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Tresler war übrigens wirklich froh, daß er die Auseinandersetzung mit Jake Harnach abbrechen durfte. Er wußte, daß sie alsbald eine Fortsetzung finden würde. War die Begegnung auch keineswegs erfreulich gewesen, so sagte er sich doch, daß sie früher oder später in dieser Form hatte erfolgen müssen. Dafür hätte Jake schon gesorgt.
Auf der Veranda angekommen, blieb Diana Marbolt stehen. Seit der ersten Begrüßung hatte sie kein weiteres Wort an ihren Begleiter gerichtet. Nun erst sah sie sich den Gast genauer an. Tresler merkte sehr wohl, daß sie sich über seine Persönlichkeit klar zu werden suchte, und so lächelte er freundlich zu ihr nieder.
»Werde ich den Erwartungen entsprechen?« fragte er nach einem Weilchen.
»Ich denke.«
Sie lachten beide. Aber die Stimme des Mädchens klang nicht wirklich heiter.
»Sie können es nicht mit Bestimmtheit sagen? Ist irgend etwas nicht richtig an mir? … Mein Anzug zum Beispiel?«
Wiederum lachte der Mann.
»Ach so … nein.« Die Worte drückten wohl Zweifel aus, aber dann sprach Diana entschlossen weiter. »Nein. Sie gelten sowieso als ein verwöhnter Jüngling, doch das wird sich bald geben.«
Mit solchen Worten war eigentlich das Eis gebrochen. »Schön!« rief Tresler vergnügt. »Wir werden Freunde sein, Miss Marbolt. Das weiß ich jetzt schon. Ich fürchtete bisher nur, man würde mich in Ihren Augen herabzusetzen suchen. Es hat ja auch bereits … Mißhelligkeiten gegeben.«
»Ja, auch ich glaube, daß wir gut miteinander auskommen werden. Aber nun sollen Sie sich erst mal stärken. Das Essen steht bereit. Ich sah Sie kommen und habe es sofort hergerichtet. Hoffentlich stört es Sie nicht, wenn ich mich dabei zu Ihnen setze. Ich selbst bin nämlich schon fertig. Ehe Sie meinem Vater vorgestellt werden, möchte ich aber noch ein paar Worte mit Ihnen reden.«
Wieder war ihrer Stimme ein Anflug von Besorgtheit anzumerken. Tresler aber tat, als merkte er nichts.
»Sie sind wirklich sehr freundlich, Miss Marbolt. Auch ich hätte gerne mit Ihnen geplaudert. Wie Sie sagen, bin ich ein ›verwöhnter Junge‹, ein ›Tenderfoot‹, wie man hierzulande sagt.«
Diana schritt ihm voran ins Haus. Tresler wunderte sich über die wohnlich schlichte Einrichtung dieses inmitten der Wildnis gelegenen Heims. Übrigens war das zweistöckige Gebäude sehr geräumig. Das Eßzimmer lag der Küche unmittelbar benachbart und gewährte einen Blick auf die hinter dem Hause beginnenden Wälder.
»Weibliche Dienstboten haben wir nicht, Mister Tresler«, erläuterte Diana Marbolt, während sie eine dampfende Kaffeekanne auf den Tisch stellte, die sie zuvor in der Küche geholt hatte. »Ich führe den Haushalt. Joe Nelson geht mir zur Hand und besorgt alle gröberen Arbeiten. Er ist ein ehrlicher Kerl.«
»Ich weiß, ich habe ihn schon kennengelernt.«
»So? … Nun versuchen Sie erst mal den Schinken. Die kalte Pastete ist möglicherweise etwas zähe … Ja, der alte Joe ist Engländer, hat sich hier drüben aber weitgehend amerikanisiert, denn er ist nicht weniger als vierzig Jahre in Texas ansässig gewesen. Übrigens kann man ihn ohne weiteres als gebildeten Mann bezeichnen. Er besaß eine eigene Ranch, die aber abgebrannt ist. Ich schätze ihn sehr … Aber wir sitzen schließlich nicht hier, um über den guten Joe zu plaudern.«
»Allerdings nicht.«
Tresler langte tüchtig zu und fand die Pastete alles andere als zähe.
