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Man kann sagen, was man will, aber die Riviera ist doch nichts als ein aufgelegter Schwindel. Jetzt, Ende Februar, haben wir in Ouchy im Freien zu Mittag gegessen; wie oft kann man sich das im März oder im April in, in … ich meine, irgendwo im Süden gestatten.«
Ich habe nicht »Nizza« gesagt. Ich habe einen ganz kleinen Umweg um den Namen gemacht, wie eine Ameise um ein kleines Kohlenstückchen, weil ich an das Mittagessen im Impérial dachte, an jenes, bei dem May fehlte; und ich fühle, daß einer meiner beiden Gefährten auch daran denkt. Zwei Männer ganz allein für mich, wie dort auch, und da wir beim Kognak und Kaffee angelangt sind, derselbe Geruch, den man noch stärker spürt, weil ein leichter Wind weht; wie riecht ein gutes Essen doch bald so schlecht …
Ein Sonnenstrahl läßt auf dem Tischtuch winzige Regenbogenlichter tanzen, Reflexe des Diamanten, den ich am kleinen Finger trage …
»Hübsche Hände«, bemerkt Jean lächelnd.
Ich blicke ihn tadelnd an, empört darüber, daß er ähnlichen Erinnerungen nachhängt wie ich.
»Oh, Jean, bitte nicht.«
Ich hoffe, er versteht, daß das keine kokette Abwehr ist, sondern ein Versuch, seine Gedanken von jener Szene abzulenken.
Das Gespräch flaut ab, nun, da wir nicht mehr essen. Sich zu Tisch setzen, sich bei Essen und Trinken ein wenig anregen, ist das nicht eigentlich die einzige Freude, die Leute, die sich nichts zu sagen haben, miteinander teilen? … Masseau liest eine Genfer Zeitung und scheint sich nicht um uns zu kümmern, als ob seine Mission für den Augenblick erledigt wäre … Der zartgraue Himmel, der Horizont, die blaßsilbernen Berge, der Hintergrund von Schneelicht und Schneeschmelze geben uns allen dreien die gelbliche Gesichtsfarbe Fieberkranker. Ich pudere mich und röte mir die Lippen, durch ein zu kleines Taschenspiegelchen schlecht unterstützt.
»Die linke Wange«, rät Jean. »Sie hat darauf ebensoviel Recht wie die andere. Wischen Sie sich die Augenbrauen ab. So.«
Ich errate, insgeheim gedemütigt, daß er mich heute nicht hübsch findet, daß er mich mit der Nizzaer Renée vergleicht, und gehorche nervös, indem ich meine ermüdeten Züge straffe. Diese vom Argwohn diktierten Muskelübungen, bei denen man den Mund zu einem halben Lächeln zieht, die Augenbrauen hebt, die Nasenflügel bläht und das etwas schlaffe Kinn anspannt, unternimmt jede Frau instinktiv selbst für den zerstreuten Blick der Vorübergehenden. Ich hatte sie gerade zur Unzeit vergessen, weil zweierlei mich quält: das Bedürfnis zu schlafen, und der Wunsch zu verstehen. Wenn ich mich getraute, ich sagte zu beiden Männern, von denen der eine nur ein ergebener Mithelfer ist: Ich bitte Sie, erzählen Sie mir, was eigentlich unter uns vorgeht. Da sitzen wir in dem kahlen Garten, sind alle drei von sehr weit hergekommen, wie für eine diplomatische Konferenz oder eine Verschwörung. Eine Verschwörung gegen May? Wie aber kommt es dann, daß ich mich stärker interessiert, ja stärker bedroht fühle als die Abwesende? …
Aber dergleichen sagt man nicht. Wenn ich Masseau fragte, würde er sich als Machiavelli verkleiden, und ich kenne niemand, der schlechter dazu geeignet wäre, Vertrauen zu erwecken oder jemandem Geständnisse zu entlocken als Jean. Übrigens, in diesem Augenblick ist er mir nicht wohlgesinnt. Er ist allein gekommen und sehnt sich seit vier Tagen nach einer Zusammenkunft. Seit vier Tagen bin ich in seiner Erinnerung immer schöner geworden, immer geheimnisvoller und verführerischer – seit vier Tagen hat er den letzten Eindruck von mir gehegt und gepflegt: eine Renée Néré in schwarzem, dekolletiertem Kleid mit rosigen Wangen und lebhaften Augen … Nun kommt er an und findet eine sechsunddreißigjährige Frau im Reisekostüm, von der man zwar sagt, daß sie, weiß Gott, jünger aussehe als sie ist, deren Geburtsdatum man aber doch im stillen auszurechnen versucht.
