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XII

Liegst du gut?«

»Ja, ich liege gut.«

Hingestreckt, unbeweglich, zermalmt, habe ich das Gefühl, als ob ich aus großer Höhe mitten auf dieses Bett gefallen wäre. Ein frischer Lufthauch, ein Strahl der untergehenden Sonne dringen durch das geöffnete Fenster ins Zimmer; sooft ein Lastwagen, ein Auto vorüberfährt, sehe ich den Reflex des Wassers, das in einem Glase steht, auf der Zimmerdecke tanzen … Es schwindelt mir, weil ich mit dem Kopf tiefer liege als mit dem Oberkörper, aber ich bleibe aus Faulheit und aus Berechnung in dieser Stellung liegen, die mein Gesicht verbirgt und alles übrige zeigt.

Durch die Haare hindurch, die mir ins Gesicht hängen, sehe ich nichts als die Decke mit den tanzenden Lichtreflexen … Als Kind pflegte ich so zwischen Getreidehalmen, die sich über meinem Kopfe kreuzten, den Himmel zu betrachten …

Ein nackter Arm gleitet meine Hüfte entlang, und ich murmele leise:

»Bleib ruhig liegen, du störst mich nicht.«

Der Arm gleitet höher und schiebt sich unter meinen Nacken; ich lasse es geschehen; ich schmiege mich an diesen Körper, der neben meinem ruht, wie an ein Kissen oder an einen weichen Teppich … Dann rühre ich mich nicht mehr, lache nur ganz leise …

»Weshalb lachst du?« fragt Jean mit lässiger Stimme.

»Ich lache, weil ich deine Bewegungen höre. Jetzt hast du eben den freien Arm nach dem Tischchen ausgestreckt, auf dem die Obstschale steht, aber du hast sie nicht erreichen können. Mit Bedauern hast du den Arm wieder ins Bett zurückgezogen … Hab' ich nicht recht?«

»Ja, du hast recht. Aber rück ein bißchen höher herauf; du bist ganz in die Mitte des Bettes gerutscht, ich sehe dich gar nicht mehr …«

Ich stöhne, als ob ich verwundet wäre:

»Nein! Nein! Ich bitte dich! Ich zerbreche, wenn ich mich jetzt rühre … Wart noch ein bißchen.«

Er schweigt, und ich warte in köstlicher Ruhe, bis meine Kräfte wiederkehren.

Wie lang ist es her, daß wir uns auf dem Teppich vor dem erlöschenden Feuer umschlangen? Ist es ein Tag? Ein Jahr? Ein einziger Tag, und doch scheint es so weit zurückzuliegen. Ich bin heute wiedergekommen; ich habe mit Jean zu Mittag gegessen, und nach dem Essen bin ich ihm in sein Zimmer gefolgt. Er hat weder das Fenster geschlossen, noch hat er die Vorhänge zugezogen. Wie gut habe ich mich ihm angepaßt, so gut, daß unsere Umarmung einem harmonischen, im voraus geregelten Kampfe glich.

Ich hatte das noch nicht erfahren, wußte nichts von der klugen Freude des Fleisches, das seinen Meister sofort erkennt, sich ihm unterwirft, sich um ihn bemüht, gelehrig und freigebig wird … Das ist so schön, so leicht – und hat nichts mit Liebe zu tun.

Schon bei der Berührung unserer nackten Knie, schon beim ersten klugen Bemühen unserer Arme, den anderen gut zu umschlingen, fühlte ich, daß unvergleichliche Stunden anhoben – Stunden ohnegleichen und doch ohne jede Gefahr. Ich bin stolz darauf, daß er mir ebenso viel verdankt wie ich ihm. Unsere Freude war vollendet; – und unsere Ruhe soll ihr nicht nachstehen; deshalb schmiege ich mich wohlig an Jean, und mein Bein überzeugt sich zugleich, daß das seine, lang ausgestreckt, vertrauensvoll daneben liegt, bequem, ohne rücksichtsvolle Verkrampfung …

Wir haben nicht viel miteinander gesprochen, haben uns nur Notwendiges, Angenehmes und Wahres gesagt. Er sagte: »Wie schön sind deine Arme. Es macht mir Freude, die Schwere deines kräftigen Körpers zu fühlen, wenn ich dich hochhebe.«

Und ich meinerseits gestand ihm:

»Wie paßt du so gut zu mir. Deine Haut ist glatt, trocken und weich wie meine …«

Er ist ernst geblieben, als ich ihm sagte, daß er schön sei, und ich fand es bescheidener von ihm, nicht zu widersprechen, da sein Körper und sein Gesicht …

Ich bewege mich kaum merklich in dem Bestreben, mir die Züge seines Gesichts, die mir eben wie ein schwieriges Wort entschwunden sind, zu vergegenwärtigen. Laßt mich sehen … Die Nase, das Grübchen im Kinn, den Mund könnte ich aus dem Gedächtnis zeichnen – ach, der Mund … Ich weiß die Farbe der Augen und … nein, die Gesamtheit des Gesichts habe ich … es ist ungeheuerlich: kann ich sie vergessen haben?

