Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Tresler verspürte nicht das geringste Bedürfnis nach Schlaf. Wohl war er müde, aber die Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Obendrein war der Schlafraum reichlich ungemütlich mit seiner doppelten Reihe grobgezimmerter Betten, in denen die ziemlich ungepflegten Leute schliefen. Die Luft war stickig und wurde durch den Sauerstoffverbrauch der beiden gelblich trübe brennenden Petroleumlampen nicht besser.
Man konnte John Tresler gewiß nicht zimperlich nennen, aber immerhin hatte er erst vor kurzem ein äußerst bequemes Dasein aufgegeben, und der Übergang fiel ihm etwas schwer.
Mißtrauisch besah er sich seine Decken, die über einen zerschlissenen und staubigen Strohsack gebreitet waren. Bei genauerer Untersuchung stellte es sich heraus, daß das Stroh der Füllung bereits zu Zunder zerfallen war … Nochmals warf er einen Blick auf seine Schlaf genossen, dann zündete er sich entschlossen die Pfeife an und trat ins Freie, um wenigstens noch etwas frische Luft zu genießen.
Noch war der Mond nicht aufgegangen, aber das Sternenlicht gestattete das Erkennen der Gegenstände. Das Summen unzähliger Insekten war eigentlich das einzige Geräusch, das die tiefe Stille der Nacht unterbrach. Hin und wieder schlug ein Hund an, dem zumeist ein Echo in dem Geheul eines hungrigen Steppenwolfs antwortete.
Tresler dachte an Diana Marbolt. Vielleicht war es das Unerwartete der Begegnung gewesen, was ihn besonders beeindruckte; möglicherweise auch ihr sichtliches Bestreben, ihn vor drohenden Gefahren zu warnen. Oder hatten es ihm gar jene sanften braunen Augen angetan? … Jedenfalls stand eines fest: er vermochte den gehetzten Ausdruck dieses Frauenantlitzes nicht zu vergessen …
Seine Pfeife war ausgebrannt, er stopfte sie von neuem. Dann zog er sich tiefer in den Schatten des Schlafhauses zurück und schlenderte zu der Ecke, die den Korrals gegenüberlag.
Deutlich erkannte er nun die Umrisse der Hütte, die dem Vormann als Wohnung diente. In einem der Fenster schimmerte Licht … Etliche Minuten lang blieb Tresler bei den Korrals stehen, bis ihn die zudringlichen Mosquitos zur Fortsetzung seiner Wanderung zwangen.
Gerade wollte er zur Baracke zurückkehren, als die Tür der Behausung des Vormannes aufging und Joe Nelson erschien. Hinter ihm im Rahmen der Tür stand der gewaltige Schattenriß Harnachs.
»Morgen in aller Frühe also«, hörte Tresler den Tyrannen von Mosquito Bend sagen.
»Ich werde dafür sorgen«, versetzte Joe. »Aber der Sattel taugt nichts für einen, der nicht dran gewöhnt ist.«
»Das bleibt sich gleich. Sie sind jedenfalls verantwortlich dafür, daß er zur Stelle ist.«
Damit zog sich Jake zurück und die Tür fiel ins Schloß. Joe schritt auf die Schlafbaracke zu. Aber was bedeutete das? … Wenige Meter vom Hause seines Vorgesetzten entfernt blieb er stehen und drehte sich um. Langsam hob er die Hand, und trotz der Entfernung erkannte Tresler, daß diese Hand zur Faust geballt war. Gleich darauf setzte Joe seinen Weg fort.
Auch Tresler bummelte weiter, ohne dem Vorfall sonderliche Bedeutung beizumessen. Er gelangte an einen offenen Schuppen, in dem allerlei Fahrzeuge zusammengeschoben waren. Von dort aus wandte er sich links, um die Hütte des Vormanns zu meiden, doch stutzte er, als er wahrnahm, daß abermals die Tür von Jakes Wohnung geöffnet wurde und jemand ins Freie trat. Gefühlsmäßig verhielt er sich regungslos, bis die Schritte verhallten.
