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11

Es verging eine ganze. Woche, bevor Tresler wieder in nähere Berührung mit Jake Harnach geriet. Als er von seinem unfreiwilligen Ausflug heimkehrte, da war der Zirkus mit dem Broncho-Zureiten in vollem Gange. Es sollte ihm jedoch nicht beschieden sein, daran teilzunehmen. Jacob Smith wartete bereits auf ihn, um ihm einen Befehl Julian Marbolts zu übermitteln. Er sollte sofort nach Calford reiten und dort alles für die Unterbringung der Polizeiremonten vorbereiten. Tresler begriff sehr wohl, daß ihn der Rancher entfernen wollte, bis Jakes Wut wenigstens einigermaßen besänftigt sein würde.

So nahm er die Anordnungen ohne Widerrede zur Kenntnis. Es war etwas brutal, der »Verbrecherin« noch einen weiteren Ritt zuzumuten, aber da sie sich für gewöhnlich furchtbar rücksichtslos gegen ihren Reiter zu benehmen pflegte, durfte der schließlich auch mal den Spieß umdrehen. Im übrigen geschah unterwegs nichts Nennenswertes. Gemeinsam mit Raw Harris und Lew Cawley, die die Remonten zum Städtchen gebracht hatten, machte er sich nach Ablauf mehrerer Tage auf den Rückweg zur Ranch. Es wurde Abend. Noch ging die Sonne nicht unter, doch fielen ihre Strahlen schräg hinter märchenhaft farbigem Gewölk hervor. Die Ranch duckte sich in den Schlagschatten der hinter ihr aufragenden Berge. Tresler freute sich, die Kameraden wiederzusehen, und obendrein sehnte er sich danach, in Dianas Nähe zu gelangen. Auch machte er sich Sorgen ihretwegen. Wie mochte es ihr in der Zwischenzeit ergangen sein? Jake stand vor der Tür seiner Behausung, als sich Tresler bei ihm zurückmeldete. Deutlich waren noch die Spuren jener beiden Peitschenhiebe in seinem Gesicht zu sehen. Zu Treslers Erstaunen blieb Jake ganz ruhig. Später, nachdem er sein Pferd versorgt hatte, begab sich Tresler in die Schlafbaracke. Noch ehe er sie erreichte, gesellte sich Joe Nelson zu ihm. Offensichtlich hatte der kleine Mann auf ihn gewartet.

»Nun?«

Hastig stieß Tresler die Frage hervor, die auch sofort beantwortet wurde.

»Sie hat schon dreimal nach Ihnen gefragt. Sie schien ängstlich zu sein … Gestern abend weinte sie sogar«, fuhr er nach kurzer Pause fort, während der er einen Blick auf die Hütte des Vormanns geworfen hatte.

»Heute auch …«

»Was hat es denn gegeben?«

»Vielleicht fühlt sie sich vereinsamt.«

»Das kann der Grund nicht sein.«

Abermals sah Joe fort.

»Jake strich mehrmals um sie herum. Aber einsam ist sie auch. Ihre Schuld, Tresler.«

Der Alte war sichtlich mißgelaunt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, so hätte Tresler Diana Marbolt schon längst zu dem nächsten Geistlichen gebracht und sich trauen lassen.

»Ich werde sie heute noch aufsuchen«, gab Tresler zur Antwort. »Auf Wiedersehen.«

Joe ging sofort weg, denn er merkte, daß sich sein junger Freund nur deswegen so schnell von ihm verabschiedete, weil Jake abermals drüben sichtbar wurde.

 

Nach dem Abendessen zog sich Tresler unter dem Vorwand, sein Sattelzeug in Ordnung bringen zu müssen, aus dem Kreis der Kameraden zurück. Unter Mitnahme eines Eimers Wasser schritt er zu den tiefer gelegenen Korrals, fing jedoch erst an zu arbeiten, als er Arizona auf sich zukommen sah. Wortlos nahm Arizona auf einem daliegenden Baumstamm Platz, verfolgte den Gang der Arbeit und spuckte zuweilen einen tüchtigen Strahl braunen Tabaksaft in die Gegend.

»Jake bleibt stumm wie ein Fisch«, sagte er nach geraumer Weile.

Tresler blickte auf.

»Sie meinen wegen …«

»Ja. Ich überlegte mir gerade Ihre Lage. Mir scheint, daß Ihre Feindschaft mit Jake nicht mehr lange so weitergehen} kann.«

»Mit anderen Worten, Sie glauben, daß er mir nach dem Leben trachtet?«

»Hm …«

Lächelnd machte sich Tresler wieder an die Behandlung seines Sattels.

