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Auch nachdem von den geheimnisvollen Reitern nichts mehr zu spüren war, behielt Tresler seine Vorsicht bei. Noch galt es, an den Räumen des Blinden vorüberzukommen, der, wie er sehr wohl wußte, ein fabelhaft feines Gehör besaß. Es war zudem mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß er noch auf oder doch zum wenigsten wach war.
Beim Stall angekommen, legte er die Hand auf die Klinke der Tür. Sie war geschlossen. Er lauschte angestrengt, doch vernahm er nichts als das Rasseln der Halfterketten und das behagliche Kauen der Tiere. Gerne hätte er den Fall näher untersucht, denn er wußte, daß es die Stalltür gewesen war, die er hatte zugehen hören. Jedoch gerade diese Erkenntnis legte ihm Zurückhaltung auf.
Also weiter.
Ohne Zwischenfall kam er am Zimmer des Ranchers vorbei und gelangte zur Küche. Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er drinnen Licht brennen sah, doch war seine Freude von kurzer Dauer, denn die leinenen Vorhänge waren geschlossen, und es gab nicht den geringsten Spalt, durch den er ins Innere hätte spähen können. Einlaß zu begehren, wagte er nicht eher, bis er wußte, wer sich drinnen befand. Plötzlich entsann er sich, daß die Küche nach der anderen Seite zu noch ein zweites Fenster besaß. Wohl mußte er, um dorthin zu gelangen, nochmals ins Freie zurück, aber angesichts der nächtlichen Dunkelheit bedeutete das keine nennenswerte Gefahr.
Er beeilte sich also, und das Glück erwies sich ihm hold. Allerdings war auch hier der Vorhang geschlossen, aber das Schiebefenster stand unten ein wenig offen, so daß er ihn zur Seite schieben und hineinsehen konnte. Schon hob er die Hand, um die Absicht auszuführen, als er stutzte. Er hörte jemanden weinen. Hastig ergriff er den verhüllenden Stoff. Auch jetzt schon war es ihm klar, wer dort drinnen weinte, und sein Herz schlug schneller.
Auf der anderen Seite des Raumes, in der Nähe des Herdes, saß Diana Marbolt. Sie hielt das Gesicht in den Händen verborgen, und ihre schmalen Schultern zuckten von verhaltenem Schluchzen. Das alles erkannte Tresler mit einem einzigen Blick. Dies und noch mehr. Zu seinem Entsetzen sah er, daß an ihrem entblößten Unterarm blutunterlaufene und zerschundene Stellen zu sehen waren. Der Ausdruck in des Mannes Augen wurde bedrohlich.
»Diana«, flüsterte er.
Jählings sprang das Mädchen auf und starrte zum Fenster hinüber, wobei sie mit schneller Bewegung den Ärmel zurechtzog. Es gelang ihr jedoch nicht, die Verletzungen zu verbergen, die durch die Bemühungen erst recht in Erscheinung traten.
»Ich muß mit Ihnen sprechen, Diana«, sagte Tresler leise, »öffnen Sie die Tür.«
Sie nickte. Gleich darauf schlüpfte der junge Mann lautlos ins Innere der Küche. Er deutete zum Fenster. »Das müssen wir zumachen.«
Diana gehorchte, worauf sie wieder zu dem späten Besucher trat und ihn vertrauensvoll ansah.
»Wir haben vieles zu bereden«, erklärte Tresler ohne Umschweife. »Dinge, die niemand sonst hören darf.«
»Niemand …?«
»Vor allem auch Ihr Vater nicht.«
»Dann wollen wir die Tür zum Gang schließen.« Das junge Mädchen war jetzt ganz ruhig, während es die angekündigte Absicht ausführte. Tresler zeigte auf eine zerbrochen am Boden liegende Lampe.