Diana hatte so Platz genommen, daß sie dem vorhanglosen Fenster den Rücken zukehrte. Von draußen schien die Frühsommersonne herein.
»Sie haben sich Jake Harnach zum Feinde gemacht«, sagte das Mädchen plötzlich.
»Ja, aber das war nun einmal unvermeidlich.«
»Mag sein.« Mit einem Ruck hob Diana den Kopf. »Was würden Sie getan haben, wenn er Sie geschlagen hätte?
Er ist ungeheuer stark.«
Tresler lachte ein wenig. »Das läßt sich nicht so ohne weiteres sagen. Jedenfalls glaube ich kaum, daß ich ihm etwas schuldig geblieben wäre. Vielleicht hätte ich ihn über den Haufen geschossen.«
»Um Gottes willen!«
»Na, wie würden denn Sie sich an meiner Stelle verhalten haben? Sollte ich mich von dem Lümmel etwa widerstandslos mißhandeln lassen? Aber nein, ich sehe es an Ihren Augen, daß Sie meinen Standpunkt im Grunde genommen billigen. Vergessen Sie nicht, daß wir alle das Recht haben zu leben, wenn es von höherer Warte gesehen wohl auch nicht unbedingt nötig ist, daß wir leben. Jedenfalls hätte ich mein Bestes getan, mich zu behaupten.«
»Dennoch graut mir vor den möglichen Folgen, Mister Tresler. Es war bedauerlich, äußerst bedauerlich, daß Sie gleich mit Jake Harnach zusammenstießen. Sie kennen den Menschen nicht.« Fast flehend sah sie ihren neuen Bekannten an. »Bitte, bitte versprechen Sie mir, daß Sie keinerlei Händel mit ihm suchen. Er ist furchtbar. Wenn Sie wüßten, in was für einer Gefahr Sie schweben!«
»Sie irren sich, Miss Marbolt. Ich kenne ihn so gut, daß ich mir klar darüber bin, seine Brutalität nur mit gleicher Münze heimzahlen zu können. Ich danke meinem Schöpfer für diese lehrreiche Begegnung. Jake soll nur seiner Wege gehen, wie ich die meinigen gehen werde. Ich bin hier, um Viehzucht zu lernen und nicht, um mich von so einem Grobian terrorisieren zu lassen. Aber reden wir nicht weiter von Jake und wenden wir uns lieber erfreulicheren Gesprächsstoffen zu. – Dies ist wirklich ein prächtiges Besitztum.«
Diana sank auf ihren Stuhl zurück. Es fiel ihr sichtlich schwer, auf den leichten Ton ihres Gegenübers einzugehen.
»Ja, die Ranch hat eine wundervolle Lage. Sie haben ja noch keine Gelegenheit gehabt, die Umgebung zu bewundern. Die Vorberge treten bis hart an das eigentliche Gehöft heran. Und dann erst das gewaltige Hochgebirge! Dieses und die Waldungen schützen uns vor den rauhen Nordwinden. Nach Süden und Osten aber erstreckt sich die endlose Prärie. Seit sechzehn Jahren haust mein Vater hier. Ich war erst vierjährig, als wir einzogen. Damals gab es zwischen der Ranch und der Ortschaft Calford überhaupt keine Siedler. Nur Indianer und Mestizen trieben sich in der Gegend herum. Es waren rauhe Zeiten und doppelt schwer für meinen erblindeten Vater, der sich in der Hauptsache auf Jake und die anderen Männer verlassen mußte. Sie können sich denken, daß ich Jake genau kenne und daß meine Warnung nicht der Laune eines dummen Mädels entspringt.«
»Weshalb behält ihn Ihr Vater?«
Diana zuckte die Achseln. »Jake ist weit und breit der beste Fachmann seiner Art.«
In der Gesprächspause, die diesen Worten folgte, schenkte sich Tresler nochmals Kaffee ein. Keiner von beiden schien zu versuchen, über den toten Punkt der Unterhaltung hinwegzukommen. Der Mann dachte an das ihm gegenübersitzende Mädel. Man merkte, daß die Tochter des Ranchers nicht der Wildnis entstammte. Ihre ganze Art und Weise verriet Zivilisation, wenn sie auch Mosquito Bend als ihre Heimat bezeichnete.