Seine klaren grauen Augen prüfen mich voll Ungeduld, als suchten sie die entschwundene Pracht. Selbst die Liebe könnte in diesen Augen nicht das wohlwollende Leuchten entfachen, das in Maxens Blicken lag, der mich um so lieber mochte, je mehr unsere wilden Spiele mich zerzaust, den Puder, von meinem Gesicht gewischt hatten, je deutlicher meine Wangen die Spuren seiner Küsse und Zähne trugen …
Vorhin zu unserem Empfang zeigte Jean das freundliche, unaufrichtige Lächeln eines Menschen, der um Vergebung bitten und zugleich gefallen will, und sofort ergoß sich eine Flut von heiteren Worten und Erklärungen über mich: May gehe nach Paris zurück, aber Jean mache einen Abstecher nach Lausanne, um ein Boot zu kaufen. »Schauen Sie, hier ist die Photographie, ein hübsches kleines Segelboot, nicht wahr?« Mir fiel nichts Rechtes ein; außer einem ungeschickten Satz: »Also ihr seid nicht mehr böse aufeinander, Sie und May?«
»Böse? Ich würde mir die größten Vorwürfe machen! Böse auf May? Armer kleiner Kerl, sie hat es satt, herumgeschleppt zu werden; sie geht wieder nach Paris in ihren kleinen Käfig zurück …«
All das sagte er mit ungewöhnlicher Natürlichkeit, mit einer beinahe väterlichen Besorgnis um May, als hätte sie eben eine Krankheit überstanden; mit dem deutlichen Bemühen, ihren Namen in jedem Satz zu nennen, mir zu zeigen, zu verstehen zu geben: »May ist immer da, wir sind nicht allein, wir tun nichts heimlich – wir strahlen vor Unschuld, und vor allem, in erster Linie fürchten Sie sich nicht, rücken Sie nicht weg!«
Sein im voraus zurechtgelegter Wortschwall versiegte rasch. Es ging ihm auch bald nicht mehr darum, mich zu beruhigen. Seine Aufmerksamkeit für mich hat nicht nachgelassen, aber sie trägt von Stunde zu Stunde immer mehr den Stempel unzulässiger Strenge – das heißt, ich sollte sie nicht dulden …
Ich wehre mich, so gut ich kann. Meine Augen sehen und entdecken alle Mängel dieses schönen Männerantlitzes: zu starke Backenknochen für das zarte, ein bißchen mongolische Kinn – die Nasenwurzel zu derb, und unter dem üppigen, fast schwarzen Haaransatz erkenne ich heute deutlich den bläulichen Schatten eines schmalen, ausrasierten Streifens – die Spuren einer diskreten Verschönerung, die täglich die Stirn vergrößert und veredelt … Das übrige streife ich nur flüchtig, weiche dem üppigen Mund mit den feinen Mundwinkeln aus und den Augen, die stärker glänzen als die meinen, weil sie feuchter sind. Was die kleinen runden Ohren anbelangt, mit den verkürzten Ohrläppchen, so diagnostiziere ich: »Degeneration!«, indem ich gleichzeitig dieses »Degenerationsexemplar« um seine blassen Nasenflügel beneide, die weder gerötet sind, noch schwarze Pünktchen zeigen, und mit einer vollendet schön gezeichneten Linie in die Wange übergehen.
Er hat – ich übertreibe, aber ich täusche mich nicht – ein vornehmes Aussehen, solange er schweigt, aber wenn er spricht und lacht, wird er banal, und ich will durchaus, daß er die Miene boshafter Heiterkeit annehme, jenes Lachen aus vollem Halse, das gewisse Männer im Umgang mit leichtfertigen Frauen lernen.