»Sie haben einen Unfall gehabt?«
»Ja«
»Und auch das ist wohl einem Unfall zuzuschreiben?« fragte er und meinte dabei die Verletzungen ihres Armes. »Zwei Unfälle also … und Tränen … Beide Arme; kaum glaublich.«
Diana schwieg, während Tresler sie beobachtete. Er wußte, daß seine Fragen ihr Schmerz bereiteten, konnte das aber nicht vermeiden. Es durfte zwischen ihnen beiden keine Heimlichkeiten mehr geben, wenn er ihr wirklich helfen wollte. Endlich hob sie mit energischem Ruck den feinen Kopf. Ihre Wangen röteten sich.
»Und wenn es sich nicht um einen … Unfall handelte?«
»Die Prellungen oder die Lampe?«
»Beides.«
»Dann«, stieß Tresler ingrimmig hervor, »handelt es sich um die Roheit eines zu Gewalttaten neigenden Menschen.« Näher noch trat er an sie heran, und seine Stimme klang mit einemmal sanft und voll unendlichen Mitgefühls. »Haben Sie einen wirklichen Grund, mir nicht restlos zu vertrauen? Darf ich nicht alles erfahren, was Sie bedrückt? Aber ich will es Ihnen ersparen, mir erzählen zu müssen. Wenn ich die Wahrheit spreche, dann schweigen Sie; es genügt mir. Ihr Vater war hier und er – tat dies.
Jemand hat mit Ihrem Vater gesprochen; hat ihn angelogen. Ihr Vater aber glaubte ihm. Er sprach daraufhin mit Ihnen. Und nun tragen Sie die Spuren jener Auseinandersetzung an Ihren Armen.«
Diana sagte nichts.
»Soll ich fortfahren, Diana … soll ich Ihnen die ganze Geschichte erzählen?«
Sie nickte.
»Wir alle stecken inmitten einer Art von Verschwörung, deren Fäden nicht klar zutage liegen. Ihr Vater droht Ihnen, Sie an einen Schurken zu verheiraten, der nicht wert ist, daß ihn die Erde trägt. Ein bestimmter Mann steckt hinter all den Ereignissen, mag es nun Red Mask oder Jake Harnach sein. Sagen Sie: befindet sich Ihr Vater in Erpresserhänden?«
»Nein«, flüsterte das junge Mädchen, doch leidenschaftlich klangen die nächsten Worte. »Was aber … was können wir tun? Vater haßt Sie, weil er Jakes Einflüsterungen Glauben schenkt. Wir hatten einen heftigen Auftritt; die Folgen sehen Sie ja. Mich selbst behandelt er schlimmer als einen störrischen Dienstboten. Was. also sollen wir tun?«
»Verschiedenes. Allerdings müssen wir gemeinsam handeln; Sie und ich.«
Seine Augen leuchteten.
»Diana …«, mit Innigkeit ergriff er ihre beiden Hände. »Ich liebe Sie, und ich bitte darum, Ihr Beschützer sein zu dürfen. Sag', daß ich es darf, kleines Mädel … Ich habe dich ja so grenzenlos lieb. Ich will nicht behaupten, daß mein Schutz wirkungsvoller als der des guten alten Joe sein wird, aber solange ich lebe, will ich nur an dich und dein Glück denken …«
Diana Marbolt wußte, daß sie die Liebe dieses aufrechten Mannes erwiderte, daß auch sie ihn liebte vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft an. Er war so ganz anders als die übrigen Männer der Ranch. So gab sie sich auch keine Mühe, ihre Empfindungen zu verbergen. Sie liebte John Tresler; was andres blieb ihr übrig, als es offen zuzugeben?
»Wohl ist Joe seit Jahren mein treuer Beschützer gewesen, aber Ihr … dein Schutz ist mir doch noch wertvoller«, sagte sie schlicht.
Zutraulich schritt sie auf ihn zu, und dann hielt er sie in seinen Armen, als müsse das alles so sein. Bald aber wurde er wieder ernst.
