Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21

Drinnen in der Hütte umstanden die Cowboys die sterblichen Reste ihres Peinigers, während Tresler den Oberkörper des Ermordeten entblößte, damit der Arzt und die Polizei ohne weiteres die Wunden begutachten konnten. Noch war er mit seiner Tätigkeit nicht fertig, als ein Geräusch von der Tür her ihn aufsehen ließ. Schlurfenden Schrittes kam Julian Marbolt selbst herbei.

»Wo ist er … wo ist Jake?«

Die Frage hatte niemandem persönlich gegolten, aber Tresler antwortete sofort.

»Dicht vor Ihnen auf dem Bett liegt er.«

Der Blinde zuckte zusammen. »Ach, Sie sind's, Tresler …« murmelte er dann, worauf er sich über das Bett beugte. Vorsichtig, aber zielsicher fanden die tastenden Hände die eine der Wunden, zogen sich dann aber wie angeekelt von dem Gefühl zurück.

»Er ist doch nicht etwa tot?«

»Doch.«

»Wer tat es?« Höchste Spannung klang aus der Frage, und über ein halbes Dutzend von Stimmen antwortete ihm, als bedeute die Nennung des Namens gleichzeitig Befreiung von unerträglichem Druck.

»Anton!«

»Anton? … Und wo ist er? Haben Sie ihn erwischt?«

Der Rancher hatte sich dorthin gewandt, wo er Tresler vermutete.

»Anton ist auf einem Ihrer Pferde geflohen, Mister Marbolt. Ich selbst war leider zu Fuß, so daß er entkam.«

»Ja, aber zum Teufel, deswegen brauchen Sie jetzt doch nicht alle hier bei dem Toten zu bleiben! Hat denn keiner so viel Verstand, daß er die Verfolgung aufnimmt?«

»Arizona setzt ihm bereits nach. Der läßt sich so leicht von keiner Spur abbringen.«

Scharf stieß der Blinde die nächste Frage hervor.

»Wie meinen Sie?«

»Arizona hegt keine sonderliche Zuneigung zu dem Mischling.«

»Hm … ach so … Und Jake? Wer fand ihn? Wer war zur Stelle, als er starb?«

Starr waren jetzt Marbolts Augen auf Tresler gerichtet.

»Ich fand ihn. Er muß sofort tot gewesen sein.«

»So …«

Während einiger Minuten verweilte der Rancher schweigend an der Leiche seines Vormannes. Dann aber begann er mit verhaltener Stimme eine Totenklage, die ihrer Verlogenheit wegen in Tresler das Verlangen weckte, dem Heuchler an die Gurgel zu springen.

»Mein guter, alter Jake … du armer Kerl, wäre ich doch deinem Rat gefolgt und hätte den Schurken zum Teufel gejagt … Wie es wohl gekommen sein mag? … Vielleicht war dein Jähzorn dran schuld …« Mit etwas verändertem Tonfall richtete er das Wort an die Umstehenden. »Dort liegt nun der treueste, der einzige Freund, den ich jemals hatte. Er blieb mir treu, als alle anderen mich verließen. Ja, er kämpfte mit mir zusammen gegen die Indianer. Mein armer, alter Jake … und nun mußte er ein solches Ende finden!« Plötzlich erhob er leidenschaftlich die Stimme: »Verdammt nochmal! Jedem einzelnen von euch verspreche ich tausend Dollar, wenn er Anton tot oder lebendig zurückbringt. Am besten tot, denn dann kann er nicht mehr entkommen. Tausend Dollar!«

Tresler hielt die schamlose Komödie nicht länger aus. »Bemühen Sie sich nicht, Mister Marbolt«, sagte er eisig. »Der Mann, der Anton nachgeritten ist, der wird ihn finden. Und Sie dürfen sogar unbesorgt sein, denn er wird keinen Dollar dafür von Ihnen haben wollen.«

»Sie sind sehr zuversichtlich.«

»Ich habe allen Grund, es zu sein.«

Zweifelnd schüttelte der Blinde den Kopf.

