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6

Wie verschlafen lag das Gehöft da. Die ganze Belegschaft befand sich draußen bei den täglichen, den Herden geltenden Arbeiten. Müßiggang gab es bei Jake Harnach nicht. Sogar Arizona mußte als Hirte der Milchkühe mitmachen und obendrein die in der Ranch zurückbleibenden Pferde versorgen.

Nichts deutete auf jene unheimlichen Dinge hin, die Tresler so bald entdeckt hatte. Heiß brannte die Sonne hernieder. Der Boden fing schon an zu verdorren, und das Gras reifte der Heuernte entgegen. Das Klappern von Hufen ließ Jake aufsehen. Der Reiter mußte es sehr eilig haben. Jetzt kam er in Sicht. Weit auf den Hals des Pferdes vorgebeugt, trieb er dieses zu größter Eile an. Nun bog er in Richtung auf das Herrenhaus ab.

Bei der Veranda angekommen, glitt der Mann vom Pferde. Er ließ das keuchende Tier einfach stehen und hämmerte mit den Fäusten gegen die geschlossene Tür.

»Hallo! … Hallo! … Ist jemand hier?«

»Potz Kuckuck, das ist ja Archie Orr«, murmelte Jake, während er seine Hütte verließ. Gleich darauf brüllte er in seiner brutalen Art den Störenfried an. »Was in drei Teufels Namen machen Sie hier für einen Krach?! Dies ist doch keine Spelunke, und Ihres Alten Bude ist's ebensowenig!«

Beim Klang der Stimme drehte sich Archie hastig um, und Jake blickte in das Gesicht eines an sich weichen Menschen, der jedoch durch irgendwelche Ereignisse in einen Zustand hochgradiger Erregung geraten war. Jakes drohende Worte verfehlten ihre einschüchternde Wirkung nicht.

»Ich komme um Hilfe …, bin erst heute nachmittag von Forks zurückgekommen … Red Mask ist's gewesen, so wahr ich hier stehe! … Er und seine Bande! Meinen Vater haben sie erschossen … den Hof niedergebrannt und das Vieh fortgetrieben. Aber ich werd's ihm heimzahlen … Ich ruhe nicht, bis ich ihn habe!« Die blauen Augen des jungen Menschen flackerten, seine Gesichtsmuskeln zuckten. »Hört ihr!« schrie er dann wieder außer sich. »Auge um Auge! … Gebt mir Hilfe, gebt mir Pferde, und ich kriege ihn! Ich will …«

»Du hörst erst mal mit dem verdammten Spektakel auf, mein Junge«, fiel ihm Jake ins Wort. Er stand jetzt dicht vor dem stürmischen Besucher. »Sonst kannst du dich zum Teufel scheren!«

Sofort wurde Archie kleinlauter, aber der Vormann war mit seiner Strafpredigt noch nicht fertig.

»Du also denkst, Red Mask gegenüber den alten Spruch von ›Auge um Auge‹ wahr zu machen? … Du …?! Du, der du dich in Forks herumtriebst, wo's deine Pflicht und Schuldigkeit gewesen wäre, aufzupassen, daß deinem klapperigen Alten nichts passierte! Mensch, laß dich doch bloß nicht auslachen!«

Dem Jungen drängte sich trotz der Furcht, die ihm Jake einflößte, eine hitzige Antwort auf die Lippen, doch unterblieb sie, als sich von der Haustür her eine andere Stimme einmischte.

»Beruhigen Sie sich, Archie.«

Diana betrat die Veranda und warf dem Vormann einen strafenden Blick zu. Dann wandte sie sich an den Jungen.

»Sie möchten meinen Vater sprechen?«

Archie war erst achtzehn Jahre alt und noch ein halbes Kind.

»Allerdings, Miss Diana. Sehr dringend sogar. Er muß mir ein paar Pferde leihen und obendrein seinen guten Rat geben.«

Jake machte noch immer ein grimmiges Gesicht, schwieg aber des Mädchens wegen.

»Ich werde ihn wecken«, sagte Diana ruhig und schritt dem Eingang des Hauses zu. »Er wird Sie empfangen, Archie, aber … also ich hole Vater gleich.« Kaum war sie verschwunden, als abermals des Vormanns rauhe Stimme ertönte.