… Mit energischem Druck klappt er seine Zigarettendose zu, als ob er damit unsere gegenseitige kritische Prüfung beenden wollte; – ich stehe auf. Jean steht auch auf. Meine Bewegung erweckt in ihm von neuem den eben eingeschlafenen Instinkt der lauernden Verfolgung.
»Wo wollen Sie hin?«
»Ich will zurück.«
»Wohin?«
»Zunächst nach Genf, dann nach Paris.«
»Eine ausgezeichnete Idee, aber wollen wir nicht vorher noch eine kleine Autofahrt machen?«
»Danke, die Straße am See langweilt mich zu Tode.«
»Wie ist es mit einer Segelpartie? …«
»In welchem Boot? In dem, das Sie kaufen wollen?«
»N… nein. In einer der hiesigen hübschen kleinen Nußschalen, die auf den Ansichtskarten abgebildet sind, da gleich am Landungsplatz.«
Ich zögere erst, dann nehme ich an – nicht, weil ich sonderliche Lust zu einer Bootfahrt hätte. Aber seit meiner Ankunft in Ouchy ist mir der Tag verdorben durch das ärgerliche, unbehagliche Gefühl, die Dinge falsch angepackt zu haben; ein Unbehagen, das man vielleicht durch rasches Handeln noch verscheuchen könnte, oder weiß der Himmel wodurch … Ich weiß nicht mehr, was ich hier wollte; aber vielleicht bedarf es nur eines Wortes, eines kurzen Augenblickes der Ruhe auf dem glatten See, um mich wieder frohgestimmt abreisen zu lassen.
Wir entfernen uns vom Ufer. Die noch schlaffen Segel klatschen leise und wollen sich nicht füllen. Masseau ist am Land geblieben, nachdem er mit einem sylphidenhaften Schwung ins Boot springen wollte und dabei in das zwei Fuß tiefe Wasser fiel. Jetzt steht er triefend wie ein nasser Regenschirm auf dem Kai und ruft uns seine Kommandos zu:
»Aufgeien! Achtung auf den Luvbaum! Nach rückwärts brassen! Steuerbord vor Anker gehen! Segel beiholen! …«
Wir lachen nicht einmal, und unser Binnenseematrose, dem ein barfüßiger kleiner Junge hilft, manövriert, indem er den »Narren« mit unerschütterlicher Höflichkeit betrachtet, als echter Schweizer, der gewohnt ist, die Phantasien und Verrücktheiten der Fremden über sich ergehen zu lassen.
»Masseau wird sich erkälten«, bemerke ich, um irgend etwas zu sagen.
»Ach, das macht nichts«, antwortet Jean zerstreut in entschuldigendem Ton, als ob ich ihm auf den Fuß getreten wäre.
»Wie, das macht nichts? Dieser Mann gehört ja schließlich nicht Ihnen!«
»Eben. Gehörte er mir, so würde es mich stören, wenn er sich erkältete.«
»Sie sind ein guter Mensch, das muß man sagen!«
»Jedenfalls gut genug, um einer Frau, die zu leicht angezogen ist, einen Mantel zu leihen. Nehmen Sie den da, Sie dauern mich.«
Ich fühle in der Tat, daß ich blaß werde, denn der Wind hat eben unser Boot erweckt, das nun, mit den geblähten Segeln knatternd und mit dem jäh geneigten Maste knarrend, dahinfliegt. Mir ist kalt, und ich hülle mich in Jeans wasserdichten Mantel; er riecht ein wenig nach Gummi, nach Tabak und nach einem Parfüm, das nicht von May stammt.
