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Der vermeintliche Bär war niemand anders als der gesuchte Joe Nelson!
Etwas ärgerlich, als habe man ihn zum Narren halten wollen, steckte Tresler die Waffe weg. Lange aber vermochte er sich nicht der Komik der Lage zu entziehen. Laut lachte er auf, als sich der »Bär« wieder auf allen Vieren niederließ und neuerdings auf ihn zukroch. Der kleine Cowpuncher verfing sich nämlich immer wieder in den Falten einer braunen Decke, die er mitschleppte. Die ganze verbissene Art des Mannes deutete darauf hin, daß er noch nichts von der Anwesenheit eines Mitmenschen gemerkt hatte. Mit dem Instinkt des Trunkenen strebte Joe unentwegt auf sein Pferd zu.
Schließlich rief Tresler, der vor Lachen einen Hustenanfall bekam, den Kameraden an.
»Holla, Sie sind's, Joe …? Was zum Henker machen Sie denn da bloß?
Keine Antwort. Der Mann unter der Decke schien taubstumm und blind zu sein. Nochmals schrie ihn Tresler an, und diesmal gab es ein unverständliches Gegrunze, aus dem nur wenige Worte verständlich waren. Offenbar bildete sich Joe ein, er habe sein Pferd einzufangen, werde jedoch von seinen Freunden daran gehindert.
»Mann, da ist niemand, der Sie zum besten halten will!« lachte Tresler. »Nur der Whisky treibt seinen Unfug mit Ihnen. Ihren Gaul habe ich längst erwischt und halte ihn für Sie bereit. Pfui, Joe, Sie haben sich ja schamlos die Nase begossen!«
Die Anrede hatte den Erfolg, daß Joe wirklich wieder auf die Füße kam. Gleich darauf sank er dem hochgewachsenen jungen Mann halb unfreiwillig in die ausgebreiteten Arme. Und während dieser sich bemühte, die aufgeregten Pferde zu beschwichtigen, bekam er von dem Kleinen allerlei Liebenswürdigkeiten zu hören.
»Du … du bist natürlich unser … Neu… Neuling … Junge … hup! … danke dem Hi... Himmel, daß ich dich erkannt habe … sonst … hätte ich dich nie … niedergeschossen, weil du mich für be... trunken hältst … Ich … ich bin ganz … ganz nüchtern, nur die B... Beine wollen nicht recht … Um … das ein... einzusehen, bist du nur … hup! … viel zu dumm!«
Tresler war es inzwischen gelungen, dem Manne die Decke von den Schultern zu zerren.
Funkelnden Auges blickte Joe zu ihm auf.
»Was fällt dir denn ein? …« Dann besann er sich aber und setzte mürrisch hinzu: »Ich werde wohl 'n bißchen im Busch geschlafen haben … schätze ich.« Etwas grob nahm ihn der Jüngere beim Kragen. »Jetzt geben Sie erst mal schleunigst den Brief für den Sergeanten Fyles her, Joe. Ich habe Befehl, ihn persönlich zu übermitteln.«
Das verblüffte Gesicht Nelsons zu sehen, konnte einen Zirkusbesuch ersetzen. Erst starrte er unsicher zu den Pferden hinüber und dann begann er, umständlich in seinen Taschen herumzusuchen.
»Ja was denn … was denn?« klang es murmelnd. »Ser … Sergeant Fy-Fyles … Brief? … Richtig, jetzt fällt mir ein, was ich ei … gentlich in Forks wollte … Also doch nicht nur wegen Carney seinem infamen Gesöff war ich da, was? … Der Brief … natürlich der Brief … Zum Henker, wo hab' ich denn den gelassen?«
Tresler wartete. Schließlich aber verlor er die Geduld.
»Nun passen Sie mal auf«, sagte er streng. »Ich selbst werde Ihre Taschen durchsuchen. Mann, wenn Sie ihn verloren haben, dann gibt es eklige Geschichten für Sie.«
»Stimmt …«
Ganz planmäßig ging Tresler zu Werke. In den äußeren Rocktaschen fand er nur Pfeife und Tabak. Aus den Hosen kam ein Zehncentstück und eine Dollarnote zum Vorschein, welcher Fund den Kleinen in Begeisterung versetzte. Er gab nur immer wieder seinem Bedauern Ausdruck, daß er also vorschnell die Kneipe verlassen habe. Die inneren Taschen waren leer bis auf einen Fetzen Zeitungspapier.
»Sie leichtsinniger Trunkenbold«, wetterte Tresler, »nun haben Sie den Brief richtig verloren!« Damit hielt er Joe das Papier unter die Nase. Der starrte es sinnend an.
»Sie … darin war er aber«, stotterte er sichtlich kleinlaut geworden. »Ich habe ihn drin eingewickelt, damit er nicht dreckig werden sollte unterwegs. Ich … ich entsinne mich die Zeitung gelesen zu haben …« Tresler gedachte der Folgen, die die Unachtsamkeit für den Sünder haben würde. Er kannte Jake nachgerade hinreichend, um Schlimmstes zu erwarten.
