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17

Diana gab sich über die geringe Bedeutung ihres kleinen Erfolges keinerlei Täuschung hin. Gewiß, vorderhand hatte sie sich durchgesetzt, aber damit war noch nichts für die Dauer erreicht.

Während der folgenden Stunden, die sie wachend am Krankenbett zubrachte, grübelte sie viel über ihre eigene Lage. In Trümmer lag alles, was sie sich für die Zukunft zurechtgelegt hatte. Sie empfand es als Wohltat, daß sie vom Leben bisher so wenig verwöhnt worden war. Sie verstand es, stumm zu leiden und den Kummer in der eigenen Brust zu verschließen.

Tresler war ihr ein und alles. Er bedurfte ihrer Pflege, und die sollte ihm zuteil werden. Alles andere würde sich finden. War er der Mann, für den sie ihn hielt, dann mußte seine Liebe auch die Überwindung der neuen entehrenden Schwierigkeiten ermöglichen. Merkwürdig, obwohl den Worten des Arztes zufolge keine unmittelbare Gefahr bestand, empfand Diana eine tiefgehende Unruhe, als warne sie das Unterbewußtsein vor Dingen, über deren Art sie sich nicht klar zu werden vermochte.

Ihr Vater? … Ja, beim Gedanken an ihn verstärkte sich das Gefühl. Vor ihm galt es, auf der Hut zu sein. Sie war davon überzeugt, daß er auf die eine oder andere Weise versuchen würde, die Anordnung des Sergeanten Fyles zu umgehen.

Eine ganze Stunde lang mochte Diana nachgedacht haben, als sie sich dazu entschloß, den Rat ihres Freundes Joe einzuholen. Arizona war bei ihm, als sie seine Stube betrat, denn Arizona wollte das Ergebnis der Besprechung zwischen dem Rancher, Jake und dem Beamten abwarten. Einer plötzlichen Eingebung folgend, beschloß sie, Arizona mit ins Vertrauen zu ziehen.

Der Cowboy zog sofort den Hut, als er die Tochter des Ranchers erblickte.

»Ich komme, um Ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen«, sagte Diana ohne Umschweife.

»Das freut mich, Missie«, gab der Cowpuncher bereitwillig zur Antwort. Joe begnügte sich damit, ein fragendes Gesicht zu machen.

»Es handelt sich um folgendes. John muß für einige Tage unbedingt stille liegen. Ich bin zwar seine Pflegerin, habe jedoch noch häusliche Pflichten zu verrichten, so daß er zeitweilig allein bliebe. Sie, Arizona, sind tagsüber mit Ihrem Dienst beschäftigt, aber ich dachte, daß Joe mir dadurch helfen könnte, daß er sich möglichst viel in der Küche aufhielte. Von der Küche aus hört man ja jeden Laut aus dem oberen Zimmer, denn es liegt genau drüber.«

»Wird Ihnen nicht leicht gefallen sein, ihn droben zu behalten, wie?« meinte Joe vielsagend. »Doktor Osler machte so eine Andeutung, ehe er ging.«

»Allerdings. Vater wollte ihn nämlich in die Schlafbaracke überführen lassen.«

»Hm … Ja gewiß, ich kann's so machen, wie Sie vorschlagen, Missie. Und wie soll es nachts gehandhabt werden?«

»Oh, da kann ich bei ihm wachen. Das geht ganz gut.«

»Besser, wir lösen einander ab.«

»Ist nicht nötig.«

»Also gut, dann bleibe ich wenigstens während der Nacht drunten in der Küche. Ein Licht brauche ich dabei nicht. Vier Ohren hören mehr als zwei.«

Diana durchschaute Joes Absichten, wollte aber nicht darauf eingehen.

»Nein. Dafür brauche ich Sie tagsüber.«

»Wie Sie wünschen.« Joe schien mit der Entscheidung nicht ganz einverstanden zu sein. In diesem Augenblick mischte sich Arizona mit einem eigenen Vorschlag ein.

»Passen Sie auf, Missie … Sie brauchen nur zu jeder Nachtzeit hier fest an den Laden zu klopfen, dann weiß ich, daß ich den Doktor holen soll. Ich stehe Ihnen immer zur Verfügung.«

Fest sah ihm das Mädel in die Augen, aber Arizona ließ sich von seinen Gedanken nichts anmerken.

»Ihr seid zuverlässige Männer, ihr beiden«, sagte Diana warm. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wieviel mir Ihre Hilfe bedeutet.«

»Da ist gar nichts zu danken, Missie. Ich glaube nur, daß ein Doktor 'ne verdammt wichtige Persönlichkeit ist, wenn ein Kranker im Haus liegt.«

»Ganz besonders bei Nacht«, setzte Joe nachdenklich hinzu.

