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IV

Man sagt, daß eine Frau angesichts eines Mannes, der weint, schwer kaltes Blut bewahrt. Ich wüßte mich nicht zu erinnern, daß die Tränen Maxens an dem Tage, da er so naiv über meine bevorstehende Abreise weinte, mir besonders rührend erschienen wären.

Aber ich finde, daß für eine Frau der Kummer einer anderen Frau oft ein ergreifendes Schauspiel ist und imstande, jene egoistische und schmerzliche Furcht in ihr hervorzurufen, die man Vorahnung nennt. Fast immer sieht eine Frau ihr eigenes Bild im Schmerze einer anderen; sie könnte ihr Vorgefühl in ungefähr dieselben Worte kleiden wie der nüchterne Trinker angesichts eines am Boden liegenden Betrunkenen: So werde ich am Sonntag aussehen.

May hat Kummer. Ich hätte das lieber nicht erfahren; aber ein »Original«, ein »Naturkind« macht sich Aufrichtigkeit zur Pflicht und hält die hemmungsloseste Vertraulichkeit für anständige Gesinnung.

Armes »Original«! Da sitzt sie nun in dem Zimmer, das sie für sich allein haben wollte.

Da sitzt sie nun, traurig inmitten einer bunten Unordnung von Seidenhemden, feinen Strümpfen und Kleidern mit langen Schleppen oder kurzen Röcken. Koffereinsätze stehen auf dem Bett, ebenso eine offene Hutschachtel, und die Zofe Mays, eine dickköpfige Baskin, geht in mißbilligender Aufgeregtheit hin und her. Auf dem Teebrett sehe ich zwei Schachteln mit Tabletten und ein dickes Fläschchen weißen Pulvers; – May gähnt und zieht durch die Nase auf, denn sie ist infolge des kalten Morgens, den fliegende Wolken verdüstern, infolge der Tränen und hauptsächlich infolge des Kokains verschnupft.

»Schneuzen Sie sich, May!«

»Was fällt Ihnen ein, damit ich eine rote Nase kriege! Ich denke nicht daran. Da schnupf' ich lieber auf.«

Sie lacht, heiser wie ein Kind, das zu viel geheult hat: ihr Kummer – ich finde das lobenswert – ergeht sich nicht in Klagen. Sie sagte nur: »Na also, jetzt hab' ich's. Es mußte so kommen.« Sie hat geflucht wie ein Mannsbild und über ihren Jean kräftig geschimpft. Die Unordnung ausnützend, hat sie nebst einer Photographie Jeans ein Päckchen Banknoten aus der Westentasche ihres Geliebten gegrapst und in der Faust zusammengeknittert mitgenommen … Es wäre mir lieber, wenn ich in mein Zimmer zurückkehren könnte. Ich bin im Schlafrock, habe keine Strümpfe an und fröstele nach einem eben genommenen Bade … Ich fühle, daß es mir an Mitleid, an Wärme – um ganz ehrlich zu sein: an Zuneigung fehlt, und ich bemühe mich krampfhaft, herzlich zu sein.

»Nun, nun, May … die Sache ist doch nicht ernst. Und übrigens ist es auch nicht das erste Mal, daß …«

»Das erste Mal, daß – was? Daß wir getrennte Zimmer haben? O je, wenn ich so viele Hunderttausender hätte, wie ich mich mit Jean zerstritten hab'! … Ich weiß schon, daß es nicht ernst ist …«

Trotzdem richtet sie sich ein, als ob es ernst wäre. Sie schiebt ihren neuen Toilettentisch vor das Fenster, rückt den Spiegel zurecht und beginnt ihr Gesicht zurechtzumachen, eine Arbeit, die sie ohne Scham vor Jean, vor mir, vor dem Zimmerkellner und dem Liftboy tut. Und sie macht sie gut, alles was recht ist. Die Ohren und die Mundwinkel werden einer besonderen Reinigung unterzogen, die Augenlider hochgehoben und mit der Fingerspitze umgestülpt, wie die Kiemen eines verdächtigen Fisches …

Dann führt sie ihren mit dem Zipfel eines Taschentuches umhüllten Zeigefinger in die Nasenlöcher ein und säubert diese Höhlungen gewandt wie ein Flaschenputzer. Mit einem elfenbeinernen Messerchen kratzt sie ihre Zunge ab, zwei unerbittliche Fingernägel machen Jagd auf einen winzigen Mitesser, und eine kleine Zange reißt hier und dort ein Härchen aus.

»Das weiß ich sehr gut, daß es nicht ernst ist, aber nicht wahr, ich kenne doch die Männer, und Jean im besonderen und … Was sagen Sie?«

Ich hatte nichts gesagt; ich hatte mich nur abgewendet, um ein Lächeln zu verbergen, ein Lächeln, das weder gut noch böse war. »Ich kenne die Männer …« Warum folgt diese klassische Phrase, von Frauenlippen gesprochen, niemals auf einen Sieg, sondern stets auf eine Enttäuschung, die doch eigentlich das Gegenteil beweist? … Ich hatte nichts gesagt, ich, die ich die Männer nicht kenne …

»Ich lebe doch schon seit einem Jahr mit ihm«, fährt May fort, »und kann wohl behaupten, daß er keiner von denen ist, die jahrelang an einer hängenbleiben …«