»Und was meinen Sie, das er gegen mich vorhat?«

»Bin ich ein Prophet? … Bei so einem Kerl weiß man wie bei einem blinden Maulesel nie, wohin er auskeilen wird. Ich sage Ihnen nur eins: seien Sie auf Ihrer Hut …« Gedankenvoll kaute er an seinem Tabak herum, bis er mit einemmal fortfuhr. »Wenn ich nur wüßte, was mit dem alten Krüppel, dem Nelson, los ist. Komischer Kauz. Der schnüffelt auch immerzu hier herum. Stellen Sie sich vor, er hat seit seinem Abenteuer in Forks das Saufen aufgegeben. Stocknüchtern ist er. Kann sein, daß er nicht gut schlafen kann, denn nachts geht er oft spazieren. Wie umgewandelt kommt mir der alte Joe vor. Ob er es auf seine späten Tage womöglich mit der Religion zu tun bekommt? Eigentlich hat er immer eine kleine Schwäche für religiöse Dinge gehabt.«

»Glaube nicht, daß das der Grund ist«, lächelte Tresler. »Daß er etwas aufgeregt ist, begreife ich. Jake hat ihn schlimm mißhandelt. Im übrigen verfolgt er sicher ganz bestimmte Zwecke.«

»Das kann man sich bei Joe eigentlich denken«, stimmte der andere zu und wurde dabei sichtlich heiterer. »Immerhin neigt der gute Joe zu religiösem Grübeln. Ich habe mal gesehen, wie er einen Kerl, der ihm an die Kehle wollte, über den Haufen schoß und dann bittere Tränen vergoß, weil kein Pfarrer in der Nähe war, der ihn würdig hätte bestatten können. Das ist nun schon eine Weile her … Ja, ja«, fuhr er sinnend fort, »mit der Religion ist das so eine eigene Sache. Fast wie ein Fieber. Ich hab's mal gekriegt, wie ich drunten in Texas war. Eine Dame war dran schuld … Als ob die Religion immer da zu merken wäre, wo es viele Frauen gibt. Es brauchen übrigens nicht mal viele zu sein, denn damals in Texas, das war nur eine …«

Tresler nickte zustimmend, was Arizona wohl als Aufmunterung betrachtete.

»Ja, also es erwischt einen ganz unverhofft«, spann er seine Gedanken weiter. »Das erste Zeichen ist meistens, wenn man giftig wird über das Gefluche der anderen. Man ist versöhnlicher Stimmung und läßt sich's gutmütig gefallen, wenn einer der Mitspieler längere Zeit unverschämt gute Karten hat. Vom scharfen Trinken will man auch nichts wissen. Wenn einer solche Empfindungen hat, dann tut er gut dran, schleunigst zu Bett zu gehen. So habe ich's jedenfalls getan.«

»Wirklich?«

»Ganz gewiß. Ist gar nicht so einfach. Da war zum Beispiel Nassy Wilkes, der Wirt, den hat es einmal böse erwischt, wie ich dabei war. Da saß nämlich ein Kerl mit langen Haaren bei ihm und spielte auf einer Art von Klavier herum, das er aber auch feste mit den Füßen bearbeitete. Ein … ein …«

»Vielleicht ein Harmonium«, meinte Tresler.

»Richtig, so wurde es genannt. Also der Mensch machte eine wundervolle Musik, und was das Komischste war, er starrte dabei immer an die Decke, als erwartete er, es würde jemand runterkommen.«

»Inspiration …«

»Vielleicht. Dennoch war ich froh, daß ich zuhören konnte. Aber dann kamen die anderen und machten dummes Zeug. Da ging der Mann weg, und ich hätte das Blaue vom Himmel runterfluchen können, wenn ich mich nicht geschämt hätte. Ich kam mir auf einmal so gut vor und war eigentlich restlos glücklich.« Arizona seufzte in Erinnerung an die wenigen Minuten, die sein rauhes Dasein erhellt hatten.

»Na, der Zustand dauerte natürlich nicht lange. Nee, alles was recht ist, Religion ist auf die Dauer nichts für mich. Man kann nicht mit Teufeln und Engeln gleichzeitig auf du und du sein, wissen Sie. Keine vierundzwanzig Stunden später bekam ich ohne mein Zutun Streit mit einem als Raufbold bekannten Kerl. Er blieb tot am Platze … Da war es mit der Religion wieder alle. Wahrscheinlich kann man auch hier sagen: alles zu seiner Zeit … und für mich springt nicht viel dabei heraus.« Arizona schwieg. Erst als Tresler den Sattel aufhob und sich zum Fortgehen anschickte, sprang er plötzlich auf und hielt ihn durch eine Handbewegung zurück.