Ein leises Geräusch riß ihn aus seinen Träumereien. Dann nahm eine Frage Dianas aufs neue seine Aufmerksamkeit in Anspruch.
»Also Sie wollen drei volle Jahre bei uns bleiben?«
»So lange, bis ich imstande bin, selbst eine Viehzüchterei großen Stils zu betreiben. Ich will unbedingt einer von …«
Er brach ab, da abermals ein gedämpfter Laut an sein Ohr drang. Es klang wie das vorsichtige Tasten an einem Vorhang.
»Was ist das?«
Diana hatte sich erhoben. Ihr Blick wurde unruhig. »Vater«, sagte sie. »Irgend etwas muß ihn gestört haben, denn für gewöhnlich wacht er so früh nicht auf.«
Jetzt wurde irgendwo eine Tür geöffnet, und das tastende Geräusch hörte auf. Dann aber klirrten Schlüssel, und schlurfende Schritte näherten sich.
Tresler hatte den Kopf gewandt und stellte fest, daß die Tochter des Hauses mit auffallender Eile den Tisch abräumte. Deutlicher wurden die Schritte. Gleich darauf glitt vor der offenstehenden Zimmertür eine menschliche Gestalt vorüber.
Die Erscheinung dauerte nur sekundenlang, doch genügte die Zeitspanne für Tresler, um einen großen Mann zu erkennen, der in einen bis zu den Füßen niederfallenden Schlafrock gehüllt war. Der Umriß eines mächtigen grauen Hauptes wurde sichtbar, dessen Profil eine große, scharfe Nase beherrschte. Im nächsten Augenblick verhallten die schurrenden Schritte. Fragend sah John Tresler die Gastgeberin an, aber Diana hob warnend einen Finger und schüttelte den Kopf, worauf sie sich der Tür näherte und Tresler bedeutete, ihr zu folgen.
»Vater, hier ist Mister Tresler, der dich zu sprechen wünscht.«
Herzlich ergriff der junge Mann die ihm dargebotene Rechte des Ranchers. Man befand sich auf der Veranda. Marbolt hatte auf einem hölzernen Lehnstuhl Platz genommen. Die Augen blickten ins Leere. Schreckliche Augen waren es. Sie ließen die Formen des wohlgebildeten, männlichen Gesichts ganz vergessen. Wohl waren die Pupillen da, aber sie schienen unnatürlich geweitet zu sein und sahen unheimlich schwarz aus, welcher Eindruck durch den allzu schmalen Ring der blauen Iris noch verstärkt wurde. Das aber, was eigentlich der weiße Augapfel hätte sein sollen, war feuerrot entzündet, die Entzündung hatte auch die Lider erfaßt und zum Ausfallen der Wimpern geführt. Die ergrauten Brauen schienen wie von körperlichem Schmerz zusammengezogen zu sein. Mund und Kinn blieben unter dem Vollbart unsichtbar.