»Aufrichtig hoffe ich, daß Sie recht behalten«, fuhr er dann ruhiger fort. »Vorderhand gibt es hier noch Verschiedenes zu tun. Der Arzt muß benachrichtigt werden. Schicken Sie gleich morgen in der Frühe einen Reiter zu ihm und zur Polizei, Tresler. Heute nacht hat es keinen Zweck mehr …«

Seufzend wandte er sich ab, blieb dann aber noch an der Tür stehen.

»Tresler, Sie übernehmen vorläufig des Verstorbenen Stelle. Schließen Sie die Tür nachher ab … Und glauben Sie ernstlich, daß Arizona seinen Mann zur Strecke bringen wird?«

»Unbedingt.«

Tresler mußte lächeln, denn er glaubte die lebhafte Teilnahme des Blinden zu verstehen.

Dann verhallte das tappende Geräusch des Stockes. Tresler dachte nach. Er wußte, daß Marbolt nichts von seiner Anwesenheit bei der letzten Szene mit Jake ahnte. Tiefste Verachtung hegte er für den verbrecherischen Rancher.

Die Leute blieben auch dann noch stumm, als von den Schritten Marbolts nichts mehr zu hören war.

»Raw«, sagte Tresler, »wollen Sie die Benachrichtigung des Doktors übernehmen?«

»Morgen, sagte doch der Rancher?«

»Stimmt. Wenn Sie mir aber einen großen Gefallen tun wollen, dann reiten Sie jetzt gleich. Später kommen Sie zur Witwe Dangley, wo Sie uns alle im Versteck finden werden.«

Sofort drängten die Männer neugierig herzu.

»Was soll das heißen?« fragte Jacob aufgeregt.

»Machen Sie bloß keine schlechten Witze.« Raw wollte sogar ärgerlich werden.

»Nichts liegt mir ferner«, gab Tresler sehr ernst zur Antwort. »Hört mal alle zu. Ich möchte, daß ihr hier einer nach dem anderen ganz unauffällig verschwindet. Bis zum Dangley-Haus sind's rund acht englische Meilen. Sorgt dafür, daß ihr um halb zwei Uhr morgens dort seid … und daß mir keiner seine Revolver vergißt. Dicht beim Haus beginnt ein größeres Waldstück … Ich werde selbst zur Stelle sein. Desgleichen die Gendarmerie … Marbolts Erlaubnis wird nicht erst eingeholt, denn ich will keinen Mißerfolg wagen.«

»Ich bin dabei«, erklärte Raw mit Nachdruck, und begeistert stimmten die anderen zu. Dann entfernten sich die Männer, und nachdem Tresler die Lampe ausgelöscht hatte, schloß er die Tür von außen zu. Er schlich zur Herrschaftsküche. Diana und Joe waren dort. An Joes Gürtel baumelten zwei Schußwaffen. »Bleib heute nacht auf, Danny, aber laß deinen Vater nichts davon wissen. Und du, Joe, du wirst ungespitzt in den Boden geschlagen, wenn du einschläfst!«

Tresler eilte davon und sattelte schleunigst die hochbeinige Stute, wobei er ganz leise zu Werke ging, damit der Rancher nichts hören konnte. Erst als im Herrenhaus das letzte Licht erloschen war, saß er auf und ritt in die Nacht davon.

 

Die Ranch der Witwe Dangley lag in einem ziemlich engen, von einem Zufluß des Mosquito River durchzogenen Tal. Der scharfen und steilen Ränder wegen hätte man auch von einer Schlucht sprechen können. Dichtes Unterholz wechselte mit größeren Waldstücken ab. Vom eigentlichen Wohnhaus aus waren die Korrals nicht zu sehen.

Tresler besah sich das vom Mondlicht übergossene Gelände. Sergeant Fyles, mit dem er noch etliche Einzelheiten des Feldzugsplanes zu besprechen hatte, befand sich bei ihm.

