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18

Die frühe Morgensonne schien zum offenen Fenster herein, als Tresler endlich wieder zu sich kam. Und – seltsam genug – es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Diana die Veränderung im Zustand des geliebten Mannes bemerkte.

Dabei war sie doch völlig wach. Zum erstenmal aber seit Beginn ihres Pflegedienstes schweiften ihre Gedanken von dem Kranken ab.

Tresler lag regungslos. Seine Augen starrten zur Zimmerdecke empor. Obgleich er bei vollem Bewußtsein war, nahm er noch keinen lebendigen Anteil an seiner Umgebung. Es war ihm nur so, als habe er einen schweren Traum gehabt.

Anders die Gedanken des Mädchens. Die waren von einer erschreckenden Deutlichkeit, und viel hätte Diana darum gegeben, sie als leere Träume bezeichnen zu dürfen … Treslers Leben hatte in höchster Gefahr geschwebt, denn unzweifelhaft war es Julian Marbolts Absicht gewesen, die kaum geschlossene Wunde wieder gewaltsam zu öffnen! … Nie im Leben würde Diana den grauenvollen Auftritt vergessen, der damit begann, daß sie jählings erwachend merkte, auf ihrem Bett sitzend eingeschlafen zu sein. Dabei konnte sie sich nicht entsinnen, durch irgendein Geräusch geweckt worden zu sein. Auf Zehenspitzen war sie zur Treppe geeilt, um dort angekommen erschrocken feststellen zu müssen, daß in der Zwischenzeit jemand das aus Stühlen gebildete Hindernis fortgeräumt hatte. Und dann die Begegnung mit dem Vater! Wie er vorgebeugt beim Bett stand und am Verband des Kranken zerrte …

So weit war sie mit ihrem Grübeln gekommen, als sie mit einem Male merkte, daß Tresler mit offenen Augen dalag.

»Du … du! … Dem Himmel sei Dank!« kam es leise und doch so voller Innigkeit von ihren Lippen.

Und der Klang der geliebten Stimme war es, der Treslers Verständnis für seine Umgebung weckte.

»Wo bin ich denn?« flüsterte er kaum hörbar.

Aber schon gewann das Pflichtgefühl der Krankenschwester in Diana wieder die Oberhand. Sie bedeutete ihm zu schweigen, während sie ihm behutsam die bereitgehaltene Arznei einflößte. Erst dann beantwortete sie seine Frage.

»Du liegst in dem Fremdenzimmer, das an das meinige grenzt.«

Ihr weiblicher Instinkt sagte ihr, daß ihn diese Auskunft restlos befriedigen würde. Er lächelte glücklich, schloß die Augen und schlief ein.

Sowie er ruhig atmend schlummerte, eilte Diana zu Joe hinunter, um ihm die gute Nachricht mitzuteilen. Dann machte sie sich auf die Suche nach Jake, damit er sofort einen Reiter zum Dr. Osler schicke. Der Riese gab ohne weiteres lächelnd seine Zustimmung, aber dies Lächeln entsprang keiner guten Herzensregung.

»Bin sehr froh, daß er auf dem Wege der Besserung ist«, erklärte er. »Wahrhaftig, das ist doch ein ganzer Kerl … Tut mir eigentlich leid, daß wir einander so wenig verstanden. Schuld wird wohl auf beiden Seiten liegen. Schade, jetzt ist es zu spät zur wirklichen Aussöhnung … jetzt, wo er uns verlassen wird.«

»Verlassen …?!«

»Gewiß«, nickte der Vormann, und dabei bekam seine Stimme wieder den üblichen rauhen Klang. »Weiß der Teufel, Ihr Vater hat einen fürchterlichen Zorn auf ihn. Ich habe Julian Marbolt wahrhaftig oft genug wütend gesehen, aber so etwas von Haß, wie er ihn gegen Ihren … Freund hegt, ist selbst mir was Neues. Sowie Tresler wieder einigermaßen beieinander ist, muß er fort, und zwar schnellstens. Wenn ich nur wüßte, was Ihren Vater so maßlos aufgebracht hat. Sie werden doch nicht etwa so leichtsinnig gewesen sein, ihm etwas von Ihren … Beziehungen mitzuteilen?«

