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7

Obwohl der Mord an Manson Orr größtes Aufsehen erregte, verlief die Angelegenheit doch anscheinend im Sande. Nur zwei Personen kümmerten sich ernstlich um die Aufklärung, und davon war die eine der junge John Tresler. Nicht nur gelang es ihm, unter irgendeinem Vorwand den Tatort zu besuchen, sondern er interessierte sich auch lebhaft für die Siedlung der Halbfarbigen, die sich ungefähr sechs Meilen südlich von Mosquito Bend befand. Bis in die Vorberge des Hochgebirges dehnte er seine Erkundungsritte aus, wobei er ängstlich darauf bedacht sein mußte, keinerlei Mißtrauen zu wecken. Der Umstand, daß er als unwissender Neuling galt, kam ihm dabei erheblich zustatten.

Wie dann die Wochen verstrichen, ohne daß sich irgend etwas von Red Mask und den Seinen spüren ließ, verebbte die Teilnahme der Mitmenschen rasch. Der Fall bildete eine Kneipengeschichte mehr und wurde dementsprechend weitererzählt, aber das war auch alles. Dabei bildete den Schwerpunkt immer mehr das Verhalten Julian Marbolts dem jungen Orr gegenüber. Der ohnehin schon allseitig höchst unbeliebte Mann zog den Haß aller auf sich.

In der Schlafbaracke von Mosquito Bend herrschte eine geradezu aufrührerische Stimmung. Diese Leute, die sonst keinerlei Wert auf die Berührung mit der Obrigkeit legten, sehnten jetzt selbst das Eingreifen der Gendarmerie herbei. Namentlich taten es die jüngeren Cowboys.

Schließlich wurde Julian Marbolts Meldung an Sergeant Fyles abgeschickt. Ursprünglich hatte Tresler gehofft, selbst der Überbringer sein zu können, denn es drängte ihn, die Bekanntschaft des Beamten zu machen. Jake aber bestimmte Joe Nelson als Boten.

Übrigens war dies nicht die einzige Enttäuschung, die Tresler während jener Zeit erfuhr. Er bekam Diana fast überhaupt nicht mehr zu sehen. Und doch bildete für ihn die abendliche Begegnung bei der Furt mehr als eine flüchtige Erinnerung. Jedes Wort, jede Änderung im Klang der Stimme des Mädchens blieb ihm gewärtig. Seine Versuche, irgendwie in Dianas Nähe zu gelangen, schlugen fehl. Schließlich wurde ihm der Grund solcher Zurückhaltung klar.

Eines Tages nämlich brachte ihm Joe ein Briefchen, in dem Diana schilderte, wie »Black Anton« ihrem Vater in gehässiger Weise von jenem Abend erzählt und ein nur zu williges Ohr gefunden habe. Der Blinde sei wütend geworden und habe seiner Tochter strengstens verboten, ohne Begleitung eines seiner Vertrauten – Jake oder Anton – das Haus zu verlassen.

Einerseits erfüllte diese Nachricht den Empfänger mit leidenschaftlichem Zorn, aber gleichzeitig begann damit ein geheimer Schriftwechsel zwischen den beiden jungen Leuten, bei dem der alte Joe gerne den Vermittler machte. Und dieser Schriftwechsel wurde für Tresler eine angenehme Unterbrechung. Die Briefe Dianas barg er gleich einem kostbaren Schatz, denn schon längst gab er sich über die Verliebtheit seines Herzens keinen Täuschungen mehr hin. Nein, er wußte, daß er dem Zauber dieses einzigartigen Mädels restlos verfallen war.

So also war die Lage an dem Abend des Tages, an dem Joe die Botschaft seines Herrn dem Sergeanten Fyles überbracht hatte. Das Abendessen war beendet, zu tun gab es auch nichts mehr, wenn man, von der Fütterung und Tränkung der Pferde absehen wollte. Joe Nelson war noch nicht von Forks zurück, obwohl er schon seit fünf Stunden wieder hätte da sein müssen.

Arizona, der die Folgen seiner Verwundung im wesentlichen überwunden hatte, wusch sorgfältig seinen Sattel. Unweit von ihm hockte Jacob Smith und sah zu. Alsbald gesellte sich der lange Raw Harris zu ihm, der auf einer umgestülpten Kiste Platz nahm.

»Hat einer von euch den Joe Nelson gesehen?« fragte er, nachdem er sich bedächtig die Pfeife gestopft hatte. »Ist längst überfällig«, meinte Tresler, der damit beschäftigt war, die Kammer seines Revolvers zu reinigen.

»Kaum wahrscheinlich, daß Joe noch heute abend erscheint«, gab Arizona seine Ansicht kund. »Wenn der bloß in die Nähe einer Kneipe kommt, dann ist der Teufel los. Drunten in Texas hat er vor Jahren sein ganzes Hab und Gut versoffen. Dabei hat er doch ein Herz wie Gold und wird willig sein letztes Hemd an einen Kameraden verschenken. Ich kenne den guten Kerl seit vielen Jahren. Früher war er einer der besten Reiter, die jemals ein Bein über den Pferderücken warfen … Wenn ich …«

Er verstummte plötzlich, da Jake Harnach erschien. Der Vormann richtete das Wort ohne weiteres an den angehenden Rancher.

