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19

Mit großem Hallo wurde Treslers Rückkehr ins Schlafhaus von den Kameraden begrüßt.

Teddy Jinks weigerte sich, den anderen Essen zu verabfolgen, solange Tresler nicht mit allem versorgt war, wessen er bedurfte. Lew Cawley wusch eigenhändig einen Teller für ihn. Raw Harris schärfte ein Messer, damit er besser mit dem Fleisch zurechtkomme, und Arizona fluchte entsetzlich auf die Fliegen, die immer wieder in den Tee fielen, den er seinem Freunde reichen wollte. Die derbe Gutherzigkeit, die ihm von allen Seiten erwiesen wurde, tat Tresler wohl. Natürlich bekam er allerlei Neuigkeiten zu hören. Jeder der Anwesenden hatte irgend etwas hinzuzusetzen, bis schließlich Arizona schimpfend dazwischenfuhr.

»Zum Teufel, ihr rauft euch ja um Tresler, wie ein Rudel Coyoten um einen Knochen. Sehr viel mehr wie Haut und Knochen ist er ja im Augenblick auch nicht, aber wenigstens kann er noch ganz gut hören. Also brüllt ihm wenigstens nicht so die Ohren voll.« Die anderen nahmen solchen Vorwurf ziemlich übel. Jacob Smith gab nur der allgemeinen Ansicht Ausdruck, als er sich dagegen verwahrte. »Habt ihr's gehört, Kameraden? … Arizona will uns feine Manieren beibringen!«

Brüllendes Gelächter folgte seinen Worten.

»Ich glaube, es gibt hier Kerle, bei denen Hopfen und Malz verloren wäre …«

»Nenne ihn nur gleich einen rechten Büffel, Arizona«, warf Raw trocken dazwischen.

»Das wäre doch eine Beleidigung aller ehrlichen Büffel«, gab Arizona zurück und hatte abermals die Lacher auf seiner Seite.

»Auweh, Jacob!« höhnte Lew.

So ging das noch eine ganze Weile hin und her. Nach dem Essen stopfte sich Tresler die Pfeife und bummelte mit Arizona zu den Stallungen hinüber. Es drängte ihn, der »Verbrecherin« einen Besuch zu machen, denn erst infolge der langen Trennung merkte er, wie gern er die knochige Stute hatte. Von Arizona kannte er übrigens alle Einzelheiten des nächtlichen Rittes von Willow Bluff zur Ranch.

»Schade, daß der Sergeant Fyles sie nicht bei der Verfolgung der Räuber reiten konnte«, meinte der Cowboy.

Verständnisvoll sah er zu, wie Tresler behutsam die Sehnen des Pferdes abfühlte. »Alles klar?« fragte er dann.

»Ja. Beine hat der Gaul wie ein Rennpferd. Ist er während meiner Krankheit geritten worden?«

»Nein, nur auf der Koppel bewegt.«

»Da wird es ja was Nettes geben, wenn ich wieder im Sattel sitze.«

Die beiden Männer standen nun vor der Tür, von wo aus man einen freien Blick auf das Herrenhaus genoß. Es wollte Abend werden. Schon neigte sich die Sonne zum Horizont, und von Osten her nahm der Himmel die tiefblaue Färbung der Nacht an.

»Arizona«, begann Tresler nach einem Weilchen, »eine unangenehme Aufgabe steht mir bevor. Ich habe soeben Marbolt drüben am Fenster gesehen, und da ich ohnehin mit ihm ein paar Worte zu reden habe, will ich lieber gleich zu ihm gehen.«

»Wegen … ihr?«

»Richtig.«

»Na, dann los. Ich halte mich derweil in der Nähe auf für den Fall, daß Sie mich brauchen.«

Tresler lachte. »Keine Angst, ich habe es ja diesmal nicht mit Jake zu tun.«

Er machte sich also auf den Weg. Angenehm war ihm dieser Gang durchaus nicht, denn mochte es sich eigentlich auch nur um eine Formsache handeln, so würde sie dem Rancher doch die Möglichkeit bieten, sich von der allerunliebenswürdigsten Seite zu zeigen. Arizona sah dem Freunde teilnehmend nach, als sich auf einmal Joe zu ihm gesellte. Der kleine Mann machte eine deutende Handbewegung.

»Wo will er denn hin?«

»Um Miss Dianny handelt sich's«, gab Arizona wortkarg zur Antwort.

Dann schwiegen die beiden Männer.

Inzwischen hatte Tresler das Haus betreten und stand nun im kleinen Büro vor dem blinden Rancher. Marbolt saß an seinem Schreibtisch und hatte den Kopf dem Fenster zugewandt. Der Widerschein des Sonnenuntergangs ließ seine Augen noch röter aussehen als sonst.