»Nun müssen wir in erster Linie beraten, was geschehen soll, Liebling. Wenn du …«
Er brach plötzlich ab. Flatterte da nicht soeben der Vorhang ein wenig?
»Ich dachte, du hättest das Fenster geschlossen?« fragte er hastig.
»Das dachte ich auch. Vielleicht tat ich es nur oberflächlich.«
Diana wollte sich selbst überzeugen, wurde jedoch durch eine Handbewegung Treslers zurückgehalten.
»Warte.«
Wirklich stand das Schiebefenster ungefähr zwanzig Zentimeter weit offen. Er zog es nieder, sicherte es mit dem Vorsteckbolzen und kehrte lächelnd zu dem Mädchen zurück.
»Ja, du hast es offen gelassen«, sagte er. Dann wurde sein Blick wieder sehr ernst. »Laß uns schnell zu Ende kommen. Jake kann nichts unternehmen, was dir wirklichen Schaden zufügen würde. Vor ihm bist du ziemlich sicher. Auch ist Joe ein treuer Wächter. Hingegen bitte ich dich, ein wachsames Auge auf deinen Vater zu haben und festzustellen, wie seine Beziehungen zu Jake sind; das heißt vielmehr, wie Jake sich ihm gegenüber verhält. Ich bin es, der den Halunken zu fürchten hat, denn er wird todsicher danach trachten, mich auf die eine oder andere Weise loszuwerden …«
»Wie das …?«
Abermals schien sich Furcht Dianas zu bemächtigen. Dicht trat sie an den Mann heran, den sie liebte. Es sah aus, als wollte sie ihn mit dem eigenen Körper schützen.
Tresler zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht. Das bleibt sich übrigens auch ziemlich gleich. Meine Pläne liegen schon im wesentlichen fest. Viel wichtiger ist es im Augenblick, daß sich die Nachtreiter wieder mal unterwegs befinden. Ich sah sie, als ich hierher kam. An der gleichen Stelle, wo ich ihnen früher bereits begegnete. Diesmal aber werde ich nicht den Mund halten.«
»Soll das heißen, daß du mit Jake darüber zu sprechen gedenkst?«
»Allerdings. Ich will ihn dadurch zwingen, mit den Feindseligkeiten ernstlich zu beginnen. Jetzt aber muß ich gehen. Ich möchte die Rückkehr von Red Mask nicht versäumen.«
Schweigen. Dann versuchte das Mädel, tapfer zu lächeln.
»John … ist es denn unerläßlich, daß du dich mit Jake auseinandersetzt? Du mußt dir darüber klar sein, daß du dich damit einer furchtbaren Gefahr aussetzt. Könntest du nicht …«
Aber sie kam nicht weiter, denn von seiner Leidenschaft übermannt, riß Tresler sie in seine Arme und verschloß ihren Mund mit Küssen.
»Ja doch, du … ja, ja, ja …! Es muß sein. Wir müssen diesen Kampf durchkämpfen, und da ist es immer gut, der Angreifer zu sein. Nun aber gute Nacht, Liebling. Vertraue mir. Vergiß auch eins nicht: sollte mir jemals etwas zustoßen, dann hast du noch zwei andere treue Freunde, die es niemals dulden werden, daß Jake dich heiratet. Joe und Arizona. Also nur immer mutig sein,
»Du, dir darf aber einfach nichts zustoßen!« Zärtlich schmiegte sich Diana an ihn.
»Ich glaube auch nicht, daß es geschieht, jedenfalls zerbrich dir deinen Kopf nicht über die Möglichkeit.« Eilig verließ Tresler den Raum.
Draußen blieb er einen Augenblick lauschend stehen und schloß dann behutsam die Tür. Er Wußte sehr wohl, was es mit dem Offenstehen des Fensters auf sich gehabt hatte. So wenig wie Diana selbst zweifelte er daran, daß es ursprünglich geschlossen gewesen war. Es mußte von außen her ein wenig hochgeschoben worden sein.