Das Gesicht des Mädchens nahm bei diesen Worten ein sehr verschlossenes, zurückhaltendes Aussehen an. »Was auch immer geschehen mag, unter keinen Umständen wird Mr. Tresler ohne ausdrückliche Zustimmung des Arztes unser Haus verlassen. Vielleicht interessiert es Sie, zu wissen, daß Dr. Osler erst dann diese Zustimmung erteilen wird, wenn es mir paßt.«

»Sie sind verrückt!« entfuhr es Jake, der sich nicht länger zu beherrschen vermochte. »Meinetwegen soll er also hierbleiben«, setzte er höhnisch hinzu. »Ich wünsche ihm alles Gute; habe meine Gründe dazu … Aber machen Sie sich nichts weis, er ist bestimmt die längste Zeit auf dem Hof gewesen, und wenn er erst einmal fort ist, dann werden Sie vielleicht die Vorteile einer ehelichen Verbindung mit mir besser zu würdigen wissen … Na, na, nur nicht gleich wieder überkochen, ja? … Sehen übrigens entzückend aus, wenn Sie zornig sind … Also sorgen Sie nur weiter dafür, daß der Junge wieder zurechtkommt; mehr werden Sie ohnehin nicht für ihn tun können.«

Diana hatte ihm bereits den Rücken zugekehrt, so daß sie die letzten Worte kaum noch hörte. Von einer neuen schweren Sorge bedrückt, begab sie sich wieder auf ihren Posten im Krankenzimmer.

Dr. Osler kam. Er versicherte, daß es jetzt lediglich darauf ankomme, die Wunde gut heilen zu lassen und nach Möglichkeit die Kräftigung des Patienten zu fördern. In seiner abgehackten Sprechweise verordnete er Krankenkost und verschiedene Arzneien. Im übrigen sei es nicht mehr nötig, die Nächte durch zu wachen.

 

So vergingen drei Wochen, während sich Tresler überraschend schnell erholte.

Aber inzwischen geschah allerlei. Offenbar hatte die bei Willow Bluff erlittene Schlappe die Nachtreiter mit unbändiger Rachsucht erfüllt, denn es erfolgten binnen kürzester Frist nicht weniger als vier Überfälle. Die Polizei war machtlos. Vieh wurde fortgetrieben, und wer sich dem widersetzte, bekam ohne weiteres eine Kugel. Ein wahres Schreckensregiment setzte ein. Siedler, die seit vielen Jahren in der Gegend ansässig waren, erklärten, auswandern zu wollen. Wenn man woanders möglicherweise mehr für den Grund und Boden bezahlen müsse, so sei man doch zum mindesten einigermaßen seines Lebens sicher.

So also war die Lage, als Tresler wieder aufstehen und mitunter am offenen Fenster in der Sonne sitzen durfte. Diana sprach viel mit ihm über diese Dinge, wobei sie es allerdings vermied, das zu berühren, was das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Vater betraf. So wußte er zum Beispiel nichts davon, daß Marbolt ihn am liebsten schon längst aus dem Hause gewiesen hätte; ebensowenig wie von seinen Drohungen und dem heimtückischen nächtlichen Mordversuch, der in letzter Minute durch Dianas Dazwischenkunft vereitelt worden war.

Die an sich für die beiden jungen Menschen so reiche Zeit der fortschreitenden Genesung fand ein jähes Ende.

Beim Mittagessen war es. Der Rancher, der seit jener grauenvollen Nacht den Namen Treslers überhaupt nicht mehr ausgesprochen hatte, stand auf, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen, blieb dann jedoch auf der Türschwelle vorübergehend stehen.

»Was ich noch sagen wollte«, bemerkte er in sachlicher Weise, »dem Tresler geht es jetzt wieder so gut, daß er ins Schlafhaus der Cowboys übersiedeln kann. Bitte veranlasse das Nötige.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er. Es war also so weit. Sie mußte sich von dem Mann, dem ihre ganze Liebe gehörte, trennen. Selbst Dr. Osler vermochte ihr da nicht zu helfen.

Schweren Herzens begab sie sich an diesem Nachmittag ins Krankenzimmer hinauf. Tresler trug nur noch einen leichten Verband. Nun saß er ihr gegenüber an dem kleinen Tisch, an dem sie ihre Näharbeiten zu erledigen pflegte.

