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22

Einen Doppelkilometer Vorsprung also! Es schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, Red Mask einzuholen. Wieviel Zeit mußte man selbst auf dem Rücken eines solchen ausdauernden Pferdes haben, um die Entfernung zu überwinden? Tresler dachte nicht viel darüber nach. Vielleicht staunte er, denn tatsächlich kam er dem Flüchtling binnen kurzer Frist so nahe, daß ihm der endgültige Erfolg winkte.

Beide Pferde stoben jetzt den bekannten Pfad entlang, der zur Mosquito Ranch führte.

Langsam verringerte sich der Abstand, Meter um Meter. Zuweilen sah Tresler den Verfolgten, zeitweilig aber mußte er sich ganz auf den Instinkt seines Teufelsgaules verlassen. Nun sie von ihrem Reiter getrieben wurde, hatte die »Verbrecherin« endlich die Kandare losgelassen und gab sich sichtlich Mühe, ihr Äußerstes zu tun. Und Tresler sprach ihr zu, sagte allerlei, was außer einem Reiter jedem anderen Menschen lächerlich vorgekommen wäre.

Bei der Furt war er dem Gejagten bis auf hundert Meter an die Gurte gekommen. Von hier aus bog der Weg endgültig zur Ranch ab. Die Baumkronen schlossen das Mondlicht aus und es wurde stockdunkel. Dafür aber konnte Tresler nunmehr den vor ihm Dahingaloppierenden hören. Plötzlich vernahm er nichts mehr. Sofort parierte er lauschend durch. Er fühlte die fliegenden Flanken der Stute zwischen den Schenkeln. Dann knisterte und knackte Buschwerk dicht vor ihm.

Im Augenblick kam die Erinnerung. Laut lachte er auf, als er, vom Pfade abbiegend, seinerseits ins Gestrüpp lenkte. Er kannte die Stelle, an der er schon einmal unfreiwillig eine Entdeckung gemacht hatte. Die wilde Jagd näherte sich dem ins Gebirge führenden Weg.

Allerdings war es dem Flüchtling zunächst gelungen, größeren Vorsprung zu gewinnen, aber das Donnern der Hufe des eigenen Pferdes verlieh Tresler neue Hoffnung. Es begann zu dämmern. Als er den jenseitigen Waldrand erreichte, sah er im grauen Tageslicht Red Mask kaum dreißig Meter vor sich.

Plötzlich fiel ihm die Brücke ein. Natürlich würde der Verfolgte sie benutzen wollen, aber wenn er selbst so wie damals geradeaus blieb, dann mußte er das Rennen gewinnen, vorausgesetzt, daß er seinem Pferd nochmals den tollkühnen Sprung zumuten durfte. Dennoch, es mußte gewagt werden. Schon bog der Gehetzte zur Brücke ab. Tresler nahm seinen ganzen Mut zusammen und behielt die bisherige Richtung bei. Wenn es nur schon etwas heller gewesen wäre! Ein kurzer Blick nach oben zeigte ihm, daß der Himmel noch immer bezogen war, wenn es auch den Anschein erweckte, als wollte die Wolkendecke zerreißen. Es blieb sich übrigens gleich: hell oder dunkel, er mußte springen …

Vorübergehend vergaß er den fliehenden Räuber, denn sein ganzes Denken galt dem, was ihm unmittelbar bevorstand. Eine ganz merkwürdige Ruhe überkam ihn.

Nun war es so weit. Ein letzter aufmunternder Zuruf, ein fester Schenkeldruck – und nun schoß die Stute über den klaffenden Spalt hinweg, um gleich darauf zu landen. Dabei mußte sie sich aber wohl der schlechten Sicht wegen verschätzt haben, denn sie sprang zu weit, prallte mit der Brust gegen einen Felsblock und überschlug sich, wobei Tresler weit aus dem Sattel geschleudert wurde. Zum Glück fiel er in weichen Sand.

Sofort war er wieder auf den Beinen, die Stute jedoch regte sich nicht. Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu. Was kümmerte es ihn, daß der Maskierte auf völlig ausgepumptem Pferd zwanzig Meter von ihm entfernt dem Engpaß zustrebte?

Die starren, glasigen Augen der »Verbrecherin« verrieten zweifelsfrei, daß sie tot war. Sie hatte nicht nur das Genick, sondern auch beide Vorderbeine gebrochen.

