleicht hast du auch darin recht, obwohl wir andernfalls schneller auf die richtige Spur geraten wären. Aber das ist ja nun alles vorbei, ob so oder so. Julian Marbolt war ein durch und durch verbrecherischer Mensch. Weder seine Blindheit noch die Verfehlung deiner Mutter hat ihn ausschlaggebend beeinflußt … Nun aber etwas anderes. Ich habe eine nicht sehr weit von Mosquito Bend gelegenen Ranch gekauft und mich der beratenden Hilfe Joes versichert. Möbel und andere Einrichtungsgegenstände lasse ich mir kommen. Nun muß ich nur noch wissen, wann unsere Trauung stattfinden soll, Liebling.«

»Aber John, du scheinst mich noch immer nicht zu verstehen. Ich kann dich überhaupt nicht heiraten, denn mein Vater war ein Mörder.«

»Das ist mir doch ganz gleichgültig, was der Mann war, der mit dir dem Blute nach so wenig verwandt war wie der erste beste Hottentotte. Ihn will ich doch nicht heiraten!«

Diana wußte nicht, was sie sagen sollte. Seine heitere und unbefangene Art machte sie unsicher.

»Aber vor der Welt gilt er doch als mein Vater. Was würden denn deine Eltern, was würden die andern alle dazu sagen?«

»Nun wollen wir doch wirklich nicht solchen Unsinn reden, Danny.« Tresler hatte sich kurzerhand neben sie gesetzt und sie trotz ihres Widerstrebens an sich gezogen. »Meine Leute heiraten dich nicht. Die lieben Mitmenschen ebensowenig. Andrerseits hast du mir zweimal das Leben gerettet. Niemand aber besitzt das Recht, das Dasein eines andern zu retten und dann alles dazu zu tun, dieses Dasein unglücklich zu gestalten. Also, Danny, es bleibt dir einfach nichts übrig, als dein gutes Werk zu vollenden.«

»Schweig doch … schweige … sonst …«

»Wirst du mich heiraten, nicht wahr? Und das ist es ja gerade, was ich will. Nun aber im Ernst, Mädel, laß uns die Vergangenheit vergessen: Jake, deinen Vater, Black Anton … alle, mit Ausnahme von Arizona.«

Da schmiegte sich Diana wider Willen an ihn. Seine männliche, ehrliche Art brach den letzten Widerstand. Tresler wußte, daß er gesiegt hatte, und das Herz ging ihm auf.

»Die Frist ist bald um, Liebste. Schau mal zum Fenster hinaus. Fyles und Joe kommen dich besuchen. Entweder du willigst jetzt auf der Stelle ein, meine Frau zu werden, oder es bleibt mir nichts übrig, als im Sommeranzug zum Nordpol zu fahren und Eisbären zu angeln. Also schnell; ich höre die beiden schon auf der Veranda.«

Diana nickte.

»Ja …« Und dann folgte ein Kuß, der erst beendet wurde, als der Sergeant an die Tür pochte.

Gefolgt von Joe trat Fyles ein. Tresler und Diana standen Seite an Seite.

»Fyles, Sie gestatten, daß ich Ihnen die zukünftige Frau Tresler vorstelle.« Dann wandte er sich an Joe, der eine fürchterliche, grinsende Grimasse schnitt. »Bist du nun endlich zufrieden?«

Noch breiter verzog sich der Mund des Kleinen, als er eifrig bejahte. Indessen brachte der Sergeant ein dienstlich aussehendes Schreiben zum Vorschein.

»Ich habe hier die Urkunde, die Sie zur rechtmäßigen Eigentümerin der Mosquito Bend Ranch erklärt, Miss Marbolt. Soll ich sie Ihnen vorlesen, oder ist es Ihnen lieber, wenn …«

»Nur nicht vorlesen«, fiel ihm Diana ins Wort. »Erzählen Sie mir das Nötige des Inhalts.«

»Schön. Es ist eigentlich nur eine einzige Bedingung dabei. Binnen fünf Jahren können von den geschädigten Siedlern begründete Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden. Danach gilt die ganze Sache als abgeschlossen.«

Da ergriff Diana in jäher Aufwallung die Hand ihres Verlobten.

»Und wenn es so weit ist, John, dann verkaufen wir alles und stiften den Erlös zu wohltätigen Zwecken. Uns selbst genügt unser kleines Heim, nicht wahr?«

»Abgemacht!« rief Tresler. Joe aber schleuderte in höchster Begeisterung seinen Filzhut zu Boden.

»Das nenne ich ein Wort!« schrie er.

 


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