»Mensch, von deiner Sorte haben wir schon einen hier, und das genügt. Willst wohl den Alten mit Hilfe von dem Mädel 'rumkriegen, was? Wenn du dich bloß nicht schneidest. Glaube vielmehr, daß es dir nachher leid tun wird, den alten Herrn geweckt zu haben. Ich kenne Julian Marbolt doch. Der läßt sich ungern aus dem Bett holen.«

Archie gab ihm keine Antwort. Übrigens war es dafür auch zu spät, denn schon ließ sich deutlich das tastende Tapp-tapp des Stockes vernehmen, mit dessen Hilfe der Blinde seinen Weg suchte. Gleich darauf trat er schlurfenden Schrittes ins Freie. Diana führte ihn geradewegs dorthin, wo der Besucher stand. Plötzlich aber drehte Marbolt den Kopf mehr nach rechts.

»Sind Sie da, Jake?«

Er nickte, ohne eine Bestätigung abzuwarten. Es war fabelhaft, welche geschärften Sinne er besaß.

»So, also dein Vater wurde ermordet, mein Junge? … Wirklich ermordet?«

Archie schluckte. Nur mit Mühe brachte er die Worte hervor.

»Ja, Herr. Ich nehme an, daß er bei der Verteidigung unseres Heims fiel.«

Die geröteten Augen des Ranchers blickten starr. Archie empfand steigendes Unbehagen. Da kam ihm Diana zu Hilfe.

»Vater, Archie bittet dich um deinen Beistand.«

»Ja, Herr«, sagte der junge Mann hastig. »Helfen Sie mir. Bei meiner Heimkehr fand ich unseren Hof völlig niedergebrannt. Kein Obdach mehr für Mutter und Schwester. Abgesehen von den Hunden waren sämtliche Tiere fort. Mein Gott, es ist entsetzlich! Mutter und Alice saßen schluchzend neben Vaters Leiche, dort, wo sie ihn gefunden hatten. Was sie mir erzählten, war sehr einfach … Entsetzlich! Gegen zwei Uhr morgens waren sie durch das Anschlagen der Hunde geweckt worden. Vater dachte, es hätten sich Wölfe herangeschlichen, und trat daher mit der Flinte in der Hand ins Freie. Er gewahrte nichts, bis er in die Nähe der Korrals kam. Da plötzlich sah Mutter, die ihm vom Fenster aus nachblickte, mehrere Schüsse aufblitzen. Vater brach zusammen. Die Räuberbande aber trieb das gesamte Vieh davon, während einige die Gebäude anzündeten. Kein Zweifel, es war Red Mask, Herr. Er kam zum Haus und trieb Mutter hinaus, ehe er es in Brand stecken ließ. Ihre flehentlichen Bitten, ihr wenigstens das Obdach zu lassen, blieben erfolglos. ›Dein Mann und auch du, ihr habt euch verdammt mausig gemacht‹, sagte er. ›Manson Orr hat sogar an die Polizei geschrieben und um ihre Hilfe ersucht. Das ist nun nicht mehr nötig, wie du siehst.‹«

Der Junge rang nach Atem, ehe er mit verändertem Tonfall fortfuhr:

»Mister Marbolt, wollen Sie uns helfen? Ich brauche Pferde, um den Halunken einholen, zu können. Solange ich noch atmen kann, so lange will ich ihm folgen. Ich will's ihm heimzahlen, was er tat, und sollte ich auch mein eigenes Leben dabei lassen. Nur Pferde brauche ich. Es ist ja auch in Ihrem Interesse, Herr! Sie hat er ja auch schon einmal beraubt. Lassen Sie uns im Kampf zusammenstehen und ihn zur Hölle schicken, wohin er gehört. Ich tue es …«

»Während deine Mutter und deine Schwester zugrunde gehen«, schnitt ihm der Blinde das Wort ab. Dann aber fuhr er fort, und seltsam war dabei der auf den Besucher gerichtete tote Blick der geröteten Augen: »Nein, nein, da wird nichts draus. Du kehrst jetzt zu den Deinen zurück und sorgst für sie. Das ist hundertmal wichtiger als die Befriedigung deiner Rachegelüste. Später kannst du das tun, später. Ich selbst bin kein Jüngling mehr, Archie Orr. Ich trage meine Jahre auf dem Buckel und habe etwas vom Dasein gesehen. Beherzige meinen Rat. Im Augenblick hast du nichts mehr von Red Mask zu fürchten. Das würde sich ändern, wenn du unvernünftig wärest. Meiner Erfahrung nach ist seine Hand sehr schwer. Also kehre zu den Frauen zurück, wie ich dir sagte. Für solche Torheiten, wie du sie vorhast, habe ich keine Pferde übrig.«

Diana trat zu dem sichtlich Enttäuschten und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

»Vater hat recht, Archie. Die beiden Frauen sind ganz auf Sie und Ihre Tatkraft angewiesen. Jetzt müssen Sie beweisen, wessen Sie fähig sind.«

Archie sah sich um. Dann gab er sich einen Ruck.

