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XVI

Wieviel Uhr, Masseau?«

»Dreiviertel …«

»Schnell, räumen Sie die Karten weg. Lassen Sie den Aschenbecher, den werde ich schon selbst ausleeren. Und dieses Likörglas, dort auf dem Tischchen, geben Sie es mir … Unglaublich, daß die Tage schon so lang sind. Er wird wieder einmal sagen, daß es hier wie in einem verrauchten Kaffeehaus riecht.«

»Das Fenster ist doch die ganze Zeit weit offen gewesen.«

»Trotzdem, das nützt nichts, er hat eine Nase wie ein Jagdhund. Sie haben eine Karte fallen lassen.«

»Was fällt, geschieht«, sagt Masseau bedeutungsvoll. Ich hebe die Karte auf: es ist eine Pique-Neun. »Verdruß.«

»Sie alte Unke! … Was höre ich? Ist er es?«

»Aber nein, es ist ein Taxi. Übrigens käme er nicht von dieser Seite.«

»Weshalb? Er geht doch jetzt jeden Tag in die Bank wegen des Autokraten, dem es nicht besser geht.«

»Um ihm Freude zu machen?«

»Ja … nein … um ihn zu vertreten.«

»Pffff …«

»Er ist immerhin der Sohn seines Vaters und wird wohl dessen Nachfolger werden, aber Sie scheinen es komisch zu finden, daß er ins Büro geht.«

»Nicht im geringsten, liebe Freundin, nicht im geringsten. So gut wie irgendeiner, besser als so mancher …«

»Schluß!«

»… weiß ich im Bankwesen Bescheid.«

»Ja? Na, na …«

»Und der Beweis …«

Er biegt die umgeknickten Ecken seines Stehkragens zu Vatermördern zurecht, schiebt die Krawatte in die Höhe und versucht, indem er sich in die Brust wirft, den Eindruck zu erwecken, als trüge er Bartkoteletten: »Laffitte!«

»Hat Laffitte so ausgesehen?«

»Ich weiß nicht, aber ich wünsche es ihm. Geben Sie mir drei Francs zwanzig, die Sie im Bésiguespiel verloren haben. Vielen Dank. Gott vergelte es Ihnen hundertfach …«

»Das wären immer erst sechzehn Louisdor … Diesmal aber ist er es …«

»Nein, es ist der Eismann, der sich in reizender Aufmerksamkeit auch eines Renault bedient.«

»Bleiben Sie zum Essen?«

Masseau wirft einen gierigen Blick auf den zusammengeklappten Spieltisch:

»Ich spiele um mein Diner. Wenn ich gewinne, bleibe ich, und wenn ich verliere, behalten Sie mich hier, um mich zu trösten …«

Er folgt mir müßig in das Eßzimmer, wo ich mir zerstreut an dem schon gedeckten Tisch zu schaffen mache, den Stengel einer Blume kürze, die Gläser zurechtstelle … Der einzige Baum des Gartens, ein Kastanienbaum, drückt seine Äste gegen die unverhängten Fensterscheiben; die Blätter zeigen im elektrischen Licht ein blasses Grün …

»Sehen Sie, Masseau, das ist eine rotblühende Kastanie … Man sieht die Farbe schon an den Knospen …«

Er stimmt zu, indem er mit seinem traurigen Kopfe nickt; auf dem gelblichen Scheitel sind die spärlichen langen Haare sorgfältig geordnet … Mein Blick, der an Jean gewöhnt ist, wendet sich rasch von ihm ab der offenen Tür zu.

»Es ist nicht er«, sagt Masseau mit feiner Bitterkeit.

»Er …« Masseau hat Jeans Namen nicht ausgesprochen. Auch ich sage »er«, wie eine schwärmerisch Verliebte. Ich erröte, weil wir in entwürdigender Vertraulichkeit beide die Stimme ein wenig gesenkt haben, so wie der Diener Victor, über den Speisenaufzug gebeugt, der unsichtbaren Köchin zuflüstert: » Er hat gesagt, die Creme ist verpatzt … Er hat bemerkt, daß die Kompottschüssel gekittet ist …«

Ein widerliches Klingeln ertönt im Vorzimmer.

