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XX

Guten Tag, mein lieber Masseau.«

»Empfangen Sie, verehrte gnädige Frau, die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung. P. Masseau.«

»Ja?«

»Ja. Wenn man schreibt, wie man spricht, warum sollte man dann nicht auch sprechen, wie man schreibt? Ich habe mich – aber dies ist eine Geschichte aus meiner glanzvollen Jugendzeit – mit Madame Aubernon überworfen, weil ich, als ich ihr schrieb, der Meinung war, ich spräche mit ihr, und mein Briefchen folgendermaßen beendigte: ›Also guten Abend, liebe gnädige Frau, auf Wiedersehen nächste Woche!‹ Das macht Sie lachen?«

»Nein, nicht das, sondern Ihr Hut …«

Masseau beschaut sich in ganzer Größe vom Strohhut bis zu den gelben Schuhen im Spiegel des Vorzimmers, der infolge des spärlichen Lichtes und der grünlichen Tapete immer ein wenig trübe scheint. Ich sehe mich neben ihm stehen, so wie ich neben Jean stand, als er zum Diner zu seinem Vater ging, und ehe ich weiterlache, muß ich abwarten, daß der plötzliche Schmerz der Erinnerung nachlasse – ein krampfhafter Schmerz in den Rippen, als ob ich in ein eiskaltes Bad gestiegen wäre.

»Was ist denn mit meinem Hut?«

Ich weiß es nicht. Es ist ein runder Strohhut. Wenn man ihn in der Hand hält, so sieht er aus wie alle andern runden Strohhüte. Auch Masseaus Krawatte unterscheidet sich an und für sich nicht von anderen Krawatten, noch sein Rock von anderen Röcken. An ihm aber werden der schlichte Wollstoff, das harmlose Stroh und die gleichgültige Seide plötzlich irgendwie unheimlich, sie beleben sich in wunderlicher Weise. Ich glaube, auf ein Zeichen Masseaus kommt der Hut wie ein Reifen herbeigerollt, der Rock auf den Ärmeln angehumpelt, und die Krawatte windet sich als eine zischende Schlange.

»General Boulanger!« teilt mir Masseau mit, immer noch vor dem Spiegel stehend.

Gegen mich gewendet, deutet er auf die blutleeren Backentaschen oberhalb seines Bartes und erklärt mir:

»Wenn ich dem General Boulanger gleiche, so ist das ein Zeichen, daß ich Leberschmerzen habe.«

»Das macht ohne Zweifel die Hitze?«

»Ja, die Hitze des Sommers – des Sommers 1889, die in Saigon recht drückend war.«

Er reibt sich die Hände, und ich trete, von ihm gefolgt, in das Rauchzimmer.

»Hier ist es gemütlich, nicht?«

Ich lüge. Das Zimmer mit den halb geschlossenen Jalousien hat etwas Unheimliches. Ein herrenloser Löwe, eine verlassene Frau …

»Sehr gemütlich«, stimmt Masseau zu, indem er sich setzt.

Er hat die Gewohnheit, sich wie ein Bittsteller nur auf die Kante des Stuhles zu setzen.

»Die Tage werden schon kürzer«, sagt seine Altweiberstimme.

Diese wenigen Worte stürzen mich, ich weiß nicht warum, in wilde Verzweiflung – was ich wohl verberge.

»Nun ja, mein bester Masseau, das ist schon nicht anders. Gibt es etwas Neues?«

Er schneuzt sich, ehe er mir antwortet. In irrsinniger Spannung sitze ich unbeweglich und wiederhole mir: »Wenn er sich nur recht lang schneuzt … Wenn er mich nur noch einen Augenblick im Zweifel läßt … mir die Hoffnung läßt, daß es etwas Neues gibt …« Wenn er sehr boshaft wäre, könnte er mich im ungewissen lassen und mir erst am Schluß seines Besuches mitteilen, daß es etwas Neues gibt …

Aber er ist nicht boshaft. Er antwortet sofort:

»Nein, nicht das geringste. Und Sie haben auch keine Nachrichten?«

»Keine Nachrichten.«

Und leise füge ich hinzu:

»Warum eigentlich? …«

Masseau hebt seine Schreiberschulter zum Zeichen der Machtlosigkeit ein wenig höher, und ich fasse mir ein Herz:

»Schließlich könnte er immerhin … Aus einfacher Höflichkeit … Und selbst einfache Unhöflichkeit – ja, es wäre mir fast lieber; der Herr, der schreibt: ›Laß mich in Ruhe, ich habe die Geschichte satt! …‹ Ich bin doch nicht eine Frau wie … ich meine … Sie verstehen schon …«

»Nein«, sagt Masseau.

Ich suche nach Worten wie eine Ausländerin. Ich will nichts von der Lyrik meines Schmerzes preisgeben.

»Ich meine … er hat mir doch nichts vorzuwerfen …«

»Doch«, sagt Masseau.