»Ich muß Sie in einer wichtigen Angelegenheit, sprechen, Mister Marbolt«, fing der Besucher an.

Seltsamerweise erwiderte Julian Marbolt mit fast höflichem Tonfall.

»Wenn Sie es selbst sagen, wird es wohl auch so sein.«

»Sie wissen bereits, wie es zwischen mir und Ihrer Tochter steht.«

»Allerdings.«

»Gut. Ich bin hier, um Sie formell um die Einwilligung zu unserer Verlobung zu bitten.«

Da wandten sich die entzündeten Augen fort vom Fenster und richteten sich mit starrem Ausdruck auf den Mann, der es wagte, Marbolts Schwiegersohn werden zu wollen.

»Tresler, es gibt nur eine einzige Antwort auf Ihre Frage. Sie sind hier auf meinem eigenen Grund und Boden beleidigend gegen mich geworden, und ich hege lediglich den Wunsch, Sie baldmöglichst verschwinden zu sehen. Das vorgeschossene Geld bekommen Sie zurück, und den Vertrag können wir ja zerreißen.«

»Das soll eine Ablehnung meines Antrags bedeuten?«

»Natürlich.«

Sekundenlang schwieg Tresler. Er fühlte sehr wohl, daß es der Blinde bewußt darauf anlegte, ihn zu kränken, und er war nicht der Mann, der widerstandslos Beleidigungen hinzunehmen pflegte.

»Schön; dann erkläre ich Ihnen hiermit ausdrücklich, daß ich es ablehne, Sie von meiner Gegenwart zu befreien«, sagte er möglichst ruhig. »Von einer Rückzahlung des Lehrgeldes kann gar keine Rede sein. Nach wie vor bestehe ich auf Innehaltung des unterzeichneten Vertrages. Eine Aufhebung jener Vereinbarung dürfte Sie zudem erheblich mehr kosten, als Ihnen lieb sein könnte.«

Hatte er erwartet, mit solchen Worten einen Wutausbruch des Ranchers auszulösen, so sah er sich getäuscht.

»Schade«, gab Marbolt achselzuckend zur Antwort. »Sie zwingen mich damit zu Maßnahmen, die weniger angenehm sind, wahrscheinlich aber besser zum Ziel führen werden. Meine Tochter wird uns verlassen. Die Vorbereitungen zu ihrer Abreise sind bereits getroffen. Heute in vierzehn Tagen wird sie auf unbestimmte Zeit zu Bekannten übersiedeln. Um mich ganz klar auszudrücken, Tresler: Sie werden sie nicht wieder zu Gesicht bekommen. Sollte es Ihnen übrigens einfallen, ihr zu folgen, so würde ich das selbstverständlich als Vertragsbruch Ihrerseits auffassen. In dem Fall könnte Diana sofort zurückkehren. Ich darf noch hinzufügen, daß dort, wo sie sich aufhalten wird, ihr Briefwechsel genau überwacht werden wird.« Der Blinde wandte sich ab, als wollte er andeuten, daß die Besprechung zu Ende sei. Tresler aber wich nicht.

»Wenigstens wird sie fern von hier zufriedener sein«, sagte er anzüglich.

»Das weiß ich nicht.« In der Antwort Marbolts barg sich ein teuflischer Hintergedanke.

»Man kann Ihr Verhalten Ihrer Tochter gegenüber nur als infam bezeichnen!« brauste der Besucher auf.

»Hm … meiner Tochter?«

»Sie haben überhaupt kein Recht dazu, sich uns in den Weg zu stellen, Herr! Bitte nehmen Sie ein für allemal zur Kenntnis, daß ich mich Ihrem Willen nicht beuge. Sobald Ihre Tochter mündig ist, hole ich sie mir auch ohne Ihre Einwilligung, denn niemals waren Sie ihr ein liebender Vater.«

»Stimmt.«

»Eine rechtliche Handhabe fehlt Ihnen zudem, denn …«

»Genug jetzt des Unsinns«, unterbrach ihn der Rancher, der offenbar anfing, ungeduldig zu werden. »Solange ich am Leben bin, so lange jedenfalls werden Sie Diana nicht heiraten. Verlassen Sie sich darauf. Und nun … gehen Sie!«

Da es keinen Zweck zu haben schien, die Verhandlung fortzusetzen, zog es Tresler vor, dieser liebenswürdigen Aufforderung Folge zu leisten. Noch ehe er jedoch die Wohnbaracke erreichte, gesellte sich Jake zu ihm, der ihm allem Anschein nach aufgelauert hatte.