»Oh, dieses Telephon! Eine verdammte Einrichtung … Ich möchte es am liebsten zerschlagen … Hallo, bist du das, Jean?«

Ich weiß im voraus, was mir diese dünne, ferne, klare Stimme sagen wird, die Stimme Jeans, die näselnd klingt, als ob er spottete …

»Hallo … Ja, ich bin es … Hör mal, erwarte mich nicht zum Essen, ich bleibe bei Papa, dem es heute abend nicht besonders gut geht.«

»So? …«

»Ja … Ja … Verstehst du mich gut? Hallo … Was ist denn schon wieder mit diesem Apparat? … Hallo! Ich komme gleich nach dem Essen nach Hause … Bist du allein?«

»Nein, Masseau ist da …«

»So; na, wenn Masseau bei dir ist …«

»Was sagst du?«

»Nichts … Also auf baldiges Wiedersehen.«

»Schön … auf Wiedersehen.«

Heftig hänge ich den abscheulichen Hörer an, der nur dazu gemacht scheint, böse Nachrichten aufzunehmen und weiterzugeben, durch den die Stimme von Hintergedanken erfüllt klingt … »Na, wenn Masseau bei dir ist!« Was soll das heißen? Daß Jean sich Zeit lassen kann und nicht vor zwei Uhr früh nach Hause kommt. Ich weiß nun allmählich, was »auf baldiges Wiedersehen« bei ihm bedeutet.

Ich drehe das Licht im Vorzimmer ab – in altgewohnter Sparsamkeit –, außerdem ist solch ein enttäuschtes Frauengesicht, das seine Erregung zu beherrschen sucht, wahrlich nicht hübsch …

»Setzen wir uns zu Tisch, mein lieber Masseau, Jean ißt bei seiner Familie.«

Aus Gründen der Symmetrie hat Victor Masseau auf Jeans Platz gesetzt, und eine unsagbare, an Tränen grenzende Traurigkeit erfaßt mich, als ich mir gegenüber anstatt des straffen Antlitzes mit den gesenkten Brauen, anstatt des schön geschwungenen Mundes und der beweglichen, trotzigen Nase dieses feine, von nervösen Schauern durchzuckte, greisenhaft wirkende Gesicht sehe, über dem sich ein beinahe kahler Schädel wölbt … Ich möchte, ach, ich möchte in diesem Augenblick May sein oder sonst irgendein kleines Weibchen, das seinem Kummer in naiven Tränen Luft zu machen versteht, einen Teller zu Boden wirft und abwechselnd ruft: »Ich will Jean sofort haben«, und: »Ich will ihn nicht mehr wiedersehen, ich verabscheue ihn.« Diese Art Entspannung muß man den Mays von fünfundzwanzig Lenzen überlassen, denn sie können lachen, sobald die Tränen getrocknet sind, zeigen ein gerötetes Näschen und schöne feuchte Wimpern, erstrahlen alsbald wieder in der stillosen Frische einer Wiesenblume … Für Renée Néré sind Tränen eine Tragödie …

»Was suchen Sie unter dem Tisch, Masseau?«

»Ein Tier, das ich füttern kann.«

»Sie wissen doch, daß es hier im Hause keines gibt.«

»Ich weiß es, aber es wundert mich.«

»Ach was, ich werde doch nicht wieder mit der Erziehung eines jungen Hundes oder einer kleinen Katze beginnen, so ein Tier liebgewinnen, es von Hotel zu Hotel schleppen …«

Masseau unterbricht mich blinzelnd:

»Wieso von Hotel zu Hotel? Sie … Sie …«

»Ja, ja, ganz richtig, augenblicklich ist von keinem Hotel die Rede, da … Aber man kann nie wissen … Jean und ich sind ja nicht fürs Leben aneinandergekettet … Wir haben keine Schwüre für die Ewigkeit gewechselt, Gott sei Dank! …«

Ich fühle, daß ich sehr ungeschickt bin, daß meine Stimme falsch klingt, mein bitteres Gesicht schlecht lügt. Meine geheuchelte Gleichgültigkeit könnte einen Idioten täuschen, nicht aber Masseau, der durch alles, was ich nicht eingestehe, unangenehm berührt ist und sogar vergißt, mich zum Lachen zu bringen … Ich mache ihm keine Geständnisse, aber ich bin seine Gesellschaft gewohnt. Ich habe es nicht vergessen, daß er mich Jean zugeführt hat, und die Art meines Umganges mit ihm hat etwas von der schamlosen Vertraulichkeit, die man einem Eunuchen oder einer skrupellosen Amme gegenüber an den Tag zu legen pflegt …

Eine Mahlzeit, bei der keiner etwas ißt, dauert recht lange. Victor bedient uns mit übertriebener Geschäftigkeit und Stille; er fällt mir auf die Nerven; sein vorsichtiger Rattenkopf, sein leiser Tritt, bedeuten uns mit allem Nachdruck, daß wir ihn nicht zu beachten haben; infolgedessen sehen und hören wir nichts als ihn …

»Den Kaffee im Salon, nicht, Masseau?«

Ich lasse mich in den weichen Lehnstuhl fallen, den ich am liebsten habe:

»Uff, endlich allein … Ich sage endlich, obwohl ich diese Woche schon dreimal abends mit Ihnen allein war. Was soll man machen, der Junge hat's mit der Familie!«

»Sein Vater ist krank«, meint Masseau.