»Sie werden doch nicht etwa seekrank?«
Ich lache und stecke das Kinn tiefer in den aufgestellten Kragen, der wie eine Strohmatte kratzt:
»Nein, nein! Nur müssen Sie wissen, meine letzte Nacht war sehr kurz, und seit heute früh habe ich mich noch nicht ausgeruht. Deshalb …«
»Das ist wahr, Sie Arme …«
Er sagt weiter nichts; ihm fehlen die Worte, wenn es sich darum handelt, mitleidig zu sein. Ich entsinne mich, daß er einmal die erkrankte May mit entrüstetem Gesicht und geradezu wütender Unbeholfenheit pflegte; mit strafenden Blicken schüttelte er die Kissen zurecht, stellte er das Arzneiglas auf den Nachttisch. Ich hatte nie mehr an diesen Tag gedacht und hätte nicht geglaubt, daß ich mich seiner überhaupt noch erinnerte. Da steigt das ganze Bild lückenlos vor mir auf, bloß weil Jean sagt: »Das ist wahr, Sie Arme.«
»Aber Sie, Jean, jetzt werden Sie frieren?«
»Es geht ganz gut so, danke.«
Würde ich, wie May es getan hätte, schreien: »Lieber Freund, fürchten Sie nicht, daß der rauhe Wind Ihrer unseligen Schönheit schaden wird, wenn Sie ohne Mantel hier sitzen?«, dann hätte mir Jean im gleichen Ton geantwortet und nicht mit diesem trockenen, verlegenen »Danke«. Was soeben eine »gewisse Kälte« im wahren Sinne des Wortes zwischen uns hervorgerufen hat, ist eine natürliche Besorgnis, die sich ganz einfach äußert. Anstatt daß uns seine so natürliche Geste männlichen Beschützertums einander näherbringen würde, habe ich Lust, »mein Herr« zu ihm zu sagen.
Die primitive Ausstattung des Bootes – eine kleine harte Bank und ein paar nasse Planken – erhöht unser seelisches Unbehagen und verbindet sich in meiner Erinnerung mit Stunden, die vor meinem Nomadenleben liegen; Erinnerungen an Umzüge, an schmerzliches Sicheingewöhnen in fremde Räume, zwischen Möbeln, die man nicht wiedererkennt. Ich kann mich, was ich immer tun mag, dieses Eindrucks eines »Beginnens«, eines schwierigen Anfangs, nicht erwehren …
Das Wasser fließt langsam an unserem Boot entlang, in zwei dünnen, gekräuselten Schneckenlinien, die ganz blaßgrün und sehr klar sind. Meine kalte Hand empfindet es fast als lau …
»Warum bloß alle Frauen die Hand ins Wasser tauchen, wenn sie Boot fahren?« fragt Jean.
Ich zucke die Achseln.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, daß alle Frauen in gewissen Augenblicken dieselben Bewegungen machen; – vor einem Spiegel, oder an einem klaren Wasser, oder wenn sie an einer Blume vorübergehen, oder an einem Stoff, oder an einer samtweichen Frucht; sie folgen alle ihren beiden immer gleichen Versuchungen: sich zu schmücken, was soviel heißt wie sich anbieten, und zu berühren, was identisch ist mit Besitz ergreifen.«
»Alle Frauen, das heißt wohl viele Frauen …«
»Nicht so viele, wie man glaubt.«
»Aber mehr als Sie meinen, Sie Muse der falschen Bescheidenheit …«
»Der falschen …«
»Jawohl. Ich finde das nicht hübsch an Ihnen, daß Sie die Frauen mit einer verächtlichen Barmherzigkeit als arme, reichlich primitive und uninteressante Herdentiere behandeln und als Beweis hinzufügen: ›Ich kann ein Lied davon singen, ich, die ihnen allen gleicht …‹, und logischerweise schließt der Zuhörer daraus, daß Ihnen keine gleiche …«
»Aber Jean …«
»… Und wenn Sie verallgemeinern, wie Sie es eben getan haben, tun Sie es weder aus Bescheidenheit noch aus Überzeugung, sondern aus Trägheit und Berechnung, um das Höchstmaß von Bewunderung durch das Mindestmaß von Anstrengung zu erringen.«
»Aber Jean …«