»Ah, was Sie nicht sagen! … Wenn es sich noch um … um … um eine Frau wie May handelte.«

»Es handelt sich«, sagt Masseau, »um eine Frau wie May.«

Ich öffne den Mund, um Einspruch zu erheben. Aber die Haltung Masseaus gebietet mir Schweigen. Er sitzt da wie ein Fakir, seine kleine gelbe Hand segnet oder befiehlt, und ich kann seinen Atem riechen, den Atem eines Mannes, der fast nie etwas ißt.

»Lassen Sie mich reden. Ich werde unvergängliche Dinge sagen. Ich berste vor Verlangen, eine Parabel zu erzählen … Es war einmal ein Mann aus dem Taubenwaldtale, der zu seiner Wohnstätte zurückkehrte. Als er sich ihr näherte, hörte er im Innern des Hauses einen fürchterlichen Lärm, Geschrei und Trommelschlagen. Er fluchte und hielt sich die Ohren zu, während er über die Schwelle trat. Da stieg ihm ein scheußlicher Geruch in die Nase, er fluchte wieder, hielt sich auch die Nase zu und rief seine Frau. ›Sabe mir, Frau‹, sprach er, indem er seine Nasenlöcher immer noch zuhielt, ›woher kobt dieser gebeibe Geruch ub dieser Lärb?‹ Die Frau lächelte und sprach: ›Der Geruch kommt von diesem feinen Käse, der unter der Rinde zerfließt, und den Lärm macht dein Sohn, der mit Trompete und Trommel Soldat spielt.‹ Da lobte der Mann Allah und rief: ›In Wahrheit, mein Sohn, du bist zum Krieger geboren, wenn du so gut die Trommel schlagen und so mächtig die Trompete blasen kannst! Und was den Käse anbetrifft, so wiegt Ambrosia sein triefendes Fett nicht auf, und sein Aroma wässert mir den Mund.‹ Dann setzte er sich zu Tisch, schnitt den Käse an und umarmte seinen Sohn.«

»Und weiter?«

»Die Geschichte ist zu Ende. Es ist eine Parabel.«

»Dunkel, Masseau, sehr dunkel.«

»Wenn sie nicht dunkel wäre, so wäre sie keine Parabel. Dunkel, Komma, Gedankenstrich – jedoch selbst für ein weibliches Gehirn ergründbar. Jean ist der lärmende Sohn, Jean ist der duftende Käse.«

»Wollen Sie mir zu verstehen gehen, daß ich alles entzückend finden soll, was von ihm kommt, nur weil es von ihm kommt? Das ist recht einfach.«

Der orientalische Geschichtenerzähler, der sich inzwischen eine kleine kupferne Papierklammer auf die Nase gesetzt hat, schüttelt den Kopf:

»So einfach, wie Sie denken, ist es nicht. Ich versuche, Ihnen mit Hilfe eines Trommlers und eines Käses verständlich zu machen, was Liebe ist.«

»Auf Sie habe ich gewartet …«

»Sie warten immer noch. Und Sie könnten noch lange warten, wenn ich nicht die Schwäche hätte, mich für Jean zu interessieren. Sie lieben ihn, Frau-wie-May?«

»Ich … Ja, Masseau.«

»Und er? Er liebt Sie auch – Verzeihung, er liebte Sie auch? Nun, nun, nur keine Schwäche! Mein Kind, bedenken Sie, ein Arzt ist wie ein Beichtvater. Und ein Beichtvater wie ein Arzt. Übrigens bin ich weder Arzt noch Beichtvater. Also, fahren wir fort. Sie haben ihm geschrieben?«

»Selbstverständlich. Sehr wenig. Ein einziges Mal ausführlich, vorigen Monat …«

»Und was enthielt Ihr Geschätztes vom verflossenen Monat?«

Ich verliere die Fassung. Zwei eigensinnige kleine Tränen brennen unter meinen Lidern. Mit der krampfhaften Fügsamkeit eines Hundes, dem man eine Wunde auswäscht, halte ich still.

»Ich weiß nicht mehr, Masseau. Daß ich unglücklich sei. Daß ich über sein Betragen erstaunt sei. Daß er mich nicht so hätte behandeln sollen … Daß … daß … daß die Würde einer Frau …«

»Genug! Genug!« stöhnt Masseau. »Ich hab' es ja geahnt!«

Er streckt seine mageren Beine aus, steht auf, knüpft das Schnürband seines Halbschuhs und sagt kalt: »Sie können verrecken. Ich gebe Ihnen die Erlaubnis dazu.«

Nach drei Schritten gegen die Tür kehrt er zurück:

» Ihr Unglück, Ihr Kummer, Ihre Einsamkeit! Ihre Würde! Vor allem ist die Würde ein männlicher Fehler. Sie, Sie, immer Sie! Fordern, jammern, trotzen, murren – und unter alledem ihre Erbsünde verbergen: die Unfähigkeit, zu besitzen! Puh! Ja sogar Pfui. Fordern, und zwar immer ein bißchen auf ein Mal!«