»Meinetwegen ja … Und selbst wenn Sie mir sagten, daß sein Vater blond ist und Weiberröcke trägt, so würde ich auch kein Drama daraus machen.«

»Ich würde Ihnen das keinesfalls sagen«, erwidert Masseau in sanftestem Ton.

»Glauben Sie etwa, daß ich Sie danach fragte, mein armer Freund?«

»Jawohl, das glaube ich. Und ich würde Ihnen antworten: Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder bin ich der Vertraute Jeans und darf in diesem Falle seine Geheimnisse nicht verraten; oder ich kenne besagte Geheimnisse nicht und kann trotz aller Lust, Ihnen Verzweiflung in die Seele zu hauchen, nichts weiter tun als schweigen, durch meine Besuche in diesem Hause meine große Abhandlung um einige Randbemerkungen bereichern …«

»Was für eine Abhandlung?«

»Pst … und Ihnen, indem ich Ihnen Geld abgewinne, meine Überlegenheit im Bésigue beweisen.«

»Aber Sie könnten mir doch helfen, meine Partei ergreifen; Sie könnten mir doch den Dienst erweisen, Jean zu sagen …«

»Nein!« unterbricht mich Masseau mit solcher Heftigkeit, daß sich ein Teil seiner spärlich gesäten Haare sträubt. »Nein! … Verstehen Sie doch, liebe Freundin«, fügt er leiser hinzu, »das Opium ist teuer.«

Ich verstehe. Ich verstehe sehr wohl. Armer Masseau … Ich weiß, daß Jean ihm Geld gibt, damit er sich sein Gift kaufen kann, weiß, daß Jean auf solche Art die Gesundheit des Freundes vollends untergraben hilft, sich aber keine Gedanken darüber macht.

»Ja, ja … Mein bester Masseau, ich werde mich ganz gewiß nicht in Ihre Angelegenheiten einmengen und Ihnen sagen: ›Rauchen Sie nicht mehr, kurieren Sie sich.‹«

»Ebensowenig«, fügt Masseau hinzu, »wie ich Ihnen raten werde: ›Verlassen Sie Jean, wenn Sie mit … mit der Gesundheit seines Vaters nicht zufrieden sind. Oder machen Sie ihn ein für allemal glücklich.‹ Aber dieser letzte Vorschlag übersteigt wohl die Fähigkeit einer intelligenten Frau.«

»Ich weiß, ich weiß. Das kann nur eine brave Haushälterin, die zur Bettgenossin des gnädigen Herrn erhoben wird. Wir werden also zusehen, daß Jean seine Köchin heiratet.«

»Wie ich es getan habe«, fährt Masseau, ohne mit den Wimpern zu zucken, fort. »Aber das eilt ja nicht und wir wollen vorläufig nur an Sie denken. Denn es handelt sich um einen im Grunde recht einfachen Jungen, von Natur aus stolz, durch die Erziehung despotisch geworden – er hat nämlich Mama stets vor Papa zittern gesehen; ein wenig gedemütigt dadurch, daß er alles mögliche versucht hat und bei nichts geblieben ist; noch etwas zu jung, um gut zu sein, und noch zu voll von Illusionen, um sich nicht wider den Gedanken aufzulehnen, daß eine Frau den ersten Platz im Leben und im Herzen eines Mannes einnehmen könne … Kurz, wir haben allen Grund, meine Herren und werten Kollegen, unsere Regierung aufs wärmste zu beglückwünschen und gemeinsam in den Ruf einzustimmen ›Es lebe die Republik!‹«

»Was?«

»Das ist der Schluß einer Rede, die ich im Jahre 1893 in Saigon hielt. Sie sehen, sie ist noch wie neu.«

Ich höre ihn rauchend an, nicke zustimmend und blinzle verständnisvoll:

»Ausgezeichnet. Die ›Beschreibung siehe Rückseite‹ ist vortrefflich. Allerdings haben Sie keine ›Gebrauchsanweisung‹ hinzugefügt. Aber die ist gar nicht nötig.«

»Denn?«

»Ich weiß nicht … Ich glaube … Jean ist reizend … Ich ebenfalls … Wir werden so reizend bleiben, wie wir sind, unter der Bedingung, daß wir nichts übertreiben …«

Ich habe mir eine neue Zigarette angezündet, ein unentbehrliches Hilfsmittel, wenn man Unbekümmertheit, zynische Überlegenheit und geschmackvolle Frivolität in klassischer Weise zum Ausdruck bringen will.