»Ja, da bleibt uns eben nichts übrig, als nach Hause zu reiten«, seufzte er. »Sie können ja sagen, daß Sie das Schreiben schon auf dem Hinweg verloren haben und den ganzen Tag danach suchten.«
Joe machte einen äußerst niedergeschlagenen Eindruck.
»Hm … ja … Es muß wohl so sein«, stammelte er. »Wir müssen nach Hause reiten … Ist's denn wirklich ganz ausgeschlossen, daß sich das vermaledeite Dings in irgendeiner meiner Taschen findet? … Dann habe ich's also wahrhaftigen Gotts glatt verloren …« »Daran ist nicht mehr zu zweifeln. Tut auch mir verdammt leid, Joe. Wenn Sie doch bloß das abscheuliche Saufen sein lassen könnten.«
»Ganz recht, ganz recht …« klang es zerknirscht. Dann aber hellte sich Joes Gesicht auf, als sei ihm ein guter Gedanke gekommen. Er verzog seinen Mund sogar zu einem Grinsen.
»Da habe ich vergessen, Ihnen was zu erzählen. Ich habe nämlich den Brief schon heute früh abgegeben, ehe ich zu Carney ging.«
»Sie alter Schwindler …« Halb ärgerlich und dennoch belustigt packte Tresler den Kleinen beim Kragen und beim Hosenboden, worauf er ihn buchstäblich auf den Rücken seines Gaules warf.
»Sieh doch bloß einer den boshaften Zwerg an!« schrie er dazu. »Na warten Sie, ich schüttele Ihnen unterwegs schon wieder den Alkohol aus dem Kopf.« In vollem Galopp ging es davon. Für eine Weile schwieg Joe. Er hielt das für zweckmäßig. Schließlich aber mußte er doch seinem Herzen Luft machen. »Eigentlich brauchen Sie mir die Sache nicht so furchtbar krumm zu nehmen, Tresler«, begann er stockend, denn die Bewegungen seines Pferdes beeinträchtigten das Sprechen, obgleich die Reiter vom anfänglichen Galopp nach und nach in einen leichten Trab gefallen waren. »Sie haben mich ja gar nicht erst danach gefragt, ob ich den Brief richtig abgegeben habe. So hastig und vorurteilsvoll ist die Jugend manchmal. Ihr jungen Leute müßt alle noch viel lernen …«
»Schon gut, Joe«, lachte Tresler gutmütig. »Aber im Ernst: ich fürchte Schlimmes für Sie. Jake machte ein wenig vertrauenerweckendes Gesicht, als ich aufbrach.«
»Klar wie Tinte, daß es fürchterlich eins auf den Hut gibt.«
»Ja, warum um alles in der Welt haben Sie sich dann so gehen lassen?«
Joe spuckte aus.
»Das zu ergründen, hat nun wirklich keinen Zweck mehr. Jake hat mich schon ein paarmal beinahe totgeschlagen. Schließlich wird's ihm wohl auch glücken. Läßt sich eben nicht ändern …«
Der kleine Mann verkniff eigensinnig die Lippen. Da sein Begleiter aber schwieg, fing er an, sich selbst zu bemitleiden. Er schien sich allmählich dem Stadium des »heulenden Elends« zu nähern, wobei er einen Vortrag über die Unvollkommenheit der Welt mit besonderer Berücksichtigung seiner eigenen, dem Alkoholgenuß verfallenen Persönlichkeit hielt und obendrein ein sehr düsteres Charakterbild seines Widersachers Jake Harnach entwarf.
»Oh, ich Taugenichts«, klagte er sich des weiteren an. »Wo ich doch alles daransetzen sollte, dafür zu sorgen, daß ihr nichts zustößt … Aber dazu würde ein Stärkerer gehören … Ich selbst bin ja viel zu alt und klapprig … Tresler, ich sage Ihnen, es sieht verdammt schlecht aus … Das Leben spielt ihr böse mit … Bis zum Hals steckt sie in der Klemme, und an ein Entkommen ist gar nicht zu denken … Gar nicht zu denken, sage ich! … Ihr Dasein wird zur Hölle werden …«
»Ihr? … Von wem sprechen Sie denn überhaupt?«
»Von Miss Dianny natürlich …«
»Und wer bedroht sie?«
»Jake und … ihr Vater.«
Die Männer schwiegen, während die Pferde von sich aus dem Stall zustrebten. Erst nach geraumer Weile fing Tresler an zu sprechen.