»Na …?« meinte er, und als jede Antwort unterblieb, wurde er deutlicher. »Verdammt schlecht Kirschen essen mit dem Alten, wie? Jetzt werden Sie uns also in allernächster Zeit verlassen?«

»Nein. Im Gegenteil, ich bleibe, bis meine Zeit abgelaufen ist.«

»Nanu! … Sie gehen nicht?«

»Wie ich eben bereits sagte.« Dann kam ihm blitzschnell ein Gedanke. Warum sollte er nicht auch Jake etwas für diesen Edelmann Unerfreuliches sagen? »Miss Marbolt wird für die Dauer meines Hierseins fortgeschickt. Also beinahe drei Jahre lang«, ergänzte er boshaft.

Wenn Jake Harnach bei dieser Mitteilung erschrak, so ließ er sich es wenigstens nicht anmerken.

»Wann soll sie abreisen?«

»Heute in vierzehn Tagen.«

»Besser wär's, sie täte es heute schon.«

Nach diesen Worten drehte sich der Vormann plötzlich um und ging schnellen Schrittes davon.

 

Kaum eine Woche später stieg Tresler zum erstenmal wieder in den Sattel. Die Polizei stand jetzt in dauernder Verbindung mit der Ranch. Mehrfach ließ sich Sergeant Fyles beim Besitzer melden, um mit ihm zu beraten. Zudem kamen des öfteren Streifen vorbei. Aus allen Anzeichen schloß Tresler, daß die Behörden eifrig am Werke waren.

Da, eines Tages, als er auf einem abgelegenen Gebiet der Ranch zu tun hatte, tauchte plötzlich die untersetzte Gestalt des Sergeanten bei ihm auf. Und nun erfuhr er einiges von der Arbeitsweise der Gendarmerie. Ein vorzüglich eingerichteter Späherdienst ermöglichte es, die Ranch und ihre Bewohner zu überwachen, wobei man es vor allem auf Jake Harnach abgesehen zu haben schien. Zum Schluß ersuchte Fyles den durchaus bereitwilligen Tresler um weitere Mitarbeit.

Von Diana bekam Tresler vorderhand kaum etwas zu sehen. Selten nur erhielt er wenige Zeilen von ihr, aus denen ihr Kummer über die bevorstehende Abreise sprach. Viel Trost vermochte er ihr nicht zu spenden, denn bis auf weiteres war er ziemlich machtlos gegenüber der Tyrannei des Ranchers. Sein Verstand warnte ihn davor, die Entwicklung der Dinge zu überstürzen. Wenn Diana abreiste, so war sie wenigstens den Nachstellungen Jakes entzogen. Auffallend war es nur, daß Jake eine betont heitere Laune zur Schau trug. Keiner der Angestellten entsann sich, jemals so gute Zeiten unter seiner Herrschaft erlebt zu haben. Er kümmerte sich überhaupt wenig um seine Obliegenheiten. Von Tresler hielt er sich grundsätzlich fern.

Joe, der alte gerissene Joe war es dann, der den Grund solchen Verhaltens erkundete. Er entdeckte zunächst, daß Jake allnächtlich die Ranch verließ, und zwar zu Fuß. Innerhalb einer Woche blieb er zweimal bis Tagesanbruch fort.

Dies allein schon war interessant, aber dann stockte die Entwicklung wieder bis zum letzten Tage von Dianas Anwesenheit. Joe beobachtete, daß sich Jake ins Haus begab und gleich darauf wieder mit Diana im Freien erschien. Die beiden sprachen miteinander, doch vermochte Nelson nichts zu verstehen. So hielt er es denn für besser, erst einmal zu Tresler zu laufen und diesen zu benachrichtigen.

»Irgend was geht da vor«, schloß er erregt. »Was es eigentlich ist, kann ich noch nicht herausbekommen. Jetzt ist Jake wieder in seiner Hütte verschwunden …« In diesem Augenblick ging die Tür von Jakes Hütte. Joe ergriff des Freundes Arm, und beide sahen dem eiligen Schrittes davongehenden Riesen nach. Dabei fiel ihnen auf, daß Jake sich merkwürdig unsicher bewegte.

»Du … der ist betrunken«, flüsterte Joe.

Tresler hatte bereits seinen Entschluß gefaßt.

»Ich muß wissen, was das heißen soll, Joe«, erklärte er.

»Da … er geht zu Marbolts Stallungen hinüber.« Seinen Begleiter stehen lassend, eilte auch Tresler hinüber und schlüpfte in ein Versteck, aus dem er nicht nur die weiteren Vorgänge sehen, sondern sie auch belauschen konnte.

Jake aber pochte herrisch und laut an die Stalltür.


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