Während Treslers Aufenthalt in der Küche hatte sich der nächtliche Himmel vollkommen verändert. Kein Stern war mehr sichtbar. Er tastete sich zu der Hütte Joe Nelsons und fand die Tür unverschlossen. Joe war noch nicht zurückgekehrt.
Die Tatsache befremdete ihn. Namentlich in Verbindung mit dem Zwischenfall, der das Fenster betraf. Es galt, der Sache auf den Grund zu gehen.
Im Augenblick, da er die Ecke des Schuppens umschritt, kam ihm das plötzliche Umschlagen der Witterung voll zum Bewußtsein. Ein scharfer Wind trieb ihm Regentropfen ins Gesicht. Dann wetterleuchtete es und in der Ferne grollte der Donner. Ein Blick nach rückwärts zeigte ihm, daß das Licht in der Küche des Herrenhauses erloschen war. Offenbar hatte sich Diana zur Ruhe begeben.
Ein greller Blitz erhellte für den Bruchteil einer Sekunde die ganze Landschaft mit fahlem Licht. Ein betäubend knatternder Donnerschlag folgte, und dann begann der Regen in Strömen niederzugehen.
Tresler fing an zu laufen, blieb dann aber nochmals stehen. Deutlich hatte er menschliche Schritte vernommen, deren Geräusch jedoch sofort wieder, verstummt war. Da kam ihm abermals das unheimliche Licht des Himmels zu Hilfe. In seinem Schein gewahrte er die Gestalten zweier sich eilig bewegender Männer. Der eine näherte sich ihm von links her, der andere mehr von rückwärts. Ohne des Wolkenbruchs zu achten, wartete Tresler darauf, daß ihn ein weiterer Blitz noch deutlicher die seltsame Lage werde erkennen lassen.
Das Unwetter schien schon wieder nachlassen zu wollen, denn der folgende Flächenblitz geisterte nur undeutlich am Horizont. Im selben Augenblick aber krachte ein heftiger Schlag gegen Treslers Schädel, und dann wußte er nichts mehr …
Erst eine halbe Stunde später ließ der Regen nach, und schnell klarte es auf. Das Licht der Sterne genügte gerade, um den Ort des Verbrechens schwach zu beleuchten. Keine fünfzig Meter vom Hause des Ranchers entfernt lag Tresler leblos mit aufwärts gewandtem Gesicht am Boden. Über ihn beugte sich ein kleiner, grauhaariger Mann, dessen Züge unzählige Falten und Runzeln aufwiesen.
Es war Joe Nelson, der sich da bemühte, den bewußtlosen Freund zum Leben zurückzurufen. Lange Zeit vergebens. Dann, als der Alte bereits alle Hoffnung aufgeben wollte, zuckten Treslers Beine. Gleich darauf sah der Erwachende wild um sich.
»Allmächtiger Himmel, was ist denn mit mir los? … Mein Kopf!«
Jetzt erkannte er seinen Kameraden und stand mühsam auf. Joe sprang jedoch gleich zu, denn sonst wäre er unfehlbar wieder hingefallen.
»Ums Haar hätten sie dich umgebracht«, sagte Nelson, der ganz unwillkürlich diese freundschaftliche Anrede benutzte. »Dem Kerl war ich schon seit einer Stunde auf der Spur. So ein Lump!«
»Wer war es?«
»Es gibt hier nur einen, der dich bis in den Tod haßt und dich kaltblütig zu ermorden trachtet.«
»Jake …?«
»Natürlich.«
»Du, Joe … ich habe vorhin die Nachtreiter wiedergesehen. Keine halbe Stunde vor Ausbruch des Sturmes.«
Der kleine Mann antwortete nicht. Wortlos führte er den Überfallenen zur Wohnbaracke.