»Ich danke Ihnen, Miss Diana«, sagte er seufzend. »Gut, ich werde umkehren und der Mutter helfen. Auch Ihnen danke ich, Herr Marbolt. Sie haben mir gezeigt, was meine Pflicht ist. Ich werde sie tun …« Mit unschönem Lachen mischte sich plötzlich Jake Harnach ein. »Halte dich nur dazu, mein Junge. Dein Vater hat seinen Teil wegbekommen. Nun sollte der Sohn klüger sein.«

Abermals schien Archie aufbrausen zu wollen, dann aber schritt er wortlos zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. Die Augen des Blinden folgten ihm noch ein Weilchen, worauf sich Julian Marbolt jählings umwandte und ins Haus zurückging. Auf der Schwelle blieb er stehen und sagte zu seinem Vormann noch ein paar Worte.

»Zwei Tage nacheinander bin ich nun gestört worden«, knurrte er. »Sie fangen an zu bummeln, Jake.«

»Vater …« Diana drängte sich vor, wurde aber mit einer Handbewegung angehalten.

»Und was dich selbst angeht, mein Kind, so kümmere dich gefälligst um deine Pflichten. Nähen, Waschen, Kochen und Putzen gehören dazu. Für derlei Dinge ist euer Geschlecht bestimmt. Was geht denn dich der dumme Junge an? Laß den nur tun, was er nicht lassen kann. Vielleicht wird er auf die Weise zum Mann. Du jedenfalls hast dich nicht um ihn zu kümmern.«

Unwillkürlich trat Diana einen Schritt zurück.

»Aber bedenke doch die schutzlosen Frauen, Vater!«

»Weibervolk! …«

Er verschwand im Hause.

Jake stand noch immer an einen Pfosten der Veranda gelehnt. Er blickte zur Schlafbaracke hinüber, bei der sich einige Cowboys um den jungen Archie drängten.

Diana gesellte sich zu ihm.

»Jake, ich brauche mein Pferd ›Bessie‹, und zwar sofort. Lassen Sie es hintenherum zum Kücheneingang bringen.«

»Was haben Sie denn vor, Kind?« fragte er, ohne den Blick von der Szene beim Belegschaftshaus zu wenden.

»Vielleicht reite ich zu den verwaisten Frauen hinüber.«

»Nur vielleicht? …«

»Ja.«

»Sie können das Pferd jetzt nicht haben.«

Sehr überlegen sah Jake aus seiner Höhe auf das junge Mädchen nieder. Archie Orr war gerade fortgeritten.

Aber furchtlos erwiderte Diana den Blick.

»Ich denke doch«, sagte sie ganz ruhig, aber sehr bestimmt. »Bitte sorgen Sie dafür.«

Der Mann zuckte zusammen. Seine dunklen Augen funkelten böse, und es sah so aus, als werde er eine glatte Weigerung aussprechen. Seltsamerweise jedoch würgte er seinen Groll hinunter, der brutale Gesichtsausdruck milderte sich.

»Schön. In fünf Minuten ist Bessie da.«

 

Im Schlafhaus ging es derweil lebhaft zu. Die Angelegenheit des jungen Orr wurde besprochen. Arizona führte das Wort. Sein blasses Gesicht war gerötet.