»Seien Sie mir willkommen, Mister Tresler,« sagte der Rancher in leisem, freundlichem. Tonfall. »Ich wußte, daß Sie eingetroffen sind.«
»Hoffentlich habe ich Ihren Schlummer nicht gestört, Sir. Ihre Tochter meinte, daß Sie schliefen und …« »Oh nein, Sie haben mich durchaus nicht gestört, zum mindesten nicht in der Art, wie Sie denken. Sie müssen wissen, daß ich im Laufe der Zeit meine Sinne aufs äußerste schärfte und schließlich so etwas wie ein zweites Gesicht bekommen habe. So wachte ich denn in dem Moment auf, da Sie das Haus betraten. Die Natur sucht sich eben zu helfen, wenn die eine oder andere unserer Fähigkeiten Schaden erlitten hat. So, so, also Sie wollen praktisch die Viehzucht erlernen? Diana …« der Blinde wandte sich an seine Tochter, »beschreibe mir mal das Aussehen unseres Gastes. Sie entschuldigen mich, lieber Herr, ich muß mir doch ein Bild von Ihnen vermitteln lassen.«
»Freilich.« Tresler warf dem jungen Mädchen ganz verstohlen einen lächelnden Blick zu.
»Nun?« klang es bereits etwas ungeduldig von den Lippen Marbolts.
»Mister Tresler ist hochgewachsen«, erklärte Diana.
»Ein Meter achtzig etwa, breitschultrig.«
»Weiter, weiter …«
»Er trägt einen englischen Reitanzug.«
»Sein Gesicht interessiert mich mehr.«
»Schwarzhaarig, stahlblaue Augen, dunkle Brauen und Wimpern. Hohe Stirn …«
»Irgendwelche markante Falten?«
»Zwei zwischen den Augenbrauen.«
»Weiter …«
»Ziemlich große Nase, wohlgeformter Mund mit leicht nach unten geneigten Winkeln. Breites, vorspringendes Kinn, nicht übermäßig fleischige Wangen.«
»Schön. Glatt rasiert vermutlich?«
Nachdem Diana ihre Beschreibung beendet hatte, schwieg der Rancher nachdenklich.
»Sie sind von Cornwall herübergekommen, Mister Tresler?« begann er dann liebenswürdig.
»Ja«
»Ein gutes Land, das eine brauchbare Menschenrasse hervorbringt. Ich freue mich aufrichtig, Sie bei mir begrüßen zu können, und bedaure es nur, daß es mir nicht vergönnt ist, Sie mit eigenen Augen zu sehen. Immerhin werden Sie auch ohnedies hier alles erlernen, was ein tüchtiger Viehzüchter wissen muß. Wir ziehen Pferde und Rinder. Die Arbeit ist natürlich sehr anstrengend. Mein Vormann zeichnet sich nicht gerade durch Liebenswürdigkeit aus, versteht seine Sache aber von Grund auf. Ihm verdanke ich einen guten Teil meiner Erfolge. Sehen Sie nur zu, daß Sie sich gut zu ihm stellen. Das wird Ihnen nicht immer leicht fallen, aber es – lohnt die Mühe.«
Lächelnd hörte Tresler zu.
»Ich nehme an, daß ich morgen früh meinen Dienst beginnen kann«, sagte er.
Aber der Blinde schüttelte den Kopf. »Nein, ich würde Ihnen raten, bereits heute anzufangen. Sie tun die Arbeit der anderen Leute mit und unterstehen somit unmittelbar meinem Vormann.«
»Wenigstens können wir aber erst noch Tee trinken, Vater«, warf Diana ein.
»Papperlapapp, liebes Kind.« Die Stimme des Blinden klang ein wenig gereizt. »Nun, meinetwegen, wenn dir so viel daran liegt, dann soll es also Tee geben. Biete Mister Tresler einen Stuhl an, ich habe mit ihm zu reden.«
Die Worte bedeuteten zugleich eine Entlassung. Diana zog sich also zurück und ließ die beiden Männer allein.