Kaum hatte Diana das Zimmer verlassen, als sich schwere Schritte näherten. Offenbar rührten sie von Jake her. Der Vormann überbrachte für Arizona des Ranchers Befehl, sofort ins Herrenhaus zu kommen.

 

Diana fühlte, daß sie recht daran getan hatte, die Hilfe jener beiden Männer in Anspruch zu nehmen. Sie fürchtete sich vor ihrem Vater.

Schon an diesem ersten Tage wurde der Wachdienst so gehandhabt, wie sie es mit Joe vereinbart hatte. Der Patient blieb insofern keinen Augenblick allein, als Nelson stets auf Horchposten stand, wenn Diana ihren Platz am Krankenbett vorübergehend aufgeben mußte. Übrigens hatte sie ihrem treuen Verbündeten eine eingehende Schilderung der Lage gegeben, so daß er über das Verhalten des Ranchers völlig im Bilde war. Seither trug Joe auch drinnen im Hause einen Revolver bei sich.

Arizona hatte den Sergeanten Fyles nach Willow Bluff begleitet. Er sollte bei der Aufnahme des Tatbestandes dabei sein.

»Heute nacht ist er aber wieder hier«, erklärte Joe, nachdem er Diana von der Abwesenheit Arizonas in Kenntnis gesetzt hatte. »Das ist so sicher wie's Amen in der Kirche.«

Diana war zufrieden.

Der Tag und die folgende Nacht verliefen ohne Zwischenfälle. Obwohl niemand etwas von der Rückkehr Arizonas gehört hatte, vernahm Diana doch zweimal drunten vor dem Fenster Schritte, und sie wußte sehr wohl, von wem sie herrührten.

Der zweite, der dritte Tag brachten keine Veränderung. Tresler rührte sich nicht. Er lag noch genau so da, wie man ihn auf das Bett gelegt hatte. Täglich kam der kernige kleine Arzt von Forks herüber. Vor Beendigung seines dritten Besuches machte er ein sehr ernstes Gesicht, als Diana mit Fragen in ihn drang. »Er müßte allmählich zu sich kommen«, sagte er kopfschüttelnd. »Gefällt mir nicht. Wenn nicht bald die Wendung zum Besseren eintritt, dann … stirbt er uns doch noch. Drei Tage und kein Lebenszeichen … Aber Kopf hoch, Schwester … Geben wir ihm noch drei Tage, ehe wir ein Gewaltmittel anwenden. Komme nicht wieder, ehe er aufwacht. Schicken Sie jemanden zu mir, wenn's so weit ist. Braves Mädel sind Sie … Verdienten, Erfolg Ihrer Mühen zu sehen. Wiedersehen!«

Gerade dieses stumme Warten stellte an Dianas Nerven gewaltige Anforderungen. Sie fühlte ihre eigenen Kräfte schwinden. Kopfschmerzen stellten sich ein. Während dreier Tage und Nächte hatte sie alles in allem sechs Stunden geschlafen.

Nun stand wieder eine Nacht bevor. Mehrmals war Diana drauf und dran, den alten Joe zu rufen und von seinem Angebot Gebrauch zu machen, denn sie vermochte sich kaum noch aufrecht zu halten.

Nach dem Abendessen blieb Joe länger als gewöhnlich in der Küche, ohne daß es Diana auffiel. Sobald sie mit ihrer eigenen Arbeit fertig war, schickte sie sich an, wieder ins Krankenzimmer hinaufzugehen. »Sie brauchen nur noch auszufegen, Joe«, sagte sie. »Wenn Sie das getan haben, dann sind wir fertig.«

Nelson trocknete einen Teller ab und warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu.

»Er hat noch immer kein Zeichen wiederkehrenden Lebens gegeben, Miss Dianny?«

»Nein.«

Diana lehnte am Tisch. Sie seufzte vor Müdigkeit.

»Sie, Miss Dianny… der Doktor meint, es könnte noch weitere drei Tage dauern. Verdammt lange. Ich meine, daß Sie dann, wenn's so weit ist, erst recht munter sein müßten.«

»Das werde ich schon, Joe.«

Aber der Kleine wiegte bedenklich den grauen Kopf. Er verließ den Waschbottich, trocknete sich die Hände und trat dann dichter zu seiner Herrin heran. »Ich selbst kann jetzt noch nicht schlafen, Missie. Schlage vor, daß ich mich ein bißchen zu ihm setze. Legen Sie sich nur hin. So sechs Stunden Schlaf macht einen neuen Menschen aus Ihnen. Habe sagen hören, daß der Pfleger oft einen großen Einfluß auf den Patienten hat. Könnte sein, daß er nur deswegen nicht zu sich kommt, weil Sie selbst so müde und matt sind …«

Diana lächelte ein wenig. Die Treue dieses einfachen Menschen tat ihr unendlich wohl.