Ich kann mich nicht enthalten zu lächeln:

»Ein bißchen … Aber ich, ich will doch alles! Es ist nicht meine Schuld, wenn …«

Mein Hausteufel unterbricht mich, indem er mit der flachen Hand durch die Luft fährt:

» Ihre Schuld! Schon wieder Sie! Ich sage ›ein bißchen‹, weil Sie von Jean ja nichts als seine Liebe wollten. Nein, das ist nicht ›schon recht viel‹. Sie verbringen Ihre Zeit damit, Jean vor sich hinzustellen. Das ist die Haltung der Wollust, nichts weiter. Aber ihn bewohnen! Ihn ganz in sich aufnehmen! Ihn in sich aufnehmen, ihn in sich tragen, in solchem Maße, daß sein Licht, daß alle Äußerungen seiner Heiterkeit, seines Zornes, seines Leidens, seiner Sinnlichkeit, anstatt zu Ihnen zu dringen, wie zu allen anderen, Ihnen aus Ihrem eigenen Innern zu kommen scheinen, kraft des stolzesten, des göttlichen Irrtums! … Deutet dieser törichte Ausdruck in Ihrem Gesicht darauf hin, daß Sie mich verstanden haben?«

»Ja … Warten Sie einmal, Masseau, ich will versuchen zu transponieren: ich befinde mich im Schatten, aber ich spotte des Schattens, denn ich bin es, die die Laterne trägt. Meinen Sie das?«

»Ja, recht plump und recht schwach ausgedrückt, aber ich meine das.«

»Aber … aber er, Masseau?«

»Wieso er?«

»Wird er Gleiches mit Gleichem vergelten? Wird er auch mich in sich tragen, wie Sie das ausdrücken, in solchem Maße, daß er zum Beispiel, wenn er mich in den Armen eines anderen findet, ausruft: ›Ach, wie versteht diese Emanation meines Ich es doch, zu lieben.‹«

»Das geht Sie nichts an. Das ist gar nicht Ihre Angelegenheit. Als ob die weibliche Liebe irgend etwas mit der unseren zu tun hätte!«

»Der unseren …« Er wiegt sich auf einem Bein und sieht aus wie ein gerupfter Reiher. Er spricht mit gebieterischem Nachdruck von der Liebe … dieses Menschenwesen, das so wenig aussieht wie ein Mann.

»Meine Gnädigste, wenn die Liebe, die Sie Ihrem Geliebten weihen, ihn in irgendeiner Weise gegen Sie verpflichtet, so ist es nicht die wirkliche Liebe.«

»Was Sie da von mir verlangen, Masseau, ist Mutterliebe.«

»Nein«, sagt Masseau. »Das mütterliche Gefühl macht keine Fortschritte. Es wird mit einem Schlage geboren, vollkommen, wohlbewaffnet und blutend. Während es der Liebe gegeben ist, sich zur Vollkommenheit zu entwickeln.«

»Ist dies ein Rat?«

»Nein, es ist nur eine Meinung. Es ist auch keine Hoffnung.«

»Ich vermute, daß Sie diesem idealen weiblichen Wesen nicht oft begegnet sind.«

»Oft nicht. Ein einziges Mal. Und da habe ich die Betreffende auch geheiratet. Es war meine Wirtschafterin.«

»Singen wir also das Lied von der ›Erhabenheit der Demütigen‹.«

»Suchen Sie sich, meine liebe Freundin, die leichten Reime selbst zusammen. Und flehen Sie zu Ihrem Gott, daß ich mich nicht geirrt haben möge, wenn ich Sie und Jean als ›demütig‹ genug einschätzte, um ein vollkommenes Paar zu bilden. Sie haben Gott sei Dank kein Genie, und Jeans Porträt wird höchstwahrscheinlich niemals in den Zeitungen erscheinen. Sie mögen dafür immerhin fordern, daß Sie mit einem großartigen Anschein von Selbständigkeit allein in der Weißwarenabteilung des Louvre einkaufen dürfen. Er liebt es, zu befehlen, unter der Bedingung, daß man ihn beschützt. Kurz, Sie wären – und welcher Schmerz für mich, daß ich dieses Plusquamperfekt des Konjunktivs anwenden muß! – Sie wären beide gewöhnlich genug gewesen, um eine wunderbare Liebe miteinander zu zeugen …«

Eine wunderbare Liebe … Alles, was er mir gesagt hat, sind Männerworte. Es ist sehr gescheit – zu gescheit für mich. Anstatt seine Gedanken in der Richtung weiterzuspinnen, die er mir andeutet, fasse ich seine Rede nur als ein Rezept auf und verderbe sie, indem ich den verborgenen Willen meines Geliebten darin zu entdecken suche; so drücke ich Masseau wieder zu einem Boten herab, und in der bewunderungswürdigen weiblichen Hingabe, die er mir vorschlägt, sehe ich nichts weiter als ein Mittel, zu gefallen.


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