Nun ragte die schwarze Mauer des Waldrandes vor ihm auf. Jetzt in die Waldungen einzudringen, verspürte er durchaus keine Lust. So kehrte er denn wieder um und näherte sich dem Herrenhaus. Wie ausgestorben stand es da. Ob der blinde Eigentümer wohl schon zu Bett gegangen war? … Und in welchem Teil des Gebäudes mochte Diana weilen? … Wiederum war Treslers Pfeife erloschen. Er blieb stehen, um sie nochmals in Brand zu setzen. Gerade wollte er das Zündholz anstreichen, als er jählings innehielt. Vor ihm war irgendwo ein Licht aufgeflammt, um gleich wieder zu verlöschen. Unzweifelhaft war es von einem Fenster gekommen, und dieses Fenster, konnte nur das von Julian Marbolts Schlafzimmer sein.
Tresler wartete. Es erfolgte jedoch nichts weiter. Offenbar hatte sich der Rancher gerade zur Ruhe begeben.
Fast sah es so aus, als wolle ihn eine höhere Macht am Weiterrauchen hindern, denn im Augenblick, da er ein neues Zündhölzchen ergriff, vernahm sein Ohr das Geräusch von Pferdehufen. Ein Reiter oder ihrer mehrere bewegten sich drinnen im Wald.
Sie konnten nicht weit sein. Sogar das Schnauben der Tiere hörte der einsame Spaziergänger. Er spähte ins Dickicht. Dann, ganz plötzlich, glitt er im Schatten eines Strauches lautlos zu Boden. Keinen Augenblick zu früh, denn die Reiter näherten sich schnell. Wenige Meter von Tresler entfernt hielten sie an und spähten zu dem Gehöft hinaus.
Tresler versuchte, sich über ihr Aussehen klar zu werden, doch die Dunkelheit hinderte ihn daran. Nur schwach erkannte er die Umrisse des ihm zunächst haltenden Mannes. Er schien eine Maske oder so etwas zu tragen, was seine Gesichtszüge vollkommen verhüllte.
Überhaupt ging alles so schnell. Die Erscheinung war wieder verschwunden, ehe Tresler sich ihrer ganz bewußt wurde. Es war, als tauche sie lautlos wieder in die Düsternis des Waldes unter. Bald verebbte das leise Knistern der von den Pferdehufen zertretenen Tannenzapfen.
Im ersten Augenblick glaubte John Tresler, es handele sich um Cowboys, die noch irgend etwas für die Herden hatten tun müssen, doch fiel es ihm gleich darauf ein, daß die Belegschaft vollzählig im Schlafsaal ruhte. Befremdet begab er sich wieder zu seiner Unterkunft zurück. Hatte er aber erwartet, daß seine Abenteuer bereits zu Ende waren, so täuschte er sich darin.
Unweit der Baracke kam ihm ein Mann entgegen, der eine Last auf dem Rücken trug. Beim Näherkommen erwies er sich als der kleine Joe Nelson, der einen Sattel bei sich. hatte.
»Wo wollen Sie denn damit hin bei nachtschlafender Zeit?« wunderte sich Tresler. Der Alte ließ den Sattel zu Boden gleiten und musterte sein Gegenüber mit langem Blick. Er schien sehr zerstreut zu sein.
»Wo ich hin will? … Ich habe nur noch etwas zu erledigen, das ich heute früh vergessen hatte. Jake will meinen Sattel morgen gleich bei den Pferdekorrals haben. Nun sagen Sie mir aber bloß, was denn Sie hier herumzulungern haben?«
Tresler lächelte gutmütig. »Wenn Sie zu den Korrals wollen, dann begleite ich Sie ein Stückchen …«
»Schön.«
Schweigend schritten die beiden nebeneinander her. Joe warf seinem neuen Bekannten zuweilen forschende Blicke zu. Daß es Tresler nicht einfiel, zum Vergnügen mit ihm spazierenzugehen, das begriff er sofort.
Tresler war sich noch nicht recht schlüssig über das, was er tun sollte. Er empfand das Bedürfnis, sich jemandem mitzuteilen, jemandem, der mehr Erfahrung besaß als er selbst. Daß da mit dem nächtlichen Besuch der beiden Reiter etwas nicht stimmte, lag auf der Hand.