Gewaltsam riß Tresler seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Red Mask war verschwunden, aber sein Pferd stand noch diesseits der Enge.

Vorwärts! Dem erschöpften Verfolger fiel es nicht leicht, die Höhe zu gewinnen, doch brachte er es mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft fertig. Nun sah er bereits die Hütte. Nichts. Auch die in den Fels gehauene Treppe dahinter war leer, aber als Tresler näher trat, flog die Tür auf und … Julian Marbolt stürzte ins Freie, den Revolver in der Faust. Und nun geschah etwas Merkwürdiges. Die Strahlen der aus dem Gewölk hervorbrechenden Frühsonne trafen voll sein Gesicht. Einen verzweifelten Schrei ausstoßend, taumelte der Rancher zurück, Tresler begriff … Julian Marbolt war nur tagesblind!

Der Mann duckte sich, tastete mit den Händen zur Ecke des Schuppens, und gleich darauf sah ihn Tresler mit erstaunlicher Sicherheit die schwindelerregende Treppe ersteigen, die zur Höhe führte. Er rief ihn an. Umsonst …

»Noch einen Schritt weiter, Marbolt, und Sie werden abgeschossen!«

Der Erfolg der Warnung bestand jedoch nur darin, daß der Gehetzte seine Anstrengungen verstärkte. Tresler hob die Waffe …

Er zielte derart, daß die Kugel den Mann nicht traf, sondern dicht neben seiner rechten Hand in die Felswand klatschte. Das Gestein zersplitterte … die Finger des Ranchers tasteten höher …

Nochmals brüllte Tresler hinauf.

»Stehenbleiben!«

Da geschah etwas Unerwartetes. Der Mann da oben war ausgerutscht. Der eine Fuß fuhr ins Leere … der dadurch hervorgerufene Schwung des Körpergewichts riß auch den anderen von seinem Standpunkt weg. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Tresler etwas wie sich festkrallende Finger zu sehen, dann aber senkte er die Mündung seines Revolvers. Dumpf schlug der Körper Marbolts auf den Klippenrand auf, prallte ab und verschwand, über den Vorsprung hinwegrollend, in der Tiefe …

 

Sergeant Fyles und Tresler standen unten auf der Talsohle und blickten schweigend auf den zermalmten Körper des Ranchers nieder. Fyles hatte das rote Visier vom Gesicht des Toten genommen und besah es nachdenklich.

»Von dem Stoff gibt es oben in der Hütte noch mehr«, meinte Tresler.

»Nur die Mulatten tragen das«, nickte der andere und steckte das Stück zusammengefaltet in die Tasche. Gedankenvoll spähte er das Tal entlang. Weit ins Gebirge hinein zog sich der Einschnitt. »Haben Sie die Gegend schon früher mal gesehen?«

»Ja.«

Tresler erzählte dem Beamten das Erlebnis mit allen Einzelheiten.

»Schade, daß Sie's mir nicht gleich meldeten. Übrigens ist die Hauptsache Ihrer Aufmerksamkeit entgangen. Sehen Sie mal dahin, zu den vorspringenden Klippen hinüber. Korrals gibt es da, in denen man bis zu zehntausend Stück Vieh unterbringen könnte. Ein äußerst geschickt angelegtes Versteck.«

Wirklich verhielt es sich so, wie Fyles sagte. Tresler aber deutete zur Höhe empor, zu der die Treppenstufen führten.

»Was mag wohl auf der anderen Seite sein?«

»Mulatten.«

»Eine Siedlung, meinen Sie?«

»Allerdings. Sie entsinnen sich, daß die Bande unlängst ihre bisherigen Wohnsitze verließ. Nie konnten wir herausbekommen, wo sie sich hingewandt hatte. Wenn Leute solcher Art erst einmal im unwegsamen Gebirge verschwunden sind, dann lohnt es sich mehr, eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen als sie. Anton wird sich dort verstecken.«

»Das bezweifle ich. McCulloch gehörte nicht zu ihnen, denn er ist von jenseits der Grenze zugewandert. Nein, der macht, daß er davonkommt, so schnell sein Pferd zu laufen vermag. Und wenn mich nicht alles täuscht, ist ihm Arizona dicht auf den Fersen.«

Fyles nickte.