Es wurde ein ausgedehntes Beisammensein. Persönliche Dinge wurden nur gestreift. Hingegen setzte die zielbewußte Art der Fragestellung des Ranchers den neuen Lehrling in Erstaunen. Auch seine Bemerkungen trafen fast immer den Nagel auf den Kopf. Tresler besah sich seinen Mann in aller Ruhe, kam aber dabei nicht auf seine Kosten, sofern er gehofft hatte, Schlüsse auf dessen Charakter ziehen zu können. Im wesentlichen verblieb ihm nur der Eindruck, daß Julian Marbolt stark unter körperlichen Schmerzen litt. Sein starres Gesicht war das eines Dulders. Wie kam es nur, daß die Leute einen solchen Haß gegen den freundlichen alten Herrn hegten?
Zur Tee stunde war Tresler über diese Dinge noch nicht mit sich ins reine gekommen.
Ehe er sich dann verabschiedete, kam er zur Überzeugung, daß Diana sich offenbar vor ihrem Vater fürchtete, wobei sie sich allerdings Mühe gab, nichts davon merken zu lassen. Dies gelang ihr jedoch nur unvollkommen.
Nachdenklich sah Tresler dem alten Marbolt nach. Dann erst richtete Diana wieder das Wort an ihn. »Vergessen Sie bitte nicht, was ich Ihnen über Jake sagte, Mister Tresler. Seien Sie auf der Hut. Sie kennen ihn noch nicht gut genug.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme, Miss Marbolt«, gab er herzlich zur Antwort. »Ich werde meine Augen offen halten.«
Diana wollte noch etwas sagen, als von drinnen die scharfe Stimme des Alten herüberscholl.
»Komm herein, Kind, und laß Mister Tresler an seinen Dienst gehen.«
Wieder fiel John Tresler der Ausdruck der Furcht auf, der in den Augen des Mädchens erschien. Er verließ nach kurzer Verabschiedung die Veranda. Jake kam ihm bereits entgegen. Er erwartete eine neue Szene, sah sich darin aber getäuscht, denn der Mann verhielt sich gewollt liebenswürdig.
»Na, haben Sie ihn gesprochen?«
»Ja, jetzt aber melde ich mich zum Dienst.«
»Schön. Wir können zupackende Fäuste brauchen. Haben Sie sich angenehm mit dem alten Herrn unterhalten?«
»Ja«, kam es wortkarg von des jungen Mannes Lippen und dann: »Welche Befehle haben Sie für mich, und wo soll ich schlafen?«
Jake spielte den Überraschten. »Ja, wohnen Sie denn nicht im Herrenhause?« wunderte er sich. Etwas wie verhaltener Hohn klang aus seiner Stimme.
»Wie wäre es denkbar, wenn selbst der Vormann dort unten haust.«
»Allerdings … Und der Alte wird wohl auch keinen großen Wert darauf legen, Leute wie Sie in nächster Nähe zu wissen.«
Am liebsten hätte Tresler seinem nunmehrigen Vorgesetzten eine Ohrfeige gegeben, doch bezwang er sich.
»Also, wo ist mein Obdach?« fragte er scharf.
»Oh, ich denke, daß Sie drüben im Schlafhaus unterkommen. Die Boys werden Ihnen schon so lange mit Decken aushelfen, bis Ihr Koffer da ist. Und was die Befehle angeht … je nun, wir fangen bei Sonnenaufgang an, und vorher gibt's Frühstück. Morgen früh gebe ich Ihnen genauere Anweisungen, wenn wir zunächst wohl auch wenig mit Ihnen werden anfangen können.«
»Heute werde ich demnach nicht mehr benötigt?«
»Nein …« Plötzlich sah Jake sein Gegenüber scharf an. »Nur noch ein Wort. Wir drücken gewöhnlich bei einem Neuling ein Auge zu. Nur einmal natürlich. Danach … hm, da behandeln wir ihn, so wie er's verdient, verstanden? Ein Erholungsheim ist dies Unternehmen ganz gewiß nicht.«
Damit drehte er sich um und ließ Tresler stehen.