»Sie, ich habe noch was Ernsthafteres mit Ihnen zu besprechen. Diese Geschichten, die waren nur so nebenbei.«

»Nun …?«

»Zwischen Jake und dem Alten muß irgend was los sein. Rein zufällig habe ich ein Gespräch zwischen Jake und Miss Dianny belauscht. Sie kam herunter, um sich von Jacob was an einem ihrer Stiefel richten zu lassen. Da erschien plötzlich Jake Harnach und nahm sie mit in den Stall, weil er ihr einen Gaul zeigen wollte, den er zum Fahren für sie ausgesucht hatte. Sie sahen mich nicht, denn ich stand droben an der Speicherluke und wollte gerade Heu runterwerfen. Ich höre, wie Jake sagt: ›Am besten, Sie kommen mit und ich zeige Ihnen, wie Sie ihn einfahren müssen.‹ Und sie ganz ruhig und eiskalt: ›Ich fahre das Pferd erst, wenn die Dressur fertig ist.‹ Darauf er: ›Soll das heißen, daß Sie jetzt nicht mit mir kommen wollen?‹ … ›Ja!‹ sagt Miss Dianny scharf. Nun wird er zornig. ›Bilden Sie sich bloß nicht ein, daß Sie nachher mit dem Gaul zu irgendeinem Rendezvous mit Tresler fahren können. Überhaupt, Ihr Vater ist ganz auf meiner Seite. Er weiß längst Bescheid von den Heimlichkeiten, die Sie da haben. Dafür habe ich gesorgt. Fuchsteufelswild ist er, und sehen Sie, ich habe Ihnen nur eins zu sagen: Sie werden mich heiraten. Ihr Vater will es, und das genügt wohl?‹ Da lacht ihm Miss Dianny doch einfach ins Gesicht! – Aber vergnügt klang das Lachen nicht; nee, das könnte man wirklich nicht sagen. Ganz von oben herab sagt sie: ›Vater wird das nie zulassen, daß ich Ihre Frau werde.‹ Jake stand wohl eine Minute lang ganz still da, aber dann schrie er so laut, daß man es draußen hören mußte: ›Ich werde ihn dazu zwingen! Ich kann es erreichen, daß er mir die Stiefelspitzen küßt, wenn ich will.‹ Darauf blieb es ganz still unten, und dann verließen beide den Stall. Miss Dianny ging voraus und sprach gleich mit Jacob.«

»Was halten Sie selbst von der Geschichte, Arizona?«

Als hätten die wenigen Worte eine Feder ausgelöst, so schnellte der Mann plötzlich vorwärts. Maßlose Erregung zuckte in seinem blassen Gesicht.

»Ich' denke nicht daran, mich mit langen Grübeleien aufzuhalten. Wissen Sie was, Tresler …«, seine Stimme verebbte zu heiserem Flüstern, »nicht am Leben bleiben darf der Halunke. Er ist es nicht wert, daß ihn die Sonne bescheint. Das ist meine Meinung. Geradewegs gehe ich zu ihm und sage ihm ins Gesicht, was für ein Schweinehund er ist. Natürlich geht er dann hoch, aber Sie wissen ja … ich schulde dem Mädel Dank, den ich auf andere Weise ja doch nicht abtragen kann. Ich habe nur den einzigen Wunsch, daß ihm meine Kugel den Schädel zerschmettert, ehe er mich selbst umlegt.«

Arizona schien von seinem Plan ganz begeistert zu sein, aber Tresler schüttelte den Kopf.

»Geht nicht, Arizona«, sagte er ernst. »Vermutlich hat Jake sie nur einschüchtern wollen. Obendrein ist er ja ihres Vaters Vormann; der Mann, dem er vertraut und auf den er sich verläßt …«

»Unsinn!« fiel ihm der andere in die Rede. »Wenn Jake erst mal aus dem Wege geräumt ist, dann braucht er keinen Vormann mehr. Sie heiraten die Tochter und …«

Aber Tresler ließ ihn nicht weitersprechen.

»Lassen Sie das, Arizona. Ich habe auch keine Zeit, noch länger zu schwatzen, denn ehe ich mich aufs Ohr lege, gibt es noch Verschiedenes für mich zu tun.« Arizona fiel wieder in mürrisches Schweigen. Tresler aber dankte dem Himmel, daß es ihm vergönnt war, die Pläne des Mannes vor ihrer Ausführung kennenzulernen.