»Wie steht es eigentlich mit der Zeit?« fragte der Beamte, nachdem eine kleine Gesprächspause eingetreten war.

»Eine halbe Stunde dürfte uns noch zur Verfügung stehen.« Tresler deutete zum jenseitigen Talrand hinüber. »Da drüben kommt einer Ihrer Leute den Hang herab.«

»Richtig. Weiter unterhalb ist noch einer. Und wo sind Ihre Männer?«

»In dem Waldstück, das sich unmittelbar an die Rückseite der Korrals anschließt.«

»Wie viele?«

»Vier, einschließlich des Kochs.«

»Also zusammen mit den meinigen verfügen wir dann über zwanzig.«

Fyles ritt mit seinem Begleiter zusammen zum Wald, wo sich die Cowboys der Ranch vollzählig befanden. Dann ging es weiter ins Tal hinein. Eine Wolke zog über den Mond. Fyles warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Es wehte aus Südwesten und sah nach Niederschlägen aus.

»Zum mindesten werden wir nicht zuviel Licht bei der Sache haben«, meinte der Sergeant. »Ist auch besser so, denn im Grunde hängt der Erfolg davon ab, daß wir die Kerle überraschen.«

Drunten in der Schlucht bargen sich die Gendarmen im reichlichen Gestrüpp. Fyles teilte seine Streitmacht nunmehr in zwei Abteilungen. Die eine wurde Tresler anvertraut und hatte in auseinandergezogener Ordnung östlich der Ranch gedeckte Aufstellung zu nehmen. Die andere, die er selbst übernahm, rückte nach Westen, nachdem zuvor zwischen den beiden Führern ein Signaldienst verabredet worden war. Der Schrei der Ohreule sollte das entscheidende Zeichen sein.

Die Zeit verstrich. Wohl stand der Mond noch am Himmel, doch barg er sich immer häufiger hinter treibendem Gewölk.

Endlich schrie eine Eule droben im Tal, und fast gleichzeitig wurde das gedämpfte Klappern von Hufen hörbar. Abermals ertönte der Eulenschrei, diesmal näher. Dann kamen etwa achtzehn Reiter in vollem Galopp hinter einer vorspringenden Waldecke hervor.

Die Stimme des Sergeanten dröhnte in die Nacht.

»Halt oder wir schießen!«

Die Berittenen parierten ihre Gäule durch. Zweimal blitzte es drüben auf, und eine der Kugeln pfiff nahe bei Fyles vorüber. Fast im selben Augenblick jedoch prasselte von zwei Seiten her eine Karabinersalve in die Reihen der überraschten Banditen.

Nun kam es zum ernsthaften Gefecht. Die Gendarmen drangen vor, und von den Korrals ertönte das jauchzende Geschrei der kampflustig herbeieilenden Cowboys.

Immerhin zeigten die Räuber, daß sie nicht feige waren, wenn es aufs Ganze ging. Sie setzten sich mit dem Mut der Verzweiflung zur Wehr, befanden sich aber in hoffnungsloser Lage wie das Wild im Kessel. Der mit großem Schneid unternommene Durchbruchsversuch scheiterte an Treslers Verteidigung und dem Eingreifen der Cowpuncher. Red Masks Bande war endlich in die Falle gegangen, und beide Parteien wußten, daß der Kampf bis zum bitteren Ende durchgeführt werden würde. Mehrere reiterlose Pferde preschten davon; auch eins der Gendarmerie befand sich darunter.

Tresler und Fyles hatten es besonders auf den Führer abgesehen, den man nach Möglichkeit lebendig fangen wollte. Die zunehmende Dunkelheit schloß jedoch jede Sicht aus. Mitunter war es schon schwierig genug, Freund und Feind zu unterscheiden.

