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XVIII

Heute bin ich auf einem Pfade vor ihm geflohen, an dessen Stechginsterbüschen mein Kleid immer wieder hängenblieb. Ich habe einen Felsengipfel erklommen, den der Wind umbraust. Unter mir schäumen zwischen langen zerklüfteten Klippen die grauen Fluten des Meeres empor, um mit der Heftigkeit einer eingedämmten Quelle wieder zurückzubrausen.

Von der Höhe meines brüchigen Turmes kann ich das von dunklem glänzendem Efeu umsponnene Haus sehen. Dort ist Jean. Er liest, die Stirn zwischen den Fäusten wie ein Schuljunge. Er wird nicht hierher kommen, ich habe Zeit, mich hier zu beruhigen; ich kaue an einem bitteren Grashalm, der nach Buchsbaum und Terpentin schmeckt. Auf meinen Armen, auf meinen Wangen trocknet der Wind das Naß der Wellen, und da ich unterwegs längs des Pfades so manchen Ginsterzweig, der mich streifte, abbog, sind meine Finger herb und grün. Ich trage in mir und auf mir den Duft und den Geschmack, die Bitterkeit meiner Eifersucht.

Ich bin – ist eifersüchtig das richtige Wort? Eifersüchtig, aufs tiefste verletzt durch einen Ausspruch Jeans, einen fürchterlichen Ausspruch, den er zögernd tat, als ob er Wort für Wort buchstabiere:

»Ich fürchte, daß wir einander nicht notwendig genug sind …«

Bei diesem ein wenig feigen »wir«, das nicht den Mut hatte, ein »ich« zu sein, bin ich geflohen. Beruhigende Worte, überzeugende Liebkosungen, Schwüre … ich fände sie bei ihm, er würde sich leicht rechtfertigen, denn er fühlt sich ohne Schuld, und er glaubt, o Einfalt, noch immer, daß Treue genügen müsse, um Vertrauen zu erwecken … Er weiß nicht, und er darf nicht wissen, wie, auf welche Weise ich eifersüchtig bin. Eifersucht bedeutet für ihn eine unlautere Umarmung, einen zerknüllten Brief, den man aufliest, die Hoffnung, ein Gut, das man ihm streitig macht, wieder zu erringen … Eifersüchtig sein bedeutet für ihn, hinter einer Frau unablässig den Schatten eines Mannes argwöhnen … Ich beneide ihn.

Ich aber, ich … Wenn ich ihm nicht notwendig genug bin, was hatte ich dann bis heute, und was habe ich fürderhin in seiner Nähe zu suchen? Er ist mir notwendiger als Luft und Wasser; er gilt mir mehr als die gebrechlichen Güter, die eine Frau Würde und Selbstachtung nennt. Er, er allein steht vor mir auf dem kahlen Feld meiner Erinnerungen, er allein erhebt sich zwischen mir und den kurzen Wellen des grünen Meeres. Seine letzte Liebe und das Gesicht, das er vor dem meinen küßte, ich habe sie vergessen, ich schiebe sie in nachlässiger Ungeduld von mir weg. Ihn allein betrachte ich, ihm allein fluche ich, auf ihn allein bin ich eifersüchtig – auf ihn allein.

Es ist über mich gekommen, ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wie. Ich entsinne mich, daß ich mich eines Tages umwandte, als er hinter mir stand, und ihn sozusagen entdeckte; ich zitterte, von einem absonderlichen Zorn erfüllt, in den sich die Vorahnung des Verlustes mischte und die demütigende Gewißheit, daß ich ihm mehr gehöre als er mir …

Ganz plötzlich sah ich ihn – sah die ein wenig vorgeneigte Gestalt eines Mannes, der zu laufen anhebt, sah die verliebte Art, mit der er an einer duftenden Blume riecht … In diesem Augenblick begann ich leise murrend zu ermessen, welchen Platz er in mir einnahm … Zu spät.

Zu spät! Wenn er es gewußt hätte, er hätte schon damals in empörender Zuversicht seine Tyrannei entfalten können: er hätte wie ein König über mich gebieten können, wenn er es gewußt hätte, und hätte einen Schatz in mir finden können, den man nicht erschöpft. Er hätte in mir aufblühen können wie in einer schönen Landschaft, in der alle Früchte gedeihen; wenn er es gewußt hätte, ich hätte ihm je nach der Forderung der Stunde, je nach seiner Stimmung der schweigende warme Mund sein können oder der brüderliche Arm, die weise, beratende Freundesstimme … Alles, alles könnte ich sein, mühelos und ohne jemals zu versagen. Und du ahnst es nicht …

Meine Eifersucht fordert und klagt im Namen einer eingebildeten Gleichberechtigung: das, was ich dir sein könnte – dir, dem ich nicht notwendig genug bin/ –, wirst du, so will es das Verhängnis, einer anderen sein. Existiert sie? Das ist gleichgültig. Ich fühle, daß ich für eine andere einen Liebhaber, eine Liebe schaffe, deren Herrlichkeit ich allein kenne: eine Liebe nach dem Bilde der meinen, die ich dir verberge.

Verzweiflung faßt mich bei dem Gedanken, daß du mir eines Tages gleichen wirst, du, an dem gemessen ich überreich bin. Du wirst mir gleichen und eine andere Frau durch deine Liebe in Erstaunen versetzen oder an ihrer Seite leben, wie ich neben dir lebe, hochmütig, unzufrieden, unerschöpflich … Wenn ich dich, so wie du sein wirst, vor mir erstehen lasse, blendest du mich. Es ist, als nähme ich, um es besser werten zu können, mein geheimes Geschmeide ab: erglänzt es dann auf dir, so vergieße ich Tränen ob seiner Kostbarkeit …

Ich habe mich entfernt, weil ich keine Kraft hatte, dich zu verletzen. Auf dornigem Pfade bin ich bis zu diesem Felsengefängnis emporgestiegen, in dem der Wind wie mein Kummer mit gefesselten Flügeln tobte. In mir, über mir, unter mir ist nichts als sturmgepeitschtes Meer, zerbröckelndes Gestein, jagendes Gewölk. Dieser Sturm von Luft und Wasser, dieses Wirrsal übereinandergetürmter Felsen: so wahrlich hätte der Aufruhr in mir dies alles angeordnet, zu deinem Ruhme – oh, du, der du nun auf der Schwelle des Hauses erscheinst, ganz klein in der Ferne, fein und scharf umrissen, winzig und fürchterlich …


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