Mittlerweile war es finster geworden. Tresler trug den Sattel in den Stall, kehrte danach aber nicht in die Wohnbaracke zurück. Er wollte zuvor – es mochte kosten was es wollte – Diana Marbolt sehen, denn er wußte, daß es nachgerade an der Zeit war, einzugreifen. Wenn Jake sie schamlos bedrohte und andere Leute merkten, daß sie heimlich weinte, dann drängten die Dinge allerdings mit Riesenschritten einer Entscheidung zu. Er begann sich zu ängstigen, wußte nur nicht recht, wovor.

So verließ er die Stallungen und schlenderte auf den Waldrand zu. Dabei gedachte er des Spazierganges, den er am ersten Abend seiner Anwesenheit auf der Ranch unternommen hatte. Auch diesmal wollte er sich dem Hause des Blinden von der Rückseite her nähern.

Die Stille der Prärienacht lag über der Landschaft. Aus der Ferne tönte das rauhe Quaken der Wasserfrösche herüber. Hin und wieder mischte sich das Heulen eines Coyoten hinein.

Tresler war im Dickicht verschwunden und näherte sich nun vorsichtig dem Wohnhaus. Es war stockdunkel im Schatten der Fichten, und Tresler trug leichte indianische Lederschuhe, die ihm ein lautloses Auftreten gestatteten. Er kam sich vor wie ein Dieb in der Nacht.

Aufmerksam spähte er, um festzustellen, ob noch irgendwo Licht brannte. Die Schlafbaracke lag in tiefer Dunkelheit da, aber Jakes Fenster war erhellt. Das machte Tresler jedoch wenig Sorgen. Er wußte, daß der Vormann zuweilen auch dann nicht die Lampe auslöschte, wenn er sich zu Bett legte. Möglicherweise las er bei Nacht. Die Vorstellung eines lesenden Jake belustigte ihn, doch während er noch vor sich hinschmunzelte, schwand das Licht, und nun fühlte sich Tresler ganz beruhigt.

Er erreichte die Stelle des Waldrandes, die den Stallungen gegenüberlag. Ein Geräusch ließ ihn aufschrecken; ein sehr ungewohntes Geräusch. In der Ferne vernahm man murmelnde Stimmen. Blitzschnell fielen ihm die Erlebnisse der ersten Nacht ein, die er auf dem Hof verbracht hatte. Angespannt lauschte er. Die Stimmen behielten den gleichen Klang bei; sie wurden weder lauter noch leiser. Tresler empfand Neugier. Unendlich behutsam schlich er näher.

Vergebens suchte er sich darüber klar zu werden, woher das Geräusch kam, obwohl es ihm schien, als befänden sich die Stimmen in der Nähe des eigenen Stalles des Ranchers.

Dann wurde irgendwo eine Tür geschlossen, und die Stimmen schwiegen. Atemlos wartete Tresler. Er wußte, was nun kommen würde, und es kam in der Tat. Gedämpfter Huf schlag, das Knacken zertretener Tannenzapfen. Alles war wie eine Wiederholung bereits bekannter Erlebnisse. Zwei Reiter kamen aus der Gegend des Herrenhauses.

Unwillkürlich glitt des Lauschers Hand zum Revolver. Möglicherweise nahte Red Mask; wahrscheinlich sogar. Tresler gedachte jedoch nicht, durch eine vorschnelle Handlung der Entwicklung der Dinge vorzugreifen. Überdies, falls Red Mask und Jake eine und dieselbe Person waren, dann würde die Gendamerie seine Tat als Mord auffassen. Keinem Gericht hätte er beweisen können, daß der Vormann der Mosquito Bend Ranch ein Viehräuber war.

Wenige Sekunden später wurden die Umrisse der beiden Pferde undeutlich sichtbar. Es war jedoch so dunkel unter den Fichten, daß Tresler noch schlechter Einzelheiten zu unterscheiden vermochte als bei der ersten Begegnung. Schattenhaft glitten die Männer vorüber.

Erst als sie vollends außer Sicht waren, erhob sich Tresler sehr vorsichtig aus der kauernden Stellung und setzte seinen Weg fort. Also waren die Nachtreiter mal wieder unterwegs. Wer mochte wohl ihr nächstes Opfer sein? Eigentlich tat es ihm leid, daß er sie ungehindert hatte passieren lassen. Wäre es nicht seine Pflicht gewesen, sie anzuhalten? Zum Glück fiel ihm das Mädchen mit den traurigen Augen ein, und auch der Worte des alten Joe Nelson mußte er gedenken; jener Worte, die ihm eindeutig nahegelegt hatten, Diana Marbolt baldmöglichst zu heiraten.


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