Bei den Korrals angekommen, entledigte sich Joe seiner Bürde, um sich dann fragend an seinen Begleiter zu wenden.
»Nun aber heraus mit der Sprache, junger Mann … Sie haben irgend was auf dem Herzen.«
Nachdenklich besah sich der Angeredete den Sattel. Es war ein auffallend kleines, hochgebautes Stück, wie es seinerzeit in Texas allgemein üblich gewesen sein mochte.
Fast unwillkürlich war ihm die Frage entschlüpft. »Wird wohl morgen irgendeiner drauf reiten sollen … der …«
Der Alte brach plötzlich ab und pfiff vielsagend durch die Zähne. Ihm war urplötzlich etwas eingefallen. Er besah sich erst den Sattel, dann den jungen Mann an seiner Seite und wiegte den Kopf.
Inzwischen hatte sich Tresler zu Boden gesetzt und den Rücken gegen die Einfriedigung des Korrals gelehnt.
»Machen Sie sich's bequem, Joe«, sagte er dann. »Ich habe mit Ihnen zu reden … Ich halte die Sache für wichtig.«
Nelson folgte der Aufforderung. Seine Gesichtszüge verzerrten sich in einer Weise, die ein Lächeln andeuten sollte. Bedächtig schob er sich ein Stück Kautabak in den Mund und wartete das weitere ab.
»Also schießen Sie los …«
»Sagen Sie, Joe, haben wir nahe Nachbarn?«
»Nicht näher als Forks … abgesehen von den Mestizen. Die sitzen an die sechs Meilen südlich von hier. Aber warum?«
Da erzählte ihm Tresler von jener Begegnung, die er vor kurzem am Waldrand gehabt hatte. Mit gespanntester Aufmerksamkeit hörte der andere zu. Tresler schloß:
»Wissen Sie, möglicherweise hat es ja nichts damit auf sich. Eine Erklärung wird sich schon finden. Immerhin beunruhigt mich die Sache etwas. Warum ritten die beiden nicht ins Freie hinaus? Offenbar lag ihnen doch sehr daran, nicht gesehen zu werden.«
»Hm …« Joe kaute nachdenklich.
»Was halten Sie davon?«
Da wurde der Kleine lebendig. »Allerhand«, sagte er, nachdrücklich ausspuckend. »Der eine wird wohl so was wie eine Maske getragen haben, hm?«
»Kann sein.«
»Die Farbe konnte ich nicht erkennen, dafür war es zu dunkel.«
Joe wandte den Kopf und brachte sein Gesicht dicht an das seines Gefährten heran.
»Noch nie was von Pferdedieben gehört? … Von ›Red Mask‹ und seiner Bande? …«
»Irrtum, mein Lieber«, gab Tresler lächelnd zur Antwort. »Von beiden Dingen habe ich allerlei zu Ohren bekommen.«
»So, Sie haben also schon davon gehört? … Das ist schön. Na, ich nehme an, daß Sie vorhin den Pferdedieb ›Red Mask‹ in eigener Person gesehen haben. Und noch etwas: wenn es Ihnen gelungen wäre, ihn vom Gaul zu schießen, dann hätten Sie nur das getan, was im Umkreis von zweihundert Meilen jeder anständige Kerl liebend gern täte. Vor morgen abend wären Sie der Held des ganzen Landes gewesen.«
Er machte eine Kunstpause, ehe er fortfuhr:
»Mensch, jeder hätte vor Ihnen den Hut abgenommen. Eine wundervolle Gelegenheit haben Sie sich da entschlüpfen lassen, aber …« hier seufzte Joe ein wenig, »was soll man auch von so 'nem blutigen Neuling erwarten?«
Tresler hätte beinahe laut aufgelacht.
»Nun, und wenn er schon da war, was hat sein Besuch zu bedeuten?«
»Nichts anderes, mein junger Freund, als daß der übelste Gauner und Mörder sich auf dem Kriegspfad befindet. Ehe wir drei Wochen älter geworden sind, wird sich verschiedenes ereignen, das kann ich Ihnen flüstern.«
»Wer ist er denn eigentlich?«
»Wer er ist? Potz Henker, da stellen Sie eine große Frage. Das weiß nämlich niemand mit Sicherheit zu sagen. Einige meinen, er käme von Montana herüber, andere nehmen an, daß er ein Mischblut ist. Wieder andere glauben, es handelt sich um einen gewissen Duncan, der mal drüben in Calford eine schlechte Kneipe besaß und spurlos verduftet ist. Nur in einem sind sich alle einig: daß er ein ganz großer Schurke ist.«
»Was kann man machen?« fragte Tresler.