»Wir werden ja sehen«, sagte er etwas müde und schritt zu einem größeren Busch hinüber. »Ich habe den Corporal Money damit beauftragt, einen Wagen herbeizuschaffen, er wird bald eintreffen.«

Die beiden Männer ließen sich zu Boden gleiten und zündeten ihre Pfeifen an. Fyles brach als erster das Schweigen.

»Ich bin Ihnen großen Dank schuldig, Tresler.«

»Mir nicht, mein lieber, wohl aber meinem braven Gaul … Womöglich wäre Marbolt aber in letzter Minute dennoch entwischt, denn wenn es drauf ankommt, einen Menschen kaltblütig abzuschießen, dann versage ich leicht.«

»O nein, der Kerl war uns gewiß«, lächelte der Sergeant. »Selbst wenn Sie ihn nicht zur Strecke gebracht hätten. Ich beobachtete alles und hielt dabei meinen weittragenden Karabiner in Händen … Sie, so einen Prachtgaul wie den Ihrigen gibt es überhaupt nicht noch einmal. Ist er erledigt?«

»Ja …«, klang es gepreßt, und dann nach kurzer Pause: »Teufel noch mal, konnte die Stute laufen! Sie gab ihr Bestes.«

»Das war sie Ihnen auch schuldig.«

»Sie meinen, nach dem, was sie sich während des Gefechtes leistete?«

»Gewiß.«

»Nun, jedenfalls hat sie das zum Schluß wiedergutgemacht. Sie war das beste Tier weit und breit.«

»Ihr Eigentum?«

»Nein, sie gehörte Marbolt.«

Aber der Beamte schüttelte den Kopf.

»Auch nicht. Sie war ursprünglich Dienstpferd der Gendarmerie; ja sie war mir drüben in Calford sogar persönlich zugeteilt worden. Schon damals galt sie als wahrer Satan. Zusammen mit anderen wurde sie nächtlicherweile von der Koppel gestohlen. Der Wächter fand dabei den Tod. Wir nannten sie ›Beiß zu‹!«

»›Beiß zu‹? … Welch ein merkwürdiger Name.«

»Ja, aber ist sie jemals mit erhobenen Vorderhufen und gefletschtem Gebiß auf Sie eingedrungen?«

»Und ob! … ›Beiß zu‹ … Feiner Gaul; Halbblut … Marbolt behauptete aber doch, er hätte den Gaul von zigeunernden Mischlingen gekauft.«

»Dürfte wohl auch stimmen.«

Fyles setzte zum soundsovielten Male die erloschene Pfeife in Brand, worauf ihm Tresler den eigenen Gummibeutel reichte.

»Versuchen Sie's mal mit Tabak«, lächelte er boshaft, aber Fyles ging nicht weiter darauf ein, sondern nahm ohne weiteres das Angebot an. Dann fuhr er mit seinen Erläuterungen fort, als habe es überhaupt keine Unterbrechung gegeben.

»Als ich Sie auf dem Rücken dieser Stute gesehen hatte, fing die Ranch an, mich zu interessieren. Die Blindheit des Ranchers war es aber, was mich zunächst von der richtigen Fährte fernhielt. Daß Jake nichts mit den Vorgängen zu tun hatte, bekam ich sehr bald heraus. Das gleiche galt von den in Mosquito Bend beschäftigten Cowboys. Meine Aufmerksamkeit galt in erster Linie Anton, doch erwies es sich, daß er zum mindesten nicht der Anführer der gesuchten Bande war. So weit war ich gekommen, als sich mein Verdacht auf Marbolt selbst richtete. Der Mann aber war blind. Eigentlich hätte mir ja Ihre Darstellung von den Ereignissen des gestrigen Abends die Augen öffnen sollen. In Wirklichkeit war Julian Marbolt nur bei Tage blind. Bei Dunkelheit und im Zwielicht vermochte er zu sehen. Nun frage ich Sie: was für eine verdammte Art von Leiden ist das? … Bis zum gewissen Grade bewundernswert bleibt jedenfalls die Geschicklichkeit, mit der der Rancher bis zuletzt sein Geheimnis wahrte.«

Tresler nickte. »Ja, er hat uns alle zum Narren gehabt. Sogar seine Tochter.«

Der andere warf ihm einen schnellen Seitenblick zu und wartete dann. »Scheint so«, sagte er nur.