»Du entsinnst dich des Tages, da ich hier in der mir ungewohnten Umgebung erwachte, Danny«, begann er unvermittelt. »Je länger ich darüber nachdenke, um so stärker gewinne ich den Eindruck, daß ich nicht die ganze Zeit ununterbrochen bewußtlos gewesen bin. Kann sein, daß ich nur geschlafen habe.« Sie schüttelte den Kopf, aber Tresler blieb vorderhand bei seiner Meinung.

»Jedenfalls entsinne ich mich ganz deutlich eines Traumbildes, oder sollte ich besser sagen, eines Alpdrucks. Es handelte sich dabei um deinen Vater. Er packte mich beim Halse und … aber was ist dir, Kind?«

Diana war zusammengezuckt, faßte sich jedoch schnell wieder.

»Nichts … nur, nur … es greift mich immer an, jener Zeiten zu gedenken. Denke nicht weiter an solche Träume. Laß uns lieber von anderen Dingen sprechen.«

Da beugte sich Tresler vor und küßte ihren Mund. »Über unsere Zukunft meinst du … und unser Heim?« flüsterte er zärtlich.

Tapfer versuchte sie, sein Lächeln zu erwidern, aber es gelang ihr so schlecht, daß Tresler sofort erkannte, es müsse irgend etwas nicht stimmen. Er drängte sie, ihm die volle Wahrheit zu sagen.

»Du hast mich noch nie nach meiner Herkunft gefragt«, begann Diana nach einiger Weile. »Es zeigt mir, daß du mir rückhaltlos dein Vertrauen schenkst. Aber von mir aus will ich dir erzählen, was du wissen mußt. Setze dich jetzt mal ganz ruhig hin und zünde dir die Pfeife an. Unterbrechen darfst du mich nicht.« Sanft schob sie ihn von sich.

»Also, wir müssen weit ausholen, bis in die Zeit, die noch vor meiner Geburt liegt. Damals war mein Vater Seemann; erst als Kapitän eines Walfängers, und später kaufte er sich ein Schiff und trieb auf eigene Faust Handel in den ostindischen Gewässern. Welcher Art dieser Handel war, habe ich nie in Erfahrung bringen können, doch muß es viel Aufregungen dabei gegeben haben, öfters erwähnte er die dabei bestandenen Gefahren, die nur durch erheblichen Gewinn gerechtfertigt gewesen seien. Jedenfalls verdiente er eine Menge Geld, denn er heiratete meine Mutter und baute außerhalb von Kingston auf Jamaica ein schönes Haus, das von einem ganzen Schwarm schwarzer Dienstboten in Ordnung gehalten wurde. Im übrigen bekam ich immer wieder von ihm zu hören, daß der Tag seiner Vermählung die schlimme Wendung in sein bisher glückliches Dasein gebracht habe. So über meine verstorbene Mutter zu sprechen, fand ich wenig ritterlich. Zudem glaube ich, daß vielmehr meine Mutter ein schweres Leben an seiner Seite führte.

Fast unmittelbar nach den Flitterwochen unternahm er eine letzte Handelsreise, die ihn diesmal nach Java führte. Jake war sein Steuermann. Nach Verlauf von sechs Monaten hofften sie heimkehren zu können. Allein schon viel früher gab es eine böse Unterbrechung. Vater bekam einen Anfall von Gelbem Fieber. Seither hat er niemals wieder das Tageslicht gesehen.

Blind kehrte er heim. Alle Pflege, die meine Mutter ihm angedeihen ließ, konnte ihm doch nicht das Augenlicht wiedergeben. Er trug seinen Schicksalsschlag nicht ergeben, sondern wurde immer unleidlicher. Seine Freunde zogen sich von ihm zurück. Nur Jake blieb bei ihm. Zuletzt verfiel er auf den Gedanken, in Europa Heilung zu suchen. Meine Mutter durfte ihn nicht begleiten. Drei Jahre lang blieb er fort, aber es gab keinen Arzt, der ihm hätte helfen können. Verbitterter denn je zuvor kehrte er zurück. Wenige Tage vor seinem Eintreffen wurde ich geboren. Meine Mutter starb noch am Tage der Wiederkehr.

Meine persönlichen Erinnerungen beginnen erst auf dieser Ranch. Vater wurde zum erbitterten Menschenfeind. Und dies ist alles, was ich dir zunächst zu erzählen habe.«

»So ungefähr habe ich mir die Vergangenheit deines Vaters auch vorgestellt«, bemerkte Tresler ruhig.