Noch waren die Leute nicht zum Abendessen hereingekommen. Nur Arizona war anwesend. Mißgestimmt hockte er außerhalb der Baracke auf einigen zusammengerollten Decken. Sein Blick schweifte in die Ferne, als ginge ihn nichts von dem an, was in seiner unmittelbaren Nähe geschah. Jetzt, als er den neuen Kameraden gewahrte, sah er auf und rückte dann platzmachend ein wenig zur Seite.
»Hier«, lud er ein.
Beide Männer verhielten sich zunächst schweigsam. Der blasse Cowpuncher schien ganz in seine Gedanken versunken zu sein. Auch Tresler hatte allerlei zu denken. So war es ihm vorgekommen, als interessiere sich Jake Harnach in ganz besonderem Maße für die Tochter des Hauses. Und offenbar wußte Diana das. Die Tatsache, daß Tresler für ein Weilchen geruhsam mit ihr hatte plaudern können, erfüllte den Vormann sichtlich mit Eifersucht. Gut, daß sich die Fronten so bald schon abzuzeichnen begannen.
Schließlich rührte sich Arizona.
»Na … und?« Es lag unendlich viel in dieser einsilbigen Frage.
»Jake sagt, daß ich morgen mit der Arbeit anfangen soll. Heute übernachte ich in eurer Schlafbaracke.«
»Ich weiß.«
»Das wissen Sie?« Tresler war erstaunt.
»Na, Jake war doch schon hier. Weiß der Himmel, ich schieße den Kerl tot, wenn mir nicht ein anderer zuvorkommt.«
»Nanu … hat's denn schon wieder was gegeben?«
Wie zur Antwort spuckte Arizona einen Strahl Tabaksaft auf den Boden.
»Ein Lump ist er.«
»Ich will dem nicht widersprechen«, lächelte der Engländer.
Aber Arizona ging auf solche Heiterkeit nicht ein. Er machte ein finsteres Gesicht. »Lachen Sie nicht. Das wird Ihnen vielleicht vergehen, wenn ich Ihnen sage, was er getan hat.«
»Bei ihm bin ich auf alles gefaßt.«
Der andere beruhigte sich schnell wieder. Gutmütig hielt er dem neben ihm Sitzenden die Rechte hin. »Sie gefallen mir schon deswegen, weil Sie sich von dem Kerl nicht haben einschüchtern lassen.«
»Aber nun erzählen Sie mir erst mal, was wieder los gewesen ist.«
»Ihretwegen kam er. Wir sollten Sie in der Koje des armen Dave Steel unterbringen.«
»So? … Das ist doch ganz schön. Ich dachte schon, er würde mir zumuten, auf dem blanken Boden zu schlafen.«
Arizona knurrte. Offenbar geriet er abermals in Zorn.
»Mann, Sie haben ja keine blasse Ahnung«, fuhr er fort. »Noch keiner hat wieder in dem Bett gelegen, seitdem Dave … fort ist.«
»Warum nicht?«
»Warum? …« Die Stimme des Cowpunchers wurde lauter. »Weil es über und über mit Dawes Blut beschmiert war. Ein Narr war er, der hier von Jake Harnach umgebracht wurde.«
»Ich habe schon derartige Gerüchte gehört.«
»Gerüchte ist gut! … Ich glaube, es gibt hier weit und breit keinen, der sich nicht die Kehle heiser geschrien hat wegen der Sache. Dave war der harmloseste Bursche, der jemals ein Lasso warf. Dabei konnte er uns allen noch was beibringen. Einmal hatte er Pech, wie er einen alten Stier bändigen wollte. Die Schlinge blieb an den Hörnern hängen, und der Bulle wurde wütend und richtete allerlei Verwüstungen im Korral an. Dave kam glücklich noch aus seiner Nähe. Da kam fluchend und tobend der Vormann angerannt. Dave nahm das übel, denn keiner verstand es wie er, mit wilden Stieren umzugehen. Er gab ihm gehörig heraus. Und was tut Jake? Er packt einfach ein Brenneisen und schlägt Dave nieder. Er blutete fürchterlich, als wir ihn auf sein Bett gelegt hatten. Wir dokterten an ihm herum und bepflasterten ihn, so gut und schlecht es ging. Einen ganzen Monat lang lag er, und als er endlich wieder aufstehen konnte, da hatte er den Verstand verloren. Bald darauf ist er drüben in Forks gestorben.«
Der Erzähler schwieg, ehe er seinen, Bericht mit wenigen Worten beendete.