Schweigend rauchten die Männer.

»Was haben Sie jetzt als nächstes vor?« fragte Tresler schließlich.

Fyles zuckte die Achseln. »Erst mal will ich auf der Ranch nach dem Rechten sehen, damit der Betrieb aufrechterhalten bleibt. Die junge Dame täte wohl am besten daran, sich nach Forks zu begeben, falls sie dort Bekannte hat. Dafür könnten eigentlich Sie sorgen. Ich hörte, daß Sie … na ja, was man so zu Ohren bekommt, wissen Sie.«

»Gut.«

»Es wird allerlei amtliche Verhandlungen und derlei geben. Über die Besitzverhältnisse entscheiden natürlich die Gerichtsbehörden.«

Die letztere Bemerkung gab Tresler zu denken. Plötzlich wandte er sich an den neben ihm Sitzenden. »Sergeant«, sagte er ernst, »ich hoffe, daß Sie Miss Marbolt nach Möglichkeit schonen werden. Sie hatte unsäglich viel auszustehen, und eins kann ich Ihnen mit aller Bestimmtheit versichern: von der Seltsamkeit seiner Blindheit wußte sie nichts. Darauf möchte ich jeden Eid leisten.«

»Daran zweifle ich keinen Augenblick, denn wir kennen Sie als einen Ehrenmann. Und ich verspreche Ihnen auch, die Dame nur so weit in die Angelegenheit zu ziehen, als es unerläßlich ist. Von der Art seiner Blindheit muß sie aber doch wohl einige Kenntnisse besessen haben, sonst wäre sie ihm nicht mit der Lampe entgegengetreten, Sie wissen … Dazu muß sie sich natürlich äußern.«

»Begreiflich. Die Erklärung wird befriedigend ausfallen.«

»Gewiß … Doch da höre ich ja schon die Räder unseres Wagens, wie mir scheint.«

Fyles hatte den Kopf gewandt, nahm aber gleich wieder die bisherige Haltung ein.

»Wissen Sie«, sagte er, »dieser Jake war doch ein ganz gerissener Bursche. Kann mir nicht denken, daß ihm der Rancher etwas von der besonderen Art seiner Blindheit erzählte. Er muß von sich aus dahintergekommen sein. Der Kerl spielte ein ganz großes Spiel, dessen Einsatz eine Frau war. Hm …«

»Er sah wohl ein, daß es sich lohnte.«

Der Sergeant schmunzelte.

»Gewiß, gewiß … Immerhin, er war nicht mehr jung. Er betrog Sie, als er Ihren Verdacht gegen Anton unterstützte, denn er erkannte, daß Sie sich auf falscher Fährte befanden, und wollte es dabei belassen. Auch weswegen man Sie nach Willow Bluff schickte, leuchtet mir ein. Sie wußten zu viel und waren zu neugierig. Es schien also wünschenswert, Sie beiseitezuschaffen, wie das früher bereits mit anderen geschehen war … Nur eins begreife ich nicht: weshalb ließ sich Julian Marbolt als Besitzer einer so reichen Ranch auf derlei verbrecherische Überfälle und Räubereien ein? Besonders geschickt war es, daß er sich sozusagen auch 'mal selbst beraubte.«

»Vielleicht steckte ihm die Raublust im Blut. Ich hege die begründete Vermutung, daß er in früheren Zeiten Sklavenhändler gewesen ist. Höchstwahrscheinlich trieb er durch Raub die ersten Bestände für seine Ranch zusammen, wobei es sich vorwiegend um indianisches Vieh gehandelt haben dürfte.«

»Davon müssen Sie mir später noch erzählen … Ah, da ist ja der Wagen.«

Fyles erhob sich langsam, als der Korporal Money mit dem Gespann erschien.

»Wir haben die ganze Bande erwischt, Sergeant!« rief er strahlend. »Auf unserer Seite gab es mehrere Verwundete, aber die werden wohl alle durchkommen.«

»Großartig! Na, dann wollen wir den hier aufladen und zu den anderen bringen.«

Binnen weniger Minuten befanden sich die Männer auf dem Wege zur Ranch.


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