»Nein, nein, Joe …« sagte sie herzlich. »Das gibt es nicht. Ich weiß, daß Sie mir Ihre letzte Brotrinde geben würden, wenn Sie selbst am Verhungern wären. Sie tun unendlich viel mehr für mich als irgendein anderer, und ich kann nicht noch mehr von Ihnen annehmen …«

»Sie irren sich, Miss Dianny«, gab der Alte beinahe unfreundlich zur Antwort. »Ist nicht für Sie … geschieht nur seinetwegen. Sie müssen nicht vergessen, daß Arizona und ich große Hoffnungen auf ihn setzen …«

»Inwiefern?«

»Hm … also ja … er wird doch selbst ein Rancher werden … Da werden Sie doch verstehen, daß …« Joe bemühte sich, ein ganz gerissenes Gesicht zu machen, was ihm aber nur sehr unvollkommen gelang.

»Nein, ich verstehe nichts.«

»Also dann … es könnte doch sein, daß Arizona und ich … daß wir einen netten kleinen Posten bekämen, nicht?«

»Sie schwatzen Unsinn und wissen das auch sehr gut.«

»Wieso denn?«

Der Kleine sah ganz niedergedonnert aus, als er sah, daß Diana nicht auf seine kleine Kriegslist hereinfiel.

»Sie wollen ja nur erreichen, daß ich mich schlafen lege. Ich denke gar nicht daran. Mein guter Joe, fast könnte ich lachen.«

»Na, ich sehe aber wirklich nicht ein, weswegen wir beide zugleich wachen sollen.«

»Ich auch nicht. Es genügt, wenn ich es tue, und übrigens fühle ich mich wieder ganz frisch.«

»Dann habe ich nichts mehr zu sagen.«

So nahm Diana also abermals ihren Platz neben dem Bett des Kranken ein. Sie gedachte sich so lange wach zu halten, als es ihr irgend möglich war, und danach Joe Nelson wieder den Horchposten im unteren Vorplatz beziehen zu lassen. Eine geschlagene Stunde lang kämpfte sie gegen ihre Müdigkeit an. Wohl gelang es ihr dabei, die Augen offen zu halten, aber ihre Sinne waren wie gelähmt. In einer Art von Wachtraum sah sie Tresler als Toten vor sich liegen. Zweifellos war dieser Zustand nur der Übergang zum wirklichen Schlaf, aber mit einemmal geschah etwas, was sie wieder vollkommen in die Welt der Tatsachen zurückrief. Tresler hatte deutlich den einen Arm bewegt.

Im Augenblick stand sie an seiner Seite, bereit, ihm die Arznei einzuflößen, die Dr. Osler dagelassen hatte. Wirklich, mit dem Aussehen des Gesichtes, das da so bleich in den Kissen lag, war eine Veränderung vorgegangen. Es hatte die leichenhafte Farbe verloren. Diana hätte am liebsten vor lauter Freude laut aufgeschrien.

Leidenschaftlich erregt nahm sie ihren Platz wieder ein, und dabei fiel ihr ein, wie nahe sie dem Einschlafen gewesen war. Um allen Möglichkeiten gewachsen zu sein, wollte sie den Eingang versperren. Wie aber? … Der Gedanke an die Blindheit ihres Vaters ließ sie eine brauchbare Lösung finden.

Sie ergriff zwei Stühle und lehnte sie derart an die oberste Treppenstufe, daß die leiseste Berührung sie zum Umfallen bringen mußte. Darauf begann sie, im oberen Flur auf und ab zu gehen, um sich besser wach halten zu können. Von Zeit zu Zeit warf sie dabei einen Blick ins Krankenzimmer.

Träge schlichen die Stunden dahin. Tresler lag wieder regungslos da. Nach Mitternacht war es, als das Mädchen einfach die Augen nicht mehr offen zu halten vermochte. Mehrmals ertappte sich Diana dabei, daß sie taumelte. Fast verzweifelt nahm sie die Lampe aus der Stube des Kranken und ging damit in ihr eigenes Zimmer hinüber, wo sie sich Gesicht und Hände gründlich mit kaltem Wasser wusch. Das erfrischte sie derart, daß sie es wagte, sich für einen Augenblick auf den Rand ihres Bettes zu setzen. Sie hätte das nicht tun sollen, denn beinahe sofort fielen ihr die Lider zu …

Und Tresler regte sich. In seinem Hirn begannen sich Gedankenbilder zu formen. Halb und halb kam es ihm zum Bewußtsein, daß er auf einem Bett lag. Dabei schien es jedoch, als sei er mit schweren Ketten gefesselt worden, die jede wirkliche Bewegung ausschlossen, trotzdem er sich die größte Mühe gab, sie abzustreifen. Und während all der Zeit stand Jake dabei und verhöhnte ihn.