»Satteln Sie Ihren Gaul, Tresler; reiten Sie nach Forks und fischen Sie das alte Ferkel, den Joe, aus der Spelunke heraus, in der er hängengeblieben ist. Ganz ohne Zweifel ist er betrunken. Wenn er den Brief an den Sergeanten noch nicht abgeliefert hat, dann sorgen Sie selbst dafür. Springen Sie nur nicht zu sanft mit ihm um. Er kann schon ein paar derbe Püffe vertragen.«

»Ich werde ihn nach Hause bringen«, gab Tresler ruhig zur Antwort.

»Gehörig verprügelt?«

»Nein; ich vergreife mich nicht an Betrunkenen.«

»Na, wenn Sie ihn nur richtig abliefern; den Rest werde ich selbst schon besorgen.« Jakes Worte wurden von einem unschönen Grinsen begleitet.

Ohne noch etwas zu sagen, schritt Tresler zum Stall. Auffallend schnell tat er es. Nicht aber aus etwaiger Furcht vor Jake, sondern aus Furcht vor sich. Fast jedesmal mußte er sich in Harnachs Gegenwart gewaltsam beherrschen, um nicht gegen den verhaßten Vormann tätlich zu werden.

Fünf Minuten später schwang er sich in den Sattel. Die Stute war erst halb gebändigt und zudem stallmutig. Wie aus der Pistole geschossen, preschte sie mit ihrem Reiter davon, und bereits an der Furt gab es den unvermeidlichen Kampf. Sie stutzte, schüttelte zornig den Kopf, nahm dann das Gebiß zwischen ihre großen Zähne, streckte den Hals und schlug in vollem Galopp südliche Richtung ein. Tresler machte ihr jeden Meter der Entfernung streitig, aber vergebens. Der Satan schien wieder einmal in den Gaul gefahren zu sein. Zu dem Zeitpunkt, da er in Forks hätte eintreffen sollen, befand er sich zehn Meilen weiter davon entfernt als zuvor.

Endlich gelang es ihm, der »Verbrecherin« seinen Willen aufzuzwingen und sie herumzuwerfen. Die Ausdauer der knochigen Stute war einfach fabelhaft, denn Tresler mußte die Verspätung tunlichst einholen und schonte sie nicht. Es ging auf zehn Uhr, als er sich Forks näherte. Schon konnte Tresler jenseits eines Baumstreifens im Mondlicht einzelne Häuser erkennen. Diesseits jedoch lag das Gelände in tiefem Schatten.

Die Stute trat beim Abstieg zur Ortschaft etwas unsicher auf. Jedes Rascheln im langen Grase erschreckte sie, so daß Tresler sehr auf der Hut sein mußte.

Plötzlich galoppierte quer vor ihm ein reiterloses Pferd quer über den Pfad. Ohne auf die Willensäußerung ihres Herrn zu warten, machte die »Verbrecherin« kurz kehrt und nahm auf eigene Faust die Verfolgung des fremden Tieres auf. Diesmal allerdings waren Roß und Reiter ausnahmsweise einer und derselben Meinung. Tresler beugte sich weit vor, um bei der ersten Gelegenheit die Zügel des Flüchtlings ergreifen zu können.

In weniger als einer Minute hatten sie ihn eingeholt. Das Zaumzeug des Pferdes war zerrissen, doch gelang es Tresler, beide Tiere zum Stehen zu bringen. Und dann lachte er laut auf, denn er erkannte den Gaul seines Freundes Joe. Was mochte wohl aus dem kleinen Kerl geworden sein?

Mit dem Handpferd am Zügel kehrte er zum Pfad zurück, um den Weg zum Dorf fortzusetzen. Am Fuß des Hanges angelangt, scheute die Stute heftig. Dann blieb sie an allen Gliedern zitternd stehen und starrte ins Buschwerk, das sich nach rechts hinüberzog.

Zunächst vermochte Tresler nichts Verdächtiges zu entdecken, zumal das Mondlicht nicht sonderlich hell war. Aber doch … da drüben im Gestrüpp regte sich etwas!

Tresler saß ab und wartete. Bis zum gewissen Grade begann die Erregung des Pferdes sich ihm mitzuteilen. Jene Bewegungen hatten etwas Gespenstisches. Das fremdartige Geschöpf schien große schlaff klappende Flügel wie ein vorsintflutlicher Drache zu besitzen.

Plötzlich sprang Tresler einen Schritt vor, und seine Hand tastete zum Revolver, denn langsam aber stetig bewegte sich das seltsame Geschöpf auf ihn zu. Beide Pferde wichen schnaubend zurück und zerrten an den Zügeln.

Und jetzt endlich verließ das Etwas den Schatten und trat ins Mondlicht hinaus. Hatte es die Flügel zusammengefaltet? … Man sah sie nicht mehr. Nichts … Das Gespenst, oder was es sein mochte, saß still inmitten des hohen Präriegrases.

Sekunden wurden zu Minuten. Endlich erhob sich das Geschöpf schwankend auf die Hinterbeine und setzte den Vormarsch fort. Da hob Tresler die Waffe, denn nun glaubte er zu erkennen, was er vor sich hatte. Ein großer Grislybär der Felsenberge schickte sich an, ihm zu Leibe zu gehen.

Kein Zweifel … alle Anzeichen stimmten … der schwankende Gang, das eigentümliche, schnarchende Brummen, der hin und her pendelnde Kopf … Tresler zielte lange … Da wandte die Bestie den Kopf, so daß das Gesicht hell vom Monde beschienen wurde, und im gleichen Moment senkte Tresler die Mündung mit jähem Ruck, als habe ihm jemand auf den Arm geschlagen …


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