»Phhh … Reizend, sage ich Ihnen. Gerade deshalb werde ich Wert darauf legen, von … unserem Abenteuer eine Erinnerung zu bewahren, die seiner würdig ist. Keine Kette, nicht einmal eine Rosenkette – eine alte Girlande ist etwas so Häßliches! … Irgend etwas – ich möchte es den unfehlbaren Instinkt nennen – sagt mir, daß es für Jean und mich das beste wäre, wenn wir wieder Kameraden würden … Phhh … Wir haben uns – gestatten Sie mir den Ausdruck – zu schnell miteinander eingelassen, fast ohne einander zu kennen, und … Sie müssen wissen, es gibt Launen, Charakterzüge … kurz, es gibt Dinge, die ich mir nicht gefallen lasse …«

Ich halte plötzlich inne und erröte bis unter die Haarwurzeln. Des Satzes, den ich eben ausgesprochen habe, pflegte May sich zu bedienen, wenn sie hinter verschlossenen Türen tüchtig verprügelt worden war und ihr Stolz sich nachher zornig aufbäumte …

Um mich diese Analogie noch schmerzlicher empfinden zu lassen und ohne daß ich Zeit gehabt hätte, das Heranrollen des Wagens und Schritte auf dem Kiesweg zu hören, öffnet Jean die Tür und steht vor uns …

»Du bist es!«

Mein greller Aufschrei macht uns alle drei verlegen, und Jean runzelt die Stirn:

»Ja, ich bin es. Wieder einmal bin ich es. Weiß Gott, wenn man dich bei meinem Erscheinen so schreien hört, könnte man glauben, daß du nicht mich erwartest.«

Er irrt, ich aber finde mich wieder zurecht:

»Ich erwartete dich nicht so früh … Du siehst müde aus … Wie geht es deinem Vater?«

»Besser. Immerhin so gut, daß er unerträglich ist. Zu denken, daß ich in diesem Alter auch so sein werde! … Was habt ihr denn heute abend Schönes gegessen?«

Er setzt sich nieder, rekelt sich, spricht. Er wird nichts Außergewöhnliches sagen; nichts, was zwei Schicksale auf ewig verknüpfen oder trennen könnte. Aber er ist da, »wieder einmal« da, um mich seiner Worte zu bedienen. Ich fühle, daß das Auge Masseaus auf mir ruht, doch der sarkastische Blick kann mich nicht daran hindern, gleich einem Hunde alle Bewegungen Jeans zu verfolgen. Ich tue nichts weiter, als ein wenig den Kopf heben, Blick und Körper dem Sprechenden zuwenden, aber ich weiß, daß jede meiner Bewegungen einem natürlichen Zwange gehorcht, so wie der Blütenkelch nach der Sonne strebt, so wie die Alge sich dem Bogen der Welle anschmiegt.

Er ist da, der Mann, den ich soeben verlassen wollte. Wollte ich es denn? Der Gegensatz zwischen meinen lügnerischen Worten von vorhin und der brennenden Wahrheit des jetzigen Augenblicks ist so stark, daß ich erschauere. Er ist da, er bewegt sich oder ruht in gewohnter Weise, und alles in uns und um uns scheint einfach. Aber ich weiß, daß er mir verborgener ist als ein Gott, der sich in Wolken hüllt. Er steht fortan, er allein undurchsichtig, zwischen mir und dem ganzen übrigen klaren Weltall. Es gibt kein Mittel gegen seine geheimnisvolle Abgeschlossenheit, die nur für mich besteht und die ich allein verursacht habe, indem ich ihn zu meinem Liebhaber machte. Die Liebe, dieser schmerzhafte und immer erneute Stoß gegen eine durchsichtige, aber undurchdringliche Wand … Wären wir nur Freunde, so könnten wir zu beiden Seiten dieses harten Kristalls nebeneinander dahinschreiten, vielleicht ohne zu merken, daß er uns trennt. Aber die Liebe muß uns gegeneinanderschleudern, und ich zittere davor, daß ich, die Zerbrechlichere von uns beiden, zuerst zerschellen werde …