Schließlich wurde ihm die Sache zu dumm, und er rief nach Arizona. Er schrie sogar aus Leibeskräften, doch ohne die eigene Stimme hören zu können. Das wiederholte sich mehrere Male. Dann verschwand Jake und er blieb allein zurück. In Erwartung dessen, was nun weiterhin erfolgen sollte, verhielt er sich still … Aber was war denn dies nun wieder? … Er lag ja plötzlich auf freier Prärie, wo man ihn mit Händen und Füßen an eingerammte Pfähle gefesselt hatte. Der Mond schien hell und aus der Ferne tönte das Geheul hungriger Wölfe herüber. Er sollte offenbar bei lebendigem Leibe von ihnen gefressen werden. Näher kam das Geheul … immer näher. Jetzt erkannte er die Umrisse der Bestien. Wie langsam sie herbei schlichen! … Ein besonders großes Tier war wohl der Führer des Rudels. Merkwürdig, es besaß ja ein menschliches Gesicht … das Gesicht des blinden Ranchers, die roten Augen leuchteten wie glühende Kohlen. Jetzt erhob es sich sogar auf die Hinterpfoten, und während sich der Werwolf über ihn beugte, erkannte Tresler, daß er auch einen Schlafanzug anhatte wie Julian Marbolt.

Der Gefesselte war sich seiner völligen Machtlosigkeit bewußt. Auf Gnade und Ungnade war er dem Ungeheuer ausgeliefert. Er sah die gierig gefletschten Wolfszähne. Wie es jetzt behutsam umherspähte, um sich gegen Störungen zu sichern! … Und nun kam es … beugte sich ganz nahe herzu … legte die Vorderpranken … oder waren es Hände? … dem Daliegenden auf den Hals, und wie aus weiter Ferne vernahm Tresler die Worte …

»So, du willst sie also heiraten? Fehlte gerade noch! Weißt du, ich könnte dir ja die Gurgel durchschneiden, aber wozu? … Nur ein bißchen Blut brauchen wir zu verlieren … eine ganz kleine Menge.«

Deutlich spürte der Träumende, wie das Scheusal sich jetzt an seinem Halse zu schaffen machte. Feuchtkalt waren die Finger.

Und dann plötzlich ging eine starke Veränderung der Szene vor sich. Ein helles Licht überstrahlte alles. Tresler sah nur dieses Licht und den Werwolf. Das gierige Raubtier wich nicht so leicht. Noch immer tasteten die kalten Finger an seinem Halse herum, wenn sie auch unruhig zitterten, als habe der Schein den Dämon geblendet. Nun richtete sich dieser jählings auf und wandte sich von seinem Opfer fort, als spreche er zu dem Licht. Merkwürdig, wie sanft die Stimme klang.

»Es geht ihm besser, wie? … Nun, er wird schon wieder gesund werden.« Irgendwie gewann der Träumende den Eindruck, daß der Werwolf lachte und die anderen Coyoten lachten mit ihm. Nach kurzem Schweigen antwortete ihm eine andere Stimme, und sie drang aus dem Licht hervor.

»Was tust du hier, Vater?«

Bekannt kamen Tresler die Stimmen vor. Wo nur hatte er sie schon früher gehört? Noch während er sann, klang es auf einmal in furchtbarem Erschrecken: »Allmächtiger Gott! … Der Verband!«

Des Daliegenden Gedanken wurden wieder ganz verwirrt. Er sah, wie der Wolfsmensch grimmig und entschlossen ins Licht starrte. Das war aufregend … Aber dann ertönte abermals die Stimme aus dem Licht.

»Geh!« klang es drohend und doch voller Entsetzen.

»Wage es nicht, mich anzurühren, sonst schmettere ich dir die Lampe ins Gesicht. Packe dich fort! Ich rufe von drunten Hilfe herbei, verstehst du? … Bewaffnete Hilfe!«

Noch immer waren die Augen des Werwolfes auf das Licht gerichtet, doch der erwartete Angriff unterblieb. Nun knurrte das Geschöpf etwas Unverständliches vor sich hin … es tastete sich davon. Gleich darauf erlosch das Licht, das Heulen der Coyoten verstummte, und von neuem schien der Mond auf die Prärie herab …


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