Natürlich mußte bei dieser Gelegenheit die »Verbrecherin« die Berechtigung ihres Namens erneut unter Beweis stellen. Sie warf sich blindlings ins Getümmel und keilte nach allen Seiten aus. Schließlich geriet sie so auf die Rückseite der Kampfhandlung, wo sie sich anschickte, in die Nacht hinaus durchzugehen, aber Tresler gelang es gerade noch, sie herumzureißen. Wiederum stürmte sie vorwärts. Ein heftiger Zusammenstoß mit dem Pferde des Sergeanten erfolgte gerade, als dieser auf einen rot maskierten Kerl anschlug. Fyles fluchte fürchterlich, doch bevor beide Männer wieder fest im Sattel saßen, jagte der Rote bereits davon, dem Rande des Tales zu. Gleichzeitig aber warf sich die »Verbrecherin« auf der Hinterhand herum und raste das Tal hinunter. Im Durchgehen sah Tresler noch, daß sich Sergeant Fyles von den übrigen absonderte und die Verfolgung von Red Mask aufnahm. Tresler war wütend. Obwohl sich die Stute bereits wieder auf die Kandare festgebissen hatte, gab er so leicht nicht nach. Diesmal sollte sie eher sterben als ihren Willen durchsetzen. Als gar nichts anderes half, griff er zum Revolver und schlug ihr dessen Griff mehrfach auf den Schädel. Anfangs schien ihr das gleichgültig zu sein, dann aber bog sie den Kopf etwas zur Seite, und an dieser Bewegung nahm der Körper unwillkürlich teil. Es genügte. Im Handumdrehen riß der Reiter sie vollends herum und jagte nun ebenfalls dem fliehenden Oberbanditen nach. Der Gaul bekam die Sporen zu fühlen. Was kümmerte es Tresler, daß er sich mit Windeseile dem steilen Hang des Talrandes näherte! Ihm war es einzig und allein um die Verfolgung des vermummten Räubers zu tun. Vorwärts ging die wilde Jagd … immer vorwärts. Bergauf jetzt! Kies und Steine wirbelten unter den Hufen empor, Büsche und Zweige wurden zertreten oder beiseitegedrückt. Weit vor beugte sich der Reiter, um nicht rückwärts aus dem Sattel und über die Kruppe zu gleiten … Sie donnerten an Fyles vorbei, der alle Mühe hatte, vorwärtszukommen. Und im Vorübersausen schrie ihm Tresler eine kurze Frage zu:

»Wieviel Vorsprung hat er?«

»Muß gleich oben sein!«

Die Antwort veranlaßte Tresler dazu, seinen Gaul noch derber vorwärtszutreiben. Schon erkannte er vor sich die Höhe. Dichtes Gestrüpp säumte den Rand, aber Hals über Kopf stürzte sich die irrsinnige Stute hinein … Gleich darauf befanden sich Roß und Reiter auf offener Prärie.

Wie aus der Pistole geschossen fegte die »Verbrecherin« dahin. Für sie schien der Spaß überhaupt erst richtig anzufangen. Noch immer hielt sie die Gebißstange fest zwischen den starken Zähnen. Jetzt allerdings hätte Tresler etwas darum gegeben, wenn die Sicht ein wenig besser gewesen wäre, denn von dem Flüchtling vermochte er nichts zu entdecken.

Schon begann er, ernstlich den Abbruch der Jagd in Erwägung zu ziehen, als der Mond zeitweilig aus den Wolken hervortrat und wie durch Zauberei die Einzelheiten der Landschaft in sein bläuliches Licht tauchte. Das dauerte kaum eine halbe Minute, doch genügte die Frist, um einen Reiter zu erkennen, der dem Mosquito River zustrebte. Er hielt sich mehr rechts und mochte fast zweitausend Meter Vorsprung besitzen. Als begriffe sie, worauf es ankomme, so änderte die Stute von selbst die Richtung und streckte von neuem den Hals.

Tresler aber beugte sich weit vor und klopfte ihr fast zärtlich auf die Schulter.

»So, du Teufelin, die du bist«, murmelte er, »nun zeige, was in dir steckt!«


 << zurück weiter >>