Ein Tuch fest über die Haare geknüpft, schmiert sie nun mit beiden Händen reichliche Mengen von Cold Cream auf Stirn und Wangen, aber ihr Eifer, mich zu überzeugen, ist so groß, daß sie ihre Massage unterbricht und ihre Rede, mit zehn ausgespreizten Fingern gestikulierend, fortsetzt. Ich denke an das Schminken und Entschminken von seinerzeit, denke daran, wie Brague mich, in Vaseline glänzend, »eine in Öl gefallene Ratte« nannte …

»Ein Jahr mit einem Mann zusammen, das wird schon etwas wie ein Pachtvertrag, obwohl wir nur an der See und in Badeorten miteinander gewohnt haben. Die gemeinsame Wohnung, wissen Sie, nein, das ist nicht unsere Sache. Er hat seine Beschäftigung, und ich habe meine Eigenheiten. Es gibt Dinge, die ich mir nicht gefallen lasse … Wie meinen Sie? …«

Ich hatte wieder nichts gesagt. Aber ein feiner Instinkt in May regt sich, sooft ihre Rede auf Ungläubigkeit in mir stößt. Dinge, die sie sich nicht gefallen läßt? Welche wären das? Sie nimmt Geld, empfängt Ohrfeigen, steckt Grobheiten ein – all dies immerhin mit der Miene einer kleinen Despotin …

»… Und übrigens, wenn Jean bei mir bleibt, so wird mir das auch nicht zu Kopf steigen, das können Sie mir glauben. Es wird dabei weniger Liebe als Eitelkeit im Spiel sein. Er weiß sehr gut, daß ich in meiner Art auch ein Original bin und nicht jemand, mit dem man umspringen kann, wie man will … Hier der Beweis«, schließt sie stolz, indem sie auf ihre geöffneten Koffer deutet. »Ich habe ihm gesagt: ›Auf Wiedersehen, mein Bester, in dieser Welt oder in einer anderen.‹ Jawohl.«

Sie lügt. Und ist rührend dabei, die arme kleine Prahlerin. Das heißt, man könnte sie rührend finden. Ein Mann würde sie bedauern, selbst eine Frau – aber eine andere Frau als ich.

Sie spricht von diesem Liebhaber, den verlassen zu haben sie sich rühmt, den sie heute abend, morgen oder in einer Stunde wieder zu versöhnen hofft, lästert ihn, beschwört sein Bild herauf und klagt um ihn, als ob sie ihn für immer verloren hätte. Sie schildert ihn so unumwunden, als ob er schon ihrer Vergangenheit angehörte.

Ich tue für May, was ich kann, das heißt, ich höre ihr zu und nicke zuweilen mit dem Kopf. Sie ist jetzt lila gepudert, hat sich um die Augen verführerische graue Ringe geschminkt und die Augenwinkel hellrot gezeichnet. Nun die Wimpern … der Mund … ein großes dunkles Schönheitsfleckchen am Mundwinkel … fertig. Sie lächelt mir zerstreut im Spiegel zu.

»Wie Sie mich anschaun, Renée! Ich muß an Jean denken, der sagt: ›Es ist häßlich zu sehen, wie eine schöne Frau Toilette macht!‹ Man hat's nicht leicht mit dem Kerl!«

»Warum machen Sie aber auch alle diese … Verbesserungsarbeiten vor ihm?«

Erstaunt sperrt sie ihre Augen weit auf, reizende Augen zwischen dichten Wimpern:

»Meine Beste, wenn ich einmal fünfunddreißig oder vierzig Jahre alt bin, werde ich mich verstecken, um mich schön zu machen, aber jetzt? Habe ich vielleicht Pickel auf der Haut oder rote Augenlider oder Runzeln? Ich habe nichts zu verbergen, alle Leute können mich sehen! Entweder ist man ein Naturkind oder nicht … Pst! …«

»Was denn?«

»Geht nicht jemand draußen?«

Die Arme … sie erwartet ihn, und er kommt nicht.

»May, sagen Sie mir, ist zwischen Ihnen und Jean irgend etwas Ernsteres als gewöhnlich vorgefallen?«

Sie wendet sich mit bestürztem Gesicht zu mir und antwortet diesmal aufrichtig:

»Aber … nein … das ist es ja gerade. Im Gegenteil. Das verwirrt mich ein wenig. Man könnte sogar sagen, daß gar nichts vorgefallen ist, wir haben uns nicht gerauft … ich habe keine blauen Flecke … Es ist komisch. Seit einigen Tagen ist er tückisch und hinterhältig. Er spielt den Träumer, den Gleichgültigen, setzt seine gewisse eklige Visage auf, Sie wissen schon …«

Sie nagt an ihren rot geschminkten Lippen und schaut auf das grünlichgraue Meer hinaus. Ich glaube in ihrem Blick das Erstaunen, die Verständnislosigkeit eines ungerecht bedrohten Geschöpfes zu lesen. Und ich sehe mit einem Male sehr klar das halbmaskierte Gesicht Jeans vor mir, den Mund mit den tiefen Winkeln, die faunischen Backen, das Kinn, das ein Grübchen spaltet, den breiten fleischigen Hals … Plötzlich sehe ich dieses geheimnisvolle Gesicht ohne Augen wieder vor mir, und ich bedaure die kleine May, denn aus diesem Männerantlitz spricht List, brutale Kraft und eine Schwäche, die verführerisch genug ist, um alles zu erreichen – kein Zweifel, er ist der stärkere von den beiden.


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