Eine Zeitlang herrschte Schweigen. Beide jungen Menschen hingen ihren Gedanken nach und blickten durchs Fenster hinaus versonnen ins Weite. Endlich ergriff Diana wieder das Wort, und diesmal bebte ihre Stimme.

»John, – ich habe nicht ohne bestimmten Grund von diesen Dingen gesprochen.«

»Das kann ich mir denken«, gab er lächelnd zur Antwort. »Nur kenne ich diesen Grund noch immer nicht.«

Wieder entstand eine lange Gesprächspause.

»Vater mag dich nicht«, sagte Diana dann leise.

Da legte Tresler seine Pfeife beiseite.

»Mir scheint, daß er keinem seiner Mitmenschen sonderlich wohlwill, sofern man von Jake Harnach absieht. Und selbst die Freundschaft zwischen ihm und Jake scheint mehr als brüchig zu sein.«

»Zum mindesten vertraut er Jake.«

»Kann sein. Aber wie kommst du auf die Vermutung, daß ich ihm ganz besonders zuwider bin?«

»Du erinnerst dich des Abends in der Küche, da du mich um meine Hand batest?«

»Als wenn ich das jemals vergessen könnte!«

»Es hatte zuvor einen abscheulichen Auftritt mit Vater gegeben, weil ich öfters mit dir zusammentraf. Jetzt verlangt er, daß ich dich aufgebe.«

Tresler verharrte während einiger Sekunden regungslos.

»Und du …?« fragte er dann sehr ernst.

»Ich … ich wage es nicht, dich zu heiraten.«

»Du wagst es nicht? Was soll das heißen?«

»Begreifst du denn nicht? … Er ist doch blind und ich bin seine einzige Stütze … aber was rede ich da …?«

»Wie mir scheint, eine ganze Menge Unsinn. Du willst mir also den Laufpaß geben, einzig und allein, weil er es will?«

»Nicht nur deswegen.«

»Wer hat uns denn überhaupt verraten?«

»Ich weiß nicht.«

»Tut vorläufig auch nichts zur Sache. Ich ahne es allerdings. Wie aber verhält es sich mit jenem anderen Grund?« Tresler hatte sich vorgebeugt und beide Hände des Mädchens ergriffen. »Du, bedenke, daß es sich zwischen uns um keine Kinderei handelt. Ich bin nicht der Mann, der die Frau, die er liebt, so ohne weiteres preisgibt. Noch steckt die alte Kampflust in mir, und solange ich deiner Liebe gewiß bin, so lange soll nichts auf der Welt uns trennen. Dich will ich und keine andere. Also wie ist es mit dem geheimnisvollen Grund?«

Noch immer suchte Diana Ausflüchte zu machen.

»Vater sagt, daß du heute noch in das Schlafhaus umziehen sollst, und später will man dich davonjagen. Nur der Polizei, die den Anordnungen Oslers Rückhalt verleiht, ist es zu danken, daß es nicht bereits geschah.«

Da lachte Tresler laut auf.

»Höre mal zu. Mich aus dem Hause werfen, das kann dein Vater, wenn ich ihm auch solche Mühe ersparen werde, aber von der Ranch bringt er mich nicht fort. Laut Vertrag bleibe ich volle drei Jahre hier, und die nötige Summe ist bereits im voraus bezahlt worden. Bitte, sträube dich nicht länger, Danny, und sage mir die volle Wahrheit.«

»Die sagte ich dir schon vorhin, aber du scheinst sie überhört zu haben.«

»Wieso?«

»Julian Marbolt ist doch gar nicht mein wirklicher Vater. Er war drei Jahre abwesend, ehe ich zur Welt kam …«

»Nun, und was weiter?«

Da Diana schwieg, stand er plötzlich auf, trat zu ihr auf die andere Seite des Tisches hinüber, beugte sich über sie und nahm sie in seine Arme.

»Weißt du, Mädel, wenn ich mich jemals über etwas so recht aus Herzensgrund freute, dann ist es die Erkenntnis, daß du mit Julian Marbolt nicht blutsverwandt bist … Und für mich bist du das liebste, das köstlichste und herzigste Geschöpf auf Gottes weiter Welt. Darum sei es noch einmal gesagt: so wie ich dich jetzt halte, so halte ich dich fest für alle Zeiten meines Daseins. Dich sollte ich aufgeben? … Ausgerechnet dich? … Für wen hältst du mich, Danny?«


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