»Und ich sage euch, es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als den Alten aufzusuchen und von ihm zu verlangen, daß er uns reiten läßt. Wenn den Kerlen ihre Schandtat durchgeht, dann ist fortan keiner von uns mehr seines Lebens sicher. Drunten in Arizona haben wir mal an einem einzigen Tag ein halbes Dutzend solcher Buschklepper an einem Baum aufgeknüpft. Das alte grauhaarige Opossum, der Joe Nelson, wird sich noch erinnern. Da war bald wieder Ordnung im Lande, kann ich euch sagen. Und weiß der Himmel, der Red Mask ist längst reif zum Baumeln. Sofort gehe ich zum Alten. Wer kommt mit?«

»Und wahrhaftig, dieser Archie Orr ist ein armer Kerl, daß er nun mit den beiden Weibern dasitzt«, gab Raw Harris seine Meinung kund. Er hatte bisher auf einem umgestülpten Kübel gesessen, erhob sich nun aber. »Kein Dach über dem Kopf, das ihnen Schutz gewähren könnte. Und dabei arm wie eine Kirchenmaus. Bei Gott … Arizona hat recht!«

»Da hast du ein wahres Wort gesprochen«, ließ sich Joe Nelson vernehmen. »Keinen Cent in der Tasche, dafür aber einen ganzen Sack voll Schulden. Dabei war Marbolt immer schlecht auf den alten Orr zu sprechen. Besser, wir erwähnen den Namen erst gar nicht, wenn wir ihn bitten, Red Mask lynchen zu dürfen. Klar?«

Für einige Sekunden herrschte Schweigen. Dann nickte Jacob Smith zustimmend.

»Ist doch ein schlauer Kopf, der Joe.«

Die Bemerkung löste die Zungen aufs neue. Auch Tresler sprach.

»Nun mal sachte, Boys, ihr sprecht da von lynchen und wißt noch gar nicht, wie ihr euren Mann erwischen wollt. Ihr bildet euch doch nicht etwa ein, daß uns Marbolt einfach losläßt, wenn wir den Kriegspfad beschreiten wollen? Das würde dem einfallen! Na, und zwei oder drei von uns werden wohl kaum mit einer ganzen Bande von mindestens zehn Köpfen fertig werden. Ich schlage vor, daß wir uns ganz still verhalten, und wenn dieser Red Mask wieder auftaucht …«

»Richtig«, fiel Joe Nelson ein und nahm die Blechtasse mit heißem Tee vom Munde, in der auch mehrere tote Fliegen herumschwammen. »Habt ihr schon mal was davon gehört, daß die Polizei eine Station drüben in Forks eingerichtet hat?«

»Ausgezeichnet! Bloß keine Lyncherei. Die Rotröcke werden am besten mit Red Mask fertig werden.«

Aber Arizona, dem Raw Harris das Wort redete, wollte davon nichts wissen. Die beiden hielten es mit den altmodischen Gepflogenheiten früherer Jahre. Sie bestanden darauf, den Pferderäuber zu lynchen, und ließen sich durch nichts von ihrer Ansicht abbringen. Nach längerem Hin und Her äußerte sich Arizona abschließend mit wenigen Sätzen.

»Wirklich, Tresler, Sie sind der feinste Neuling, den ich jemals zu Gesicht bekommen habe, aber dennoch gibt es Dinge, die eben nur so ein alter Fachmann wie ich beurteilen kann. Pferdediebe verdienen den Strang. Das ist alter, ehrwürdiger Brauch im Lande. Also nochmals, Boys, wer kommt mit zum Alten? Mir scheint, er sitzt bereits auf der Veranda.«

Ohne daß es zu einer ausdrücklichen Zustimmung kam, folgten doch fast alle dem unternehmungslustigen Arizona. Auch Tresler konnte sich nicht ausschließen.

Jake sah den Zug kommen. Er gelangte früher als die anderen zur Veranda und warnte den Rancher. Treslers Voraussage traf zu. Beim Erscheinen der Leute erhob sich Julian Marbolt. In seinem langen Schlafrock erweckte er einen geradezu unheimlichen Eindruck. Im Grunde genommen besaß er dabei einen schön geformten Kopf, aber die scharfe Nase verlieh seinem Gesicht etwas Raubvogelartiges, und die roten Augen sahen grauenvoll aus. Selbst Arizona stutzte.

»Nun?« kam es ungeduldig von den Lippen des Blinden. Arizona riß sich zusammen, als er einen Schritt vortrat.

»Herr, es handelt sich um folgendes … Die Banditen …« Schon fiel ihm Marbolt in die Rede. Dichter zogen sich die ergrauten Brauen über den blicklosen Augen zusammen.