»Und das ist der Grund, weswegen Sie es so lange auf der Ranch ausgehalten haben, Joe?«
»Vielleicht. Viel habe ich ja nicht tun können. Wie wäre das auch bei so 'nem versoffenen alten Lumpen möglich? Weil das arme Kind aber keine Mutter hat und niemanden weit und breit, dem es sein Herz hätte ausschütten können, da mußte eben der alte Joe herhalten. Wenn Sie mich aber fragen, was nun eigentlich los ist, dann antworte ich Ihnen: Auf Mosquito Bend gibt's überhaupt nichts wie Schweinerei. Da hat sich doch dieser Jake in den Kopf gesetzt, sie zu heiraten.« Er spuckte voller Verachtung aus. »Jake, der vielleicht ein passender Mann für eine schwarze Menschenfresserin wäre! Ihr Vater aber … nun, der … der haßt sie einfach. Warum? … Das mag der liebe Himmel wissen, ich habe nie dahinterkommen können. In Wirklichkeit aber ist sie nichts anderes als seine Sklavin. Sie braucht nur den Mund aufzumachen, dann wird sie angefahren. Wissen Sie, in so einer niederträchtigen, leisen Art … ganz anders, als Jake zum Beispiel mich anbrüllt. Mitunter könnte ich selbst flennen, wenn ich sehe, wie er sich gegen sie benimmt. Dabei droht er ihr dauernd, sie an Jake zu verkuppeln. Sie schweigt dazu, widerspricht gar nicht erst, denn sie weiß, daß er nicht daran denkt, sie dem Vormann zu geben. Trotzdem wird sie eine gewisse Angst nicht los.«
Mit wachsendem Staunen merkte Tresler, ein wie prächtiger Kern in diesem verbummelten Menschen steckte. Zehn volle Jahre hielt Joe bereits auf seinem Posten aus, um ein vereinsamtes Mädel nicht völlig im Stich zu lassen. Dabei hatte er von Seiten des Ranchers und Jakes die unglaublichsten Roheiten zu erdulden. In jäher Ergriffenheit streckte Tresler dem Kleinen die Rechte hinüber. Nelson zögerte, als begreife er die Geste nicht sofort, aber dann griff er kräftig zu, und die beiden Männer verstanden einander.
»Tresler«, fuhr Joe nach längerer Pause fort, »ohne Sie beleidigen zu wollen, Sie sind ja nicht wert, dem Mädel die Schuhriemen zu lösen. Aber es muß jemand da sein, der Miss Dianny helfen kann. Da kommen eben nur Sie in Frage. Ich kann Ihnen nicht alles erzählen, was ich gehört und gesehen habe, Tresler … Am allerschlimmsten ist die Sache mit Jake, wissen Sie …«
»Was raten Sie mir zu tun?«
Der Alte strahlte geradezu, als er sah, daß er sich in seinem jungen Freund nicht getäuscht hatte.
»Das müssen Sie selbst am besten wissen. Vermutlich wird es sehr bald hart auf hart gehen.«
Tresler nickte.
»Und wenn es soweit ist, werden Sie dann durchhalten?« drängte Nelson. »Mann, das beste, was Sie machen könnten, wäre … je nun … heiraten Sie das Mädel so bald wie irgend möglich. Bitte tun Sie's, ja?!«
Der kleine Kerl hatte sich weit aus dem Sattel gebeugt und sah seinem Begleiter von unten her geradezu flehend in die Augen. Er war leidenschaftlich erregt, das war ihm anzumerken. Eine Ablehnung würde ihn zu heller Verzweiflung getrieben haben. »Sie haben es ja verdammt eilig, Joe,« sagte Tresler ruhig, doch schien der Klang seiner Stimme den anderen zu befriedigen. »Zum Heiraten gehören bekanntlich immer zwei. Immerhin verspreche ich Ihnen folgendes: Miß Marbolt wird niemals Jake Harnach heiraten, wenn sie es nicht aus freiem Willen tut. Und weiter: sie wird nie eines Freundes ermangeln, solange ich im Lande weile.«
»Danke!«
Ungeachtet der ihm bevorstehenden Strafe war Joe offenbar seelenvergnügt. Es war, als sei ihm plötzlich eine ungeheure Last von den Schultern genommen worden. Diannys Glück … das war ja der ganze Inhalt seines eigenen Daseins.
Später deutete Joe nach vorne.
»Da ist schon die Ranch. Ehe wir hinkommen, noch ein letztes Wort. Jake ist ein Gewaltmensch. Vielleicht weiß Miss Dianny das doch nicht so ganz und …«
»... und deswegen müssen wir wachsam sein, Joe, im übrigen die Entwicklung der Dinge abwarten. Da ist ja auch noch die Polizei … Wissen Sie, Joe, meine eigene Anschauung geht dahin, daß wir auch auf dem Boden dieser Angelegenheit Red Mask und seine Bande finden werden.«
Die letzten Worte waren ganz leise gesprochen worden, da man mittlerweile die Schuppen der Ranch erreicht hatte. Ohne zu antworten, saß Joe ab und führte sein Tier in den Stall. Tresler folgte seinem Beispiel. Gemeinsam traten sie wieder ins Freie, nachdem die Pferde abgesattelt und versorgt worden waren. In der Tür blieb Joe stehen.
»Tresler«, sagte er warm, »ich habe gar nicht gewußt, was für ein prächtiger Bursche Sie sind.«