»Und wenn Sie mir antworten – falls Sie sich überhaupt dazu herbeilassen –, beschränken Sie sich auf ein paar leichte, geistreiche Worte, die Sie durch einen unendlich vielsagenden Blick meisterhaft unterstützen. Denn Ihr Trick – verzeihen Sie das Wort –, Ihr besonderer Trick ist das Verschweigen, der Blick aus gesenkten Augen, das verstohlene Lächeln, ein Zurückziehen der Hand, kurz, lauter mimische Mittel, teuere Freundin, rein mimische! … Herrgott, ist mir heiß! Ich wußte ja, daß ich diesen Mantel nicht brauchen würde. Und wenn Sie wollen, können Sie mich jetzt durch ein überlegenes Schweigen zermalmen; ich nehme nichts von dem zurück, was ich gesagt habe.«
»Aber Jean, im Gegenteil! … Ich höre zu, ich staune – und ich bewundere Sie sogar. Was Sie da sagen, ist gar nicht dumm!«
»Und Sie verbergen Ihr Staunen auch nicht: ›O Wunder! Er spricht, er denkt! Welche Freude, er richtet mich sogar ein wenig übel zu!‹«
Der Ort ist etwas merkwürdig für eine derartige Unterhaltung, die erste – vielleicht die einzige; denn er ist soeben etwas zu weit gegangen, »verallgemeinert« mehr, als berechtigt ist, indem er ohneweiters annimmt, es müsse mir Freude bereiten, übel zugerichtet zu werden. Der Wind wird stärker; manches Mal spritzen die Kämme der Wellen über den Bord unserer Nußschale; eine kleine Lache plätschert auf dem Boden des Schiffes und benetzt den Saum meines Rockes. Aber Jean hält erhitzt seine Wangen dem feinen Wasserstaub entgegen und leckt von seinen Lippen das salzlose Wasser, das uns bespritzt. Der Turm von Ouchy dort drüben am Ufer ist so klein … Ich möchte umkehren, denn ich fühle mich recht schlecht, matt im Kreuz und schwer im Kopf, diesem strammen, prahlenden Burschen mit dem offenen Rock weit unterlegen. Ich wage nicht, es zu sagen.
Kranksein steht nur schönen Tieren und jungen Wesen gut; nur sie werden dadurch nicht häßlicher. May gestand ohne Scham: »Kinder, ich winde mich in Bauchkrämpfen«, oder: »Ich mache die Herrschaften darauf aufmerksam, daß ich Lust habe, mich zu übergeben«, und sie bewahrte in solchem Zustand eine zynische Grazie, die nichts Abstoßendes hatte – ich sehe noch die schönen, angsterfüllten, von tiefen Schatten umgebenen Augen und die fahlen Wangen, die sie nach einer verbummelten Nacht hatte …
Ich wiederhole lässig:
»O Wunder! Er spricht, er denkt … Setzen wir an Stelle von ›Wunder‹ ›Überraschung‹, und reden wir nicht mehr davon …«
Dann packt mich die Bosheit, und ich ahme Jean nach, den Jean von gestern:
»›Eigentlich ist es eine Bude, dieses Hotel Paradenia …‹ ›Ich einen vierzigpferdigen! Der nützt mir nichts, bei mir muß es schnell gehen …‹ ›Ober, haben Sie nicht mehr den Mouton-Rothschild vom vorigen Jahr?‹ ›May, mein Kerlchen, du irrst dich, diese Frau ist gar nicht die Mätresse von Machin, das ist die frühere von Dingsda, die man immer seine alte Kutsche nannte; ich erkenne ihre Perlen und die Falten, die sie unterm Kinn hat …‹«
Jeans leicht empfindliche Nasenflügel beben leise, aber seine grauen Augen, die ein wenig die grüne Farbe des Sees haben, fangen an zu lachen:
»Nun gut, was weiter? Wenn ich auf Reisen bin, versuche ich die Sprache des Landes zu sprechen. So wie andere Negerjargon sprechen, so spreche ich Dreiviertel des Jahres den Jargon von Kokotten, Kneipbrüdern und Handelsjuden. Aber ich habe trotzdem eine Muttersprache. Und es gibt Länder, in denen ich sie wiederfinde, ohne sie zu suchen – ja, meine Liebe, wir werden umkehren, Sie haben genug, wie? –, bezaubernde Länder, in denen niemand zu wissen scheint, wer ich bin, die sich mir verschließen, wenn ich mich ihnen nähere, die ich aber an einem Wort als die meinen erkenne und in die ich langsam, langsam eindringe, verstehen Sie, wie auf einem wohlbekannten Pfad, den ich nur von Brombeergestrüpp habe überwuchern lassen …«