Mit einem Ruck setzte ich mich im Bett auf und neige mich angstvoll über Jean, als ob ich wirklich fürchtete, ihn nicht wiederzuerkennen … Doch er ist da, so wie ich ihn in Erinnerung hatte. Wahrscheinlich habe ich ihn heute zu nahe vor Augen gehabt, Mund an Mund, seine feste, kalte Nase an meiner; deshalb haben sich mir seine Züge verwirrt …

»Warum lachst du schon wieder?«

»Ich lache gar nicht, ich recke mich, ich fühle mich wohl. Dein Zimmer riecht nach Nelken. Wie braun du bist auf dem weißen Laken!«

Er streckt sich aus und läßt sich betrachten. Infolge der Gewölbtheit seiner Augenlider hat es, sobald er die Augen schließt, den Anschein, als ob er lächelte. Mit leichter Hand betaste ich alles, was mich in diesem Gesicht fesselt oder stört: die ausrasierte Stelle, die den Haaransatz höher hinaufschiebt, die frauenhaft weichen Lippen, den faltenlosen Hals, der so jung ist … so unerhört jung. Es ist das erste Mal, daß ich an sein Alter denke.

»Ist das eine Narbe da an der Schläfe?«

»Ja, ich glaube …«

»Und das, sag, ist das ein Mal mitten auf der Brust? Ein Schönheitsfleck, wenn du willst … Laß mich sehen … In der Armbeuge und am Handgelenk sind deine Adern grün, geradezu grün! Köstlich ist das!«

»Renée …«

»Was denn?«

Ich sehe ihn ein bißchen erstaunt an, wenn er meinen Namen ausspricht. Früher achtete ich nicht darauf …

»Willst du aufstehen, Renée?«

»Nein, wozu?«

Ich habe unter dem Kopfkissen meine Puderquaste wiedergefunden und reibe mir damit Nase und Wangen; nach einer weiteren Auffrischung verlangt es mich nicht.

»Wozu? … Ich habe weder Lust zu baden, noch mich zu frisieren, noch auszugehen. Ich habe nur zu einem Lust: in deiner guten Wärme, im Dunstkreis deines Körpers zu bleiben, darin zu schlafen und erst aufzuwachen, wenn ich die Freude daran ganz ausgekostet habe. Und du, Jean?«

»Ich auch.«

Er rollt sich an mich heran wie ein schwerer runder Baumstamm und sucht mit Schultern und Nacken einen bequemen Platz. Er schließt die Augen, öffnet sie wieder, sobald er glaubt, daß ich ihn nicht ansehe, und mir ist, als ob seine schönen grauen Augen etwas von mir forderten, mir etwas vorwürfen …

»Bist du schläfrig? Komm, leg dich hierher.«

Wo sind die Zeiten, da ich den Kopf eines Mannes, einen Augenblick lang gegen meine Schulter gelehnt, so schwer fand? … Ich atme durch Mund und Nase den etwas verbrannten Geruch seiner harten schwarzen Haare.

»Du lachst ja schon wieder?«

»Aber keine Spur! Warum sollte ich denn immerzu lachen?«

»Du sollst gar nicht«, seufzt er. »Ich hab' keine Lust zu lachen.«

»Bist du traurig? … Bist du müde? Oder unzufrieden mit mir?«

Er verneint, indem er den Kopf an meiner Brust reibt. Bald wird die Nacht ihn mir verhüllen, doch der Schlaf wird mir ihn von neuem schenken. Er wird meine Hingabe vergessen und meine Kameradschaftlichkeit nach dem Genuß … Vielleicht wollte er mich glücklich, aber dankbarer für das, was er mir gegeben, erschütterter, besiegter … Ich bin nicht besiegt, ich bin zufrieden …

»Kommst du morgen wieder, Renée?«

»Gewiß komme ich morgen wieder.«

»Und die folgenden Tage?«

»Das weiß ich noch nicht, wie sollte ich das heute wissen?«

»Möchtest du nicht?«

Ich umschlinge mit neu erwachter Kraft seinen großen starken Körper.

»Doch – o doch, glaube es mir …«

Er murmelt, als schliefe er schon halb:

»Du mußt wissen … ich liebe dich.«

Ich rüttle ihn leise:

»Was sagst du da?«

»Ja … begreifst du denn nicht … Liebe …«

Ich verschließe den schönen, unvorsichtigen Mund, indem ich meine Wange darauf presse:

»Still! … Nicht dieses Wort! Gute Nacht. Schweig still. Wir wollen schlafen.«


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