»Aha … ihr habt euch vom jungen Orr die Köpfe heiß machen lassen«, sagte er. »Ihr wollt ihm nach, nehme ich an.« Er machte eine verneinende Geste, indem sich sein Mund wie zu einem Lächeln verzog. »Nein, nein, Boys, da wird nichts draus. Deswegen hättet ihr gar nicht erst zu kommen brauchen. Das hätten Sie eigentlich wissen dürfen, mein guter Arizona. Um eine Lynchtruppe zu bilden, dafür gibt es viel zu wenig Siedler hier herum. Auch kann ich der Arbeit wegen keinen Mann entbehren. Stellt euch vor, was würde, wenn ihr alle hinter den Räubern dreinjagen wolltet. Mein Besitz wäre schutzlos ihrer Willkür preisgegeben. Papperlapapp, schlagt euch solche Grillen aus dem Kopf.«

»Aber Sie selbst sind doch auch schon bestohlen worden«, wagte Arizona einzuwenden.

»Stimmt. Und ich will euch mal was sagen: lieber sollen mir die Kerle bei Gelegenheit wieder ein paar Rinder wegtreiben, als daß ich's darauf ankommen lasse, von ihnen ratzekahl ausgeplündert zu werden und mir das Dach überm Kopf anzünden zu lassen. Also kein Wort weiter. Natürlich kann ich euch nicht mit Gewalt von eurem Vorhaben abhalten, aber über eins müßt ihr euch klar sein: wer meinen Befehlen zuwider diesen irrsinnigen Kriegszug unternimmt, der hat die längste Zeit bei mir in Diensten gestanden. So, weiter habe ich euch nichts zu sagen.«

Arizona schien widersprechen zu wollen, doch Tresler zupfte ihn warnend am Ärmel. Seltsamerweise zeitigte die Bewegung den gewünschten Erfolg, was übrigens den Luchsaugen Jakes keineswegs entging.

Die Leute zogen sich also zurück. Schweigend. Jetzt erst begriff Tresler die eigentümliche Macht, die der Blinde auf seine Umgebung ausübte. Er ließ sich den Auftritt, an dem er soeben teilgenommen hatte, zur Lehre dienen.

Die Sonne war bereits untergegangen, als er sich von den Kameraden trennte. Sinnend schritt er an den unteren Korrals vorüber zur Furt. Joe sah ihm nach und machte sich seine eigenen Gedanken.

Noch nicht lange weilte Tresler am Ufer des Gewässers, als er Hufschläge näherkommen hörte. Diana kehrte von dem Besuch der unglücklichen Frauen zurück. John Tresler zog den Hut, denn dicht vor ihm parierte die Reiterin durch.

»Das nenne ich Glück!« rief er lachend. »Ich kam hierher, um über die Ereignisse des Nachmittags nachzudenken, und treffe Sie persönlich. Ich wußte gar nicht, daß Sie fortgeritten waren.«

»Bessie hatte Bewegung nötig«, lautete die ausweichende Antwort.

In Wirklichkeit freute sich Diana sehr über die Begegnung. In steigendem Maße fühlte sie sich zu dem jungen Mann hingezogen. Dennoch tat sie jetzt so, als wolle sie weiter, doch fiel ihr Tresler prompt in die Zügel.

»Bitte bleiben Sie noch, Miss Marbolt. Überlassen Sie mich nicht nochmals meinen trübsinnigen Gedanken.« Diana gehorchte.

»Sieh mal einer an, also schwerwiegende Gedanken hegten Sie. Nun, eigentlich wundert mich das nicht, denn die Ereignisse waren ja dementsprechend. Ich ritt etwas spazieren und machte dabei einen Abstecher nach Mosquito Ranch. Der Hof ist völlig niedergebrannt.«

»Mit anderen Worten, Sie wollten des jungen Orr Mutter und Schwester besuchen und ihnen Trost spenden. Das ist nach Ihrer Art, Miss Marbolt.«

»Seien Sie nur nicht voreilig mit einem Lob, das ich durchaus nicht so ohne weiteres verdiene. Ich bin von Natur ziemlich neugierig. Aber die armen Frauen sind wirklich übel dran. Sie haben ihre ganze Habe verloren. Was sollen wir tun, Mister Tresler? Wir können sie doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen und dennoch …

Beweise haben wir nicht in Händen.«

»Und was ist zunächst aus Frau Orr und ihrer Tochter geworden?« fragte Tresler, ohne sofort auf die Worte des Mädchens einzugehen.