Mich flieht der Schlaf, du aber schläfst an meiner Seite. Du schläfst im Licht der Lampe, die ich eben entzündet habe – die Flamme der Psyche weckt dich nicht. Träumst du? Nein. Ich sehe weder auf deiner Wange noch auf deiner Stirn jenes Rieseln, jene Schauer fließenden Wassers, die mir verrieten, daß ein flüchtiger Traum durch deine Seele zieht … Wenn ich da bin, träumst du nicht. Man könnte glauben, daß du es dann nicht willst. Wie gut du dich wehrst! Es ist die Stunde, da ich um dich herumirre wie um die Mauern eines verschlossenen Palastes. Auf welchem Weg soll ich zu dir gelangen? Welche Bresche öffnen in deiner faltenlosen Stirn? Sprich, gieriger Mund, sage mir schlafend, was du im Lichte des Tages verschweigst! Sag mir, was dein Lächeln bedeutet, jenes satte Lächeln eines Tieres, das auf Raub aus war und sich im Nachgenuß seiner Beute ergötzt … Oft habe ich solche Augen an dir gesehen, plötzlich leere Augen, blasser und weiter als ein Meeresgolf, den kein Schiff belebt …

Über dich gebeugt, drücke ich mit der Hand eine Spitze gegen die Brust, die dich streifen könnte, und ich atme leiser. Aber hörst du denn nicht meine erregten Gedanken schwirren, die an der tauben Muschel deines Ohres, an deinen Nasenflügeln, an deinem gefühllosen Munde zerschellen?

Wo ist die Zeit, da ich lächelnd deinen Schlaf bewunderte? Ich konnte ungestört neben dir lesen und denken; du warst mir süß wie ein Schatz schöner Früchte, auf dieses Lager geschüttet: ich vergaß dich und wandte mich dir dann wieder zu – du warst mir nicht kostbarer als meine anderen Güter und lastetest nicht schwerer auf mir.

Irgend etwas ist zwischen uns getreten und hat all das vergiftet – ist es die Liebe oder nur der Schatten, den sie vorauswirft? … Schon hast du aufgehört, strahlend und leer für mich zu sein …

Ich habe die Gefahr, die mir droht, an dem Tage ermessen gelernt, da ich zu verachten begann, was du mir schenktest: eine fröhliche und leichte Freude, die kein Gefühl der Dankbarkeit in mir erweckte und mich unbeschwert ließ, eine Freude, die ein wenig tierisch ist wie Hunger und Durst und harmlos wie sie … Eines Tages begann ich an all das zu denken, was du mir nicht schenktest: ich trat in den kalten Schatten, der der Liebe vorausgeht.

Gedemütigt belausche ich deinen Schlummer. O du, mein Schatz schöner Früchte, auf das Lager gestreut, ist es möglich, daß ich dich mißachte, weil ich beginne, dich zu lieben?

Ist es möglich, Schönheit, daß ich dir die Seele vorziehe, die, deiner vielleicht unwürdig, in dir wohnt? Gibt es denn nun Worte – Eifersucht, Verrat, Treue –, die den Glanz deines Namens, o Schönheit, verdunkeln? …

Ich habe auch diese Nacht damit verbracht, dich zu betrachten, dich, der du mein Stolz warst, meine köstliche, aber nicht geliebte Beute; – doch ach, ich sehe dich nicht mehr: ich denke an dich. Ich sehe eine Zeit kommen, da der wachsende Schatten der Liebe mich ganz einhüllt, eine Zeit, da ich noch demütiger bin, da armselige Fragen mich quälen: »Liebt er mich? Betrügt er mich? Gebe der Himmel, daß alle seine Gedanken mir gehören …«

Noch habe ich mich nicht ganz verloren – noch nicht. Wenn ich wollte, hätte ich noch die Kraft, dich zu verlassen. Langsam würdest du erwachen – ich weiß so gut, wie deine Lider sich heben und einen schmalen Streifen deiner Augen sehen lassen, dem ungewissen Streifen Lichtes vergleichbar, der die nahende Morgendämmerung am Horizonte verkündet … Du würdest dich allein finden, würdest die Schleife auflesen, mit der ich mein Nachtgewand schließe … Du würdest am Morgen jenen leisen, ganz leisen Gesang nicht mehr hören, den ich alltäglich für mich allein singe, indes du hinter der geschlossenen Tür lauschst …

Nein. Ich bleibe. Ein stumpfer Heroismus hält mich hier am Rand des Verderbens fest. Ich bleibe. Schlafe, ich aber wache und schaue gelassen das Schicksal, das ich dir wünschen muß: barmherzigen Tod, der dich versteinert – hier, in dieser Pose undurchdringlichen Schlafes – als meiner neuen Liebe ewiges Bild.


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