»Nee, mein Bester, seither ist es niemandem eingefallen, sich in Daves Koje zu legen. Wir sind wirklich keine Waschlappen, aber über dem Blut eines Verrückten zu schlafen, das kann man denn doch nicht von uns verlangen.«
»Und nun soll ich es offenbar tun«, sagte Tresler und kniff die Lippen zusammen. »Ist es die einzige freie Bettstelle?«
»Keine Spur. Die von Thompson und Massy sind auch noch da.«
»Weshalb also …«
»Aus reiner Bosheit. Er weiß doch natürlich, daß wir anderen Ihnen die Geschichte von Dave brühwarm erzählen. Sie sollen wissen, was Ihnen bevorsteht, wenn Sie sich gegen Jake stellen.«
Arizona ballte die Fäuste.
»Leider muß ich ihm eine Enttäuschung bereiten«, sagte Tresler ganz ruhig. »Wenn ihr so gut sein wollt, mir ein paar Decken zu leihen, dann richte ich mich in einer der anderen Kojen ein, und der gute Jake kann mir den Buckel 'runterrutschen.«
Ruckartig hob der Cowboy den Kopf.
»Wahrhaftig?! … Das wollen Sie tun?!«
»Was denn sonst? Ich denke nicht daran, mich in ein besudeltes Bett zu legen …«
»Na, da schlägt's dreizehn! Sie sind der schneidigste Neuling, der mir jemals begegnet ist!«
An jenem ersten in neuer Umgebung verbrachten Abend lernte Tresler eine Menge. Dazu gehörte unter anderem auch das ingrimmige Verfluchen der Fliegen. Er aß mit den Boys. Seine Mahlzeit bestand aus Hackfleisch, Tee und trockenem Brot. Namentlich von letzterem gab es reichlich. Es war nicht eben leicht zu zerbeißen, dafür aber sehr nahrhaft. Die neuen Kameraden bestürmten ihn natürlich mit allerlei Fragen. Alles in allem tat sich eine neue Welt vor ihm auf.
Nach und nach gingen die Leute zur Ruhe. Arizona blieb bis zuletzt. Hilfsbereite Hände hatten die Koje Massys hergerichtet. Dann deutete Arizona zur ehemaligen Lagerstätte Dave Steels.
»Die da war seine«, sagte er. »Ich denke aber, daß Sie besser hier schlafen werden … Hören Sie mal her, Tresler«, fuhr er nach kurzem Sinnen fort. »Ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Wenn man Ihnen auf die Füße treten will, dann greifen Sie nur gleich zum Revolver. Das ist das beste. Es gibt wohl keinen noch so großen Menschen, der einem mit den Fäusten gefährlich werden kann, wenn er die Mündung einer Schußwaffe auf sich gerichtet sieht. Na, dann gute Nacht.«
Tresler aber hielt den Kameraden noch zurück.
»Nur noch einen Augenblick, Arizona. Nun will ich auch Ihnen noch etwas sagen. Sie sind ungefähr so groß wie ich. Ob Sie mir wohl ein Paar Hosen von der Sorte verkaufen könnten, wie ihr sie hier im allgemeinen tragt?«
Der Cowpuncher lächelte verständnisvoll und ging dann zu seiner Kleiderkiste hinüber, der er ein Paar Beinkleider entnahm. Er warf sie auf Treslers Bett. »Die können Sie haben. Zur Erinnerung daran, daß Sie Jake die Wahrheit gesagt haben.«
»Aber ich will sie natürlich bezahlen …«
»Ausgeschlossen, Mister!«