»Was man machen kann? … Offen gesagt, weiß ich das selber nicht recht. Was hatten denn eigentlich Sie während der Zeit in der Nähe vom Herrenhaus zu suchen? Ich frage das nicht aus Neugier. Wissen Sie, wenn Sie das Jake erzählen, dann wird er fuchsteufelswild. Jake ist nämlich bis über die Ohren in Miss Dianny verliebt. Er ärgert sich sogar, wenn er mich in der Nähe des Hauses trifft. Dabei sind Miss Dianny und ich doch wirklich nichts anderes als gute Freunde, wenn man so sagen soll. Den Jake haßt sie allerdings aus dem Grunde ihres Herzens. Aber das ist hier Nebensache.«
»Ach, zum Teufel mit diesem Jake!« entfuhr es Tresler. »Sein Name wird mir nachgerade zum Brechmittel. Auffressen kann er mich doch schließlich nicht …«
»Das wohl nicht«, warf der Kleine gelassen ein, »immerhin aber in Ihnen den Wunsch wecken, daß er es täte.«
»Na, an mir könnte er sich gehörig die Zähne ausbeißen!«
»Kann sein. Also wie kamen Sie in die Nähe des Hauses?«
»Ich rauchte noch eine Pfeife Tabak und ging dabei ein wenig spazieren.«
»Den Grund würde Jake verdammt nicht gelten lassen.«
Tresler schwieg, weil er annahm, der Kleine würde noch mehr zu sagen haben. Richtig fuhr der auch fort, nachdem er kräftig ausgespuckt hatte:
»Da können Sie sich drauf verlassen. Wissen Sie was … wir murmeln Jake gegenüber kein Wort von der ganzen Geschichte. Es lohnt sich nicht, ihn zu reizen. Für Sie schon mal gar nicht. Daß er Ihnen ohnehin nicht grün ist, werden Sie ja wohl schon gemerkt haben.«
Tresler stand auf und machte sich an den Gurten des Bocksattels zu schaffen, bis Joe die Geduld verlor.
»Nun …? Ich lasse den Kameraden gegenüber durchblicken, daß mir ein Mestize gesagt hat, Red Mask wäre mal wieder in der Nähe gewesen. Das erfährt Jake dann hintenherum doch, und es ist weniger peinlich für Sie.«
Tresler hatte den Sattel schon wieder losgelassen und wandte sich seinem Kameraden zu.
»Ihr Plan hat nur eine einzige schwache Stelle, Joe. Jake wäre imstande, die Bedeutung der Angelegenheit zu unterschätzen, wenn er nicht restlos Bescheid weiß. Übrigens …«
»Ach was«, erregte sich der Kleine. »Es kommt Ihnen offenbar geradezu darauf an, Jake zu ärgern. Sie sind ein Narr, Tresler … ein dreidoppelter Narr! Den Jake soll man nicht reizen, wenn man's nicht von vornherein darauf anlegt, ihn umzubringen … Na, aber ich denke, ich lege mich jetzt aufs Ohr.«
Joe entfernte sich, und der Jüngere folgte seinem Beispiel. An der Tür des Schlafhauses trennten sie sich, denn Joe wohnte in einem kleinen Küchenanbau des Hauptgebäudes.
»Sie, Tresler«, sagte der kleine Kerl zum Abschied, »nehmen Sie sich morgen früh in acht. Kann sein, daß man Sie auf einen ganz miserablen Gaul klemmt. Lassen Sie sich's dann nicht gefallen, daß man Ihnen einen zu kleinen Sattel gibt. Das ist lebensgefährlich.«
»Danke für die Warnung«, lächelte Tresler und schüttelte Joe kräftig die runzelige Rechte. »Gute Nacht, Joe.«