»Sie haben sich nach Forks begeben.«

»Wie steht es mit Lebensmitteln und Geld?«

»Ich habe dafür gesorgt.«

»Das ist lieb von Ihnen. Was aber Ihre andere Frage betrifft, so meine ich schon, daß sich etwas tun läßt. Die Gendarmerie hat eine Station in Forks errichtet.«

»Ich weiß«, nickte Diana eifrig. »Vater will sofort einen Brief an den Sergeanten Fyles schreiben. Er ist einer der fähigsten Beamten der Landespolizei, und Vater hat ihn gebeten, uns zu besuchen, damit er ihm alles berichten kann, was er von den Strolchen, die unsere Gegend unsicher machen, weiß. Vater hofft, daß es der Gendarmerie gelingen wird, Ordnung zu schaffen. Allerdings handelt es sich seiner Meinung nach bei der Bande um eine ganz besonders gerissene Gesellschaft, der nicht so leicht beizukommen sein wird. Natürlich bangt er nach all dem, was vorgefallen ist, um sein eigen Hab und Gut.«

»Dazu hat Ihr Vater auch allen Grund. Der Gedanke ist sehr brauchbar. Aber auch ich habe mir so allerlei zurechtgelegt. Um es Ihnen klar zu legen, muß ich allerdings nochmals auf Jake zu sprechen kommen. Diesmal aus persönlichen Gründen. – Sie mögen den Menschen nicht; mehr noch, Sie fürchten sich vor ihm?«

Das Mädchen zögerte mit der Antwort. Die stets rücksichtslos aufs Ziel losgehende Art ihres neuen Bekannten beunruhigte sie ein wenig.

»Ja, es läßt sich wohl nicht bestreiten, daß ich Angst vor ihm habe«, gab Diana schließlich zu. »Und zwar deshalb, weil er mir in fast zudringlicher Weise seine Aufmerksamkeit bekundet, weil er im Innersten seines Herzens darauf hofft, eines Tages der Besitzer der Ranch zu werden. Vater wird dann nicht mehr bei uns weilen, ich aber werde nichts anderes als Jakes Sklavin sein. So, nun wissen Sie, weshalb ich ihn fürchte.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Offenherzigkeit, Miss Marbolt. Noch eine andere Frage, dann werde ich Sie nicht weiter behelligen. Dieser merkwürdige Joe Nelson ist viel in Ihrer Nähe … wie weit darf man ihm vertrauen?«

»Ohne Einschränkung; bis in den Tod!« rief Diana herzlich. »Joe hat nur einen einzigen Feind – und das ist er selbst. Eigentlich schäme ich mich ein wenig, aber der Wahrheit muß ich die Ehre geben: immer wenn ich mich irgendwie bedrückt fühle, schütte ich Joe mein Herz aus. Er ist so hilfsbereit. Mister Tresler, Sie ahnen gar nicht, welch ein grundehrlicher Kerl er ist. Joe ist mein väterlicher Freund, das steht fest.« Lauschend wandte Tresler das Gesicht jener Richtung zu, in der die Baulichkeiten lagen. Sein scharfes Ohr hatte ihm verraten, daß sich von dorther jemand näherte. Er tat jedoch, als merke er nichts, und sah abermals zu der Reiterin auf.

»Auch mir soll Joe helfen, Miss … Diana, und im übrigen vergessen Sie nicht: solange ich atme, so lange sollen Sie nie und nimmermehr die Sklavin dieses Jake Harnach werden.«

In diesem Augenblick tauchte auf dem Pfade der dunkle Umriß eines Mannes auf, den Tresler zunächst für den Vormann hielt. Schnell aber erkannte er seinen Irrtum. Es war der Mulatte Anton, der Vertraute des Ranchers. Ohne Treslers Gegenwart zu beachten, redete er das Mädchen in einer Weise an, die dem jungen Engländer die Zornesröte in die Wangen trieb.

»Der Boß, Ihr Vater, ist wütend. Auf der Stelle sollen Sie zu ihm kommen. Und dabei schwatzen Sie hier mit dem Herrn da.«

In Dianas braunen Augen wetterleuchtete es. Sie würdigte den Halbfarbigen überhaupt keines Blickes, sondern reichte Tresler rasch die Rechte.

»Gute Nacht …«

Anton blickte der Reiterin nach. Dann zuckte er die Achseln und ging ebenfalls davon.

Tresler aber gedachte dessen, was er in der Kneipe von Forks über diesen »Black Anton« zu hören bekommen hatte. Seltsam, des Mannes Gestalt ähnelte geradezu in verblüffender Art derjenigen Jake Harnachs.


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